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Siebzigstes Kapitel

Jedoch die arabische Bewegung lebte nur von Allenbys Gnaden, und daher mußte auf alle Fälle irgendein Unternehmen ins Werk gesetzt werden, wenn auch nicht gleich im Umfang eines allgemeinen Aufstandes im Feindesbereich; ein Unternehmen, das nur von einem Streifkorps ohne Einbeziehung der ansässigen Bevölkerung durchgeführt werden konnte, und das zugleich als wesentliche Unterstützung seiner Pläne Allenby willkommen sein würde. Alles dies in Betracht gezogen, erschien der Versuch, eine der Brücken im Tal des Jarmuk zu sprengen, am aussichtsreichsten.

Das Tal des Jarmukflusses war eine enge, steilwandige Schlucht, durch die die von Palästina kommende Eisenbahn auf ihrem Weg nach Damaskus zum Hauran hinanstieg. Der jähe Übergang aus der Tiefe des Jordantals zur Höhe des Plateaus von Hauran hatte bei dem Bau dieser Strecke große Schwierigkeiten bereitet. Die Ingenieure mußten sie hart an den zahlreichen Windungen des Flußtals entlang führen; und um die nötige Steigweite zu erhalten, mußte die Bahn in ständigem Hin und Her den Fluß auf zahllosen Brücken überkreuzen, von denen die beiden am West- und am Ostausgang gelegenen am schwierigsten wiederherzustellen waren.

Durch Zerstörung einer dieser Brücken wurde die türkische Armee in Palästina von ihrer Basis in Damaskus abgeschnitten und ihr die Möglichkeit genommen, dem Vordringen Allenbys nach rückwärts auszuweichen. Der Jarmuk war von Akaba aus auf dem Wege über Asrak in vierhundertzwanzig Meilen langem Ritt zu erreichen. Die Türken hielten eine Gefährdung dieser Brücken für so ausgeschlossen, daß ihre Bewachung nur ungenügend war.

Der Plan wurde also Allenby vorgeschlagen, der uns ersuchte, die Ausführung auf den 5. November oder einen der drei folgenden Tage zu verlegen. Wenn er gelang und das Wetter sich danach noch vierzehn Tage halten würde, war alle Aussicht vorhanden, daß keine geschlossene Einheit der Armee des Generals von Kress den Rückzug nach Damaskus überleben würde. Die Araber würden dann die Möglichkeit haben, bis in die Hauptstadt vorzudringen, dabei auf halbem Weg dorthin die Engländer ablösend, deren Stoßkraft in diesem Stadium durch die Lockerung der rückwärtigen Verbindungen nahezu erschöpft sein würde.

Für diesen Fall brauchten wir eine Autorität in Asrak zur Führung unserer voraussichtlichen örtlichen Anhänger.

Nasir, unser bewährter Wegbereiter, war abwesend, doch bei den Beni Sakhr befand sich ja Ali ibn el Hussein, der jugendliche und sympathische Harith Scherif, der sich einst während der Unglückstage Faisals bei Medina besonders hervorgetan und später bei El Ola selbst Newcombe noch übertroffen hatte.

siehe Bildunterschrift

G. Dawney.
Bleistiftzeichnung von Lamb

Ali hatte sich als Gast Dschemal-Paschas in Damaskus aufgehalten und dabei einige Kenntnisse über Syrien erlangt; so bat ich Faisal, mir ihn zur Verfügung zu stellen. Alis Mut, Energie und Fähigkeiten waren erprobt: kein Abenteuer seit Beginn unseres Aufstandes, vor dem er zurückgeschreckt wäre; kein Fehlschlag, dem er nicht mit seinem hellauten Lachen die Stirn geboten hätte.

Körperlich war er von außerordentlicher Leistungsfähigkeit, nicht eben hochgewachsen oder schwer, aber ungemein stark. So konnte er beispielsweise niederknien, die Unterarme auf den Boden gelegt, Handflächen nach oben, und dann mit einem Mann auf jeder Hand sich wieder aufrichten. Mehr noch: er konnte barfüßig ein trabendes Kamel im Lauf einholen, eine halbe Meile neben ihm Schritt halten und dann in den Sattel springen. In seinem Wesen war er anmaßend, eitel und eigensinnig, gleich tollkühn in Worten wie in Taten; sehr gewinnend (wenn er wollte) bei öffentlichem Auftreten und leidlich wohlerzogen für einen Mann, der seinen ganzen Ehrgeiz darein setzte, es den Nomaden der Wüste im Krieg und Sport zuvorzutun.

Ali würde uns die Beni Sakhr bringen. Wir hofften auch auf die Serahin, den Stamm bei Asrak. Ich stand in Verbindung mit den Beni Hassan. Die Rualla waren natürlich in dieser Jahreszeit in ihren Winterquartieren, so daß wir unsere beste Karte im Hauran nicht ausspielen konnten. Fais el Ghusein war nach Ledscha gegangen, um sich für den Vorstoß gegen die Hauranbahn vorzubereiten, wenn das Zeichen gegeben würde. Sprengstoffe waren an geeigneten Stellen gelagert. Unsere Freunde in Damaskus waren unterrichtet worden; und Ali Risa-Pascha Rikabi, der Stadtkommandant der ahnungslosen Türken und zugleich Hauptagent und Verschwörer des Scherifs, traf in aller Ruhe die nötigen Maßnahmen, um die Herrschaft in der Stadt in der Hand zu behalten, wenn es so weit sein würde.

Im einzelnen ging mein Plan dahin, von Asrak aus unter Führung von Rafa (dem tapfersten der Scheiks und meinem einstigen Begleiter) in ein bis zwei Gewaltmärschen mit nur etwa fünfzig Mann gegen Um Kes vorzustoßen. Um Kes ist das alte Gadara, die berühmte Geburtsstätte des Menippos und des Meleager, des unsterblichen griechischen Syriers, dessen Schriften den Höhepunkt der syrischen Philosophenschule bedeuten. Der Ort lag genau oberhalb der westlichsten der Jarmukbrücken, eines stählernen Meisterwerks, dessen Zerstörung meinen Namen rühmlichst in die der Schule von Gadara einreihen würde. Nur etwa ein halbes Dutzend Posten waren an den Bogen und Pfeilern stationiert; ihre Ablösung erfolgte aus einer etwa sechzig Mann starken Abteilung in der Station Hemme, wo noch heute die heißen Quellen von Gadara zum Heil der Kranken hervorsprudeln. Ich hoffte einige der Abu Taji unter Saals Führung zum Mitkommen zu bewegen. Mit diesen Werwölfen konnte ich schon einen Überfall auf die Brücke wagen. Um das Herankommen feindlicher Verstärkungen zu verhindern, sollten die Zugangswege mit Maschinengewehrfeuer bestrichen werden, bedient durch Hauptmann Brays indische Freiwilligen von der Kavalleriedivision in Frankreich, unter Führung von Dschemadar Hassan Schah, einem zuverlässigen und erfahrenen Mann. Sie waren monatelang von Wedsch aus zu Bahnzerstörungen unterwegs gewesen und mochten dabei wohl geübte und ausdauernde Kamelreiter geworden sein, um die bevorstehenden Gewaltmärsche aushalten zu können.

Die Zerstörung stark versteifter eiserner Bogenspannungen mit nur beschränkten Mengen Sprengmaterials war eine technisch schwierige Operation, namentlich wenn sie unter feindlichem Feuer erfolgen mußte. Als sachkundiger Berater wurde daher Wood, der Ingenieur vom Platz in Akaba, aufgefordert mitzukommen; er war auch sofort bereit, trotzdem ihm die Ärzte jede aktive Diensttätigkeit wegen eines in Frankreich erhaltenen Kopfschusses untersagt hatten. George Lloyd, der sich noch einige Tage in Akaba aufhielt vor seiner Abreise nach Versailles zu einer leidigen Interalliiertenkonferenz, erklärte, daß er uns bis Dschefer begleiten wollte. Da er ein prächtiger Mensch war und der denkbar angenehmste Gefährte auf Reisen, war sein Mitkommen eine große Stärkung für unser gefährliches Wagnis.

Während unserer letzten Vorbereitungen traf noch ein unerwarteter Verbündeter bei uns ein in der Person des Emirs Abd el Kadir el Dschesairi, einem Enkel des tapferen Verteidigers von Algier gegen die Franzosen. Die aus Algier verbannte Familie hatte seit einem Menschenalter in Damaskus gelebt. Einer von ihnen, Omar, war von Dschemal wegen Hochverrats, entdeckt durch die Papiere Picots, gehängt worden. Die anderen waren deportiert worden, und Abd el Kadir erzählte uns ein langes Märchen von seiner Flucht aus Brussa und seiner Reise unter zahllosen Abenteuern durch Anatolien nach Damaskus. In Wirklichkeit war er von den Türken auf Wunsch des Khediven Abbas Hilmi in Freiheit gesetzt und von diesen in privater Mission nach Mekka geschickt worden. Er ging dorthin, wurde von König Hussein empfangen und kehrte mit dem roten Banner und Ehrengeschenken zurück; sein wirrer Geist schien halb und halb von dem guten Recht unserer Sache überzeugt, und er zeigte krampfhafte Begeisterung.

Er stellte Faisal Leib und Leben seiner Dörfler zur Verfügung, ausgewiesener Algerier, kühner handfester Kerle, die in geschlossenen Siedelungen längs des Nordufers des Jarmuk lebten. Das war uns sehr willkommen, denn wir erlangten dadurch, wenigstens für eine Weile, die Herrschaft über den mittleren Teil der Jarmuk-Bahnlinie einschließlich mehrerer Hauptbrücken, ohne daß wir die eingesessene Bevölkerung in das Vorhaben hineinzuziehen brauchten. Denn die Algerier waren verhaßte Fremdlinge, und die arabische Bauernschaft hätte niemals mit ihnen gemeinsame Sache gemacht. Demgemäß unterließen wir die Botschaft an Rafa, in Asrak zu uns zu stoßen, und sagten zu Saal kein Wort von unseren Absichten, sondern taten im Gegenteil so, als hätten wir es auf das Wadi Khalid und seine Brücken abgesehen.

Kaum hatten wir uns das alles schön zurechtgelegt, da traf ein Telegramm ein von Oberst Bremond, in dem er uns vor Abd el Kadir als einem Spion im türkischen Solde warnte. Das störte unsere Rechnung. Wir beobachteten ihn scharf, fanden aber keinen Beweis für diese Anschuldigung; sie war nicht ohne weiteres glaubhaft, da sie von Bremond stammte, der für uns eher eine Last als eine Hilfe war. Sein Urteil mochte getrübt sein, als er von den Anklagen gegen Frankreich hörte, die Abd el Kadir öffentlich und privat geäußert hatte. Die Franzosen lieben ihr Land gleichsam wie eine schöne Frau, und wenn man deren Reize mißachtet, sind sie in ihren nationalen Gefühlen beleidigt.

Faisal bestimmte, daß Abd el Kadir mit Ali und mir reiten sollte, und sagte zu mir: »Ich weiß, er ist etwas verdreht. Ich glaube, er ist ehrlich. Hütet eure Köpfe und benutzt ihn.« Wir zeigten ihm weiter unser rückhaltloses Vertrauen, indem wir uns sagten: ein Gauner traut unserer Ehrlichkeit sowieso nicht, und ein ehrlicher Mann wird durch Verdacht am schnellsten zum Gauner. In Wahrheit war er ein fanatischer Moslem, halb verrückt vor religiösem Wahn und unbändiger Selbstüberzeugtheit. Sein übersteigerter Mohammedanismus empörte sich gegen mein offen zur Schau getragenes Christentum. Seine Eitelkeit war tief verletzt durch unsere Gemeinschaft; denn die Stämme sahen in Ali den Größeren, aber behandelten mich mit mehr Achtung als ihn. Seine dickköpfige Borniertheit brachte sogar Alis Selbstbeherrschung aus der Fassung, was zu mehreren höchst peinlichen Szenen führte. Und zum Schluß ließ er uns in einem verzweifelten Augenblick im Stich, nachdem er unsern Marsch unausgesetzt behindert und uns und unsere Pläne auf alle erdenkliche Weise durcheinandergebracht hatte.


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