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Siebzehntes Kapitel

Frida kam nach kaum einer Stunde mit Grete Gerson in die Tiergartenvilla.

»Tüchtig, Frida,« sagte Frau Inge, und indem sie Grete begrüßte: »Wie gut, daß sie Sie angetroffen hat.«

»Keine Spur,« erwiderte Frida, »sie war nicht zu Haus.«

»Wo denn?«

»Ich hab' im Haus so lange herumgefragt, bis mir jemand sagte, sie wird wohl bei Kuhle sein,« erwiderte Frida.

»Mitten in der Nacht haben Sie die Leute herausgeklingelt?«

»Wo es doch für Sie und für Willy war.«

»Und die haben es sich ruhig gefallen lassen?«

»Eine Frau sagte: ›Na, denn geht's ja noch. Wir dachten schon die Krimina‹ – dann rief sie: ›Männe komm vor! es is nur en Mächen‹ – und aus einem Versteck kroch ein verwachsener Kerl hervor, nahm mich bei der Hand und sagte: ›Und was für'n Mächen!‹ – und wollte mich reinziehen.«

»Und Sie? Was haben Sie getan?«

»Ich hab' ihn in die Hand gebissen, daß er laut aufschrie.«

»Das war der schiefe Thomas,« sagte Grete. »Der is rein verrückt hinter den Weibern her. Da können Sie von Glück sagen. Bei dem is schon manche geblieben. Ich geh', wenn ich ohne Willy'n bin, immer auf'n Zehn an seiner Tür vorbei.«

»Und der hat Ihnen das Lokal genannt?«

»Aber nein! – Unten im Keller …«

»Da waren Sie auch?«

»... eine alte Frau.«

»Meine Mutter!« sagte Grete.

»Die wohnt im Keller?« sagte Frau Inge, und Frida erwiderte:

»Und in was für einem! Ganz naß und muffig. Wenn das meine Mutter wäre …«

»Sie haben gut reden.«

»Warum wohnt sie nicht bei Ihnen?« fragte Frau Inge, besann sich sofort und sagte: »Ach ja, das geht ja nicht.«

»Da kann sie nicht wohnen bleiben,« sagte Frida, und Frau Inge fragte:

»Weiß sie denn … von Ihnen?«

»Das streicht ihr der schiefe Thomas täglich faustdick aufs Brot.«

»Was sagt sie?«

»Armes Mädchen! sagt sie und weint.«

»Tut Ihnen das nicht weh?«

»Quälen Sie mich nicht! – Was soll ich tun? Ich denke nicht dran. – Sie muß doch leben. Und die Zeit, die die noch zu leben hat, halte ich mich.«

»Sie halten sich?« fragte Frau Inge.

»Ich bitte, lassen Sie mich,« drängte Grete. »Ich bin Willys wegen hier.«

»Sie könnte vielleicht an Stelle Marthas,« meinte Frida, »da die doch heiratet.«

»Das geht wohl nicht,« erwiderte Frau Inge, und Grete sagte ungehalten:

»Ich will nicht, daß man sich mit mir beschäftigt.«

»Sie wollen von Willy hören,« fiel ihr Frau Inge ins Wort. »Frida hat Ihnen vermutlich schon erzählt.«

»Ich habe nichts gesagt,« erwiderte Frida – »da ich nicht wußte.«

»Sie sind wirklich ein vorzüglicher Mensch!« sagte Frau Inge und fuhr, zu Grete gewandt, fort: »Er ist draußen.«

»Ausgebrochen?« rief sie und schien im selben Augenblick wie verwandelt.

Frau Inge wies auf Frida und sagte:

»Ihr hat er es zu danken.«

»Ihnen? Wie ist das möglich?«

»Ich habe ihn aufgesucht …« sagte Frida.

»Wann?«

»Heute nacht.«

»Wie kamen Sie dazu?«

»Ich denke nicht viel nach.«

»Kannten Sie ihn denn?«

»Ich dachte mir, so wird er aussehen – und so sah er aus.«

Grete schien nachdenklich, senkte den Kopf und sagte vor sich hin:

»Genau wie ich.« – Dann wandte sie sich wieder an Frida und fragte:

»Und weil Sie dachten, daß er so aussieht, darum gingen Sie zu ihm?«

»Ja!«

»Wer hat Sie denn hingeführt?«

»Niemand!«

»Sie fanden so?«

»Ja!«

»Und die Wachen?«

»Die taten mir nichts.«

»Sie nahmen Sie nicht fest?«

»Nein!«

»Sie ließen Sie durch?«

»Ja!«

»Und dann?« fragte Grete erregt.

»Dann stand ich vor ihm,« sagte Frida stolz.

»Und er?«

»Er sah genau so aus, wie ich gedacht hatte.«

» Hüten Sie sich!« fuhr Grete sie an.

Frida sah erschrocken auf und fragte:

»Wovor soll ich mich hüten?«

»Vor mir!« erwiderte Grete und zitterte am ganzen Körper. » Er gehört mir!«

»Viele lieben ihn,« warf Frau Inge ein, um von Frida abzulenken.

»Die sind ungefährlich.«

»Wer?« fragte Frau Inge.

»Die Andern.«

»Kennen Sie sie?«

»Eine Frau ist wie die andre.«

»Sind Sie dessen so sicher?«

Grete sah erstaunt Frau Inge an, und da die ein Gefühl hatte, daß Grete fragen wollte: »Etwa auch Sie?«, so beugte sie vor und sagte:

»Meine Freundin, die gestern mit auf dem Präsidium war, halten Sie die auch für ungefährlich?«

Grete dachte einen Augenblick nach und sagte:

»Gänzlich! – Trotz ihrer Schönheit und Eleganz.«

»Und Frida – warum meinen Sie, daß die …?«

»Das kann ich nicht sagen – das habe ich im Gefühl.«

»Am Ende ein anderer Menschenschlag?«

»Möglich.«

»Und Sie glauben, daß er zu dieser Art Frauen neigt?«

»Er? – Wieso?«

»Weil Sie doch befürchten …«

»Ich fürchte sie – nicht ihn.«

»Wenn er nicht erwidert, so kann es für Sie doch keine Bedeutung haben.«

»Es gibt Frauen, da kann ein Mann nicht anders – er muß.«

»Gezwungen?«

»Nein! – Weil es bei der Frau so stark ist und sich überträgt.«

»Ich begreife.«

»Wenn es schon auf Dritte so wirkt« – und da Frau Inge sie nicht verstand, so fügte sie hinzu – »ich meine die Wächter.«

»Sie glauben an einen Zusammenhang?«

»Was sonst?«

»Sie haben recht. – Liebe stärkt den Willen, und Wille überträgt sich.«

»Davon weiß ich nichts. – Aber auf mein Gefühl kann ich mich verlassen.«

Unten ertönte die Hupe eines Autos. Frau Inge lief ans Fenster und riß es auf. Vor dem Hause stand Willy und winkte vergnügt hinauf.

»Von einem Leichtsinn ist dieser Mensch!« sagte Frau Inge.

»Wer? Willy?« fragte Grete und stürzte ihr nach. Und als sie ihn unten stehen sah, rief sie: »Junge! Mein Junge! – So komm' doch rauf!«

»Erst können!« erwiderte er und wies auf die verschlossene Haustür.

»Ruhe!« bat Frau Inge. »Sonst wacht alles auf.«

Und wirklich wurden in der oberen Etage Fenster aufgerissen.

»So ein Esel!« sagte Frau Inge. »Jetzt alarmiert er das ganze Haus! Wo doch niemand wissen darf, wer er ist.«

»Er kann ja ein Andrer sein,« erwiderte Grete.

Als man gleich darauf auf der Treppe Stimmen und Tritte hörte, sagte Frau Inge:

»Kommen Sie, Frida, wir gehen hinunter« – und mehr zu sich fügte sie hinzu: »Ich begreife gar nicht, wo ist denn Töns, der hat doch den Schlüssel.«

Auf der Treppe stießen sie auf Burg und Fräulein Fleck, während die beiden Küchenmädchen im Nachthemd oben auf dem Treppenabsatz standen, frierend und zitternd herabsahen und sagten:

»Schon wieder ein Einbruch!«

»Hier ist es unheimlich!«

»In dem Hause bleibe ich nicht!«

Burg hingegen, der ohne Bad und unrasiert um zwanzig Jahre älter schien, sich trotz seiner Neugier und Erregung aber die ganze Zeit über so hielt, daß er im Dunkeln stand, fragte, während er vor Frau Inge und Frida die Treppe hinunterstieg:

»Wie ist das möglich?«

»So arbeitet mein Detektiv!« erwiderte Frau Inge. »Aber ich wünsche nicht – und das gilt für alle – daß irgendwer sich mit ihm beschäftigt.«

»Warum denn nicht?« fragte Fräulein Fleck. »Ich könnte ihm einen bestimmten Hinweis geben.«

»Gerade das soll vermieden werden,« erwiderte Frau Inge, während Burg aufschloß. »Ich habe ihn telegraphisch aus Hamburg beordert, weil er nichts weiß. Alle Andern sind durch die unzähligen Hinweise bereits völlig verwirrt.«

»Das ist gut,« flüsterte Frida Frau Inge zu. Die drückte ihr die Hand – zum Zeichen, daß sie schweigen solle.

Als sie auf der Straße waren, trat Frau Inge dicht an Willy heran und flüsterte ihm zu:

»Gehen Sie schnell rauf! Reden Sie nicht!«

Willy war wie der Blitz im Hause. Frida folgte ihm.

»Die Teppiche müssen lüften und geklopft werden,« sagte Frau Inge. »Wer weiß, wo sie gestanden haben.«

»Sie erkälten sich, Frau Baronin,« sagte Burg, und sie erwiderte:

»Sie haben recht! Ich überlasse es Ihnen.«

Und während sich die Andern um die Teppiche mühten und Burg den längst bezahlten Chauffeur noch einmal lohnte, ging Frau Inge ins Haus.

Auf der Treppe, zwanzig Stufen vor ihr, standen Willy und Frida – besser: sie bildeten eine Gruppe. Denn Frida hing, ohne den Boden zu berühren, an Willys Hals und küßte ihn so leidenschaftlich, daß die beiden Mädchen oben es hörten, ihre Angst verloren, sich anstießen und laut kicherten.

»Frida!« rief Frau Inge, ohne die geringste Wirkung zu erzielen, beschleunigte ihren Schritt und sagte, als sie dicht neben ihnen stand, laut und schneidend:

»Grete ist oben!«

Im selben Augenblick ließ Willy sie los, sah Frau Inge groß an und fragte:

»Wieso? – Weiß sie denn …?«

»Ich habe sie kommen lassen.«

»Warum …« – fragte Frida »haben Sie das getan?«

»Frida! Sie müssen sich ändern,« sagte Frau Inge.

»Ich tue ja nichts!« erwiderte die, und dicke Tränen standen in ihren Augen. »Ich will's versuchen.«

Dann lief sie vor den Beiden die Treppen hinauf. Oben empfingen sie die beiden Mädchen mit lautem Lachen.

»Wer ist das?« fragten sie neugierig.

»Laßt mich!« erwiderte sie und wehrte sie ab. Aber sie hingen sich an sie und sagten:

»Wir wollen es wissen.«

»Laßt mich los!«

»Nicht eher, als bis du es uns gesagt hast.«

»Ein Herr aus Hamburg,« erwiderte sie, um sie los zu sein und lief davon.

Die Beiden standen und sahen ihr nach und dachten: »Sonderbar! Was in diesem Hause alles vorgeht.«

Inzwischen fragte Frau Inge, die mit Willy die Treppe hinaufstieg:

»Haben Sie das Mädchen denn lieb?«

»Die Grete? – aber ja!«

»Ich meine Frida.«

»Ach so. – Hm, das is neu – das kann man noch nich sagen.«

»Wenn Sie die Wahl hätten?«

Er schien nicht ganz sicher, überlegte und sagte:

»Die Grete läßt sich nich verdrängen.«

»Und wo haben Sie den Herrn gelassen?«

Willy zog die Schultern hoch:

»Das kann ich nich sagen. – Dem war die Fahrt zu windig. – Aber die Teppiche sind da! War das 'ne Jagd!«

»Sie müssen doch wissen, wo er geblieben ist?« fragte sie unruhig.

»Nee! – Das war bei dem Tempo unmöglich. Irgendwo wird er schon sein.«

»Das ist ja furchtbar!« sagte Frau Inge unruhig. »Und ich habe ihn veranlaßt.«

»Er is doch kein Wickelkind! – Er kann doch laufen.«

Sie waren oben. Als sie ins Herrenzimmer traten, stand Grete schon an der Tür, sie streckte ihm die Hand hin und sagte:

»Du bist doch ein Lümmel!«

»Fein, was Grete? – Freust du dich nich?«

»Gewiß freue ich mich.«

»Wie habe ich das gemacht?«

»Du? – Du hast wohl am wenigsten dazu getan.«

»Wer denn?«

»Tu nich so! ich weiß Bescheid! – Na, wie ist's mit der Frida?«

Frau Inge sah erstaunt, daß Willy errötete.

»Was soll'n sein?«

»Ich mein' nur – du bist ihr doch nun zu Dank verpflichtet.«

»Ich habe sie nicht gebeten.«

»Immerhin – ohne sie säßest du noch!«

»Das is noch sehr fraglich.«

»Gewiß! ein paar Tage später wärst du so oder so ja doch draußen gewesen. Denn daß du über Weihnachten drin warst, das hätte ich verhindert.«

»Ich weiß, Grete.«

»So übermäßig ist ihr Verdienst also nicht.«

»Und die Sachen, die du mir geschickt hast.«

»Hast du alles bekommen?«

»Ich denk' schon. – Aber was wird nu damit?«

»Darum sorg' dich nich! – Hauptsache: Du bist da – und bleibst da!«

»Das mein' ich auch.«

»Und zwar bei mir.«

»Wo'n wohl sonst?«

»Also!« sie breitete die Arme aus, und Willy umschlang und küßte sie, ohne jede Rücksicht auf Frau Inge, die über die einfache und natürliche Art und die sauberen Mittel, mit denen Grete gegen Frida focht, erstaunt war. –

Das Unwahrscheinliche wurde inzwischen Ereignis. Töns landete ohne weitere Zwischenfälle vor der Tiergartenvilla und betrat mit den Worten:

»Nie wieder!« mit Hut und Mantel das Zimmer, in dem Frau Inge mit Willy und Grete saß.

»Den Hut dürfen Sie schon abnehmen,« erwiderte Frau Inge. »Aber froh bin ich doch, daß Sie da sind.«

»Wenn ich soviel leiden muß, um Ihnen endlich mal eine Freude zu bereiten,« sagte Töns und gab Frau Inge die Hand – »ich weiß nicht, ob ich dann nicht lieber doch …«

»Was tue?« fragte Frau Inge, da er nicht weitersprach.

»Ich wollte sagen: ›Verzicht leiste.‹ Ich bitte Sie, Baronin, davon Notiz zu nehmen, daß ich es nicht gesagt habe.« – Er wandte sich, während er auf einen Sessel sank, an Willy – »und bitte ferner, Burg oder sonst wem zu sagen, daß ich ganz schnell einen Whisky haben muß.«

»Lassen Sie mich …« sagte Frau Inge und stand auf. »Ich will, daß wir allein bleiben.« – Sie ging ans Büfett und stellte Gläser und Flaschen auf den Tisch.

Töns bemerkte erst nach dem ersten Glas die Anwesenheit Gretes, sprang auf und fragte erstaunt:

»Nanu? – Warum hat man mich denn nicht vorgestellt?«

Frau Inge lächelte über den Eindruck, den Grete auf Töns machte und erwiderte:

»Richtig, das habe ich ganz vergessen,« während Grete aufstand und sagte:

»Ich gehöre zu Willy.«

»Aha! Dann sind Sie … die … das Fräulein …«

»Frau Grete Gerson!« half ihm Frau Inge.

Töns trat an sie heran, gab ihr die Hand, und zu Willy gewandt, sagte er:

»Guten Geschmack haben Sie! – Aber Sie sind auch nicht von Pappe! – Mit Ihnen einbrechen gehen, ist eine halsbrecherische Sache. – Das kann man doch alles viel ruhiger und gemütlicher machen.«

»Nee! Tempo muß sein,« erwiderte Willy. »Sonst is es faul. Lieber weniger, aber schnell! Sie ahnen gar nich, was wir gehetzt sind.«

»Glauben Sie mir,« widersprach Töns. »Ihr System ist falsch. Sie wissen nicht, worauf es ankommt. Die Pointe ist, bei viel Chancen wenig zu riskieren. Sie aber riskieren Kopf und Kragen, ehe Sie überhaupt wissen, was im besten Falle für Sie herausspringt. Sie fassen das Ding falsch an.«

»Möglich,« sagte Willy. »Man is eben 'n Schaf!«

»Du solltest dir aber das annehmen, was der Herr sagt,« meinte Grete.

»Wir wollen ja gerade abbauen,« erwiderte Töns. »Sie scheinen noch nicht zu wissen, daß Herr Willy sich unter unserem Protektorat einem neuen Beruf zuwenden will.«

»Das hat er schon oft gewollt. – Daran glaub' ich nicht mehr. – Jeder bleibt, wozu er bestimmt ist. – Das ist nun mal so.«

»Gut,« sagte Frau Inge. »Willy Blech ist von Beruf aus Boxkämpfer.«

»Das is wahr,« bestätigte er.

»Darin hat er Beträchtliches geleistet.«

»Stimmt!« sagte Grete.

»Man kann also ruhig sagen: bestimmungsgemäß ist er Boxer. – Das andere, die Einbrecherei, dagegen ist mehr Notbehelf.«

»Man läßt ihn doch aber nicht boxen!«

»Das is es ja,« bestätigte Willy.

»Ihn nicht, aber einen Andern,« sagte Frau Inge.

»Was hat er'n davon?«

»Er muß der Andre sein.«

»Das verstehe ich nicht,« erwiderte Grete, und Willy sagte:

»Ich auch nich.«

Töns verzog das Gesicht und erklärte:

»Aber ich beginne, zu begreifen, Baronin. Und je länger ich mir den Mann ansehe, um so mehr erinnert er mich an einen Mischling, der mich vor zehn Jahren in einem sogenannten Hotel auf Haiti bedient hat.«

»Das ist er!« stimmte Frau Inge bei. »Sehen Sie sich doch den Typ an! – und die Haut! – So sieht doch kein Europäer aus!« – und sie fuhr fort: »Nun verstehe ich auch, weshalb alle Frauen nach ihm so toll sind.«

»Die haben eben eine feinere Witterung als wir,« erwiderte Töns.

»Er ist doch kein Neger!« rief Grete entsetzt, und Töns beruhigte sie:

»Ich sagte schon, er ist ein Mischling. Und wie die alle, verfügt er über ungewöhnliche Kräfte und ein gutes Herz.«

»Das mag sein,« erwiderte Grete, sah aber Töns und Frau Inge mißtrauisch an.

»Sie sprechen nicht englisch?« fragte Töns, und Willy erwiderte:

»So'n bißchen! – Was man so zum Boxen braucht – knockout und dann noch …« – es fiel ihm nichts ein.

»Du kannst doch mehr!« erklärte Grete.

»Jewiß doch! – nur im Augenblick – man is ja so raus.«

»Also«, sagte Frau Inge, »besteht ja kein Zweifel mehr, daß Sie eben dieser Diener aus Haiti sind,« und Töns ergänzte:

»Zumal Ihr Deutsch mehr als mangelhaft ist.«

»Erlauben Se mal!« widersprach Willy.

»Tun Sie mir den einzigen Gefallen«, bat Töns, »und sprechen Sie nur noch englisch, und vergessen Sie, daß Sie jemals deutsch gesprochen haben.«

»Wie soll ich mich denn da verständigen?«

»Wozu brauchen Sie sich zu verständigen,« sagte Töns. »Wo Sie doch boxen können. Die Sprache versteht jeder.«

»Man hat doch auch mal was anderes zu sagen.« – Dabei sah er Grete beinahe ängstlich an. Die erwiderte:

»Wir verstehen uns schon. Und mit anderen Frauen brauchst du dich nicht zu verständigen.«

»Eine Frage noch,« flüsterte Töns und wandte sich an Grete.

»Sprechen Sie laut!« forderte Frau Inge, und er erwiderte:

»Es schickt sich nicht.«

»Dann gehört es nicht zur Sache.«

»Doch!«

»Dann schickt es sich auch.«

»Gut! Auf Ihre Verantwortung!« – Und wieder zu Grete gewandt, fragte er:

»Sieht er am ganzen Körper so aus?«

»Wie?« fragte Grete.

»Wie im Gesicht?«

»Sie meinen die Farbe?«

»Natürlich! Was wohl sonst?«

»Aber ja!« – Und sie zog ein Bild aus der Tasche, das ihn, nur mit einer kurzen Hose bekleidet, als Boxmeister zeigte.

»Das waren Zeiten!« sagte Willy.

»Sie werden wiederkommen,« sagte Frau Inge.

»Da war man doch wer.«

»Sie müssen demnach noch froh sein, daß wir Ihnen helfen.«

»Jewiß – nur das mit Hiiti …«

»Haiti,« verbesserte Töns. »Den Namen Ihrer Heimat müssen Sie schon kennen.«

»Sie meinen, denn brauch' ich nich zu sitzen?«

»Warum sollten Sie sitzen?« fragte Töns. »Ich habe Sie aus Ihrer Heimat kommen lassen – wenn Sie da etwas ausgefressen haben, so geht das hier niemand etwas an.«

Willy lächelte und sagte:

»Das war' ja fein.«

»Natürlich müssen Sie ein vollkommen neues Leben beginnen. Stadtgegenden, in denen Sie früher verkehrten, dürfen für Sie nicht mehr existieren.«

»Das läßt sich machen.«

»Ebensowenig natürlich die Menschen!«

»Und ich?« fragte Grete.

»Sie werden die Baronin und mich unterstützen.«

»Aber meine Jungens?«

»Für die wird gesorgt! Damit nützen Sie ihnen viel mehr, als wenn Sie Ihr bisheriges Leben weiterführen. Ihnen kommt es doch in erster Linie darauf an, daß es ordentliche Menschen werden.«

»Das schon – aber man will se doch auch sehen.«

»Wenn Sie nun auf drei Jahre hinter Schloß und Riegel kämen,« sagte Frau Inge, »dann würden Sie sie doch auch nicht zu sehen bekommen.«

»Da hat sie recht,« sagte Grete, aber Willy hatte noch mehr Bedenken.

»Wenn mir nu Franz begegnet?«

»Erst einmal wird der ein paar Jahre lang von Staats wegen daran gehindert werden, spazierenzugehen,« erwiderte Töns. »Bis dahin haben Sie selbst aber längst vergessen, wer Sie einmal waren.«

»Dafür, daß ich boxen kann, tu ich alles.«

»Opfer für Sie sind damit ja auch nicht verbunden,« sagte Töns.

»Erlauben Se mal,« widersprach Willy, »wenn zu Sie nu einer plötzlich sagte, Sie soll'n Mischling aus Hiiti sein …«

»Haiti,« verbesserte Töns.

»Schön! Also, ich möcht' mal Ihr Gesicht sehen.«

»Wenn Vorteile damit verbunden wären – und meine Haut wie Ihre wäre – aber wenn Sie nicht wollen …«

»Sei nicht dumm, Willy.«

»Ich sag' ja nich nee. – Ich will nur wissen, was ich tun soll.«

»Das wissen wir selbst noch nicht,« sagte Töns, und Willy erwiderte:

»Nu sehn Se!«

Aber Frau Inge widersprach und sagte:

»Das wissen wir genau! Boxen ist die große Mode! – oder ist sie's nicht?« wandte sie sich unsicher an Töns, und der bestätigte ihr:

»Doch! Doch! – Wenn wir ihn richtig managern, kann er ein Stück Geld verdienen.«

»Das wird eben gemacht, und zwar auf die denkbar einfachste Weise,« versicherte Frau Inge.

»Ich habe bisher nur Filmdivas managert,« erwiderte Töns. »Darin habe ich Routine. Es gibt keine Frau, die keine krummen Beine und nicht gerade einen Kopf wie ein Panoptikum hat, aus der ich mit Geld und meinen Beziehungen nicht innerhalb dreier Filme einen Star mache.«

»Ist das wahr?« fragte Grete.

»Bei Ihnen genügen zwei Filme,« erwiderte Töns.

»Zunächst einmal Willy Blech!« warf Frau Inge ein. »Hier ist Gefahr im Verzuge. Und dann hat dies Experiment den Reiz der Neuheit. – Nachher, da können Sie ja aus Frau Gerson einen Filmstar machen.«

»Was bei so'm Einbruch doch nich alles rauskommt,« sagte Willy, aber Grete erwiderte:

»Das ist doch nur hier so.«

»Dann haben wir ja Glück gehabt,« sagte Willy.

»Das wird sich zeigen,« erwiderte Frau Inge, und Töns meinte:

»Sie wollten uns sagen, wie Sie sich den Fortgang denken.«

»Da Boxen die große Mode ist,« wiederholte Frau Inge, »so ist es nur natürlich, daß Sie, Herr Töns, sich Ihres Dieners auf Haiti erinnerten und ihn kommen ließen. Ihre Verhältnisse gestatten Ihnen, sich außer einem Diener, einem Chauffeur und Friseur auch einen eigenen Boxer zu halten, sofern Sie diesen Sport mit Leidenschaft betreiben. Es genügt dabei vollkommen, wenn Sie seine Kunst seinen nächsten Freunden, in erster Linie also Ihren Hausgenossen, dienstbar machen.«

»Und dies plötzliche Auftreten mitten in der Nacht mit den gestohlenen Teppichen – wie erklären wir das?« fragte Töns. »Sie wissen, Burg achtet auf alles.«

»Er ist unmittelbar nach dem Einbruch nach Berlin gekommen. Sie kannten seine Fähigkeiten, haben sein Eintreffen daher geheim gehalten und ihn, was ja auch zutrifft, sofort auf die Spur der Einbrecher angesetzt.«

»Hunde setzt man an,« erwiderte Grete.

»Warum soll man nicht auch Mischlinge aus Haiti ansetzen?« fragte Töns. »Zumal ich nachweisbar mit ihm zusammengearbeitet habe.«

»Was Frida bezeugen kann,« ergänzte Frau Inge.

»Und seine Koffer?« fragte Töns.

»Die kommen nach.«

»Wenn sie dann aber nicht kommen?«

»Sie müssen kommen,« erwiderte Frau Inge. »Und zwar sehr bald! Außer Kleidung, wie man sie auf Haiti trägt …«

»Das ist nicht viel.«

»Nackt kann er hier natürlich nicht herumlaufen.«

»Ich bin dafür, daß wir den Fall so naturgetreu wie möglich aufziehen. Ehe er das erste Mal ans Tageslicht kommt, muß ganz Berlin von seiner Anwesenheit wissen.«

»Und ich?« fragte Willy.

»Wer ich?« fragte Töns. »Meinen Sie etwa Willy Blech?«

»Nu ja?«

»Der sind Sie nicht! – Von dem haben Sie nie etwas gehört!«

»Aber die Andern,« erwiderte Grete. »Die Polizei vor allem.«

»Für die bleibt Willy Blech verschwunden. Es wird, damit die Nachforschungen eingestellt werden, sogar gut sein, wenn man ihn irgendwo festnimmt.«

»Nee! Nee!« wehrte Willy ab, und Grete meinte:

»Was heißt denn das? Er kann doch nicht in München festgenommen werden und in Berlin boxen?«

»So nicht,« erwiderte Töns. »Aber man findet für Geld und gute Worte schon Jemanden, auf den man die Behörden in London oder Newyork hetzt und der sich als Willy Blech festnehmen läßt. Hauptsache, daß die deutschen Behörden davon unterrichtet werden. Bis der nachher nachweist, daß ein Irrtum vorliegt, und auf freiem Fuße ist, und bis die deutschen Behörden davon erfahren, ist über Willy längst Gras gewachsen.

»Stimmt,« sagte Willy, »an was 'ne Zeitlang nich jerührt wird, das jerät in Vergessenheit. Der Fall von der Gertraudtenstraße in des Blusengeschäft – du weißt doch, Grete –«

»Was weißt denn du von dem, was Willy Blech getan hat,« fiel ihm Grete ins Wort, und Töns sagte:

»Der Mann interessiert uns von diesem Augenblick an überhaupt nicht mehr.«

Willy schien das alles viel zu kompliziert:

»Ich weeß nich,« sagte er, »ich wäre ja schon froh, wenn ich nur über Weihnachten …«

»Du bist verrückt, Willy!« schalt Grete. »Wo dir das hier so geboten wird.«

»Und denn – irgendwer muß ich doch sein – oder hat man da keine Namen?«

»Selbstredend! Wie hießen Sie doch damals?«

»Ich bin für Williams,« sagte Frau Inge. »Eine leise Erinnerung an seinen früheren Menschen darf schon mitklingen.«

»Das klingt sehr englisch,« erwiderte Töns. »Jedenfalls muß er sofort mit dem englischen Unterricht beginnen.«

»Den erteile ich ihm,« erklärte Frau Inge. »Hauptsache, daß wir ihn erst einmal unterbringen, seine Koffer, die nicht neu sein dürfen, herbeischaffen und seine Ankunft glaubhaft gestalten.«

»Nichts einfacher als das,« sagte Töns. »Die einzige Schwierigkeit sehe ich in Ihnen,« und dabei wandte er sich an Grete. »Sie bringt man doch nun einmal mit diesem Blech in Verbindung, und wo man Sie vermutet, da vermutet man ihn.«

»Das läßt sich aber nicht ändern,« erwiderte Grete.

»Sie dürfen sich hier nicht sehen lassen.«

»Das könnte Frida so passen!«

»Wenigstens in der ersten Zeit nicht,« meinte Töns, und Frau Inge sagte:

»Für Frida übernehme ich die Verantwortung.«

»Das können Sie gar nicht,« erwiderte Grete.

»Denken Sie doch weiter!« sagte Frau Inge. »Nicht nur an den Augenblick! Wenn er nun morgen, was wir doch alle verhindern wollen, ergriffen und auf Jahre eingesperrt wird!«

»Ja doch, Grete!« sagte Willy.

»Dann habe ich ihn sicher – während hier …«

»Aber er! – An ihn denken Sie gar nicht?«

»Ich denk' schon an ihn. – Und er kommt ja auch mal wieder raus.«

»Aber die Jahre über!«

»Da sorg' ich schon. – Man kann viel machen.«

»Nee, Grete, da drin – das halt ich nicht aus – wo du doch weißt, wie ich für mein Leben gern boxe – und wenn ich dann alle Tage denke, ohne dich, da war' ich jetzt hier.«

Grete dachte nach und sagte:

»Ich sehe, das geht nicht.«

»Ich mache Ihnen einen Vorschlag,« sagte Töns. »Ich bringe Sie in München zum Film. Sie können mit Mr. Williams korrespondieren. Ich wache persönlich über seine Tugend.«

»Wie lange soll das dauern?« fragte Grete.

»Zunächst mal ein Jahr.«

»Sie sind verrückt! – höchstens einen Monat.«

»Einigen wir uns auf drei.«

»Gut! Ich bringe das Opfer! Aber wenn du nicht schreibst und tust, was ich will …«

»Aber Grete! – Du weißt doch!«

»Lümmel!« rief sie und küßte ihn auf den Mund. »Was tut man nicht alles aus Liebe.«

»Sie fahren noch heute. Steigen im Excelsior an der Bahn ab. – Ach so! einen Namen müssen Sie auch haben. Grete Gerson heißen Sie? – Sehr einfach Hete Hegera! – Das sind zwar etwas viel e's, aber es klingt. Wenn jemand was von Ihnen will, so berufen Sie sich auf mich – ich heiße Töns! Anton Töns! das genügt.«

»Und was tue ich im Excelsior?«

»Tags über gehen Sie in die Museen und abends ins Kino! Bis Sie von mir hören. Das wird sehr bald sein.«

»Was meinst du, Willy?«

»Na ja! Du hast doch immer gesagt, du paßt dazu – und ich glaube auch, daß du was hast.«

Töns griff in die Tasche und gab ihr Geld. Sie sah erstaunt die große Summe und fragte:

»Stimmt das?«

»Wenn's alle ist, telegraphieren Sie, und ich schicke mehr.«

»Aber hier wird man Sie vermissen,« sagte Frau Inge.

»Um so besser,« erwiderte Töns. »Dann ist sie mit ihm fort – und wird in London oder Newyork mit ihm verhaftet werden.«

Töns trieb Grete zum Gehen. Die trat an Willy heran und sagte:

»Also, Junge, ich red' nicht viel. So wird's gemacht und damit Schluß. Mach deine Sache hier gut. Vielleicht kommen wir doch noch mal auf den grünen Zweig.« – Sie schlang ihre Arme um ihn und küßte ihn auf den Mund. Dann wandte sie sich wieder zu Töns und fragte:

»Und meine Mutter? – Was wird aus der?«

»Für die sorgen wir. – Wir sagen ihr, Sie gehen auf Reisen.«

Grete gab Frau Inge und Töns die Hand, nickte Willy noch einmal zu und ging hinaus. Nur Frau Inge merkte, wie schwer ihr war. Sie folgte ihr auf den Flur und nahm ihre Hand. Grete war totenbleich und schluchzte laut. Frau Inge zog sie an sich.

»Sagen Sie ihm nichts,« bat Grete. »Man ist nun mal so!«

»Ich weiß,« erwiderte Frau Inge – »ich verstehe Sie.«

»Das dumme Leben!«

»Sie haben recht, es hat keinen Sinn.«

Grete drückte Frau Inges Hand, sagte noch einmal, als wenn sie Luft suchte:

»Der Junge!« und ging eilig die Treppe hinunter. –

Töns führte Willy in sein Zimmer, das neben seinem lag und nach dem Garten ging.

»So!« sagte er. »Hier wohnen Sie! Sie werden müde sein.«

»Gute Nacht!« erwiderte Willy, obschon es Morgen wurde und deckte das Bett auf.

Töns traf auf dem Flur mit Frau Inge zusammen:

»Nun, Baronin, sind Sie zufrieden? Ich fürchte, wir spielen ein gewagtes Spiel.«

»Es ist doch wenigstens mal etwas anderes! – Oder finden Sie nicht, daß auf die Dauer das Gleichmaß unseres Lebens unerträglich ist?«

»Ich für meine Person habe mich längst damit abgefunden. – Aber da Sie es sich wünschen, so bin ich bereit, es abwechslungsreicher zu gestalten.«

Sie gaben sich die Hand und sagten sich Gute Nacht.


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