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Sechstes Kapitel

Am nächsten Tage standen die Belohnungsanzeigen in sämtlichen Blättern. An demselben Tage erschien gegen elf Uhr vormittags Lola und berichtete heulend, sie habe ihr Portemonnaie aus sämisch Leder mit einem Platinring und einem Zwanzigfrankenstück, das sie als Talisman stets bei sich trage, verloren. Am nächsten Morgen rief die Kriminalpolizei Schöneberg an und wollte mich sprechen. An demselben Morgen erschienen ferner achtzehn Versicherungsbeamte, dreiundzwanzig Herren, die patentierte Sicherheitsschlösser, Alarmglocken, Klingelanlagen, Apparate mit selbsttätigen Schüssen, bissige Hunde, Fußangeln, Gittervorrichtungen, elektrische Signale, Blechschutz, Revolver, Totschläger, Gummiknüppel und Drahtverhaue anboten, vierzehn Gents aus verschiedenen Detekteien, die nach Zahlung eines beträchtlichen Vorschusses die gestohlenen Gegenstände innerhalb dreimal vierundzwanzig Stunden zurückzuschaffen versprachen, Hundehändler, Nachtwächter und ein Tierbändiger, dessen Löwen verhungert waren und der nun, statt mit wilden Tieren zu kämpfen, den Kampf gegen Einbrecher aufnehmen wollte. Stoßweise anonyme Schreiben kamen, in denen Einer immer den Andern verdächtigte und Briefe mit Rätseln, deren Lösung auf die Spur der Täter lenken sollte.

Wir, deren Leben bisher in ruhigem Gleichmaße dahinfloß, führten Arbeitsteilung ein, erkannten aber bereits um ein Uhr, als wir eine Mittagspause von zwanzig Minuten zur Einnahme der Mahlzeit machten, daß es über unsere Kraft ging. Verstimmender noch war der allgemeine Eindruck, daß von all den Dingen, die von acht Uhr an an uns herangetreten waren, auch nicht eins uns vorwärts gebracht hatte. Denn als Ergebnis, das vielleicht Schlüsse zuließ, blieb Lolas Geständnis, daß sie das Portemonnaie am Tage des Einbruchs noch besessen habe und es nur im Palais verloren haben könne. Wie es dann zwischen eins und vier vor unsere Haustür gekommen war, schien um so sonderbarer, als sie heilig schwor, mit niemand anderem als mit ihrer Freundin Sascha und deren Japaner zusammengesessen und um zwei Uhr von beiden nach Hause gefahren worden zu sein. Der Japaner und Sascha bestätigten es Etville telephonisch. Dies uns wichtig erscheinende Moment übermittelten wir sofort dem Kommissar, der daraufhin Lolas Vernehmung anordnete, die aber – wenigstens schien es so – resultatlos verlief.

Nicht belanglos schien ferner der Anruf des Schöneberger Kriminalbeamten. Frau Inge war am Apparat und gab sich als Frau des Hauses aus.

»Hören Sie!« rief jemand. »Ich kann Ihnen mitteilen, wo die bei Ihnen gestohlenen Gegenstände untergestellt sind.«

»Das ist ja herrlich!« erwiderte Frau Inge.

»Wann kann ich Sie sprechen?«

»Jederzeit natürlich. – Soll ich zu Ihnen kommen?«

»Ausgeschlossen!«

»Dann erwarte ich Sie.«

»Ausgeschlossen!«

»Wieso?«

»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«

»Ah!«, sagte Frau Inge und war überzeugt, einen der Einbrecher vor sich zu haben. »Ich verstehe! Also, wo wollen Sie mit mir zusammentreffen? – Aber ich sage Ihnen gleich, in eine menschenleere Gegend komme ich nicht. Wenn Sie mir die gestohlenen Sachen oder einen Teil davon zurückgeben, so sollen Sie die Belohnung haben, ohne daß ich Sie frage, wie Sie dazu kommen.«

»Hören Sie mal!« rief die Stimme am Telephon. »Ich werde doch zu Ihnen kommen. Aber spät abends.«

»Gut! Und ich sorge dafür, daß niemand Sie sieht.«

»Ich bin um halb zehn abends vor Ihrer Tür und gebe mit einer Pfeife ein Signal. Passen Sie auf.«

»Bestimmt? – Sonst komme ich lieber, wohin Sie wollen.«

»Nee, nee, ich komme schon.«

Und am Abend um neun Uhr dreißig torkelte ein Mann am Arme einer Frau die Straße entlang, blieb vor unserem Hause stehen, zeigte hinauf, wurde aber, als er die Pfeife hervorzog, um ein Signal zu geben, von der ihn begleitenden Frau daran gehindert. Die Frau machte Versuche, ihn von dem Hause fortzuziehen und schien eben damit Erfolg zu haben, als Frau Inge, die im Hausflur des Nebenhauses gestanden und den Vorgang beobachtet hatte, an die beiden herantrat, auf die Tür wies und sagte:

»Bitte! – Sie sind sehr pünktlich.«

Die Frau ging eilig davon, während der Mann, der angetrunken war, vor Inge die Treppe hinauf torkelte. Oben im Zimmer wies er sich durch eine braune Blechmarke, die ebenso eine Hundemarke sein konnte, als Kriminalbeamter aus und setzte sich Frau Inge, die eine Browning geschickt verbarg, gegenüber. Sie reichte ihm eine Zigarre, goß ihm und sich schweren Rheinwein ein und sprang ihm mit der Frage ins Gesicht:

»Sie kennen die Räume!«

Der Mann sah auf, betrachtete mit besonderer Liebe das Büfett, das seit zwanzig Stunden um Millionen leichter war, und sagte:

»Wieso? – Ich war hier noch nicht.«

»Also, wo sind die Sachen?« fragte Frau Inge.

»In der Nähe des Potsdamerplatzes.«

»Das ist ein weiter Begriff,« erwiderte sie. »Im übrigen waren sie da, bevor sie gestohlen wurden, auch.«

»Wo anders natürlich! – Und zwar bei einem Freunde von Ihnen.«

»Was?« rief Frau Inge.

»Sie sind doch Frau Doktor Lenz?«

Frau Inge erwiderte:

»Ja!« und wiederholte: »Bei einem Freund von mir?«

»Von Ihrem Mann.«

»Wer soll das sein?«

»Das werden Sie erfahren. – Ihr Mann geht doch jeden Abend in den Klub?«

»Nein!«

»Doch!«

»Nie in seinem Leben!«

»Ich weiß es aber.«

»Sie meinen den Baron Etville?«

»Dann wohnt hier noch wer?«

»Allerdings – mehrere noch.«

»Und die Autos gehören auch nicht Ihrem Manne?«

»Wollen Sie die etwa auch stehlen?«

»Also passen Sie auf: morgen früh um acht Uhr sind Sie Ecke Viktoria- und Tiergartenstraße. Wir gehen dann zusammen dahin, wo die Sachen hängen.«

»Wieso hängen? – Silbersachen hängt man doch nicht.«

»Also dann liegen die. – Uebrigens, da Sie von den Silbersachen reden: von den zwei Dutzend Fischbestecken …«

»Was ist damit?« fragte Frau Inge, und er fuhr vorwurfsvoll fort:

»War ein Dutzend nicht echt!«

Frau Inge entschuldigte sich, beteuerte aber, daß sie aus Perlmutt wären, und daß Perlmutt heute mehr wert sei als Silber, woraufhin der Mann sein Gesicht verzog und sagte:

»Das haben die Idioten in die Spree geschmissen.«

»Hätten Sie mich doch vorher gefragt,« sagte Frau Inge und verdutzte ihn damit so stark, daß er erwiderte:

»Sie hätten gewiß einen schönen Preis dafür bezahlt.«

»Na, ich bin schon froh, wenn wir die anderen Sachen bekommen,« sagte Frau Inge. »So sagen Sie schon, wo sind sie?«

»Ich war oben. Aber da können Sie nicht hin. Sie fallen auf. Eine krumme Hühnerstiege. Kontrollmädchen – aber bessere Sorte. – Es war so dunkel, daß ich mich an den Teppichen, die draußen standen, stieß. Sicher waren das Ihre Teppiche.«

»Auf der Treppe standen die?«

»Ja. – Und eine Frau, eine junge Jüdin, ein hübsches Weib – solche Augen! – aber frech! – frech, sage ich Ihnen! – die fragte mich, zu wem ich denn wolle. – Na, man is ja nich auf den Kopf gefallen – ›Zu Frau Meyer‹, sag' ich, ›was abgeben‹, da ich gerade ein Paket im Arm trug.«

Frau Inge goß ihm ein und fragte:

»Und was sagte sie?«

»›Quatsch, Meyer! Wer weiß, zu wem Sie wollen! Hier wohnt keine Meyer.‹ – Dann stieß mich von hinten irgendwer an – es war fast dunkel – na, und wie ich mich umsehe, schlägt das Weib grinsend die Tür hinter sich zu – und ich bin mein Paket los.«

»Waren Sie denn nüchtern?«

»So ganz wohl nicht. – Aber ich sage Ihnen, da stehen die Sachen!«

»Und woher wissen Sie das?«

»Jemand hat es mir gesagt. – Und Sie können mir glauben, es stimmt! Und morgen um acht, da haben Sie den ganzen Krepel!« – Er stand auf – »Und in den Klub geht Ihr Mann doch! – Aber ich will mir den Mund nicht verbrennen. – Heut muß jeder sehen, wo er bleibt. – Eine Zigarre nehm' ich mir noch.« – Frau Inge steckte ihm mehrere zu, aber er lehnte ab: »Alles, was sich gehört,« sagte er. »Immer in Grenzen.«

»Das hätten Sie sich heut nacht sagen sollen,« erwiderte Frau Inge und wies auf das Büfett, »und uns wenigstens ein halbes Dutzend von jeder Sorte lassen sollen.«

»Sie verlangen viel von den Ganoven,« sagte er und sah sich eigentlich erst jetzt Frau Inge so recht an.

»Aber wenn Sie in der Nacht herausgekommen wären – womöglich noch weniger an als jetzt, weiß Gott, der Affe soll mich lausen, wenn die Ganoven Ihnen nicht für ein paar gute Worte das Silber vor die Füße geworfen hätten und davongestürmt wären.«

»Was?« rief Frau Inge erstaunt, »das glauben Sie?«

Er nickte ein paarmal mit dem Kopf und sagte:

»Bestimmt! – Ich kenn' die Brüder.«

»Ja, weshalb denn?«

»Na – weil Sie eben so sind.«

»Wie bin ich denn?«

»Sie haben was. – Und Sie glauben gar nicht, wie die so sind – ich sage Ihnen, die reinen Kinder.«

»Diese Verbrecher?«

»Lassen Sie man, das verstehen Sie nich. – Also es bleibt dabei – acht Uhr. – Und gepfiffen wird nicht. Wir schaukeln das Kind ohne den Alexanderplatz.«

»Ich sage niemandem etwas.«

»Gemacht!« sagte er, gab Frau Inge die Hand und ging.

Frau Inge erzählte uns davon nichts. Sie wußte, wir würden sie mit diesem Menschen nicht allein lassen. Als sie am nächsten Morgen an dem Ort, wie vereinbart, war, kam niemand. Also, dachte sie, war der Besuch nichts weiter, als die bekannte Erscheinung, daß es die Verbrecher an den Ort der Tat zurücktreibt. Und sie überlegte, ob es nicht klüger gewesen wäre, den Mann verhaften zu lassen. Er hatte einen abstoßenden Eindruck auf sie gemacht, und sie verallgemeinerte den Typ und war überzeugt, daß alle Verbrecher ihm ähnlich wären. Daher fand sie es grotesk, wenn er von sich und seinesgleichen behauptete, sie seien die reinen Kinder und hätten bei ihrem Anblick die gestohlenen Sachen fortgeworfen. Sie war vielmehr überzeugt, daß man sie ohne Erbarmen niedergeschlagen hätte, wenn sie auf ein Geräusch hin aufgestanden und ihnen entgegengetreten wäre. Dennoch war sie sich klar, daß sie es getan hätte und es auch im Falle einer Wiederholung tun würde.

Aergerlich ging sie in die Villa zurück und hatte kaum ihre Sachen abgelegt, als der Kommissar sie zu sprechen wünschte.

»Frau Baronin, ich bitte um Ihren Besuch.«

»Etwas Neues?« fragte sie.

»Nichts von Bedeutung. Eine kleine Bescherung. Weihnachten steht vor der Tür. Da beschenkt sich, was sich gern hat.«

»Wie galant, Herr Kommissar!« erwiderte sie. »Auto oder Möbelwagen?«

»Handtasche, wenn ich bitten darf.«

»Ich fliege.«

»Meine Arme sind geöffnet.«

Frau Inge fuhr im Auto davon. – Der Kommissar empfing sie mit ausgesuchter Höflichkeit und führte sie in ein kleines Zimmer, in dem auf einem Tisch ein Frack, ein Smoking und ein paar durchbrochene silberne Gabeln und Löffel lagen.

»Die Beute des ersten Tages!« erklärte der Kommissar. »Nach der Besichtigung mache ich Sie nebenan mit den Herrschaften bekannt, die so freundlich waren, die Sachen vierundzwanzig Stunden lang in Verwahrung zu nehmen. Sie hatten natürlich keine Ahnung, daß sie gestohlen waren. Wie konnten sie auch! Wo man sie ihnen nachts gegen vier Uhr ins Haus brachte!«

Die Tür zum Nebenzimmer stand offen. Und die kleine, junge Frau, die an einem runden Tisch gegenüber einem Beamten saß, der sie vernahm, hörte, ebenso wie ihr Mann, ein schlanker, blasser Mensch mit intelligentem Ausdruck, die Worte des Kommissars, die ihnen galten.

»Wer ist die Frau?« fragte Frau Inge und betrachtete sie unauffällig. Der Beamte, der sie vernahm, fuhr sie gerade an.

»Sie lügen ja! Aber es nutzt Ihnen nichts.«

»Ich sage die Wahrheit,« rief sie wütend. Und die kleine Person wuchs auf ihrem Stuhl, auf dem sie eben noch winzig wie ein Kind wirkte, empor, traf den Beamten mit ihren großen schwarzen Augen und fuchtelte mit ihren kleinen Händen vor seinem Gesichte herum, daß der sie erstaunt ansah und erwiderte:

»Sie bringen mich doch nicht aus meiner Ruhe.«

Und ihr Mann, der etwas abseits stand und den Verzweifelten spielte, rief ihr zu:

»Sag' die Wahrheit, Muckelchen! Du bist ja unschuldig! Schone mich nicht!«

»Ich habe geschlafen,« sagte die Frau, »und weiß von nichts.«

»Sie haben doch eben erklärt, daß Sie die Sachen mit fortgeschleppt haben.«

»Doch nicht aus dem Tiergarten. – Ich gehe doch nachts nicht spazieren!«

»Von wo denn?«

»Von zu Haus.«

»Wie kamen sie denn dahin?«

»Das weiß ich nicht. – Ich habe geschlafen.«

»So ein Unglück!« stöhnte der Mann, und Frau Inge hatte den Eindruck, daß die Worte ihr und dem Kommissar galten. »Millionen verdiene ich in der Woche! Da muß man in solchen Schmutz verwickelt werden! Und noch dazu mein kleines Frauchen!«

»Darf man mit den Leuten reden?« fragte Frau Inge den Kommissar.

»Selbstredend!« erwiderte der und rief den Mann.

»Ist das nicht furchtbar?« sagte er, indem er herantrat. »Das muß mir passieren.«

»Wer sind Sie denn?« fragte Frau Inge.

»Sie sind in medizinischen Dingen nicht zu Hause,« erwiderte der. »Sonst wüßten Sie, wer ich bin. Alexander Zylinsky ist mein Name. Ich bin der größte Anatom beider Welten.«

»Na, na,« meinte der Kommissar. »Nehmen Sie den Mund man nicht so voll.«

»Nennen Sie einen, der größer ist,« erwiderte Alexander, »und ich zahle Ihnen tausend Dollars.«

»So viel verdiene ich nicht in zehn Jahren,« sagte der.

Frau Inges Phantasie machte Sprünge.

»Jetzt begreife ich!« sagte sie. »Wie interessant! Sie sezieren Leichen.«

»Nur die Schädel! Ich lege die feinsten Nerven bloß.«

»Und Sie kaufen hier die Schädel von Verbrechern, die in den Zuchthäusern sterben oder gar hingerichtet werden.«

»Ich … ich …«, verschlug es ihm die Rede, aber der Kommissar erwiderte:

»Vorläufig begnügt er sich mit den Pelzen, Cuts und Beinkleidern von Lebenden. Aber er gibt nicht gern Geld dafür aus.«

»Herr Kommissar!« widersprach Alexander, der katholisch war und seinen Namen nach einem Papste trug. »Ich lade Sie in mein Atelier.«

»Zunächst werden Sie einmal unsere Gastfreundschaft in Anspruch nehmen müssen,« erwiderte der Kommissar.

»Ich gebe ja zu, ich bin durch meine Gutmütigkeit in eine Situation gekommen …«

In diesem Augenblick schlug die kleine Frau so stark auf den Tisch, daß sich alle nach ihr umsahen. Sie brüllte:

»Zum Donnerwetter! Dann sage ich überhaupt nichts mehr!«

»Was ist denn?« fragte der Kommissar, und der sie vernehmende Beamte erwiderte:

»Sie lügt so dumm!«

»Erlauben Sie mal!« widersprach jetzt Alexander. »Erstens ist meine Frau aus guter Familie und lügt überhaupt nicht. Und dann rate ich Ihnen, sie nicht so anzuschreien, denn sonst lügt sie bestimmt. Und wenn sie erst anfängt zu lügen, dann findet sich kein Mensch mehr heraus.«

»Das ist ja fabelhaft!« rief Frau Inge und wandte sich an den Tisch, an dem der Beamte mit Alexanders Frau saß. Die hatte jetzt einen roten Kopf und zerknautschte in ihrer Wut irgendein Polizeibuch, das vor ihr lag.

»Arme, kleine Frau!« sagte Frau Inge.

»Bedauern Sie lieber mich!« erwiderte der Beamte, und der Kommissar fragte:

»Was erzählt sie denn?«

»Sie sei gestern früh gegen neun Uhr wie gewöhnlich aufgestanden und habe ihren Wohnraum, der nur durch eine Gardine von ihrem Schlafzimmer getrennt ist, voll von Pelzen, Mänteln, Anzügen, Silber und Teppichen gefunden.«

»So möchte ich auch mal aufwachen!« sagte der Kommissar, und zu der kleinen Frau gewandt, fuhr er fort: »Sie haben an dieser Bereicherung Ihrer Räume aber keinen Anstoß genommen, nicht wahr?«

»Natürlich! Man konnte sich ja gar nicht bewegen.«

»Was haben Sie also getan?«

»Ein paar Sachen zur Seite geschoben, da ich doch in die Küche mußte, um Tee zu machen.«

»Sonst aber fanden Sie nichts Auffälliges daran?«

»Ich wunderte mich.«

»Und wie haben Sie dieser Verwunderung Ausdruck gegeben?«

»Ich habe zu meinem Mann gesagt, daß die Sachen in der kleinen Stube nicht bleiben können.«

»Und er?«

»Alexander meinte, wenn sie stören, so sollten wir sie zu meiner Mutter schaffen.«

»Die hat mehr Platz?«

»Erlauben Sie mal,« erklärte Alexander. »Meine Schwiegermutter hat eine Sechszimmerwohnung.«

»Na, und die hat sich dann sehr mit den Sachen gefreut.«

»Das weiß ich nicht.«

»Der Gedanke, Ihren Mann zu fragen, woher all die schönen Sachen über Nacht gekommen sind, kam Ihnen natürlich gar nicht?«

»Ich war noch verschlafen.«

»Aber, Muckelchen,« sprang ihr jetzt der Mann bei. »Sag doch die Wahrheit und schone mich nicht!« – Aber man sah Muckelchen an, daß es nicht recht wußte, was es sagen sollte. Der Mann fuhr fort: »Deine erste Frage war doch: ›Was ist denn das? Wo kommt denn das her?‹«

Muckelchen dachte nach oder es tat doch so und sagte:

»Richtig! Jetzt entsinn' ich mich! Ich war ja so müde. Aber als ich an den Teppich stieß und mir eine Brüsche rannte« – sie wies auf ihre Stirn – »man muß sie noch sehen« – man sah natürlich nichts – »da schrie ich auf und fragte meinen Mann wütend: ›Was ist denn das schon wieder?‹«

»Schon wieder hast du nicht gesagt,« verbesserte Alexander, »aber sonst stimmt's.«

»Und was hat Ihr Mann darauf geantwortet?«

»Ich bin grob geworden,« erwiderte Alexander, aber der Beamte fuhr ihm über den Mund und sagte:

»Ihre Frau soll antworten – Also?«

Die erwiderte: »Er brüllte! – Er brüllt überhaupt meistens. Er ist nicht normal! Verlassen Sie sich darauf. Wie oft habe ich ihm schon gesagt, er soll zu einem Nervenarzt gehen und sich untersuchen lassen.«

»Was er Ihnen erwidert hat?« fragte der Beamte.

»Das wäre seine Sache und ginge mich nichts an.«

»Und damit haben Sie sich zufrieden gegeben,« fragte der Kommissar. »Ein Anatom, der über Nacht plötzlich ein Warenlager bei sich aufstapelt.«

»Ich sagte doch schon, er ist verrückt! – Ich wundre mich längst über nichts mehr.«

»Gut! Aber was nahmen Sie an, woher die Sachen stammen.«

»Ich habe mich schon so oft geirrt, daß ich mir darüber längst nicht mehr den Kopf zerbreche.«

»Derartige Morgenüberraschungen sind bei Ihnen also an der Tagesordnung?«

Die kleine Frau erschrak und sagte:

»Aber nein! Ich meine ganz andere Dinge.«

»Was für welche?«

Sie schlug die Augen nieder und schüttelte den Kopf.

»Die spielen sich nicht im Wohnzimmer ab.«

»Sie ist Ihnen über,« flüsterte Frau Inge dem Kommissar zu und wandte sich an Alexander:

»Wie kamen denn nun Sie zu den Sachen?«

»Das ist ja mein Unglück!« erwiderte er. »Ich komme nicht los von ihm! Er ruiniert mich! Dieser Mensch!«

»Wer?« fragte Frau Inge.

»Na, Willy!«

»Wer ist das?«

»Sie wissen nicht, wer Willy ist?« fragte er erstaunt und sah den Kommissar an, da er annahm, daß Frau Inge sich einen Scherz mit ihm mache.

»Das ist die Dame aus der Tiergartenvilla,« sagte der Kommissar, und Alexander tat sofort, als wenn er eine alte Bekannte vor sich hätte.

»Was sagen Sie dazu, daß Sie Ihre Sachen wieder haben?« fragte er lebhaft. »Das haben Sie niemand anders als mir zu verdanken. Wenn es nach Willy gegangen wäre, kein Stück wäre mehr da! Herrlich, der dunkle Pelz! Ich habe ihn übergezogen! Natürlich nur so aus Spaß. Ich vergreife mich nicht an fremdem Eigentum. Ich besitze selbst einen Pelz. Und mein Smoking ist moderner als der da!« – Dabei wies er in das Nebenzimmer, in dem die Sachen lagen.

»Aber Sie wußten doch, daß die Sachen gestohlen waren.«

»Vielleicht – vielleicht auch nicht. Ich kann dem Willy nichts abschlagen.«

»Wer ist denn nun wirklich Willy?« fragte Frau Inge.

»Wenn Sie den sehen,« erwiderte Alexander, und der müde Ausdruck seines Gesichts belebte sich – »dann verstehen Sie alles.«

»Ein Freund von Ihnen?« fragte Frau Inge.

»Aber nein!« wehrte er ab. »Willy ist – ja, wie soll ich sagen?«

»Sagen Sie ruhig, ein gewerbsmäßiger Einbrecher,« meinte der Kommissar.

»Vom Standpunkt des Künstlers aus,« fuhr Alexander fort, »ein Phänomen. Sie müssen ihn nackt sehen!« – Frau Inge mußte lächeln. – »Allein die Muskulatur der Arme ist ein Meisterwerk.«

»Was ist er denn wirklich?« fragte Frau Inge. »Oder, was war er, ehe er Einbrecher wurde?«

»Boxer!«

»Wie gräßlich!« sagte Frau Inge. »Also Typ Schlächter.«

»Nein! nein!« widersprach Alexander. »Er hat zwar Riesenkräfte – aber er ist weich wie ein Kind. Und wenn er heute nacht wiederkommt …«

»Dann wird er Sie vermutlich nicht zu Hause antreffen,« sagte der Kommissar.

»Sie wollen mich doch nicht etwa hierbehalten?« fragte er entsetzt, und der Beamte erwiderte:

»Gewiß doch!«

»Mein Geschäft! Meine Kunden! Mein Ruf!« jammerte Alexander.

»Das hätten Sie sich früher überlegen sollen!«

Die kleine Frau war aufgesprungen und ihrem Mann um den Hals gefallen. Sie streichelte ihn und sagte schluchzend:

»Armer Alexander! Nun mußt du für deine Gutmütigkeit auch noch büßen!«

»Mein Muckelchen!« erwiderte er zärtlich. »Hätte ich doch auf dich gehört!«

»Sie werden dir nichts tun! Sie können dir nichts tun!«

»Wenn sie nur dich in Ruhe lassen.«

»Einer muß doch im Hause sein,« erwiderte sie. »Schon der Präparate wegen.«

»Das wird sich leider nicht ermöglichen lassen,« meinte der Kommissar.

»Was?« rief Alexander. »Meine Frau soll auch …?«

Sie schluchzte jetzt zum Herzzerbrechen und sah mit ihren großen Tränenaugen den Kommissar flehend an.

»Bis alles geklärt ist und die Einbrecher gefaßt sind, muß ich Sie hierbehalten.«

»Wir haben doch alles gestanden und herausgegeben,« beteuerte Alexander.

»Nicht den hundertsten Teil! Pelze, Anzüge, sämtliche Teppiche und das ganze Silber fehlt noch.«

»Danach müssen Sie Willy fragen.«

»Sie haben im Polizeigefängnis Zeit, darüber nachzudenken,« sagte der Kommissar, gab Frau Inge ein Zeichen und ging mit ihr hinaus.

Frau Inge war stark beeindruckt und sagte:

»Die Beiden tun mir leid!«

»Aber! aber!« erwiderte der Kommissar.

»Wie gut sie aussehen!«

»Der Mann ist einer der tüchtigsten Präparatoren, die wir haben, und hat einen Ruf nach Amerika ausgeschlagen.«

»Und nebenbei ein Hehler?«

»Dunkle Zusammenhänge!« erwiderte er, »die wir aufklären werden. Er präpariert für unsere ersten Anatomen, für medizinische Museen und Universitäten Menschenschädel – scheint im übrigen aber mit verbrecherischen Instinkten behaftet zu sein. Klar ist mir's noch nicht. Aber wir kommen dahinter.«

»Und wie sind Sie auf ihn gekommen?«

»Oh! wir wissen weit mehr! Wir haben außer ihnen die Namen der beiden Einbrecher und ihrer Geliebten. Ich denke, wir werden sie heute noch festsetzen.«

»Und wie war das möglich?«

»Wie ich Ihnen vorgestern nacht sagte! Durch die Belohnung! Draußen steht eine Frau oder Dame – man weiß nicht recht – die hat die ganze Gesellschaft verraten.«

»Und woher weiß die?«

»Das sagt sie nicht. Sie verrät auch nicht, wer sie ist.«

»Sonderbar!« meinte Frau Inge, aber der Kommissar erklärte:

»Alltäglich!«

»Es muß für Sie doch hochinteressant sein.«

»Ist es auch! – Sonst hätte ich längst einen anderen Beruf ergriffen. Denn man muß schon leidenschaftlich bei der Sache sein, sonst stößt man sich an dem geringen Einkommen.«

»Wer, glauben Sie, ist die Frau, die es verraten hat?«

»Haben Sie Lust, sich als Kriminalistin zu betätigen?«

»Schrecklich gern!«

»So überlasse ich die Frau Ihnen. Sie steht draußen.« – Frau Inge ging zur Tür. »Und ich kann weiter über Sie verfügen?« fragte der Kommissar.

»Wenn Sie glauben, daß ich der Sache nützen kann.«

»Ich bin überzeugt davon.«

»Dann bitte!«

Auf dem Flur fand Frau Inge eine Frau von etwa dreißig Jahren, mit der sie nicht recht etwas anzufangen wußte. Sie sah solide aus, hatte ein offenes Wesen, war energisch, schien aber hinter diesen Eigenschaften eine zweite Natur zu verbergen, über die sich Frau Inge gern Aufschluß verschafft hätte. Der Eifer, mit dem sie über die Verbrecher herfiel, schien echt, aber es machte den Eindruck, als wenn sie diesen Kreisen nicht ganz fremd gegenüberstand. Sie hatte einen Zettel in der Hand, auf dem die Namen der beiden Einbrecher, des bereits verhafteten Hehlerpaares und zweier Kontrollmädchen, die die Geliebten der Einbrecher waren, und soweit sie eine feste Wohnung hatten, auch deren Adressen standen. Darüber hinaus erklärte sie:

»Dieser Willy ist Boxer, umgänglich und nur gemeingefährlich, wenn er gereizt wird. Der Andere, Franz Bretz, ist der Gescheitere, geht aber über Leichen. Beide sind mehr als ein dutzendmal vorbestraft. Willy ist verheiratet und hat zwei Kinder, hält sich aber meist bei seiner Geliebten, Grete Gerson, auf. Eine gefährliche Person, die aber so klug ist, daß man ihr nicht beikommen kann. Franz' Braut steht ebenfalls unter Kontrolle und heißt Frida Hösch. Während die Gerson den Willy beherrscht, ist die Hösch ein Werkzeug von Franz, der sie schwer mißhandelt. Wie Zylinskys in die Gesellschaft kommen, weiß ich nicht. Die sechs stecken aber zusammen und verkehren in bekannten Verbrecherlokalen.« – Sie nannte die Namen.

Frau Inge, die Mühe hatte, sich in diese ihr neue Welt hineinzufinden, fragte so nebenbei:

»Und wovon leben die alle?«

Die Frau lachte und sagte:

»Teils – teils. Wenn die Männer fleißig sind, von Einbrüchen, wenn die Mädel fleißig sind, von der Liebe.«

»Furchtbar ist das!«

»Sie finden es ganz natürlich.«

»Natürlich? – Ja, dann müssen sie doch die Gesetze als etwas Ungerechtes empfinden.«

»Das tun sie wohl auch. Freilich, ohne darüber nachzudenken.«

»Gefühlsmäßig also? – Ich verstehe das.«

»Es ist eben nicht jeder unter einem seidenen Betthimmel geboren.«

»Sie verteidigen die Leute?«

»Würde ich sie dann anzeigen?«

»Das geschieht doch wohl mehr der Belohnung wegen.«

»Nein! nur zum Teil! In erster Linie aus Haß.«

»Wen hassen Sie?«

»Das Gesindel! – das weibliche vor allem, das viel schlimmer ist …«

»Und wie kommen Sie zu den Leuten?«

»Darüber möchte ich mich nicht äußern.«

»Aber Sie kennen sie alle?«

So ziemlich.«

Frau Inge sah nach der Uhr und sagte:

»Ich muß zu Tisch. Wollen Sie mir nicht Gesellschaft leisten?«

Die Frau verlor nicht einen Augenblick ihre Fassung und sagte:

»Gern.«

Zehn Minuten später saßen sie in Mitschers Weinstuben, und Frau Inge fragte:

»Wissen Sie auch, wer der Kerl ist, der gestern abend bei mir war?«

»Ja!«

»Franz oder Willy?«

»Keiner von beiden.«

»Und die Frau, die ihn hinbrachte, waren Sie!«

»Nein!«

»Doch!«

»Ich gebe es zu! Aber wie konnten Sie das durch den Schleier erkennen?«

»Ihre Bewegungen verraten Sie.«

»Es war mein Mann.«

»Nicht möglich! Was hat der mit der Sache zu tun?«

»Nichts! Ich habe ihn hinaufgehetzt.«

»Sie haben doch noch an der Tür versucht, ihn zurückzuhalten.«

»Ich hatte Reue. – Aber da ich die Ganoven meinem Manne einmal verpfiffen und ihn auf die Belohnung scharf gemacht hatte, so ließ er sich nicht zurückhalten.«

»Was ist Ihr Mann?«

Sie zögerte und lehnte ab, es zu sagen.

» Sie gefallen mir besser,« sagte Frau Inge.

»Er war nicht nüchtern. Er wird es noch so weit treiben, daß er seine Stellung verliert.«

»Kriminalbeamter also.«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Ich weiß nicht. Ich habe es im Gefühl.«

»Da Sie es erraten: ja!«

»Ich muß gestehen, ich habe ihn für einen der Einbrecher gehalten.«

Mehr war aus der Frau auch nach der zweiten Flasche Wein nicht herauszubekommen. Nur fiel Frau Inge auf, daß sie immer von der Geliebten des Boxer-Willy, der Prostituierten Grete Gerson, sprach:

»Sehen Sie sich das Mädchen mal an! Sicher sitzt sie jetzt auf dem Alexanderplatz und wird vernommen.«

Frau Inge setzte sich telephonisch mit Fräulein Fleck in Verbindung, um durch ihre Abwesenheit notwendig gewordene Anordnungen zu geben. Dann bat sie Peter Lenz an den Apparat, dem sie von ihren Erlebnissen, vor allem von der Wiederbeschaffung eines Teils der Sachen berichtete. Peter gab den Bericht an seine gerade bei Tisch sitzenden Freunde weiter, die darauf einstimmig erwidern ließen:

Die Wiederbeschaffung der Sachen könne den durch ihre Abwesenheit bei Tisch entstandenen ideellen Verlust nicht ausgleichen. Sie werde daher aufgefordert, so schnell wie möglich zu ihren Schutzbefohlenen zurückzukehren. – Sie lehnte es ab mit der Begründung, daß sie unbedingt der Vernehmung der Prostituierten Grete Gerson beiwohnen müsse.

»Wer ist denn das?« fragte Peter entsetzt, und sie erwiderte erheitert:

»Das wissen Sie nicht? Die Geliebte des Boxer-Willy?«

»Was?« rief Peter entsetzt. »Ist das Ihr neuer Umgang, Baronin?«, worauf sie erwiderte:

»Noch nicht! aber er kann es werden.«

»Mahlzeit!« sagte Peter und wischte sich mit der Serviette, die er noch in der Hand hielt, den Mund ab. Und an den Tisch zurückgekehrt, erzählte er seinen Freunden:

»Die Baronin zieht die Gesellschaft einer Dirne und eines Preisboxers unserer Gesellschaft vor.«

Alle waren belustigt, nur Karl Theodor Timm sagte ernst:

»Da habt ihr's! – Ihr werdet mit dieser Frau noch euer Wunder erleben.«

»Wenn wir es nur erlebten!« dachte ein jeder und legte sich Timms Worte nach seinem Geschmack und seinen Wünschen aus. –

Inzwischen war Frau Inge nach dem Alexanderplatz zurückgekehrt – gerade, als der Kommissar die Prostituierte Grete Gerson vernahm.

»Unmöglich!« sagte Frau Inge, als der Kriminalwachtmeister ihr die Personalien gab. »Die sieht ja reizend aus.«

»Aussehen schon,« erwiderte der. »Aber die hat's hinter den Ohren.«

Schlank, ein schmales, feines Gesicht, kluge, lebhafte Augen, gut gebaut, mit Geschmack und durchaus dezent gekleidet, konnte dies Mädchen, das kaum über zwanzig war, ebensogut eine höhere Tochter sein. Das feinste an ihr waren die schmalen, schlanken Hände, von denen, wer den feinen Sinn hatte, ablesen konnte, was der Mund verschwieg. Um diesen Mund trat dann und wann ein scharfer Zug, der mit einem Male nicht nur das Gesicht, sondern den ganzen Menschen veränderte. Nicht, daß sie dann ordinär wirkte; vielmehr war es Niedertracht und Heimtücke, die einem Angst macht und ein Gefühl erregt, ähnlich dem, das einen befällt, wenn man aus einer schönen Landschaft tritt und plötzlich vor einem jähen Abgrund steht.

Der Kommissar begann gerade die Vernehmung. Sie hatte ihren Namen genannt und er fragte nach ihrem Beruf.

»Kontrollmädchen,« antwortete sie, und es klang fast widersinnig, wenn man sie dabei ansah.

»Sie sind die Geliebte Willy Blechs?«

»Wieso Geliebte?«

»Nun, Sie gehen doch mit ihm. – Sie sind sogar schon vor seiner letzten zweijährigen Strafe, die er erst vor acht Wochen abgebüßt hat, mit ihm gegangen.«

»Warum nicht? – Wir haben uns lieb.«

»Dabei wissen Sie, daß er ein Verbrecher ist.«

»Das geht mich nichts an. – Danach frag' ich ihn nicht.«

»Schlägt er Sie?«

»Willy mich?« Sie lachte ehrlich. – »Der tut keinem Hund was.«

»Und was hat er Ihnen aus dem Erlös seines letzten Einbruches im Tiergarten abgegeben.«

»Davon weiß ich nichts.«

»Sie sind nicht beteiligt?«

»Wie komme ich dazu? – Ich habe mein gutgehendes Geschäft.«

Frau Inge stutzte, und der Kommissar, der es sah, lächelte und fragte:

»In welcher Gegend gehen Sie?«

»Joachimsthalerstraße, Kantstraße und Kurfürstendamm.«

»Nachts oder am Tage?«

»Von acht Uhr abends an.«

»Und es ernährt Sie?«

»Was glauben Sie? – Ueberhaupt jetzt bei den vielen Ausländern!«

»Sie gehen ja auch gut gekleidet.«

»Das muß man in der Gegend. – Was glauben Sie, was mich der Hut kostet? – Dabei habe ich meine Mutter und kleine Schwester mit zu ernähren. Meinen Mann bin ich glücklich los.«

»Sie sind verheiratet?«

»Leider! Aber das Aas hat mich Tag und Nacht auf die Straße gejagt und wenn ich nicht genug verdiente, halbtot geprügelt. – Bis Willy kam und mich schützte – na, da hat er's denn mit der Angst bekommen und ist getürmt. Er soll sich ja nicht mehr sehen lassen.«

»Und nun gehen Sie für Willy?«

»Wie denn? – Daß ich dem Geld gebe? – ausgeschlossen! Da kennen Sie Willy nicht! Der schlägt eher jemand tot, ehe er von mir Geld nimmt.«

»Und Sie von ihm?«

»Das glauben Sie doch selbst nicht, Herr Kommissar! Von einem Mann, den man liebt, Geld nehmen? – Pfui!« rief sie verächtlich – »da müßte man sich ja schämen!«

»Aber von seinen Einbrüchen, da wird er Ihnen doch hin und wieder etwas abgeben?«

»Ich kümmere mich nicht um seine Geschäfte! So wenig er sich um meine kümmert. Einmal, vor zwei Jahren, als er ins Zuchthaus kam, hat er mir achtzigtausend Mark zur Aufbewahrung gegeben.«

»Das war viel Geld damals.«

»War es auch! Und mir ist es dreckig genug gegangen. Dreimal war ich krank. Aber an das Geld hab' ich nicht gerührt. – Ich werd' mich doch an Willy sein Eigentum nicht vergreifen.«

»Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?«

Sie schwieg.

»Also gestern,« sagte der Kommissar.

»Sie können von mir doch nicht verlangen, daß ich Willy verrate,« erwiderte sie, da sie fühlte, daß der Kommissar sie aufs Glatteis führte.

»Sehen Sie mal, Sie machen doch einen so vernünftigen Eindruck. Ich kann mir gar nicht denken, daß Sie seinen Lebenswandel billigen. – Sie sollten ihn doch zur Arbeit anhalten.«

»Tu' ich ja! Was glauben Sie, was ich rede. Und er hört ja auch auf mich. Aber Sie glauben gar nicht, wie schwach er ist. Da braucht nur Franz oder sonst einer zu kommen – da geht er auch schon mit.«

»Sie meinen also, daß Franz ihn diesmal verführt hat?«

»Wieso? – Das meint' ich nur so im ganzen.«

»Also jedenfalls: heut nacht war Willy bei Ihnen.« – Sie schwieg. – »Ich sage Ihnen gleich: ich behalte Sie so lange hier, bis wir ihn haben.«

»Was hab' ich denn damit zu tun? – Ich bin doch nicht sein Kindermädchen! – Ich habe ixmal zu ihm gesagt: ›Willy, laß den Quatsch, laß den Franz laufen, du fliegst nur rein! Mein Geschäft geht gut und ernährt uns beide.‹«

»Na und? – Er wollte nicht?«

»'n Stoß vor'n Bauch hat er mir gegeben, daß ich an die Wand flog. Das einzige Mal in vier Jahren, daß er mich geschlagen hat – ich fühle es heut noch. Dann hat er mir ins Gesicht gespuckt und gebrüllt: ›Hure!‹ – seinen Schal, den ich ihm geschenkt hatte, abgerissen und ihn mir mit Gewalt in den Mund gestopft. – ›Sticken sollst du,‹ hat er gebrüllt, und ich wäre erstickt, wenn seine Frau nicht dazugekommen wäre und ihn zurückgerissen hätte. Das heißt, seine beiden Jungen – denn der Frau hat er einen Stoß versetzt, daß sie gegen den Ofen flog und in die Klinik kam. – So hat er sich aufgeregt!«

»Und Sie haben trotzdem weiter zu ihm gehalten?«

»Grade! Da hab' ich doch gesehen, was für'n Kerl er ist! Der läßt sich von keinem Weib ernähren –von einer, die er liebt, schon gar nicht! – 's mag ja dumm sein – Alle Andern tun's und halten doch zusammen – aber ich muß sagen: Die Prügel trag' ich ihm nicht nach. Im Gegenteil!«

»Wie stehen Sie denn mit seiner Frau?«

»Schlecht! – Die quält ihn.«

»Ihretwegen vermutlich.«

»Ja! Eifersüchtig ist sie auch. – Aber auch sonst. Gott, er is nu mal wie er ist. Einer ist nicht wie der Andre. Aber das versteht sie nicht. Dazu ist sie zu dumm. Na, da kommt er eben lieber zu mir. Ich frag' nicht viel. Wir sind zusammen und fertig.«

»Und die Jungens?«

»Das ist es ja! An denen hängt er. Vor allem an dem Kleinen. Den müßten Sie sehen! Vier Jahre, aber aus sieht er wie sechs! Der wird mal wie der Vater! Ein Prachtjunge! Ohne die Jungens wäre er schon längst weg von der Frau! Gott, sie is ja ordentlich und arbeitet und ernährt die Kinder. Aber 'n Mann wie Willy will eben was Anderes!«

»Wohnt er nicht zu Haus?«

»Ich sag' doch, die Frau quält ihn. Dabei hat er sie und die Jungens jetzt von oben bis unten neu eingekleidet. Die müßten Sie sehen! Vor allem den Kleinen! Ganz goldig!«

»Versucht die Frau denn nicht, ihn von Ihnen zurückzuholen?«

»Das hat sie wohl aufgegeben.«

»Sie duldet also ruhig, daß er bei Ihnen wohnt?«

»Was soll sie machen?«

»Wann ist er heut nacht nach Haus gekommen?«

»Um vier.«

»Er hat Ihre Schlüssel?«

»Ja.« – Sie stutzte, fuhr sich an den Kopf, sprang auf, veränderte sich, ballte die Faust, spuckte aus und rief:

»Pfui! Herr Kommissar! Das ist gemein!«

Der Kommissar lächelte und sagte:

»Warum regen Sie sich auf. Je eher wir ihn haben, um so schneller haben Sie ihn zurück!«

»Ich habe gelogen!« rief sie und lachte laut und niederträchtig. »Kein Wort von allem war wahr.«

»Aber Sie haben doch sehr nett von ihm gesprochen. Ich bin überzeugt, wenn Sie dasselbe den Richtern vortragen, daß sie das menschlich berühren und milde stimmen wird.«

»Er ist nicht bei mir! Ich habe ihn seit acht Tagen nicht mehr gesehen. – Er wollte nach Polen zu seinem Bruder. Ich kann Ihnen sogar verraten, daß er sich einen falschen Paß verschafft hat. – Sie sehen, ich schone ihn nicht. – Er ist längst über die Grenze. Da« – sie suchte in der Tasche – »wo habe ich nur die Karte? – Aber Sie dürfen ihn nicht verfolgen – das müssen Sie mir versprechen.«

Der Kommissar hatte auf einen Knopf gedrückt, worauf zwei junge Beamte ins Zimmer traten.

»Liebe Frau Gerson,« unterbrach er ihre Rede. »Das ist ja alles sehr schön und klingt sehr glaubhaft. Auf alle Fälle aber geben Sie mir mal Ihre Schlüssel.«

»Meine Schlüssel? Wozu?«

»Also bitte!«

Sie nahm die Tasche an sich und sagte: »Nein!«

»Sie wollen doch nicht, daß ich Gewalt anwende.«

»Ich habe mit der Sache nichts zu tun.«

»Möglich! Ich glaube es sogar. – Trotzdem müssen wir unsere Maßnahmen treffen.«

»Was haben meine Schlüssel mit dem Einbruch zu tun?«

»Das werden Sie gleich sehen. – Also bitte! wir haben mehr zu tun!«

»Ich geb' sie nicht!«

Sie sah sich im Zimmer um, nahm die Schlüssel heraus, hielt sie fest.

»Sie ändern doch nichts,« sagte der Kommissar, nahm ihr die Schlüssel ab, gab sie einem der beiden Beamten und sagte:

»Sie gehen jetzt zu dritt in die Wohnung und bleiben bis morgen früh, das heißt, bis Blech kommt, verhaften ihn und bringen ihn her.«

»Ich gehe nicht mit!« erklärte die Gerson.

»Dann bleiben Sie hier.«

»Im Polizeigefängnis? Eher sterb' ich!«

»Sie kennen es?«

»Einmal hab' ich da vierundzwanzig Stunden lang, auch wegen Willy, gesessen. Eher ins Zuchthaus, als daß ich mich von den Wanzen noch mal zerbeißen lasse.«

»Also gehen Sie mit?«

»Ja!« – Dabei verzog sie ihren Mund zu einem Lächeln, daß der Kommissar stutzig wurde und sagte:

»Ach so! das geht natürlich nicht! – Wenn Sie drei zusammen in das Haus oder auch nur die Straße entlang gehen, das fällt auf, wird verpfiffen, und Willy türmt. – Also, ein Beamter geht unauffällig mit den Schlüsseln voraus. – Eine Viertelstunde später folgt Frau Gerson, unmittelbar hinter ihr der zweite Beamte, der aber nicht in das Haus geht, sondern, ohne sich umzusehen, als wenn er gar nichts mit ihr zu tun hat, weitergeht. Auf Umwegen kehrt der zweite Beamte dann in das Haus zurück und fragt, falls da irgendwer herumsteht, nach jemand, der im selben Quergebäude wohnt. Informieren Sie sich im Adreßbuch.«

»Wenn die Gerson nun aber nicht hineingeht?«

»Dann nehmen Sie sie fest, und sie leistet den Wanzen solange Gesellschaft, bis wir Willy haben.«

Die Gerson und die beiden Beamten verließen das Zimmer. Der Kommissar wandte sich an Frau Inge, die in tiefen Gedanken saß.

»Interessant, was?« sagte er.

»Furchtbar ist das!« erwiderte sie. – »Diese armen Menschen!«

»Nanu? Sind Sie etwa auch von dem Humanitätsdusel befallen?«

»Das nicht! – Aber wenn man sich in diese Welt versetzt ...!«

»Davon rate ich Ihnen ab! Sonst erkennen Sie am Ende, daß Sie und wir alle nicht viel besser sind als die.«

»Das ist ja das Furchtbare!«

»Dämmert Ihnen etwa diese Erkenntnis schon?«

»Wie ertragen Sie das?«

»Ich habe mich mit einem Panzer umgeben, an dem alles Gefühlsmäßige abprallt.«

»Wenn Sie das fertigbringen!«

»Man kann, was man will.«

»Ich könnte es nicht.«

»Dann bedenken Sie, Baronin, wie viele Menschen gerade durch Sie gezwungen werden, Selbstzucht und Selbstbeherrschung zu üben.«

»Sie haben eine sehr nette Art, Komplimente zu machen,« sagte Frau Inge.

»Dennoch fürchte ich, daß dieser Willy Sie mehr interessiert als ich.«

»Offengestanden: ja!«

»Dann darf ich Sie also morgen früh wieder erwarten?«

»Sie glauben, daß Sie ihn bekommen?«

»Ich bin überzeugt davon.«

In diesem Augenblick erschien der jüngere der beiden Beamten, die zur Festnahme Willys bestimmt waren, wieder im Zimmer.

»Was ist?« fragte der Kommissar.

»Ich fürchte, Herr Kommissar,« erwiderte er, »es wird doch auffallen, wenn zwei Beamte …«

»Sie wollen allein?«

»Ich bitte darum.«

»Ob das nicht zu gefahrvoll ist?«

»Ich fürchte mich nicht.«

»Meinetwegen.«

»Ich danke, Herr Kommissar!« – An der Tür blieb er stehen und sagte: »Mein Kollege hätte auch noch eine Bitte.«

Während er hinausging, trat der Andere ein.

»Nun?« fragte der Kommissar.

»Ich wollte mir nur den Vorschlag erlauben, ob es nicht vielleicht praktischer ist, wenn ich ohne den Kollegen zu der Gerson gehe.«

»Bereits erledigt!« erwiderte der Kommissar. »Sie können hierbleiben.«

»Ich?« sagte der enttäuscht und stand da mit dem dümmsten Gesicht. Frau Inge trat nahe an den Kommissar heran und flüsterte ihm zu:

»Aber! aber! – Sie mögen ein großer Kriminalist sein. Von Liebesdingen aber verstehen Sie nicht viel.«

Der Kommissar sah sie groß an und sagte:

»Sie meinen …?«

»Natürlich, meine ich, daß jeder von beiden den Wunsch hat, mit dieser reizenden kleinen Frau allein zu sein.«

Da lachte der Kommissar laut auf und sagte:

»Da können Sie sehen, wie harmlos ich bin.« – Und er änderte seinen Befehl dahin um, daß beide gingen.

Das Lächeln auf Frau Inges Gesicht verriet, daß sie auch darin noch keine absolute Sicherheit für Grete Gerson sah.


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