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Sechsundvierzigstes Kapitel

Unterdessen wollten wir mit Ali abu Fitna zusammenbleiben und langsam gegen Norden in das Gebiet von Nebk vorrücken, wo Auda an alle Abu Taji Befehl schicken würde, sich zu sammeln. Er selbst konnte von Nuri zurück sein, bevor sie noch vollzählig vereinigt waren. Also wurde es beschlossen und sechs Beutel Gold in Audas Satteltaschen verstaut, worauf er abritt. Darauf machten die Häuptlinge der Fitenna Fitenna = arab. Plural von Fitna. (A. d. Ü.) ihre Aufwartung und erklärten, es würde ihnen eine hohe Ehre sein, zweimal am Tage, morgens und bei Sonnenuntergang, Festlichkeiten für uns zu veranstalten, solange wir bei ihnen blieben – und sie hielten, was sie versprachen! Die Gastfreundschaft der Howeitat – nicht zufrieden mit der nach formellem Gesetz der Wüste üblichen dreitägigen Abspeisung – war unbegrenzt und leider auch recht lästig und ließ uns keinerlei anständigen Vorwand, uns all dem zu entziehen, was nun einmal nach dem Begriff eines Nomaden zum wahren Wohlleben gehört. Jeden Morgen, zwischen acht und zehn, erschienen einige Vollblutstuten mit höchst mangelhaftem und zusammengestückeltem Sattelzeug auf unserm Lagerplatz. Nasir, Nesib, Seki und ich saßen auf, und, begleitet von etwa einem Dutzend unserer Leute, bewegten wir uns feierlich im Schritt durch das Tal über die sandigen Pfade zwischen dem Buschwerk. Die Pferde wurden von unsern Dienern geführt, denn es galt als unschicklich, ungeleitet oder in rascher Gangart zu reiten. So erreichten wir schließlich das Zelt, das jeweils an dem Tage zur Festhalle bestimmt war. Jede Familie lud uns der Reihe nach zu Gast und war tief beleidigt, wenn etwa Saal, der Festordner, eine Familie außer der Reihe bevorzugte.

Bei der Ankunft stürzten sich zunächst einmal sämtliche Hunde auf uns und wurden von den Zuschauern fortgejagt, deren sich stets eine erkleckliche Anzahl vor dem auserwählten Zelt versammelt hatte. Dann schritten wir unter den gespannten Seilen nach dem für Gäste bestimmten offenen Teil des Zeltes, der für diese Gelegenheit beträchtlich erweitert und reich mit Wandteppichen zum Schutz gegen die Sonne behängt war. Der Gastgeber erschien, murmelte schüchtern einige Begrüßungsworte und verschwand wieder. Die dunkelroten Stammesteppiche, ziemlich billiges Zeug aus Beirut, waren längs des Trennungsvorhanges an der Rückwand und den beiden freihängenden Seitenwänden für uns bereitgelegt, so daß wir, insgesamt etwa fünfzig an der Zahl, uns im Hufeisen um einen freien staubigen Platz niederließen.

Der Wirt erschien wieder und blieb am Zeltpfahl stehen; die einheimischen Gäste, Mohammed el Dheilan, Saal und andere Scheiks nahmen nun ihrerseits zögernd auf den Teppichen zwischen uns Platz, so daß es etwas eng wurde zwischen den mit Filzdecken belegten Packsätteln, auf die wir uns mit den Ellenbogen lehnten. Die vordere Seite blieb offen, und alle Augenblicke mußten die Hunde von den Kindern verjagt werden, die aufgeregt und noch kleinere an der Hand schleppend über den freien Platz rannten. Ihre Bekleidung war um so spärlicher, je geringer die Zahl ihrer Jahre und je rundlicher ihre Bäuchlein waren. Die Allerkleinsten, splitternackt und mühsam auf ihren gespreizten Beinchen balancierend, starrten daumenlutschend und hoffnungsvolle Dickbäuche vorstreckend, mit ihren von Fliegen schwarzen Augen nach uns hin.

Dann folgte gewöhnlich eine Verlegenheitspause, über die unsre Gastfreunde uns hinweghalfen durch Vorzeigen des Hausfalken auf seiner Stange (er mußte möglichst von der Gattung der Seefalken und an der Küste des Roten Meeres jung eingefangen sein), oder ihres Haushahns (der als Wächter benutzt wird) oder Windhunds. Einmal wurde ein Steinbock hereingezerrt, um bewundert zu werden, ein andermal eine Oryx-Antilope. Waren diese Unterhaltungen erschöpft, so wurde ein kleines Gespräch mit einigem Erfolg eingeleitet, um uns von den häuslichen Geräuschen und dem eifrigen Küchengemurmel abzulenken, das mitsamt einem kräftigen Fettgeruch und Schwaden würzigen Fleischdampfes durch den Spalt des rückwärtigen Vorhanges drang.

Wiederum Schweigen, und dann trat der Wirt oder sein Abgesandter zu uns und fragte flüsternd: »Schwarz oder Weiß?«; was bedeutete, ob wir Kaffee oder Tee wollten. Nasir antwortete regelmäßig: »Schwarz«, worauf der Sklave mit der langgeschnäbelten Kaffeekanne in der einen und einem Satz von drei oder vier klirrenden Steinguttäßchen in der andern Hand herangewinkt wurde. Er goß wenige Tropfen Kaffee in die oberste Schale und reichte sie Nasir, dann die zweite mir und die dritte Nesib. Dann wartete er, während wir die Schälchen in unsern Händen drehten und sie sorgfältig und in geziemender Würdigung des Gebotenen bis auf den letzten Tropfen ausschlürften.

Sobald die Tassen geleert waren, griff die Hand des Sklaven rasch danach und stülpte sie wieder mit viel Geklirr übereinander, um die oberste dann – etwas weniger feierlich – für den nächsten Gast der Rangordnung nachzufüllen und so fort, bis alle getrunken hatten. Dann wieder zurück zu Nasir. Die zweite Tasse war schmackhafter als die erste, teils weil das Gebräu mehr den Tiefen der Kanne entstammte, teils weil die Neigen der vorhergehenden Trinker in der Schale geblieben waren. Die dritte und vierte Tasse aber, falls sich das Auftragen des Mahls so lange verzögerte, war gewöhnlich von überraschendem Wohlgeschmack.

Endlich indessen drängten sich zwei Männer durch die erschauernde Menge und brachten schwankend eine mit Reis und Fleisch gefüllte flache Wanne aus verzinntem Kupferblech, fünf Fuß im Durchmesser. Der ganze Stamm besaß nur ein Eßgefäß in dieser Größe, und rings um den Rand lief eine Inschrift in der blühenden Sprache Arabiens: »Zur Ehre Gottes des Allmächtigen und in der Hoffnung auf Gnade, wenn das Ende naht, das Eigentum Seines demütig Flehenden, Auda abu Taji.« Sie wurde jedesmal von dem Gastgeber, der uns zu bewirten an der Reihe war, ausgeborgt; und da mein unruhiger Geist mich oft früh erwachen ließ, so sah ich von meinem Zelt aus im ersten Licht des Morgens den gewaltigen Trog durch das Lager wandern und wußte dann, wenn ich mir die Richtung merkte, wo wir an diesem Tag zu speisen hatten.

Jetzt war die Wanne randvoll; ringsherum lief ein Wall von Reis, einen Fuß breit und sechs Zoll hoch; in der Mitte waren Hammelkeulen und Rippenstücke hoch bis zum Umfallen aufgehäuft. Man brauchte stets zwei bis drei Opfer, um eine Fleischpyramide von der Mächtigkeit aufzurichten, wie es die Ehre des Hauses vorschrieb. Das Mittelstück bildeten die aufgerichteten Hammelköpfe, gestützt auf ihre abgeschlagenen Halsstümpfe, so daß die langen Ohren, braun wie altes Laub, über den Reisdamm hinausschlappten. Die Kiefer standen gähnend offen und zeigten den dunklen Schlund der Kehle mit der noch rosigen, auf die Backzähne aufgeklebten Zunge, während die langen ragenden Vorderzähne gleichsam die Pyramide krönten und weißlich hervorbleckten zwischen den stoppelbesetzten Nasenlöchern und den schwärzlichen, wie zu einem Lachen verzogenen Lippen.

Die heiß dampfende Ladung wurde vor uns in die Mitte des Raums niedergesetzt, und dann erschien eine Prozession von Dienern niederen Grades mit kleinen Kesseln und Kupfertöpfen. Mit stark zerbeulten Emailleschalen schöpften sie nun daraus das ganze Gekröse und die äußeren Teile des Hammels in die große Schüssel: Stücke der gelblichen Eingeweide, Teile vom weißen Fettschwanz, bräunliche Hammelfüße, allerlei Fleisch und noch haarige Hautstücke, alles in einer Butter- und Fettbrühe schwimmend. Die Gäste verfolgten aufmerksam das Werk und ließen ein befriedigtes Murmeln vernehmen, wenn ein besonders saftiger Bissen herausplumpste.

Die Fettbrühe war siedend heiß, und manchmal ließ einer den Schöpfer fallen und steckte – nicht eben ungern – die verbrannten Finger zur Abkühlung in den Mund. Aber sie hielten wacker stand und schöpften, bis die Kelle auf dem Boden des Gefäßes klapperte. Zuletzt fischten sie mit einer Geste des Triumphs die ganze Leber aus der Tiefe des Fleischsaftes heraus und krönten damit die gähnenden Kinnbacken der Hammelköpfe.

Dann hoben je zwei Mann einen der kleinen Kessel, kippten ihn um und ließen das flüssige Fett über das Fleisch spritzen, bis der Krater angefüllt war und die Reiskörner am Rande in der steigenden Flut schwammen; und auch dann gossen sie immer noch weiter, bis die Wanne unter unseren überraschten Rufen der Bewunderung überlief und eine kleine Pfütze im Staub gerann. Das war der Schlußeffekt der Herrlichkeit, und nun forderte uns der Wirt auf, zum Essen zu kommen.

Wie es die Sitte verlangte, stellten wir uns zunächst taub; endlich hörten wir die Einladung, blickten uns höchst überrascht an und jeder drängte seinen Nachbar, den Anfang zu machen. Schließlich erhob sich Nasir mit gemessener Zurückhaltung, wir andern folgten hinter ihm drein, ließen uns vor der Platte auf ein Knie nieder und schoben und drängten uns zusammen, bis alle zweiundzwanzig auf dem knappen Raum rund um den Trog Platz hatten. Dann wurde der rechte Ärmel bis zum Ellenbogen zurückgeschlagen, und, dem Beispiel Nasirs folgend, tauchten wir mit einem leisen: »Im Namen Gottes, des Gnädigen und Allgütigen« die Finger in die Speise.

Das erste Eintauchen war, für mich wenigstens, immer gefährlich, da meine noch nicht daran gewöhnten Finger sich an dem heißen Fett leicht verbrühten. So nahm ich mir erst vorsichtig ein abseitiges und schon etwas abgekühltes Fleischstückchen und hantierte damit herum, bis die Aushöhlungen der Nachbarn meinen Reisabschnitt freigelegt hatten. Man pflegte mit den Fingern (doch ohne die Handfläche zu beschmutzen) hübsche Kügelchen aus Reis, Fett, Leber und Fleisch zu drehen und unter leichtem Druck zusammenzukneten, worauf sie mit einer schnappenden Bewegung zwischen Daumen und gekrümmtem Zeigefinger in den Mund geschossen wurden. Mit dem richtigen Trick und bei richtiger Herstellung kamen die Kügelchen säuberlich aus den Fingern; wenn aber überflüssiges Fett und schlecht hineingepappte Stückchen an den Fingern klebenblieben, mußten diese sorgfältig abgeleckt werden, damit es bei dem nächsten Versuch besser glitschte.

Wenn die Fleischpyramide zusammengeschrumpft war (niemand machte sich viel aus dem Reis, denn Fleisch bildete die Festspeise), zog einer der Howeitat-Scheiks, der mit uns aß, seinen silberbeschlagenen und mit Türkisen besetzten Dolch, ein signiertes Meisterstück Mohammeds ibn Sari aus Dschof Der berühmteste Waffenschmied war zu meiner Zeit Ibn Bani, ein Handwerker der Ibn Raschid-Dynastie aus Hail. Einmal nahm er an einem Raubzug der Schammar gegen die Rualla teil und wurde gefangengenommen. Als Nuri ihn erkannte, sperrte er ihn zusammen mit seinem eigenen Waffenschmied Ibn Sari ein und erklärte, er würde beide nicht eher herauslassen, bis ihre Arbeiten nicht mehr voneinander zu unterscheiden wären. Auf diese Weise verbesserte Ibn Sari seine handwerkliche Geschicklichkeit, während er in den Entwürfen schon immer der bessere Künstler gewesen war., und schnitt das Fleisch der größeren Knochen kreuz und quer in lange rautenförmige Stücke, die man dann leicht mit den Fingern ablösen konnte; denn natürlich mußte das Fleisch sehr weich gekocht werden, da man ausschließlich mit der rechten Hand essen durfte, während die linke als unrein galt.

Unser Wirt stand bei der Runde und ermunterte unsern Appetit durch freundliche Zurufe. Mit Volldampf wurde zerrissen, zerbrochen, gedreht und gestopft, ohne daß ein Wort gesprochen wurde, denn Unterhaltung hätte eine Herabwürdigung des Mahles bedeutet. Doch geziemte es sich dankbar zu lächeln, wenn ein Freund einem ein besonders auserwähltes Stück darbot oder etwa Mohammed el Dheilan mit würdiger Miene einen riesigen, fleischlosen Knochen mit einem Segensspruch herüberreichte. In diesem Falle pflegte ich die Ehrengabe mit einem besonders scheußlichen Stück Eingeweide zu erwidern, eine Narretei, die den Howeitat einen Mordsspaß machte, die jedoch der korrekte und aristokratische Nasir mit Mißbilligung ansah.

Mit der Zeit waren einzelne annähernd gesättigt und begannen nur noch spielerisch herumzustochern; dabei schielten sie seitwärts nach den übrigen, bis auch diese ihr Tempo verlangsamten und schließlich aufhörten. War man fertig, so stützte man den Ellenbogen aufs Knie und ließ die Hand vom Knöchel abwärts über die Schüssel herunterhängen, damit sie abtropfte, während Fett, Butter und einzelne Reiskörner zu einer fettigen weißen Kruste erkalteten, die die Finger zusammenklebte. Als alle fertig waren, räusperte sich Nasir vernehmlich, und mit einem allgemeinen »Gott vergelte dir's, o Gastfreund!« erhoben wir uns eilig und gruppierten uns draußen unter den Zeltstricken, während sich die nächsten zwanzig Gäste an die Schüssel setzten. Die Feineren unter uns gingen an die Rückwand des Zeltes, wo über den äußeren Pfählen eine Klappe des Dachtuchs als Abschlußvorhang herabhing, und an diesem Familienhandtuch, dessen rauhes Ziegenhaargewebe vom vielen Gebrauch glatt und geschmeidig geworden war, wischte man sich die dicksten Fettpatzen von den Händen. Dann gingen wir wieder hinein und ließen uns seufzend und einigermaßen beschwerlich auf unsere Sitze nieder. Sklaven (sie hatten sich den ihnen zustehenden Teil, die Hammelköpfe, schon beiseitegelegt) gingen mit einer hölzernen Schale und einer Kaffeetasse als Schöpfer die Reihe herum und gossen Wasser über unsere Finger, die wir gleichzeitig mit dem Seifenstück des Stammes abrieben.

Mittlerweile hatte auch die zweite und die dritte Runde der Tischgesellschaft abgegessen, und es gab nochmals eine Tasse Kaffee oder ein Glas sirupartigen Tee. Schließlich wurden die Pferde gebracht, wir traten hinaus, saßen auf und ritten mit einem würdevoll ruhigen Segenswunsch für den Gastgeber davon. Sobald wir den Rücken gedreht hatten, stürzten sich die Kinder über die Reste in der Schüssel, balgten sich um die abgenagten Knochen und flüchteten mit etwa ergatterten Leckerbissen ins Freie, um sie hinter einem Busch in Sicherheit zu verzehren, während sämtliche Hunde des Lagers schnappend umherstreiften und der Herr des Zeltes seinen Windhund mit den auserlesensten Überresten fütterte.


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