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Vierundzwanzigstes Kapitel

Das Festprogramm bestand aus drei Teilen. Einem einleitenden Vortrag Karl Theodor Timms mit Lichtbildern über Haiti. Die Bilder, die etwas ganz anderes vorstellten, hatte er sich aus einer Filmfabrik verschafft. Da man aber annehmen durfte, daß keiner der Anwesenden Haiti kannte, so war es mit keiner Gefahr verbunden. Den Geschäftsträger der Republik Haiti und sein Personal hatte Timm persönlich geladen, und es war ihm dabei der kleine »Irrtum« untergelaufen, statt Mittwoch abend, Donnerstag abend zu sagen.

Frau Inge und Töns waren auf die Art, ohne es zu ahnen, aus einer Gefahr heraus, die ihnen schwer auf der Seele lag. Es war unvermeidlich, daß der Geschäftsträger Willy in ein Gespräch zog, bei dem dieser unmöglich bestehen konnte. Zwar: was man von Tortuga wissen mußte, hatte Töns in Erfahrung gebracht und Willy in den harten Schädel gehämmert. Aber was konnte in einem Gespräch zweier Landsleute alles gestreift werden, was man wissen mußte oder im Gefühl hatte, und was doch in keinem Buche stand! Schon, daß er die Sprache nicht beherrschte, mußte, selbst wenn man einen Vorwand fand, auffallen.

Das äußere Bild war feierlich. Die Damen erschienen in großer Abendtoilette, die Herren im Frack. Diese abgestumpfte Gesellschaft, die gewohnt war, daß ein Fest das andere jagte, und die noch in der Verzerrung des Shimmy einen gelangweilten Eindruck machte, zeigte Teilnahme und Bewegtheit. Neugier und Ungeduld sprang ihnen aus den Augen, und das Ungewöhnliche des Ereignisses, das sie erwartete, stand deutlich in allen Gesichtern.

Frau Inge machte in der Mitte der fünf Junggesellen eine glänzende Figur. Sie verstand es, der Veranstaltung einen halboffiziellen Charakter und damit den richtigen Ton zu geben. Denn viele wußten nicht, war es ein offizielles Fest, bei dem man ohne Verbindung zu einem Gastgeber stand, oder eine Einladung, die nur der Zahl der Gäste wegen vom Hause an einen dritten Ort verlegt wurde. Frau Inge stand mit ihrem Stab am Eingang des Saales. Die Art, in der sie den Gruß der Eintretenden erwiderte, enttäuschte viele, die endlich den Weg in die Tiergartenvilla gefunden zu haben glaubten und wie alte Bekannte antraten. Andre, die den Saal betraten, wie man ein Theater betritt, wußte sie durch einen Blick oder eine Geste zu bestimmen, daß sie verdutzt stehenblieben und sich verbeugten.

Fanfaren gaben das Zeichen, sich zu setzen. Timm erschien im Frack am Vortragspult. Als er von dem Ehrenbürger Tortugas, Mr. Williams, sprach, der, um die Neugier zu reizen, noch nicht im Saale war, und als auf der Leinewand ein in den Rüdersdorfer Kalkbergen erbautes Negerdorf als Geburtsort des großen Mannes erschien, brach zum ersten Male laut der Beifall aus. Die nächsten Bilder zeigten das Elternpaar und die Geschwister, Wilde, Schwarze, Mulatten, Komparsen – alles durcheinander – deren Hütten, Lebensgewohnheiten, Kämpfe. Es folgte als erste Sensation: Mr. Williams als Säugling. Schwer zu erkennen, ob es ein Mensch oder Tier war. Und Karl Theodor Timm gab auch die erklärenden Worte: In weiten Teilen des Landes herrsche der Glaube, daß Mr. Williams das Produkt eines Negers und einer Hirschkuh sei. – Das Publikum riß Mund und Augen weit auf. – »Niemand«, fuhr Timm fort, »will gesehen haben, daß die Mutter in guter Hoffnung war, und als der Neugeborene eines Nachts auf der Türschwelle liegend von dem Bruder entdeckt wurde, soll die Mutter drei Kilometer weit entfernt in einer Hütte einem jener grausamen Gottesdienste beigewohnt haben, bei denen neugeborene Kinder dem Heiligen des Landes geopfert werden. Sie soll da in religiöser Ekstase in eine Art Krampf verfallen und alle Wehen einer Mutter durchgemacht haben, ohne daß sie ein Kind zur Welt brachte, auf das die Umstehenden warteten, um es der Mutter zu entreißen und dem Heiligen zu opfern. Wer an Fernwirkung, an Aufhebung von Ort und Zeit, glaubt, mag auch glauben, daß ein stärkerer Gott das Kind den Fanatikern entrückt hat. Ich, der ich den Vorzug hatte, Mr. Williams in Haiti kennenzulernen, inmitten der Seinen, möchte mehr der Ansicht zuneigen, daß wir es hier tatsächlich mit einem Phänomen zu tun haben, ohne daß ich mir die Kreuzung von Mann und Hirschkuh zu eigen machen möchte. – Aber, meine Damen und Herren, Sie selbst mögen entscheiden!« –

Er verschwand hinter einem Vorhang, aus dem nach kurzer Pause unter atemlosen Schweigen Willy, alias Mr. Williams, hervortrat.

Ein Schauer des Entsetzens ging durch das Publikum. Frauen schrien laut auf, klammerten sich an ihre Männer oder streckten die Arme aus; die meisten klatschten in die Hände, trampelten mit den Füßen; Blumen, Taschentücher, Fächer, Handschuhe flogen auf das Podium, und in die zum Fortissimo anschwellende Musik klangen die hysterischen Schreie von Frauen, die sich dem Tier da oben am liebsten an den Hals geworfen hätten.

»Bravo, Timm!« sagte Töns, »das haben Sie tadellos gemacht.« Und Timm sah durch die Gardine grinsend in den Saal und freute sich diebisch.

Frau Inge hingegen fand den Eindruck zu stark und fürchtete die Ernüchterung, die ihrem Gefühl nach kommen mußte. – Die Presseleute versicherten, Aehnliches nie erlebt zu haben.

Und in der Tat: Willy sah furchtbar aus. Linke hatte ihn hergerichtet, als wenn ein Seebär Modell gestanden hätte. Willy schien über den Eindruck, den er machte, durchaus nicht überrascht zu sein. Hatte Frida, die ihn kurz zuvor in seiner Garderobe aufsuchte, bei seinem Anblick doch geschworen, ihn nie so geliebt zu haben; und bei aller Beschränktheit wußte er doch, worauf das in erster Linie zurückzuführen war. Genau wie er Gretes Telegramm verstand, die, statt ihn zu beglückwünschen, wie andere es taten, nur drahtete:

»Sei kein Popanz! feixe!«

Und Willy feixte, »daß sich die Balken bogen und die Weiber von den Stühlen knallten« – wie er sich in seinem Bericht an Grete am nächsten Tage ausdrückte.

Und sonderbar! Während er Schrecken erregend dort oben stand, überkam Häslein wieder das Gefühl, als müsse sie ihn an die Kette legen, prügeln und tanzen lassen. Sie mußte lachen und sagte sich: »Ich glaube wirklich, ich habe ihn überwunden.«

Als Timm, der sein Publikum kannte, die Stimmung auf der Höhe sah, ließ er Willy abtreten und verkündete:

»Und nun, meine Damen und Herren, wird sich Mr. Williams das Vergnügen machen, Ihnen seine Kunst zu zeigen. Unter uns weilen ein paar Boxkämpfer von Klasse, gegen die Mr. Williams kämpfen wird.«

Man klatschte, ohne recht zu wissen, weshalb. Eine Dame schrie:

»Mr. Williams!«

Fast alle nahmen den Ruf auf und klatschten laut, aber an Stelle von Willy erschien abermals Timm und erklärte:

»Meine Damen und Herren! Mr. Williams ist kein Schaustück! Es geht nicht an, ihn wie eine Primaballerina hervorzuklatschen. Der Boxsport ist für ihn eine Wissenschaft – genau so ernst wie mir meine Dichtkunst! Ich bitte, dem Rechnung zu tragen.«

Alles schwieg; aber auch als Timm seine Aufforderung an die anwesenden Boxer richtete, gegen Mr. Williams in den Ring zu treten, dauerte das Schweigen an. Man sah sich um. Die allen bekannten Boxgesichter, die man eben noch im Saal gesehen hatte, waren verschwunden.

Frau Inge hatte das kommen sehen und war zur Saaltür geeilt – gerade als zwei bekannte Boxer den Saal verließen. Sie stellte sie:

»Wo wollen Sie hin?«

Sie erschraken, wiesen auf den Flur, den zwei ihrer Kollegen eilig entlang eilten, und sagten:

»Denen nach.«

»Sie fürchten sich?«

»Das ist ein Ungeheuer! kein Mensch!«

Die Vorderen wandten sich um und kamen, um sich zu verteidigen, zurück.

»Sie wollen Männer sein?« sagte Frau Inge.

»Ich habe dreiundachtzigmal im Ring gestanden.«

»Ich hundertelf mal.«

»Ich habe es nicht gezählt! – Aber ich habe mit Negern, Türken, Indern gekämpft und fürchte mich nicht. Mr. Williams aber besitzt übermenschliche Kräfte.«

»Gut!« sagte Frau Inge, der diese Wendung sehr willkommen war. Sie hatte eine Niederlage Willys gefürchtet und wußte nicht, daß Töns die fünf Boxer gegen ein hohes Honorar und mit einer bestimmten Verpflichtung engagiert hatte. Die glaubten, einem mittelmäßigen Boxer gegenübergestellt zu werden, von dem sie sich sollten knockout schlagen lassen. Darin lag, solange sie den Gang des Kampfes in der Hand hatten, keine Gefahr und, da sie glaubten, sich in einer Privatgesellschaft zu befinden, auch keine Gefährdung ihres Prestiges. Nun aber trat ihnen ein Hüne entgegen, dessen bloßer Anblick ihnen Furcht einjagte.

Töns und Timm, die sahen, was vorging, kamen hinzu, während im Saal alle ungeduldig auf den Beginn der Kämpfe warteten. Töns war die Wendung äußerst genehm, während Timm alle Ueberredungskunst aufwandte, um die Boxer zum Kämpfen zu bewegen.

»Ich für meine Person übernehme nicht die Verantwortung, daß sie lebend aus dem Ring kommen,« sagte Töns, aber Timm, der in jeder Situation eine Sensation witterte, stürzte auf das Podium und erklärte:

»Denken Sie sich, meine Damen und Herren, die Herren Boxmeister, die Sie vorhin ja hier gesehen haben, weigern sich einen Kampf aufzunehmen, von dessen Aussichtslosigkeit sie von vornherein überzeugt sind. Versuchen wir, durch Preise ihren Kampfesmut anzufachen. Ich stifte eine Milliarde Mark!«

»Ich drei!« – »Ich gleichfalls!« – »Ich zwanzig!« – Und so ging es fort, bis die Summe von fünfzig Milliarden erreicht war.

Die Preisboxer, die noch auf dem Flur standen, schoben sich im gleichen Tempo, in dem die Summe wuchs, der Saaltür näher. Als die fünfzig Milliarden erreicht waren, standen zwei bereits wieder in der Mitte des Saales und wurden von dem Publikum, das zum größten Teil aufgesprungen war und ihnen den Ausgang aus dem Saal versperrte, an das Podium herangedrängt.

Timm verkündete unter großem Hallo:

»Der Meisterboxer Franz Leisetreter hat Mr. Williams herausgefordert. Nach ihm wird Herr Axel Schnabel gegen Mr. Williams boxen, der sich bereit erklärte, sechs Matchs hintereinander auszutragen.«

»Das war noch nicht da!« rief eine Dame, und der Jubel brach abermals los. – Während Leisetreter und Schnabel sich umzogen, versuchte Etville, Wetten abzuschließen. Da aber alle auf sechs Siege von Mr. Williams wetten wollten, so kam kein Markt zustande.

Leisetreter stellte die Bedingung, daß Schnabel vor ihm in den Ring trete, und da Schnabel dieselbe Forderung an Leisetreter richtete, so war man, während das Publikum in großer Erregung auf den Beginn des Kampfes wartete, abermals auf einem toten Punkt angelangt.

Timm schlug vor, das Los entscheiden zu lassen. Aber beide bestanden darauf, nur zu kämpfen, wenn sie Mr. Williams zuvor im Ring gesehen hätten.

»Dann muß sich einer von Ihnen opfern,« sagte Frau Inge während dieser hinter den Kulissen geführten Unterhandlungen. Und zu Timm gewandt fuhr sie fort: »Sie boxen ja wohl?«

»Zum Vergnügen,« erwiderte der, »aber als Selbstmord ziehe ich eine schmerzlosere Todesart vor.«

»Es steht viel auf dem Spiele,« sagte Töns. »Denn, wenn Mr. Williams nicht zum Boxen kommt, werden Presse und Publikum enttäuscht sein.«

»Es wäre eine Katastrophe,« erwiderte Frau Inge, »und alle Mühe, die wir uns mit ihm gegeben haben, wäre umsonst gewesen.«

»Würden Sie einen sehr hohen Preis zahlen, Baronin?« fragte Töns, »wenn das Match in irgendeiner Form zustande käme?«

»Gewiß! Da ich mich in der Angelegenheit nun einmal engagiert habe.«

»Ich meine einen Preis, der nicht in Geld zahlbar wäre.«

»Wie denn? Wollen Sie mich etwa verlosen? Das wäre wenig geschmackvoll und, glaube ich, aussichtslos.«

»O nein! Der Erfolg wäre sicher.«'

»Sie scherzen – während die Zeit drängt.«

»Ich bin überzeugt, daß sich unter den Bewohnern der Tiergartenvilla der Eine oder Andere fände, der für diesen Preis Knochen und Leben riskierte …«

»Wie können Sie …?«

»... um Ihnen damit den Beweis seiner Liebe zu geben.«

»Ich würde darin nur den Beweis seiner Verrücktheit sehen,« sagte Frau Inge.

Wir versuchten eben, uns über diese Frage zu verständigen, als uns gemeldet wurde, daß der Manager des Preisboxers Leisetreter zu verhandeln wünsche.

»Zu verhandeln?« fragte Töns, »oder zu kämpfen?«

»Zu verhandeln,« war die Antwort.

»Entweder: er tritt an, oder wir verkünden Publikum und Presse: er kneift,« war unsere Antwort.

Und Leisetreter trat an. Beifall empfing ihn. Er sah und hörte nichts, starrte vielmehr unablässig auf die Portiere, durch die Mr. Williams treten mußte. – Töns verzögerte, um die Spannung zu steigern, diesen Eintritt absichtlich um ein paar Augenblicke. Als Willy dann erschien, trampelte das Publikum vor Vergnügen. Aber schon im nächsten Augenblick war das allgemeine Gefühl: »Armer Leisetreter!« – Der war denn auch unwillkürlich ein paar Schritte zurückgetreten und sah von unten nicht gerade kampfbegeistert zu seinem Gegner auf.

Willy hingegen glich einem Vollblut am Start.

Er nahm den Gegner gleich zu Beginn, statt ihn, wie üblich, vorsichtig zu betasten, unter ein wahres Trommelfeuer. Das verblüffte den derart, daß er keine der Blößen, die sich Williams gab, nutzte. Er nahm und wich und hatte oft schwere Mühe, dem schrecklich gehenden Williams Stand zu halten. Schon nach der ersten Runde war er im Gesicht bis zur Unkenntlichkeit angeschwollen und entstellt.

Das Publikum sagte:

»Wie ein rasender Motor!« – »Der Teufel steckt in ihm!« – »Wie ein elektrisch betriebener Hammer!« – Und es raste und tobte vor Begeisterung.

Der Manager von Leisetreter bemühte sich um Willys Opfer und versuchte, dem geschwollenen Klumpen durch nasse Lappen wieder die Aehnlichkeit eines Gesichtes zu geben.

»Idiot!« flüsterte der Manager Leisetreter zu. »Statt die Blößen zu nützen und ihm ein paar in den Bauch zu geben, hast du dich wie ein Wickelkind benommen. Den übernehm' ich ja.«

»Ich habe gleich zu Beginn nichts mehr gesehen,« erwiderte Leisetreter. »Das Vieh hat Tatzen, keine Fäuste.«

»Hau ihm in den Bauch, daß ihm die Gedärme platzen,« sagte der Manager.

»Ich kann nicht mehr.«

»Eine Runde noch! – Die Schönheit ist sowieso herunter. – Mach los!«

Und Leisetreter mühte sich von seinem Stuhl hoch, während Willy schon wieder lächelnd in der Mitte des Ringes stand und sich anstaunen ließ.

Die zweite Runde begann. Willy trommelte wieder, und Leisetreters Schädel nahm die Form eines Riesenkürbis an – worüber das kunstsinnige Publikum in helle Begeisterung geriet. Plötzlich riß Leisetreter den Arm nach unten und versetzte Willy einen Volltreffer in die Magengegend, daß der dachte, seine Eingeweide müßten aus dem Rücken treten. Er taumelte, biß aber die Zähne zusammen und sagte, ohne vor Schmerz die Stimme zu heben, in unverfälschtem Dialekt:

»Aas, verfluchtes!«

Das verblüffte Leisetreter, der glaubte, daß Williams, wenn überhaupt, dann nur eine affenähnliche Sprache spräche, derart, daß er seinen Gegner verdutzt anglotzte, im selben Augenblick aber einen prächtigen rechten Kinnhaken hatte, der ihn k. o. setzte und nicht mehr aufstehen ließ.

Mr. Williams wurde als Sieger verkündet. Das war das Signal zum Ausbruch eines Beifallgetoses, wie ihn in diesem Ausmaß wohl noch kein Boxer erlebt hatte. Und Willy, der schlauer war, als wir dachten, tat wie ein Arzt, der Patienten empfängt, und sagte mit einer Nonchalance, die nicht zu überbieten war:

»Der Nächste, bitte!«

Während, man Leisetreter hinaustrug, war Axel Schnabel nach vorn gekommen, um dem Kampf zuzuschauen. Das vorzeitige Ende ließ ihn jedoch nur noch den lebenden Leichnam sehen.

»Was ist das?« fragte er, und einer der Träger erwiderte:

»Es war einmal ein Mensch.«

»Leisetreter!« rief Axel Schnabel entsetzt. »Die einzige Aehnlichkeit mit dir sind die Fausthandschuhe.«

Das klang schon arg verwirrt. Diese Verwirrung war aber noch deutlicher, als er Mr. Williams sagen ließ, daß er sich verpflichte, nach dem dritten Schlag k. o. zu gehen, falls Mr. Williams ihm schonende Behandlung zusage.

Mr. Williams' Antwort, die Töns entwarf, lautete:

»Wann Sie k. o. gehen, bestimmen weder Sie noch ich – vielmehr das Publikum.«

»Ich verstehe kein Wort mehr,« erwiderte Axel Schnabel, »mir dreht sich alles.«

Erst als Mr. Williams vor das Publikum trat und Töns den Satz nachsprach:

»Ihnen bitten sehr, zu bestimmen das Slag, mit das Mr. Snabel knockout gehn.«

»Mit dem achten!« rief einer von uns, der eingeweiht war. – Nun verstanden auch die Andern, und selbst Axel Schnabel verstand, was gemeint war. Alle riefen durcheinander. Man einigte sich auf den vierten und – tatsächlich ging Axel Schnabel mit dem vierten Schlag, einem Uppercut auf die Halsschlagader, den Willy sanftmütigerweise nur andeutete, k. o. und war durch kein Zureden, Wasser und Frottieren zu bewegen, sich zu erheben.

Nun waren sich alle einig, daß Mr. Williams der Teufel war. Ihn nach dieser Leistung noch als einen rasenden Motor oder elektrisch betriebenen Hammer zu bezeichnen, hätte jeder als Kränkung empfunden. – Glücklich das Land, das diesen Mann sein eigen nannte! – So etwa kann man die Stimmung wiedergeben, die sich in nicht endenwollenden Hochrufen auf den Meister, auf Tortuga, auf Haiti austobte. Jetzt begnügte man sich nicht mehr damit, ihm Blumen, Fächer und Taschentücher zuzuwerfen – nun flogen Handschuhe, Taschen, Pelzstolas, Ringe und kostbare Armbänder auf das Podium – und Willy vergaß angesichts der Fülle, daß er Mr. Williams war, die Würde fiel von ihm ab, Saal und Menschen verschwanden für ihn, er bückte sich, ging in die Knie und raffte – wie er es von früher her gewöhnt war – die Sachen zusammen und verschwand damit, ohne sich um das Beifallsgeheul der Menge zu kümmern, hinter der Portiere.

»Haiti!« rief Töns mit Aufbietung aller Kraft und gab damit den Wenigen, die trotz ihrer Begeisterung doch ein wenig verblüfft waren, ausreichende Erklärung für das nicht ganz europäische und gesellschaftliche Verhalten eines Meisters von Rang und Namen. Ja, die meisten Damen faßten es als kindliche Freude auf, die nach ihrem Geschmack diesem Riesen glänzend stand. Sie stürmten, soweit nicht Rücksicht auf einen empfindsamen Gatten sie zurückhielt, auf das Podium, ihm nach, stürmten seine Garderobe, ergriffen seine Tatzen, küßten sie, forderten Autogramme und ließen sich – da eine schlechte Regie die Beschaffung von Ansichtskarten versäumt hatte – seinen Namenszug auf ihre Taschentücher, Kleider, Röcke, Strümpfe schreiben. Und Willy, gewöhnt, von Frauen umschwärmt zu werden, riß die Eine oder Andere, die ihm gefiel, an sich und küßte sie ab.

Die Reporter wurden Zeugen einer Huldigung, die selbst für ihr bewegtes Journalistendasein ein Novum war. Mr. Williams, darüber bestand für sie kein Zweifel mehr, war von diesem Augenblick an, in dem sich Berlins große Gesellschaft zu ihm bekannte, eine Berühmtheit, der seit Carusos Tode an Resonanz kein Mann des Sports, der Kunst, der Literatur oder des Theaters gleichkam.

Die Manager von Leisetreter und Axel Schnabel boten ihm Engagements mit märchenhaften Zahlen. Töns erklärte:

»Mr. Williams ist Gentleman, kein Berufsboxer, der sich für Geld sehen läßt.«

»Heutzutage«, erwiderte der eine, »ist auch der Gentleman für Zahlen zugänglich.«

»Mr. Williams nicht,« erwiderte Töns. »Und Sie vergessen, daß Tortuga nicht Berlin ist. Die Gesellschaft von Tortuga, zu der Mr. Williams gehört, ist nicht käuflich.«

Mit Gewalt wurde die Garderobe geräumt, damit sich Mr. Williams zu dem anschließenden Festessen umkleiden konnte. Und da mit den Niederlagen der beiden Berufskämpfer für Töns und Timm die Notwendigkeit, in den Ring zu treten, fortfiel, so kam auch Frau Inge um eine Entscheidung herum, vor die sie sich, einer Regung des Augenblicks folgend, gestellt hatte.

»Ich bewundere Ihren Mut«, sagte Frau Inge zu Timm – »und hätte gerade von Ihnen zuletzt erwartet, daß Sie sich meinetwegen in eine derartige Gefahr begeben.«

Timm erwiderte lächelnd:

»Meine Liebe zu Ihnen ist vielleicht nicht ganz so groß wie die der andern. Für eine Ehe reicht sie immerhin aus.«

»Nett, wie Sie das sagen,« erwiderte Frau Inge. »Sie können überhaupt … – wenn Sie wollen …«

»Was kann ich?«

»Nett sein!«

»Es ist sehr umständlich. – Meine Methode ist bequemer. Ein netter Kerl – du lieber Gott – die laufen zu Tausenden herum. Eine eigene Note aber, selbst wenn sie abstößt, prägt sich ein.«

»Sind Sie sich immer so klar gewesen über sich?«

»Offen gesagt: nein! – Erst durch Sie. Soviel Natürlichkeit gegenüber vermag sich schließlich selbst eine zur zweiten Natur gewordene Pose nicht als echt zu behaupten.«

»Schau! schau! wie nett das klingt!« wiederholte Frau Inge. »Und Sie werden das nun ablegen und von nun ab immer der natürliche, liebe Kerl sein wie eben jetzt?«

»I Gott bewahre! Fällt mir nicht ein! – Höchstens Ihnen gegenüber.«

»Wenn Ihre Liebe zu mir nicht übergroß ist …«

»Ich sagte schon: zur Ehe reicht es.«

»Ja! aber doch nicht für den Kampf mit Williams.«

»Ich bin ein guter Beobachter, Baronin,« erwiderte Timm, »und habe bemerkt, daß an ihm viel Bluff ist.«

»Der Erfolg beweist das Gegenteil.«

»O nein! er beweist höchstens, daß man den Bluff nicht durchschaut hat.«

»Worauf wollen Sie hinaus?«

»Daß dieses Ungeheuer, das mir nebenbei äußerst unsympathisch ist, bei Beginn des Kampfes an einer sehr empfindlichen Stelle seines Körpers ohne Deckung ist.«

»Und?«

»Daß ich diese Schwäche ausgenutzt und ihn wahrscheinlich k. o. gemacht hätte.«

»Das wäre ein netter Reinfall gewesen.«

»Für Sie – und für ihn. Für mich nicht! – Und daß ich Ihnen zuliebe auf diesen Erfolg verzichte, sollte Ihnen den Entschluß, den Sie im andern Falle hätten fassen müssen, erleichtern.«

»Sie sind sehr klug.«

»Sagen Sie ruhig: gerissen.«

»Wenn Sie immer so gewesen wären.«

»Dann hätte ich Ihres Einflusses nicht bedurft.«

»Wenn ich nur wüßte, daß das jetzt Ihre echte Natur ist.«

»Das weiß ich selber nicht.«

»Da Sie mich nicht übermäßig lieben, so kann Ihnen auch nicht übermäßig viel daran gelegen sein, mich zu erobern.«

»Würde ich Sie übermäßig lieben, so dächte ich gar nicht daran, Sie zu heiraten, da ich in der Ehe dann der Schwächere wäre.«

»Ihre Vernunft reicht mir zu weit.«

»Sie haben noch Illusionen?«

»Da ich sie nicht habe, so brauche ich jemanden, der sie mir geben kann.«

»So wie Sie sind, werden Sie einem Manne mit Illusionen gegenüber stets die Stärkere sein – seine Illusionen also töten.«

»Da mögen Sie recht haben. – Sie sehen, ich bin ein hoffnungsloser Fall.«

»Ich sehe nur, daß Sie versuchen, sich um eine Entscheidung herumzudrücken, zu der ich Sie nicht zwingen werde.«

»Ich muß gestehen, daß ich an Sie zuletzt gedacht hatte. – Ich bin daher überrascht – vor allem darüber, Sie so verändert zu finden.«

»Hätten Sie Augen gehabt, um über Tatsächliches' hinaus die Beweggründe zu sehen, so wäre ich Ihnen nicht so unausstehlich gewesen.«

»So fremd geblieben,« verbesserte Frau Inge.

»Es wird somit am besten sein, ich ziehe mich wieder in mein Gehäuse zurück – und Sie vergessen, daß ich in einer schwachen Stunde daraus hervorgekrochen bin.«

»Wüßte ich nur, welches Ihre wahre Natur ist!«

»Es würde Sie auch nicht weiterbringen. Im übrigen! Weshalb über Dinge nachdenken, über die ich mir selbst nicht den Kopf zerbreche.«

»Weshalb wir uns auch nicht riechen können.«

»Sie haben viel Gemeinsames mit Töns.«

»Sehr möglich! – und doch sonderbar.«

»Wenn Sie sich nur das Denken abgewöhnen wollten. Sie sind so ein lieber Kerl …«

»Das hat mir noch niemand gesagt.«

»Weil Sie allen so imponieren. – Daher kommt niemand darauf. Sie selbst haben es sogar vergessen.«

»Ich fühle, daß darin etwas Wahres liegt.«

»Sie täuschen – ja, wie nenn' ich's? – eine leidenschaftliche Erhabenheit so echt vor, daß nicht nur jeder, der mit Ihnen in Berührung kommt, daran glaubt, sondern Sie selbst.«

»Und Sie meinen, ich sollte dagegen angehen?«

»Warum? – Der Welt gefallen Sie so – und sich selbst auch.«

»Und Ihnen?«

»Mir nicht! – Das heißt: mir nur, weil ich weiß, daß Sie in Wirklichkeit eine ganz Andere sind.«

»Genau wie Sie!«

»Möglich!«

»Machen Sie aus mir einen … – ja, was nur?«

»Einen grundehrlichen Menschen,« erwiderte er.

»Das eben wollte ich aus Ihnen machen.«

»Glauben Sie, ich würde dabei gewinnen?«

»Ich glaube so fest daran, wie Sie bei mir,« erwiderte sie.

»Dann sollten wir es versuchen, obschon es gewagt wäre. So, wie Sie jetzt sind, sieht die Gesellschaft zu Ihnen auf, bewundert und umschwärmt Sie! Wenn Sie statt der überlegenen Dame von Welt, die an Geist, Reizen und Gewandtheit, alle überragen, plötzlich nicht mehr wirken und nur noch Mensch sein will – denken Sie zu Ende! was bleibt da übrig? – Ein Stück Natur – mehr nicht!«

»Das ist viel! – das ist alles!«

»In der Theorie! – In Wahrheit haben Sie damit aufgehört, irgend jemanden zu interessieren.«

»Auch Sie?«

»Auch mich! – Genau wie ich Sie auf die Dauer langweilen würde, wenn ich nach unserem Rezept verführe.«

»Demnach müßte jeder Mensch seiner Natur Gewalt antun?«

»Es sind Kompromisse, die wir gar nicht mehr als solche empfinden, die sich ohne unser Zutun vollziehen. Wie Tiere aus Selbstschutz die Farbe wechseln, so ändern wir Menschen uns auch, ohne es selbst zu wissen.«

»Demnach sollten wir bleiben, wie wir sind!« sagte Frau Inge, und Timm erwiderte:

»Ich glaube fast.«

»Ich muß an Grete Gerson denken,« sagte Frau Inge. »Die ist, wie sie ist! – Sie ist aber auch der einzige Mensch, den ich kenne.«

»Sind wir uns nun näher gekommen?« fragte Timm.

»Ja!« erwiderte Frau Inge. »Wir haben erkannt, daß wir bleiben müssen, wie wir sind – und darüber hinaus wissen wir, daß wir in dieser Form nicht zusammenpassen.«

»Sie haben recht!« sagte Timm. »Immerhin: wir haben uns verstanden. Und das ist viel.« –

»Und werden nun Freunde sein?«

»Von Herzen gern!«


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