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Zweites Kapitel

Was sich in der ersten Nacht ereignet hat, weiß ich nicht. Ich ließ den letzten männlichen Repräsentanten Derer von Erdmannslust, meinen dreizehnjährigen Dackel Stilpe, ausnahmsweise auf dem Flur übernachten und zählte in wachen Momenten, daß er zu elf verschiedenen Malen laut anschlug. Daraus schloß ich, daß der rege Verkehr im Hause auch nachts über anhielt.

Ich ließ also am nächsten Morgen um neun Uhr sämtliche Herren zu einer Aussprache bitten. Das äußere Bild war erhebend. Rolf erschien in schwarzseidenem Pyjama, Etville, den es nachts wieder hinausgetrieben hatte, im Smoking, Töns im offenen Bademantel, unter dem nur er war, Timm gepudert, mit Monokel, in buntem Kimono, so daß ich mir in meinem einfachen Sakko vulgär und sachlich vorkam.

»Meine lieben Freunde,« begann ich, »so geht es nicht weiter!«

»Es hat ja noch gar nicht angefangen,« sagte Etville und hatte die Lacher auf seiner Seite. Ja, Rolf erklärte sogar:

»Du wirst dich wundern, wenn der Betrieb hier erst eröffnet ist.«

»Hier muß Ordnung hinein!« erklärte ich.

»Als erstes beantrage ich, daß mindestens zwei neue Badezimmer gebaut werden,« forderte Töns.

»Auch meine Ansicht,« erklärte Rolf.

»Kostenpunkt?« fragte ich und bekam von Töns zur Antwort:

»Sei doch nicht so entsetzlich kleinlich!«

Timm meinte:

»Viel wichtiger ist, daß jeder sein Telephon hat.«

»Und seine eigene Bedienung,« ergänzte Rolf. »Denn diese Frida ist zwar ganz reizend …«

»Nun also,« erwiderte Töns. »Darum muß sie bleiben. Ich übernehme sie. Ihr habt ja Eure Diener.«

»Die tun doch nichts,« erklärte Etville.

»Dann hast du deinen schlecht erzogen,« widersprach Rolf. »Meiner hilft mir beim An- und Ausziehen und bügelt meine Hosen.«

»Während er seine eigenen vom Schneider bügeln läßt.«

»Man kann von ihm nicht verlangen, daß er die Hosen eines Dieners bügelt,« verteidigte ihn Etville.

»Beide weigern sich jedenfalls, Euer Badewasser ein- oder auszulassen,« erklärte ich.

»Das ist Fridas Sache!« meinte Rolf.

»Ich habe Durst!« sagte Etville und rief: »Frida, ein Pilsner!«

»Mir ein Whisky!« brüllte Rolf. »Im übrigen: wie lange soll hier eigentlich verhandelt werden? Mein Auto steht seit acht Uhr vor der Tür.«

»Richtig!« sagte Töns, »Frida hat mich gebeten, ob sie nicht mal in einem deiner Autos spazierenfahren dürfe.«

»Sonderbar! – Aber, meinetwegen.«

»Wo bleibt denn mein Pilsner?« rief Etville – und sein Diener Burg erschien und meldete kleinlaut:

»Frida ist noch nicht fertig angezogen.«

»Wie? Was?« sagte Rolf und sah nach der Uhr. »Es ist ja zehn Minuten nach neun.«

»Ja, vor halb neun steht sie prinzipiell nicht auf,« erklärte ich. »Vierzig Minuten dauert ihre Frisur – denn man will doch, daß sie nett aussieht.«

»Selbstverständlich will man das,« sagte Töns.

»Dafür aber ist sie grundehrlich. Und wo bei euch alles herumliegt …«

»Dann holen Sie doch das Pilsner,« bat ich Burg, der mich ganz entgeistert ansah und sagte:

»Ich werde den Portier schicken.«

»Sie wollen sich also wirklich bis zum Portier bemühen?« fragte ich, und Burg, der den Spott nicht merkte, erwiderte:

»Gewiß! Für den Herrn Baron.«

Es klopfte und auf mein »Herein« trat Nitter ins Zimmer und sagte:

»Darf ich fragen, wann hier im Hause zu Mittag gespeist wird?«

Ich machte eine kleine Verbeugung und erwiderte:

»Wünschen der Herr an der gemeinsamen Tafel oder à part zu dinieren?«

»Ich habe im Esplanade immer auf meinem Zimmer gegessen.«

»Gab es denn da keine Räume für gemeinsame Mahlzeiten?«

»Gewiß! mehrere. Aber die persönlichen Diener aßen für sich.«

»Und Sie? …« wandte ich mich an Burg, der noch immer keine Anstalt machte, sich zu dem Portier zu bemühen – »sind Sie auch ein persönlicher …?«

Burg richtete sich auf und sagte:

»Selbstredend!«

»Nun, dann könnten Sie beide am Ende zusammen …« versuchte ich zu vermitteln.

»Bedauere!« fiel mir Burg ins Wort. »Unsere politischen Meinungen gehen so weit auseinander …«

»Oh, dann natürlich!« lenkte ich ein, wandte mich an beide und bat:

»Dann rufen Sie doch bitte mal Fräulein Fleck.«

Burg und Nitter sahen sich an und schienen sich zu verständigen. Jedenfalls rührte sich Burg nicht vom Fleck, während Nitter zur Klingel ging und mich fragte:

»Wie oft, bitte?«

Ich verbeugte mich wieder leicht und sagte:

»Zweimal, wenn ich bitten darf und wenn es Ihnen keine Mühe macht.«

»Durchaus nicht,« erwiderte er und drückte zweimal auf den Knopf.

»Mein Pilsner!« rief Etville. »Ich verdurste.«

Burg schob den Kopf ruckartig nach vorn – meine kurze Verbeugung zuvor war also falsch gewesen – und sagte:

»Sofort, Herr Baron. Ich denke aber, daß wir zunächst einmal die häuslichen Fragen erledigen.«

»Meinetwegen.«

»Und da möchte ich fragen, ob ich nicht vielleicht mein Zimmer gegen eins mit Morgensonne vertauschen kann.«

»Hat Ihnen der Arzt das empfohlen?« fragte ich.

»Der Arzt nicht, aber ich habe mich selbst studiert und gefunden, daß Morgensonne einen günstigen Einfluß auf meine Stimmung übt.«

»So! So! Das ist ja sehr interessant,« erwiderte ich.

»Und da ja meine Stimmung letzten Endes dem Herrn Baron zugute kommt …«

»Mir ist mein Pilsner viel wichtiger als Ihre Stimmung!« unterbrach ihn Etville –

»Sag' das nicht,« widersprach ich, da ich längst merkte, bei wem bei Teilung der Gewalten in diesem Hause das Uebergewicht lag. Und zu Töns gewandt, sagte ich:

»Würdest du dann vielleicht dein Zimmer gegen das von – ja, wie nenne ich Sie eigentlich?«

»Mein Name ist Burg.«

»... also gegen das von Herrn Burg tauschen?«

Töns willigte ein, worauf Herr Burg den Kopf kurz nach vorn streckte und sagte:

»Sehr liebenswürdig. Ich werde Frida sofort anweisen, meine Sachen in das andere Zimmer zu tragen.«

Im selben Augenblick erschien Fräulein Fleck im Zimmer. Sie sah wie eine Leiche aus.

»Wir müssen versuchen, Ordnung in den Haushalt zu bringen,« sagte ich.

»Dann werden Herr Doktor mindestens drei neue Dienstmädchen einstellen müssen. Eins für Herrn Burg, eins für Herrn Nitter und das dritte für die übrigen fünf Herren.«

»So habe ich es mir auch gedacht,« erwiderte ich. »Sie nehmen dann allabendlich die Wünsche der einzelnen Herren für den nächsten Tag entgegen und versuchen, sie mit Hilfe des Personals auszuführen.«

»Das ist bereits geschehen,« erwiderte Fräulein Fleck – »wenigstens das Entgegennehmen; die Ausführung freilich –« Sie legte mir den Tageszettel vor.

Ich las und sank in meinem Sessel zurück.

 

6 Uhr Bad Nitter 28°
6 " 20 Bad Burg 26½°
6 " 30 Nitter Frühstück (Tee, 2 Eier, Weißbrot, Butter)
6 " 45 Bad Töns
7 "   Frühstück Burg (Schokolade, 2 Hörnchen, 40 gr. Butter, ein Spiegelei, Honig)
7 " 15 Bad Graezer
7 " 30 Frühstück Timm (Tea, Toast, Butter, Ham and eggs)
7 " 45 Frühstück Töns (Tee, Brot, wenn möglich Butter)
8 "   Burg (ein halbes Weißbrot mit Zunge, ein halbes mit gekochtem Schinken, ein Gläschen Tokayer).

 

Ich schob das Blatt beiseite. Aber Fräulein Fleck las es uns bis zu Ende vor. Es waren zweiunddreißig Positionen, wie sie sich ausdrückte. Um 5 Uhr nachmittags empfing Karl Theodor Timm Verehrer und Verehrerinnen zum Tee. »Dreimal wöchentlich«, wie daneben stand. Um 6 Uhr dinierte Baron Etville mit ein paar Freunden, obschon die Testout-Rosen, die Frida bei Rothe bestellen sollte, das Geschlecht dieser Freunde fraglich erscheinen ließen. Um 9 Uhr bestellte Rolf ein Abschiedssouper zu vier Gedecken, und Töns bat für 10½ Uhr, also nach dem Theater, um ein kaltes Büfett und Whisky und zwar, wenn möglich, Old Fitzgerald Private Stock.

»Ich muß mich dreiteilen,« sagte Fräulein Fleck. Aber ich widersprach. Einmal, weil dann überhaupt nichts von ihr übrigblieb; vor allem aber, weil ich längst erkannte, daß ich für die Küche mindestens noch zwei Personen und abermals zwei, wenn nicht drei, für die Bedienung brauchte. Das machte alles in allem etwa zwanzig Personen – zwölf mehr, als das Wohnungsamt verlangt hatte. Und da gütigem Zureden keiner weichen wollte, so erklärte ich:

»Unter diesen Umständen muß ich mindestens einen Stock aufbauen.«

»Ausgezeichnet!« rief Rolf.

»Nur etwas kostspielig,« erlaubte ich mir zu bemerken, worauf Töns ärgerlich sagte:

»Sei doch nicht immer so kleinlich!«

Rolf war von der Idee ganz begeistert:

»Auf die Art bekommt jede Partei ihre eigene Küche, und die Dienerschaft wohnt von uns getrennt.«

»Vorausgesetzt, daß sich die Dienerschaft für die obere Etage entscheidet,« warf ich ein.

»Selbstverständlich,« erwiderte Burg. »Beim Aufbau dieser Etage würden ja wohl unsere Wünsche berücksichtigt werden.«

»Die wären?« fragte ich, und Burg erwiderte:

»Ich erlaubte mir schon zu betonen, daß ich auf Licht und Sonne Wert lege. Und dann keine Rabitzwände! Ich hasse Geräusche! Mich hört niemand, und ich darf die Rücksicht, die ich übe, auch von anderen erwarten.«

Dabei sah er Karl Theodor Timm so ungeniert an, daß der arglos fragte:

»Habe ich Sie etwa gestört?«

Burg zog die Schultern hoch, sah uns der Reihe nach an und sagte:

»Ich weiß nicht, ob ich mich äußern darf.«

»Sie dürfen,« rief ich.

»Nun,« begann er zögernd, »das Wichtigste, was man von einem persönlichen Diener großen Stils verlangen muß, ist Takt. Unser Takt ist sozusagen der gute Geist des Hauses, in dem wir wirken.«

»Was hat das mit Karl Theodor Timm zu tun?« fragte ich.

Burg wies auf Timm und lächelte:

»Was mein Takt verbietet, das fordert Ihr Beruf. Sie studieren die Menschen wie wir! Aber während Sie von der öffentlichen Ausbeutung Ihrer Studien leben und deren Objekte nach dem Gebrauch völlig lieblos beiseiteschieben, leben wir davon, daß wir unsere Studien denen zugute kommen lassen, an denen wir sie gemacht haben.«

»Einen Moment!« rief ich. »Sagen Sie das bitte noch mal!« Und während Burg es wiederholte, schrieb ich es mir auf, in der Hoffnung, es in meinem nächsten Roman zu verwerten.

»Jedenfalls ist es undurchführbar,« erklärte ich, »in einem Haushalte zu zehn verschiedenen Zeiten die Mahlzeiten zu servieren. Wir müssen für jede Mahlzeit eine bestimmte Zeit festsetzen, und wer die nicht innehält, ißt auswärts.«

»Dazu wohne ich nicht privat, um in Restaurants zu laufen,« erklärte Rolf – »und Häslein auch nicht.«

»Wer ist denn das?« fragte ich. »Hast du etwa die Absicht, dir hier einen Wildpark anzulegen.«

»Häslein ist die anerkannt hübscheste Frau von ganz Berlin,« beteuerte Rolf.

Burg wie Nitter gaben durch eine leichte Kopfbewegung zu erkennen, daß das auch ihre Meinung war, während Töns mit einem Blick auf Frida, die eben ins Zimmer trat, widersprach:

»Das sagst du! – Ich liebe ein anderes Genre.«

»Haben Sie schon gefrühstückt, Frida?« fragte Fräulein Fleck, und die erwiderte:

»Nein! Das war ja ein Lärm heute nacht! Ich habe von acht Uhr früh an kein Auge mehr zugemacht!«

»Das geht natürlich nicht,« erklärte Töns. »Wer für uns arbeitet, muß nachts seine Ruhe haben.«

»Um acht Uhr ist die Nacht vorbei,« erklärte Rolf, aber Frida sagte:

»Der Schlaf in den Morgenstunden ist für junge Mädchen der gesündeste.«

»Wir brauchen vor allem einen tüchtigen Organisator,« sagte Töns. »Ich werde meinem Vater nach Essen telegraphieren.«

Ich widersprach: »Warum nicht gleich einen Betriebsrat! Ihr vergeßt, daß es sich um eine Tiergartenvilla handelt, nicht um einen Fabrikbetrieb. Hier kann nur eine Frau Ordnung hineinbringen!«

»Das ist auch meine Meinung,« sagte Burg.

Das Gefühl, ihn auf meiner Seite zu wissen, stärkte mein Rückgrat.

»Natürlich darf es nicht die erste beste sein,« fuhr ich fort.

»Ich fühle mich dem nicht gewachsen,« erklärte Fräulein Fleck.

»Vielleicht Frida,« meinte Töns. Und die schlug ihre blauen Augen so weit auf, daß sie sofort ein paar Stimmen für sich hatte.

»Es muß natürlich eine Frau sein,« sagte ich, »der wir uns alle, auch Sie, meine Herren,« wandte ich mich an Burg und Nitter – »bedingungslos unterordnen.«

»Also eine Dame!« sekundierte Burg, und ich, froh, wenigstens von einem verstanden zu werden, sagte und begrub damit Fridas Chancen:

»Das ist es! Eine vollendete Dame muß es sein! Eine, der wir alle mit Respekt begegnen.«

Töns, auf den Rolf leise eingeredet hatte, sagte halblaut:

»Damit fährt auch dein Häslein in die Grube!«

»Also, wer ist das?« fragte ich.

»Die anerkannt hübscheste …«

»Das sagtest du schon mal. Und das ist für diesen Posten gewiß kein Nachteil. Aber was kann sie sonst?«

»Repräsentieren,« erwiderte Rolf.

»Und du glaubst, daß sie im Verkehr mit Männern …«

»... Klasse für sich ist!« fiel mir Rolf ins Wort. »Und zwar unter Garantie!«

»Dann könnte ich ebensogut Lola vorschlagen,« erklärte Etville. »Die kennt sich noch besser unter Männern aus.«

»Herrschaften,« sagte ich, »es handelt sich um die Hausdame einer Tiergartenvilla, nicht um die Attraktion eines Nachtbetriebes! Wer hier wohnt, muß sich primär auf den Tag einstellen, nicht wie ihr, auf die Nacht.«

»Da ich den Tag über arbeite,« sagte Rolf, »und ich schlafe,« fuhr Etville fort, »und ich dichte,« beteuerte Timm, »so haben wir nur nachts Zeit, uns auszutoben.«

»Dies Recht tastet niemand an. Aber je mehr ihr bummelt, um so wohltuender muß es für euch sein, wenn in eurem Hause Ordnung und Sitte herrscht!«

»Ordnung schon,« meinte Töns, »aber Sitte ist meist sehr langweilig.« – Und Rolf meinte:

»Dann können wir ja lieber gleich in ein Hospiz ziehen.«

»Unser Haus soll weder ein Hospiz noch ein Bordell sein. Der Takt einer Dame muß eben das Richtige treffen. Diese Dame werde ich suchen. Und zwar heute noch.«

»Du hast mit jedem Wort recht,« erklärte Töns. »Aber ich zweifle, daß du sie findest.«

Am nächsten Morgen stand in fünf großen Tageszeitungen folgendes Inserat:

 

Dame

aus guter Familie, die gut aussieht, Takt und Energie besitzt, wird zur Organisation und selbständigen Führung frauenlosen Haushalts von fünf Junggesellen und entsprechender Dienerschaft bei höchstem Gehalt zu sofortigem Antritt gesucht.

 

Wie zu erwarten war, schleppte der Briefträger mit jeder Post Stöße von schriftlichen Bewerbungen an. Die Fernsprecher waren ständig in Bewegung, und auf der Treppe drängten sich Mädchen und Damen jeden Standes und jeden Alters von früh ab bis in die Abendstunden. Frida und Fräulein Fleck, die am Vormittag zu verschiedenen Zeiten das Haus verlassen hatten, wurden von den Bewerberinnen, obgleich sie beteuerten, daß sie Angestellte seien, gezwungen, sich anzustellen, und erschienen erst wieder, als ich gegen acht Uhr abends auf den guten Gedanken kam, durch einen Telephontrichter zu brüllen: »Habemus dominam«, was zunächst zwar nur die Wirkung hatte, daß alle aufsahen, um sich dann aber auf meinen weiteren Ruf: »Der Posten ist besetzt«, ungläubig nur noch toller zu gebärden.

Gegen Mittag hatten Passanten, die dem merkwürdigen Schauspiel von der Straße aus erst neugierig und dann mißtrauisch zuschauten, die Polizei auf uns gehetzt, die in Gestalt eines hohen Beamten und zweier Assistenten erschien und uns einem peinlichen Verhör unterzog. Ich stellte vor: »Baron von Etville« – Der eine Beamte lächelte ungläubig. Ich fuhr fort: »Herr Anton Töns aus Essen a. d. Ruhr« – Jetzt grinsten alle drei und sahen sich an, als wollten sie sagen: »Verstehste, das sollen wir glauben.« – Ich fuhr unbeirrt fort: »Der Ihnen sicherlich bekannte deutsche Dichter Karl Theodor Timm«. – Hier unterbrach mich der Beamte erregt und sagte:

»Es genügt. Wir sind im Bilde! Daß man im Tiergarten neuerdings wilde Spielklubs errichtet, ist uns bekannt. Daß man sich aber die Namen bekannter Persönlichkeiten zulegt und durch ein äußerst raffiniertes Inserat Mädchen anlockt, das ist in meinem Revier neu.«

»Sie zweifeln an der Richtigkeit meiner Angaben?« fragte ich.

»Die polizeilichen Meldungen der Herren, wenn ich bitten darf.«

»Sie wohnen erst seit gestern bei mir und sind daher noch …«

»... nicht gemeldet,« fiel er mir ins Wort. »Ich bin im Bilde.«

»Und Sie? Wer sind Sie?« fragte er mich.

»Ich bin der ebenfalls nicht ganz unbekannte Schriftsteller Peter Lenz.«

Die drei Beamten sahen sich an.

»Kenn' ich nicht!« sagte der Führer. »Was schreiben Sie denn?«

Auf dem Tisch lag unglücklicherweise ein Roman von mir: »Frau Dirne«. Der eine Beamte hatte ihn bereits in der Hand und reichte ihn seinem Vorgesetzten. Der warf einen Blick darauf und sagte:

»Stimmt alles genau! Das Buch wird beschlagnahmt. Es enthält sicherlich Material« –

Dann wandte er sich wieder an mich und forderte ziemlich barsch:

»Ihre Geschäftsbücher!«

»Ich führe keine.«

»Ich verstehe, Sie wollen Ihre Abnehmer schützen. Nützt Ihnen nichts! Die Haussuchung wird sie schon zutage fördern.«

»Ja, für was halten Sie uns?« fragte ich.

»Das ist doch klar!« sagte Töns.

»Nämlich?«

»Für Mädchenhändler!« – Wir lachten so laut und so ehrlich, daß die Beamten stutzig wurden.

»So weist euch doch aus!« bat ich. Und Töns zeigte seinen Paß, bei dessen Lektüre das Gesicht des Beamten lang und länger wurde. Auch Etville wies ein paar Mitgliedskarten der ersten Klubs vor, Burg zeigte Zeugnisse aus fürstlichen Häusern, Timm begann seine Novelle: »Die Mücke« aus dem Gedächtnis vorzutragen, und der Beamte machte, von alledem beeindruckt, eben Anstalten, sich zu berichtigen, als seine Untergebenen, die inzwischen ein paar Zimmer durchsucht hatten, mit Stößen von beschriebenem Papier und kostbaren Toilettengegenständen zurückkehrten.

»Hier sind die Geschäftspapiere,« sagte der eine.

»Was steht drauf?« fragte der Beamte unsicher, nahm ihm ein Blatt aus der Hand und las:

»Isis mit den weißen Büsten, den kastanienbraunen Augen, mit den blonden Hängezöpfen, die so gut für Liebe taugen …«

»Das ist ja furchtbar,« sagte der Beamte. »Aber das entlastet Sie – wenngleich diese Toilettengegenstände …« und er nahm seinem Kollegen ein paar kostbare Schildpattkämme, ein Haarnetz und einen goldenen Taschenspiegel, auf dessen Rückseite ein kleiner Hase aus Brillanten war, aus der Hand – »den Verdacht nahelegen, daß hier nicht nur gebetet und gedichtet wird.«

In dieser kritischen Phase begann auf der Treppe ein Schreien und Toben. Die starre Mauer der wartenden Frauen kam in Fluß.

»Platz für Po Gri!« schrie kreischend eine Stimme, und eine elegante, schöne Frau kämpfte sich durch die Fäuste und Ellenbogen von Hunderten, die ihr den Weg versperrten, bis zur Flurtür durch, an der Nitter und Burg durch freundliche Ansprachen seit ein paar Stunden die neu Harrenden zur Geduld mahnten.

Im selben Augenblick stand Po Gri auch schon zwischen uns und den Beamten. Das kostbare Kleid hing in Fetzen, die Reiher waren ihr vom Hut gerissen, die langen, perlgrauen Schweden waren mit Blut gefärbt.

»Wo ist Rolf?« brüllte sie, und wir alle wichen ein paar Schritte zurück. – Sie sah die Beamten: »O gut! gut! Sie werden mir helfen! Heute noch muß sie über die Grenze! diese …« Dabei riß sie dem Beamten den Haarkamm aus der Hand, führte ihn an die Nase und rief: »Ich habe sie! …! Also hier hält sich die saubere Person versteckt!« – Und zu mir gewandt, fuhr sie fort: »Dazu also haben Sie Rolf aus dem Hotel verschleppt« – die Beamten horchten auf – »um ihn hier mit dieser … Person zu verkuppeln.« – Die Beamten betrachteten mich genauer. Ich versicherte, ohne gegen Po Gris Stimme durchzudringen, daß ich von diesen nächtlichen Rendezvous bis zur Entdeckung dieser untrüglichen Beweisstücke keine Ahnung hatte – Po Gri schwang schon den goldenen Spiegel und raste: »Eine Po Gri betrügt man nicht!« – Und während sie weiter tobte, brachte sie sich vor dem goldenen Spiegel hastig in Ordnung, legte rot auf, puderte sich, riß dann einem der Beamten das Haarnetz aus der Hand und raste mit dem Ruf: »Ich werde sie finden!« durch die Wohnung.

Vor dem Hause und auf den Treppen war die Stimmung umgeschlagen. Laute Hoch- und Bravorufe aus vielen hundert Frauenkehlen erweckten unsere Neugier. Töns ging ans Fenster. Unten war Rolf in seinem Auto vorgefahren. In dem hochgewachsenen, eleganten Rolf hatte man sofort »den Herrn, der die Dame suchte«, erkannt. Bei seinem Anblick wuchs der Wunsch, den Posten zu erringen, ins Ungemessene. Zarte Frauenhände hoben ihn, trugen ihn unter dem Beifallgeklatsche der anderen die Treppe hinauf und setzten ihn vor uns nieder. Rolf, gewöhnt, von Frauen verwöhnt zu werden, lächelte und grüßte nach allen Seiten. Als er wieder Boden unter den Füßen spürte, gab er mir die Hand und erklärte:

»Ich muß sagen, mir gefällt es sehr gut bei dir.«

»Tatsächlich!« stimmte Töns ihm bei: »Hier ist noch mehr los als im Esplanade.«

Plötzlich schrie in der hinteren Wohnung eine Frau laut auf.

»War das nicht Häslein?« fragte Rolf erschrocken. Gleich darauf hörte man ein schallendes Geräusch, das wie Ohrfeigen klang.

»Waren das nicht Po Gris angebetete Hände?« fragte ich.

Rolf wankte.

»Sie … ist …?«

Ich wies zur Tür und sagte:

»Seit ein paar Minuten. Und obschon es ihr nicht leicht fiel, hinaufzukommen, so fürchte ich doch, daß es noch schwieriger sein wird, sie wieder hinauszubefördern.«

Die Beamten gingen dem Schrei der beiden Frauen nach, während Rolf die Damen, die ihn hinaufgetragen hatten, jetzt vergebens zu bestimmen suchte, daß sie ihn wieder hinunterbrachten.

Ich bat Timm, zur allgemeinen Beruhigung von der Flurtür aus ein paar Gedichte vorzutragen. Da er ablehnte, blieb mir nichts anderes übrig, als die Feuerwehr zu alarmieren. »Menschenleben in Gefahr!« meldete ich. Nach etwa fünf Minuten fuhren drei Wagen vor, wurden die Spritzen angesetzt, ergoß sich ein Meer von Wasser durch die Haustür, über die Treppen, in die Zimmer – schwammen die Beamten mit Po Gri und Häslein um die Wette, während wir dank dem fürsorglichen Burg hinter festverschlossenen Türen und Fenstern diesem seltenen Schauspiel zusahen.

Nur die erschöpfte Stimme des höheren Beamten vernahm ich noch, der seinem Kollegen zuprustete:

»Dies Haus werden wir jedenfalls im Auge behalten.«

Nichts konnte mir in einer Zeit, in der Mord, Totschlag und Einbrechen an der Tagesordnung waren, willkommener sein.


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