Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Generaldirektor Burg saß wie jeden Mittwoch vormittag auf dem Polizeipräsidium. Er schien nachdenklich und verstimmt. Erschreckend geradezu, wie die Zahl der Einbrüche mit der gesteigerten Wirksamkeit seiner »Beamten« nachließ. Die ältesten Hehler, die mehr denn je damit rechneten, daß die Widaleute ihnen die Beute abjagten, zogen sich teils von den Geschäften zurück und verlegten sich aufs Kuppeln und verwandte Gewerbe, oder sie zahlten so niedrige Preise, daß den Verbrechern die Lust verging, ihre Haut für nichts und wieder nichts zu Markte zu tragen.

»Sie wirken geradezu veredelnd auf diese Kreise,« erklärte der Oberregierungsrat, der den Präsidenten vertrat. »Die Fälle, in denen gewerbsmäßige Verbrecher, die ihr Leben lang vom Diebstahl und Einbruch lebten, redliche Arbeit suchen und mit unserer Hilfe auch finden, mehren sich von Woche zu Woche.«

»Sehr erfreulich,« heuchelte Burg.

»Und wenn man sie fragt, was denn diese Wandlung zum Guten in ihnen bewirkt hat, so antworten sie: ›Die Wida‹.«

»Sehn Sie mal an!«

»Sie dürfen aber nicht etwa glauben, daß sie darum Engel geworden sind.«

»Dazu fehlt ihnen wohl von Natur aus die nötige Anlage.«

»Sie beugen sich einfach der zwingenden Notwendigkeit und erklären, in der Branche sei nichts mehr zu holen, die Wida habe sie ruiniert.«

»Denken Sie nicht weiter, Herr Oberregierungsrat?«

»Inwiefern?«

»Fürchten Sie uns nicht?«

»Sie?« fragte er erstaunt.

»Haben Sie nie bedacht, daß die Wida die Macht hat, den Zweck dieses Gebäudes sowie seiner sämtlichen Beamten illusorisch zu machen?«

»Sie vergessen die Vorbedingung für die Schließung dieses Hauses.«

»Nämlich?«

»Daß die Voraussetzungen für die Existenz der Wida aufgehört haben, zu bestehen.«

»Bravo! Jetzt verstehen wir uns!«

»Ja, das ist der Fluch der guten Tat!«

»Ich fürchte, daß dieser Tag nicht mehr allzufern ist. Die Verbrechen nehmen in erschreckender Weise ab – von den paar Morden können Sie auf die Dauer nicht leben.«

»Das stimmt.«

»In den letzten acht Tagen ist in Berlin nicht ein einziger Einbruch verübt worden. Die Nachrichten aus Hamburg und Leipzig, wo wir Filialen unterhalten, lauten ebenfalls hoffnungslos.«

»Dabei verfährt das Publikum, das gerade begonnen hatte, Vorsicht zu üben, seit dem Bestehen der Wida mit einer Leichtfertigkeit, die einen willensschwachen Menschen geradezu zum Verbrechen anreizt. Die Leute lassen in diesem Sommer selbst in den Parterrewohnungen nachts die Fenster offen.«

»Ja! Ja!« stöhnte Burg. »Es ist schlimmer, als es vor dem Kriege war.«

»Wieso schlimmer? – Es ist doch ein Glück!«

»Für die, die verschont bleiben! – Für Sie und mich wäre es anders besser.«

»Herr Generaldirektor!« fuhr er Burg an, und der erwiderte in aller Ruhe:

»Herr Oberregierungsrat!«

»Sie vergessen, daß ich Beamter bin!«

»In der Tat, das vergaß ich. Sie würden, falls wir Sie zwingen würden, hier zu schließen, woanders Verwendung finden. – Insofern sind Sie besser dran als ich und dürfen sich daher auch den Luxus gestatten, sich sittlich zu entrüsten.«

»Ein Mann von Ihrer Bedeutung findet doch immer eine seinen Fähigkeiten entsprechende Verwendung.«

»Es ist nicht jeder ein Mr. Williams.«

»Der populärste Mann seiner Zeit!«

»Wenn ich nicht Generaldirektor der Wida wäre, ich möchte, weiß Gott, Mr. Williams sein.«

»Er braucht nur einmal k. o. zu gehen – und ist gewesen.«

»Er wird nicht k. o. gehen.«

»Halten auch Sie ihn für unbesiegbar?«

»Nein! Aber es wird, solange die Reklametrommel derart geschickt für ihn gerührt wird, niemand wagen, gegen ihn anzutreten.«

»Wie erklären Sie sich eigentlich das Interesse des Herrn Töns und seiner Freunde für Mr. Williams?«

»Die Lösung dieses Rätsels beschäftigt mich zur Zeit.«

»Sie glauben also nicht, daß es rein sportlich ist?«

»Die Herren haben sich früher nie für den Boxsport interessiert.«

»Die Baronin auch nicht?«

»Ihrer ganzen Veranlagung nach halte ich das für ausgeschlossen.«

»Dann ist es vielleicht der Mann.«

»Anfangs schien es mir so.«

»Und wo liegt Ihr Interesse bei dieser Angelegenheit?«

»Eben bei der Baronin.«

Der Oberregierungsrat lächelte, wurde aber gleich wieder ernst und dachte: »Warum erzählt er das?«

Burg rückte eben mit seinem Stuhl näher an den Beamten heran, als der Polizeipräsident ins Zimmer trat und dem Gespräch – sehr zum Verdruß der beiden – ein Ende machte. Sie standen auf.

»Behalten Sie Platz!« sagte der Präsident und begrüßte Burg fast freundschaftlich. »Dank Ihrer Tüchtigkeit, Herr Burg, können wir wieder eine Abteilung schließen. Ich fürchte, das Polizeipräsidium wird bald dem Wohnungsamt zur Ausnutzung überwiesen werden.«

»Davon sprachen wir gerade,« sagte der Beamte, und Burg fragte:

»Darf ich wissen, welche Abteilung Sie zu schließen beabsichtigen, Herr Präsident?«

»Das Dezernat für Nachtbetriebe, dem außer den Revieren, die sich damit beschäftigen, zweiunddreißig Beamte angehören.«

»Und Sie meinen, daß ich die Ursache bin?«

»Sie sind ein Tausendsassa! Das Reich der Wida ist Ihnen zu klein – Sie suchen eine Nebenzerstreuung.«

»Ich wüßte wirklich nicht …«

»Ich war darauf vorbereitet, daß Sie leugnen würden.«

»Wollen Herr Präsident sich nicht deutlicher ausdrücken?«

»Ich werde Sie schon in die Enge treiben – oder ich wäre zu Unrecht Polizeipräsident von Berlin.«

»Sie reizen meine Neugier!«

»Es ist Ihnen bekannt, daß wir seit einem Jahrzehnt vergeblich gegen die verbotenen Nachtlokale kämpfen.«

»Allerdings.«

»Sie wissen auch, daß in den letzten Wochen von dreiundachtzig solcher Lokale dreiundsiebzig wegen schlechten Geschäftsganges schließen mußten.«

»Wie kann man das feststellen, da die Lokale mit verbotenem Nachtbetrieb ständig wechseln?«

»An den Unternehmern, die immer dieselben sind und infolge des schlechten Geschäftsgangs vom Nachtbetrieb zum Tagesgeschäft übergegangen sind, außerdem an den Schleppern, die von den Straßen verschwunden sind.«

»Kann das nicht Bluff sein?« fragte der Beamte, während Burg gespannt aufmerkte.

»Das dachte der Dezernent anfangs auch. Er hat aber einwandfrei festgestellt, daß die Unternehmer, die früher regelmäßig erst gegen neun Uhr früh in ihre Wohnungen zurückkehrten, jetzt nachts zu Hause sind und in ihren Betten liegen.«

»Sie werden es nicht mehr nötig haben und andere für sich arbeiten lassen,« sagte Burg. »Möglich auch, daß sie es nur tun, um die Polizei zu täuschen – was ihnen scheinbar ja auch gelungen ist.«

Der Präsident lächelte überlegen und sagte:

»Sie haben den Ehrgeiz, nicht nur die Verbrecher zu düpieren, sondern auch die Polizei. In diesem Falle gelingt es Ihnen, was Ihr Prestige durchaus verträgt, einmal daneben.«

»Sie meinen?«

»Ich weiß!«

»Das klingt sehr bestimmt, bedarf aber eines Beweises,« erwiderte Burg, der keine Ahnung hatte, auf was der Präsident ausging, mit kluger Vorsicht.

»Also denken Sie sich, Herr Kollege,« wandte sich der Präsident an den Oberregierungsrat – »durch welchen genialen Gedanken Herr Burg diesen Krebsschaden beseitigt hat. Denn ich kann behaupten: es gibt in Berlin keine verbotenen Nachtlokale mehr.«

»Da bin ich wirklich begierig,« sagte der Beamte, und Burg dachte: ich auch.

»Was an Ihrem Verfahren besonders fein ist, Herr Burg, und worauf unser Dezernent infolgedessen nicht verfallen ist, ist der Gedanke, nicht gegen die Unternehmer vorzugehen, sondern gegen die Gäste. Die Sistierung und Autofahrt nach dem Alexanderplatz, ja selbst das nächtliche Gewahrsam im Polizeipräsidium, durch die man bisher das Publikum schrecken wollte, gehören ja längst zu den beliebtesten Nachtunterhaltungen, die unsere Fremden geradezu suchen, da keine andere Hauptstadt der Welt sie ihnen bietet.«

»Damit treffen Sie den Nagel auf den Kopf,« bestätigte Burg.

»Sehen Sie!« rief der Präsident. »Sie folgen mir schon. – Also mußte ein anderes Abschreckungsmittel gefunden werden. Herr Burg fand es! Mit vier Herren, die, wie er, maskiert sind, begibt er sich eines Nachts gegen halb vier in eines der besuchtesten dieser Lokale und zwingt sämtliche Herren und Damen mit vorgehaltenem Revolver, sich auszuziehen!«

»Glänzend!« rief der Beamte, während Burg gelangweilt tat und den Eindruck machte, als wenn er kaum zuhörte.

»Den Damen und Herren, die sich so bedroht sahen, bleibt gar nichts anderes übrig, als sich bis aufs Hemd auszuziehen. Wirt und Angestellte stehen sprachlos. Die Polizei zu alarmieren, verbietet ihr schlechtes Gewissen. Sie ziehen sich schweigend zurück, während von den Damen und Herren unter dem Druck der Revolver Hülle um Hülle fällt. Den Schmuck läßt man ihnen und erhöht damit nur die Furcht und bestärkt die Ueberzeugung, daß man ihnen ans Leben will.«

»Grandios!« ruft der Beamte, und der Polizeipräsident fährt fort.

»Es kommt noch besser. Jeder bekommt nun ein Tuch, in das er seine Kleider, Unterzeug, Mantel und Hut verpacken muß. Jedes Paket wird mit dem Namen und der Adresse des Inhabers versehen. Nackt bis auf Hemd und Strümpfe, die man ihnen läßt, sitzen sie da und wagen nicht, aufzusehen. Wirt und Bedienung müssen das Lokal verlassen. Die Begleiter von Burg nehmen die Pakete ab und tragen sie in Autos, die vor der Tür halten. Burg selbst stellt eine Weckeruhr auf den Tisch und verkündet: ›Wem sein Leben lieb ist, rührt sich nicht von seinem Platz, bevor diese Uhr weckt. Dann, und zwar um sieben, kann jeder sehen, wie er nach Hause kommt. Gute Nacht, meine Herrschaften! Gute Unterhaltung für den Rest der Nacht!‹ – Damit verläßt auch er den Saal!«

»Ganz fabelhaft!« ruft der Beamte, und Burg zündet sich eine Zigarette an. Der Präsident fährt fort:

»Man kann sich vorstellen, in welcher Verfassung die Herrschaften die nächsten Stunden verlebten. Ueber die Art, wie sie dann um sieben Uhr in diesem Aufzug den Heimweg angetreten haben, schweigen sie sich aus. Jedenfalls fand jeder am nächsten Tage in seinem Hotelzimmer, resp. in seiner Wohnung, das Paket mit seinen Sachen vor.«

»Burg, Sie sind ein fabelhafter Kerl!« rief der Oberregierungsrat.

»In den Kreisen, die es angeht und die zufällig diese Nacht zu Haus oder woanders verbrachten, war der Vorfall natürlich in den nächsten zwölf Stunden bekannt. Der Polizei, was ich nebenbei bemerke, nicht. Herr Burg hat dann, was ich durchaus billige, an einem der nächsten Abende das Verfahren in einem anderen Lokal genau in derselben Weise wiederholt. Diese beiden Male haben genügt, um den Herrschaften diese Art des Nachtbummels zu verleiden.«

»Man sieht, was ein kluger Kopf vermag!« sagte der Oberregierungsrat. »Da waren Nacht für Nacht Hunderte von Beamten unterwegs, wir haben Konferenzen um Konferenzen abgehalten – alles ohne Erfolg.«

Der Präsident nickte mit dem Kopf und sagte:

»Ja! Wir müssen uns schämen.«

Burg wehrte ab. »Ein Zufall, Herr Präsident! Glauben Sie's mir! nichts weiter!«

»Ihre Bescheidenheit ist übertrieben. Sie haben uns einen großen Dienst erwiesen. Wir sind abermals in Ihrer Schuld, ohne imstande zu sein, sie abzutragen.«

»Ich hätte schon einen Wunsch,« erwiderte Burg.

»Er ist erfüllt, wenn es in meiner Macht liegt.«

»Ich möchte, daß ein bestimmter Mann auf vierundzwanzig Stunden in polizeilichen Gewahrsam kommt.«

»Wenn das alles ist!«

»In diesen vierundzwanzig Stunden darf niemand mit ihm sprechen außer mir.«

»Das ist doch keine Begebenheit.«

»Gegen den Mann liegt nichts vor.«

»So wird man sagen, es war ein Versehen und sich nachher bei ihm entschuldigen.«

»Es ist ein Ausländer.«

»Das erschwert den Fall.« Er überlegte und fuhr fort: »Trotzdem! so wird man sich auch bei seinem Gesandten entschuldigen, falls er dessen Hilfe anruft.«

»Er ist nicht der erste beste.«

»Wer ist es denn?«

»Mr. Williams!«

»Unmöglich! – Das gibt einen öffentlichen Skandal.«

»Wenn wir einen Vorwand fänden.«

»Es gibt keinen Vorwand, und es kann keinen geben, um einen Mann wie Mr. Williams auch nur auf eine Stunde seiner persönlichen Freiheit zu berauben.«

»Ist Ihre Weigerung definitiv?«

»Sie muß es sein, wenn ich Wert darauf lege, morgen noch Polizeipräsident von Berlin zu sein.«

»Ich will Sie nicht um Ihren Posten bringen.«

»Sagen Sie bloß, was wollen Sie von Mr. Williams?«

»Der Mann ist mir unheimlich – und merkwürdig.«

»Doch nicht in kriminalistischer Hinsicht?«

»Ja und nein. Ich weiß nichts von ihm. Aber er übt einen Einfluß aus auf eine Frau – oder hat ihn ausgeübt – ich weiß es nicht – die ich gewinnen muß. Ich muß feststellen, worauf dieser Einfluß, der vorhanden war – und wenn er noch so kurze Zeit gedauert hat – zurückzuführen ist. Ich bin überzeugt, er selber weiß es nicht. Aber ich muß es herausfühlen – und dazu brauche ich diesen Mann auf vierundzwanzig Stunden – muß ihn für mich haben, studieren – verstehen Sie denn nicht?«

»Ich verstehe. Aber ich glaube, Sie quälen sich da mit einer Angelegenheit, die keine ist. Was die Frau an diesem Manne liebt, ist doch klar! Es ist die Stärke! die Kraft.«

Burg wehrte ab. »Sie verstehen nicht! Ich kann und will es Ihnen auch nicht erklären. – Also ich bitte Sie noch einmal: Verschaffen Sie mir diesen Menschen auf vierundzwanzig Stunden.«

»Es ist unmöglich! – Gehen Sie zu ihm, oder bitten Sie ihn, daß er zu Ihnen kommt.«

»Er darf nicht kommen – und ich darf nicht gehen. Er muß einfach da sein und darf nicht wissen, daß ich etwas von ihm will.«

»Es tut mir leid, gerade Ihnen etwas abschlagen zu müssen.«

»Mit Ihrem Bedauern ist mir nicht geholfen. – Aber ich werde mir selbst helfen! Verlassen Sie sich darauf!«

Burg stand auf, verbeugte sich und ging.


 << zurück weiter >>