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Vierzehntes Kapitel

Von dem, was sich in dieser Nacht während unserer Abwesenheit in unserer Villa zutrug, ahnte niemand etwas.

Daß Burg, in Gegenwart seines Freundes Nitter, spät abends noch Frau Bretz empfangen und mit ihr einen Vertrag von einundzwanzig Paragraphen getätigt hatte, wäre für uns kaum von Interesse gewesen. Immerhin lag der Weg, den Burg beschritt, nicht ganz abseits von unserem Wege. Nur, daß das Motiv bei uns – Liebe, bei ihm Geldgier war. Nitter, der vor Burgs geistiger Ueberlegenheit längst kapituliert hatte und zu ihm wie zu einem höheren Wesen aufsah, mußte kündigen und gab als Grund an, daß er Kapital geerbt habe und sich auf eigene Füße stellen wolle.

Unter dem Namen Wida (= Wiederbeschaffungs) G.m.b.H. mit Nitter als Direktor und Burg und Frau Bretz als Gesellschaftern trat dann schon nach wenigen Tagen eine Gesellschaft ins Leben, die durch ihre gleich zu Beginn verblüffenden Erfolge und deren geschickte propagandistische. Ausbeutung die Geschäfte kaum bewältigen konnte. Sie gab in ihren Prospekten an, durch die jahrelange Vorarbeit im stillen die Namen und Schlupfwinkel sämtlicher Hehler des In- und Auslandes zu kennen und durch ihren ständigen Beobachtungsdienst imstande zu sein, jedes im Weichbilde von Berlin gestohlene Gut innerhalb kürzester Frist dem Eigentümer wieder zuzustellen. Die große Zahl der Beamten, deren mit Lebensgefahr verbundene Tätigkeit, die ständig im Betrieb befindlichen Kraftwagen, Motorräder und sonstigen Hilfsmittel verursachten Kosten, die durch die geforderten zwanzig Prozent kaum gedeckt würden. »Wir sind das einzige Institut,« verkündete stolz der Prospekt, »das im Gegensatz zu allen ähnlichen dieser Art nicht nur auf jeden Vorschuß verzichtet, sondern die Vergütung lediglich von dem Erfolge abhängig macht. Mit anderen Worten: Wir liefern die Waren für zwanzig Prozent des Wertes, den die Erwerber selbst bestimmen, frei ins Haus! Wann je, solange die Welt steht, war ein ähnliches Angebot gemacht?«

In Wirklichkeit besaß die Firma außer dem »Direktor Nitter«, der bald sein eigenes Auto fuhr, nur einen Angestellten, der eingeweiht, mit Burg befreundet und am Gewinn beteiligt war. Eine bucklige Stenotypistin, der Burg die Ehe versprach, erledigte die Korrespondenz, schrieb und telephonierte bis in die Nacht hinein und blieb gegen die Bestechungsversuche sämtlicher Detekteien, die sich ruiniert sahen und für den Verrat des Geschäftsgeheimnisses Millionen boten, unempfindlich.

Oberstes Geschäftsprinzip war: »Ruhe!« – und ins Ohr flüsterte Nitter den Klienten, daß die Polizei zwar eine sehr erfreuliche Einrichtung sei, soweit es sich um Anmeldung von Dienstboten und Durchführung der Hundesperre und des Impfzwanges handle, daß man sich aber hüten solle, sie im Ernstfalle in Anspruch zu nehmen.

War, was selten geschah, ein Klient erstaunt, so sagte Nitter:

»Was wollen Sie? – Wieder in den Besitz Ihrer gestohlenen Sachen gelangen! – Was will die Polizei? – den Verbrecher! – Das sind zwei voneinander grundverschiedene Ziele. Das erste, was der Verbrecher nach der Tat tut, ist: sich der Beute entledigen. Seine Moral erschöpft sich darin, den Abnehmer nicht zu verraten. Der aber wird durch die Verfolgung oder Verhaftung des Verbrechers aufgescheucht, ängstlich und verschiebt die Beute. Sobald ein Preis ausgesetzt ist, wechselt das gestohlene Gut den Besitzer. Die Verbrecher sind primitive Menschen, prahlen vor ihren Mädchen mit ihren Taten, machen sich durch ihre Geldausgaben verdächtig, lösen in ihrer Trunkenheit die Zungen, haben Händel, werden verraten. – Der Hehler dagegen ist ein Fuchs, der aus seinem Bau nur herauskommt, wenn er Beute wittert, genau so schnell aber wieder in seinen Bau hineinkriecht. Diesen Moment abzupassen – darin liegt unsere Kunst! Wie wir das anstellen, ist unser Geheimnis! Aber Erfolg versprechen können wir nur, wenn man die Ganoven und ihre Helfer nicht durch die Polizei aufscheucht. Was haben Sie für ein Interesse an der Bestrafung der Verbrecher? – Nun also! Keine Anzeige! Maul halten! Alles andere erledigen wir!«

Und die »Wida« arbeitet so verblüffend, daß zwar mancher Kriminalist von dem Gefühl beschlichen wurde, es könne nicht mit richtigen Dingen zugehen. Der Polizeipräsident aber rief seine Kommissare zusammen und sagte:

»Meine Herren, nehmen Sie sich die Beamten der Wida zum Vorbild!«

In der ereignisreichen Nacht vom Sonnabend zum Sonntag, in der wir Lola den nächtlichen Besuch abstatteten und Burg seine geniale Gründung vollzog, ereignete sich noch mehr. – Gegen fünf Uhr morgens klopfte Frida an Frau Inges Tür.

»Was ist denn, Frida?« rief die schnell wache Frau Inge.

»Es ist was passiert!« war die erregte Antwort.

»Schon wieder? – Ich komme!« – Frau Inge erhob sich und schloß auf. Erhitzt und zitternd stand Frida vor ihr. Sie war in Mantel, Hut und Schleier. »Wo kommen Sie her? Mitten in der Nacht?« fragte sie.

Es schien, als wenn Frida im Halbtraum war. Ihre großen blauen Augen waren auf Frau Inge gerichtet und verrieten, daß irgend etwas, was ihr selbst noch nicht recht einging, sich ereignet hatte.

»Ja, was ist denn?« fragte Frau Inge wieder. »Wo kommen Sie her oder wo wollen Sie hin?«

»Er ist da!« erwiderte Frida.

»Wer?«

»Willy!«

Frau Inge nahm sie bei der Hand und zog sie zu sich ins Zimmer.

»Wo ist er?«

Frida schüttelte den Kopf.

»Wo?« wiederholte Frau Inge.

»Schwören Sie!«

»Was soll ich schwören?«

»Daß Sie ihn nicht verraten.«

»Aber Kind! – es war doch mein Wille.«

»Aber ich – ich habe …«

»Was haben Sie?«

»Er gehört mir!«

»Wieso Ihnen?«

»Weil ich« – sie versuchte, was sie erlebt hatte, sich in die Erinnerung zurückzurufen – »ja, eigentlich – es war so einfach.«

»Hatten Sie einen Plan?«

Frida schüttelte den Kopf.

»Wer hat Ihnen geholfen?«

»Niemand! – Vielleicht, daß es dadurch glückte. Ich ging, ohne viel nachzudenken.«

»Ja, wußten Sie denn, wo er war?«

»Im Polizeigefängnis.«

»Das ist groß. Ich würde mich nicht zurechtfinden.«

»Ich mich auch nicht, wenn ich überlegen würde. – Aber es kam so von selbst – Ich ging …«

»Dem Gefühl nach?«

»Nein. Ich dachte gar nichts. Es war eben so – ich habe nur immer an ihn gedacht.«

»Hat Sie denn niemand gefragt oder angehalten?«

»Doch! – Oft.«

»Ja und? – Was haben Sie gesagt?«

»Ich muß zu Willy Blech.«

»Und was sagten die darauf?«

»Zuerst – vornan, wo ich reinging, fragten sie mich, wer das ist. – ›Polizeigefängnis‹ sagte ich. – Dann zeigten sie, wo ich langgehen soll – ich hörte nicht oder verstand sie nicht – und fand – eigentlich, ohne zu suchen.«

»Und dann?«

»Ja – dann – das weiß ich auch nicht – es ging alles so schnell – das heißt, als der Wächter, oder wer es war, aufschloß und mich zu ihm ließ.«

»So ohne weiteres hat er das?«

»Er sah mich an und fragte allerlei – ich antwortete auch – ich weiß nicht, was – aber er ging dann mit mir und schloß auf – da stand Willy schon da, als wenn er gewartet hätte – schön sah er aus! so wie Frau Baronin ihn geschildert haben –«

»Und der Wächter?«

»Das ist es eben.«

»Der sah zu – und ließ ihn einfach hinaus?«

»Eben nicht.«

»Willy schlug ihn nieder?«

»Ja!«

»Womit?«

»Mit der Faust. – Nur einmal! Ich schrie vor Schreck auf – da nahm er mich hoch und lief, versteckte sich, lief wieder, kletterte aus einem Fenster, lief über einen Hof – neben uns fiel ein Schuß – mir war schwarz vor den Augen – er setzte mich ab – kletterte irgendwo hoch, zog mich nach – da standen wir auf einem Platz – ein Mann kam vorbei und noch einer – wir duckten uns –. ›Komm!‹ sagte er und nahm mich am Arm. – ›Ob er tot ist?‹ fragte ich. Willy lachte laut auf und sagte: ›Ein blaues Auge hat er und eine Beule auf der Stirn – sonst nichts.‹ – Und dann fragte er, wer ich bin.«

»Und dann? und dann?« drängte Frau Inge. »Wo seid ihr hin?«

»Zu mir.«

»Was? Sie haben ihn hierher …?«

»Ja! – das ging doch nicht anders.«

»Und jetzt ist er …?«

»... in meinem Zimmer.«

»Und weiter?«

»Das weiß ich nicht.«

»Hat euch jemand gesehen?«

»Nein!«

»Was glaubt er, wo er ist.«

»Das hat er nicht gefragt. Es ging ja so schnell.«

»Und als er hier hereinkam, was sagte er da?«

»Er hat Hunger und möchte essen.«

»Das war das erste?«

»Ja – und zu trinken hätte er auch gern.«

»Und was nun aus ihm wird – danach fragt er nicht?«

»Nur, daß er über Weihnachten und Neujahr sich halten wolle – das hat er ein paarmal gesagt.«

Frau Inge schüttelte den Kopf und dachte nach. Sie wollte eben etwas sagen, da fragte Frida:

»Darf ich ihm etwas zurechtmachen?«

»Gewiß! – Aber er kann doch unmöglich da oben bei Ihnen …«

»Wo soll er hin?«

Eine Situation, der selbst Frau Inge zunächst ratlos gegenüberstand.

»Zunächst mal aus Ihrem Zimmer raus.«

»Bei Frau Baronin kann er doch auch nicht bleiben.«

»Wir haben da eine große Verantwortung auf uns genommen.«

»Ich trage sie.«

»Ich entziehe mich auch nicht. – Schließlich, schuld habe ich.«

»Ich wäre auch ohne dies gegangen.«

»Dann hätte ich Sie halten müssen.«

»Das wäre Frau Baronin nicht gelungen.«

»Wissen Sie auch, daß das sehr ernst werden kann? Auf Gefangenenbefreiung steht Gefängnis.«

»Ich fürchte mich nicht.«

»Befreit haben Sie ihn ja nicht.«

»Aber ja!« widersprach Frida mit großer Bestimmtheit, und Frau Inge, deren Absicht gerade gewesen war, sie zu beruhigen, sagte:

»Sie haben ihn aufgesucht, und er hat sich selbst befreit.«

»Ohne mich wäre das nicht gegangen.«

»Gewiß nicht! Und ich will Ihr Verdienst nicht schmälern. Ideell haben Sie ihn befreit. Und hatten auch die Absicht, es zu tun.«

»Das beschwör' ich!«

»Da Ihnen aber niemand die Absicht nachweisen kann, so kann Sie auch niemand zur Verantwortung ziehen. Der Beamte hätte ja nicht zu öffnen brauchen.«

»Um so besser – wenn er nur weiß …«

»Das mein' ich auch! Und nun führen Sie ihn in das Herrenzimmer und bitten Sie auch Herrn Töns dorthin.«

Frida erschrak und fragte:

»Was soll denn Herr Töns?«

Frau Inge, die ihr manches, was sie verschwieg, von den Augen ablas, dachte: Sie fürchtet, ich werde sie gegeneinander ausspielen. Sie lächelte und sagte:

»Er soll Willy helfen.«

»Kann er das?«

»Ihnen und mir zuliebe wird er es können.«

Frida schien zuversichtlich und ging hinaus. Als Frau Inge wieder allein war, dachte sie: Wie ist es möglich! Was mir nie und wenn, dann nur auf krummem Wege und mit großen Opfern gelungen wäre, erledigt Frida in Form eines Spazierganges. Gerade das, wodurch sie uns sonderlich erscheint, ist etwas Natürliches, Ursprüngliches, was wir längst abgelegt oder verloren haben. Und das wirkt wahrscheinlich gerade auf die, die durch den täglichen Umgang mit Verbrechern ständig Lüge und Verstellung um sich haben.

Sie machte sich schnell ein wenig zurecht und ging dann ins Herrenzimmer, in das gleich darauf Frida mit Willy kam. Er schien heiter, ging auf Frau Inge zu, gab ihr die Hand und sagte:

»Na, was sagen Sie dazu?«

»Ich habe eben durch Frida gehört.«

»Haben Sie sich nicht gefreut?«

Diese Frage kam etwas unvermittelt, und Frau Inge erwiderte:

»Gewiß! – wie aber nun weiter?«

»Wenn ich nur erst mal über Neujahr hier bleiben darf.«

»Wo? bei uns?«

»Da sucht mich niemand.«

»Das glaube ich gern.«

»Wissen Sie, Weihnachten da drin – das macht einen ganz krank.«

»Und nach Weihnachten?«

»Da muß ich denn sehen, was wird.«

»Damit ist Ihnen doch aber nicht geholfen.«

»Ich könnt' ja auch länger bleiben – nur wegen die Grete – ich weiß ja nich – ob die …«

»Was meinen Sie?«

»Na, ob es recht ist, wenn die mich hier besuchen kommt.«

»Das alles ist unmöglich. Vielleicht, wenn wir allein hier wären, Frida und ich – aber hier wohnen … na, Sie wissen ja hier Bescheid.«

Willy lächelte und sagte:

»Wenn ich Ihnen gekannt hätte, ob Sie's nu glauben oder nicht – ich wäre hier nicht eingebrochen.«

»Das ist ja nun nicht mehr zu ändern.«

»Ich wüßte nicht – höchstens …«

»Was wollen Sie sagen?«

»Na mit des Silber!« Er quälte sich. »Verdammt auch, daß es gerade eine Frau sein muß.«

»Aendert das was?« sagte Frau Inge.

Er sah sie groß an und sagte:

»Würden Sie, wenn Sie 'n Mann wären, 'ne Frau verraten?«

»Ich kann mich schwer da hineindenken.«

»Das täten Sie nich! – Obschon die mich jehörig übern Löffel barbiert hat.«

»Ich werd' doch mal erst das Essen holen,« sagte Frida und ging – man sah, daß es ihr schwer fiel, – hinaus.

»Das da,« sagte Willy und wies auf Frida – »is auch so.«

»Wie ist das?«

»Na, sie hat mich doch rausjeholt! – Das verzeiht ihr die Grete nie.«

»Aber! Die muß sich doch freuen.«

»Daß ich draußen bin – gewiß! – Aber wie kommt die dazu? – 'ne fremde Person!«

»Aus Interesse! – Ich hab' ihr erzählt von Ihnen.«

»Das is es ja! – Das haßt die Grete auf 'n Tod.«

»Was haßt sie?«

»Wenn Frauen quasseln. – Ich muß se ja recht geben; meist is es Mist, was se dabei zutage fördern.«

»In diesem Falle sind Sie es, was dabei herauskam.«

»Jewiß! – Ich bin nicht undankbar. – 's ist ja auch 'n hübsches Mädchen – und wenn die Grete nich wär' …«

»Halten Sie man zur Grete, und sagen Sie das der Frida, damit sie sich nicht erst den Kopf verdreht.«

»Verdammt ja! das sagen Sie! Mir is doch höllisch heiß geworden unterwegs – na, und ihr auch – das kann ich Ihnen sagen« – in dem Augenblick kam Frida mit einem Tablett zurück – »was, Frida, ich jefall' dir auch?«

»Das ist wohl für den Augenblick nicht das Wichtigste,« meinte Frau Inge, während Frida durch ein paar Blicke zu verstehen gab, daß sie anderer Ansicht war.

Aber auch bei Willy schien Frida angesichts des vollen Tabletts für den Augenblick in den Hintergrund zu treten.

»Da fühlt man sich ja,« sagte er schmunzelnd. »So 'ne Pastete, das ist mein Fall – na, und die Sülze, das wär' was für Grete!«

In diesem Augenblick kam endlich Töns. Als er das Bild sah, kam ihm sofort der richtige Gedanke.

»Sie sind wohl hier abonniert?« fragte er, und Willy, in dem Gefühl, auf frischer Tat ertappt zu sein, sprang auf, griff in die Tasche, fand sie leer, besann sich, sagte:

»Ach so!« wies auf Frau Inge und Frida und fuhr fort: »Die Frida und die …«

»Baronin,« sprang ihm Frida bei.

»... also, die Frida und die Baronin waren so freundlich« – er wies wieder auf das Tablett – »und da unsereins selten zu so was kommt …«

»Ich verstehe! Lassen Sie sich nicht stören! Guten Appetit!« – und zu Frau Inge gewandt, fragte er: »Volksküche? Asyl für Obdachlose? Verbrecherkneipe? – oder hat uns den etwa auch das Wohnungsamt hier hereingesetzt – und zwar gleich mit voller Pension?«

»Das ist Willy!« sagte Frau Inge.

»Ich dachte es mir,« erwiderte Töns und betrachtete ihn genau. »Das Bild, das Sie von ihm entworfen haben, ist porträtgetreu.«

»Was die da photographieren ist Mist!« widersprach Willy, der mißverstand, mit vollem Munde. »Mir müssen Sie mal des Abends sehen, wenn ich ausjeh. Da bleiben Se stehen, sag ich Ihnen.«

»Das glaub' ich gern.«

»Aber die da aufs Präsidium – na, für die ihre Zwecke is man ja nich eitel. Aber wenn Se das Verbrecheralbum durchblättern, da sehen wir alle aus wie die Strolche.«

»Ließe ich mir aber nicht gefallen,« sagte Töns.

»Schließlich, was is man denn anders?« erwiderte Willy. »Wenn man hier so sitzt, da merkt man's erst.«

»Das alles ginge vielleicht zu ändern,« sagte Frau Inge, »wenn Sie das wirklich fühlen und nicht nur so sagen – die Gelegenheit, ein anderes Leben zu führen, schaff ich Ihnen.« Willy sah sie groß an und fragte:

» Sie – mir? – Warum?«

»Ich könnte das auch,« sagte Frida, und Willy meinte:

»Ich weiß gar nicht, was ich da sagen soll – ich möchte schon, – wenn das hier nich wäre! Aber erst ein paar Jahre brummen – na, und bis dahin haben Sie es sich längst anders überlegt.«

»Das ließe sich vielleicht verhindern,« sagte Frau Inge.

»Nee,« erwiderte Willy und schüttelte den Kopf. »Wie wollen Sie das denn machen?«

»Wenn Sie nicht ausgebrochen wären!« sagte Töns.

»Dann säß ich fest,« erwiderte Willy, »des stimmt.«

Aber Töns fuhr, ohne darauf einzugehen, fort:

»Dann könnte man vielleicht …« er überlegte.

»Was könnte man?« fragte Frau Inge.

»Eine milde Verurteilung erwirken und …«

»Da sind Sie aber auf 'm Holzweg,« fiel ihm Willy ins Wort.

»Was weiter?« drängte Frau Inge.

»... und dann durch persönliche Einwirkung auf den Minister nach ein paar Monaten erwirken, daß er mit einer Bewährungsfrist entlassen wird.«

»Haben Sie die Möglichkeit?«

»An sich schon – und mit Ihrer Hilfe!«

»Sie überschätzen mich,« erwiderte Frau Inge.

»O nein! – Aber ich fürchte, daß die Flucht uns das erschwert, wenn nicht unmöglich macht.«

»So 'n Minister gibt sich doch nicht mit mir ab.«

»Aber mit uns, Herr Willy,« erwiderte Töns. »Und wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, so dinieren Sie in aller Gemütsruhe zu Ende. Die Damen werden Ihnen Gesellschaft leisten. Ich selbst stifte eine Flasche Schampus. Dann aber setzen Sie sich in ein Automobil und melden sich von Ihrem Ausflug zurück. Das wird einen vorzüglichen Eindruck machen.«

»Aber nein!« sagte Frida, und Willy blieb ein Stück Pastete in der Kehle sitzen, das er ebenso geschickt wie ungeniert zutage förderte. Dann brach er wie ein Bergsturz los, lachte laut und rief:

»Nu wird's Tag! Noch keine fünf Minuten raus und dann wieder rin – nur der Ordnung wegen, damit des Loch nicht leer steht. Nee, lieber Freund, ich weiß ja nich, wer Sie sind, daß Sie mir hier so freundschaftliche Ratschläge erteilen, aber das verrat' ich Ihnen – und wenn Sie zehnmal Kriminal sind – vor Weihnachten kriegt mir hier keiner weg – lebendig nich!«

»Sie haben sich also in den Kopf gesetzt, mit uns Weihnachten zu feiern?«

»Ob nu gerade mit Ihnen, is 'ne andere Frage.«

»Aber Willy, der Herr ist ein guter Freund von uns und meint es gut mit Ihnen.«

»Kenn' ich – bis se uns festhaben, sind se alle unsere Freunde – hinterher, dann sind wir Vieh für sie.«

»Aber er will Ihnen ja helfen – uns zuliebe.«

Willy sah Töns groß an und sagte:

»Wenn das wahr is, denn tut's mir leid, daß ich Ihnen verkannt und für so einen jehalten habe. Aber Sie wissen gar nich, was wir ausstehen! Keinen Tag und keine Nacht Ruhe – immer is was los.«

»Wenn Sie aber nichts ausfressen, dann stellt man Ihnen doch nicht nach.«

»Das is es ja! – Meinen Sie, ich hatte Ruhe, als ich nach zwei Jahren endlich wieder frei war?«

»Wie ist das möglich?«

»Es bleibt immer was hängen. Nach Jahren, da kramen die noch das älteste Zeug vor, von dem man selbst kaum noch 'ne Ahnung hat.«

»Hm,« meinte Töns, »das erschwert den Fall.«

»Inwiefern?« fragte Frau Inge.

»Wenn wir ihn nun wirklich nach ein paar Monaten losbekommen …«

»Das glauben Sie man ja nich.«

»Das wäre zu machen,« fuhr Töns fort, »aber was nützt es, wenn hinterher noch allerlei herauskommt, was noch nicht abgeurteilt ist.«

»Ist das möglich?« fragte Frau Inge.

»Bei die is alles möglich!« erwiderte Willy.

»Ist es viel?« fragte Tons, und Willy erwiderte lachend:

»Mit Speck fängt man Mäuse.«

»Wir sollten die Grete hier haben,« meinte Frau Inge. »Die ist verständiger als Sie.«

»Der geht auch keiner an den Kragen. Da kann man leicht klug sein, wenn man nichts fürchten braucht.«

»Sie sehen doch, daß wir Ihr Gutes wollen.«

»Sie und die Frida schon – und der Herr auch. Aber die Anderen! Wenn man so mit sie redet, sind sie ja ganz vernünftig – und schließlich, was sollen sie tun? – Es ist ihr Beruf, wie das Einbrechen meiner is. – Jeder muß heut sehen, wo er bleibt. Und Ihre Hilfe is ja jewiß gut gemeint. Aber wenn Sie mir was Gutes antun wollen, dann behalten Sie mir die paar Tage hier – nachher, da seh ich schon, wie ich weiterkomme.«

»Ausgeschlossen!« erwiderte Frau Inge, die, während sie sich unterhielten, ein paar Zeilen geschrieben und Frida damit hinausgeschickt hatte.

Willy, der es bemerkt hatte, sah sie an, stand auf und fragte:

»Sie werden doch nicht etwa …?«

»Halten Sie das für möglich?«

Er überlegte einen Augenblick und sagte:

»Ne! – Sie nich! – Wenn ich mich so in Sie täusche, denn in Gottes Namen wieder rin in 'n Kahn!«

»Es betraf allerdings Sie,« erwiderte Frau Inge.

»Mich? – Da kann es doch nur das sein.«

»Ich versichere Sie: nein!«

Willy, der erst jetzt mit Essen fertig war und sich eine Zigarre, die Töns ihm reichte, angezündet hatte, sah sich im Zimmer um und sagte:

»Fein haben Sie's hier. – Hier kommt man nich auf so'ne Gedanken.«

»Sie müssen schon verzeihen,« spottete Töns und wies auf das Parkett, »daß hier und da eine Lücke ist. Ein Freund des Hauses hat sich erlaubt …«

Willy lachte laut und sagte:

»Sie! das ist gut! Sie haben Humor! Das kann ich leiden.«

»Vermutlich beabsichtigt er eine kleine Ueberraschung – wir haben ihn gut bewirtet und die Absicht, es auch fernerhin zu tun – ich denke mir, er fand die Teppiche schmutzig und hat sie daher in die Reinigung gegeben.«

»Stimmt! Stimmt!« sagte er. »Da können Sie sich drauf verlassen.«

»Wir sind auch keinen Augenblick beunruhigt. Nur ist es möglich, daß unser Freund gezwungen sein wird, eine längere Geschäftsreise anzutreten, die wir ihm nach Möglichkeit gern verkürzen möchten.«

»Ausjezeichnet!« rief Willy. »Na, des eilt nich so.«

»Immerhin wir wären dankbar, wenn wir die Adresse – Sie verstehen – von der Reinigungsanstalt wüßten – so was gerät sonst leicht in Vergessenheit.«

»Manchmal geht es auch verloren,« erwiderte Willy und zwinkerte mit den Augen – »und kommt nicht wieder.«

»Das ist in diesem Falle nicht zu befürchten. Ich bitte Sie unter Freunden.«

»Das wär' ja gemein.«

»Nicht wahr?«

»Sie sind doch versichert – und da denkt Ihr Freund vielleicht, daß er es nötiger hat als die Gesellschaft.«

»Wir sind es nicht!«

Willy dachte nach.

»Hm,« sagte er, »das ist denn allerdings 'ne faule Kiste. – Ich will Ihnen was sagen: so'ne Reinigungsanstalt, das sind manchmal große Halunken. – Aber so um die Zeit rum – nach fünf – da sind sie meist auf der Tour oder sitzen bei Kuhle.«

»Was nützt das, wo ich sie doch nicht kenne.«

»So rum nich. – Die lassen Se man ruhig da sitzen.«

»Wie denn?«

»Anders rum. – In'n Auto rin! und dann hinjeflitzt. Wenn Se wollen, komm' ich mit.«

»Das wäre das beste! – Aber wie kommen wir rein?«

Willy lachte und streckte ihm seine Tatzen hin. Töns rückte mit seinem Stuhl ein paar Schritte zurück und sagte in Willys Tonfall:

»Donnerkiel!«

»Nu sagen Se selbst, wenn man so'ne Kräfte hat und keine Verwendung – is das nich zum Verbrecher werden.«

»Sie müssen wieder boxen,« sagte Tons.

Willys Augen strahlten:

»Wenn Sie das fertigbringen!«

»Wir wollen es versuchen – nicht wahr, Frau Inge?«

Die nickte nur und sagte, da Willy und Töns aufgestanden waren, um sich auf den Weg zu machen:

»Seht euch nur vor!«

Töns lachte und erwiderte:

»Es ist nicht mein erster Einbruch, Frau Inge!«

»Was?« sagte die, lachte aber im selben Augenblick laut auf und fragte: »Was heißt denn das?«

»Daß ich auf diesem Gebiete Erfahrung habe.«

Während Frau Inge überlegte, was für eine Absicht Töns mit diesem Scherz verfolgte, musterte Willy Töns und sagte:

»Na, Sie würde ich mir nu auch nich gerade als Genossen aussuchen.«

»Soll ich dann nicht lieber einen von den anderen Herren wecken?« fragte Frau Inge, und Willy erwiderte:

»Dafür langt's. Das mach' ich, wenn's sein muß, auch allein.«

Sie verabschiedeten sich von Frau Inge und gingen hinaus. Frau Inge trat ans Fenster und sah ihnen nach. Am Kemper Platz hielten sie ein Auto an und verhandelten mit dem Chauffeur. Erst Töns, den Willy aber bald zur Seite schob, um nach ein paar Worten mit ihm handelseinig zu werden. Sie sah noch, wie Töns Geld aus der Tasche zog und es dem Chauffeur zusteckte. Dann stiegen sie ein, und das Auto fuhr in der Richtung der Siegesallee davon.

Frau Inge hatte ein unbehagliches Gefühl und dachte: »Ob es am Ende falsch war, Töns in dies Abenteuer zu stürzen?« Sie beruhigte sich schnell, denn je mehr sie über Willy und seine Art nachdachte, um so klarer schien es ihr, daß er im Grunde seines Herzens kein schlechter Kerl war.


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