Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Capitel.
Besuche.


Frau Lina hatte die Verabredung getroffen, in dieser Woche mit ihrem Ludwig bei der Mutter zu Mittag zu speisen. Die Morgenbesuche des jungen Ehepaars ließen sie nicht dazu kommen, eine neue Magd mit einem neuen Haushalt in guten Schick und Gang zu bringen, und zu überwachen. Außerdem war es ihr ein Bedürfniß, sich hinter ihren Visiten her auszusprechen; wozu sie außer der Mutter auch Hermann bei Tische fand. Wirklich kam sie nicht wie Ludwig erschöpft, sondern sehr aufgeregt aus den verschiedenen, zum Theil vornehmen Häusern, wo nur immer der junge, aufstrebende Beamte es aus dienstlichen oder gesellschaftlichen Rücksichten für anständig hielt, seine junge Frau vorzustellen.

Seinen Minister hatte er nicht übergehen dürfen. Herr von Simeon machte mit Frau und Stieftochter ein offenes Haus. Jeden Freitag war Assemblée im Justizpalaste. Die Ministerin hatte aber der jungen Frau nicht gefallen.

Es liegt mir etwas Unheimliches in ihren Blicken und in ihrer ganzen Freundlichkeit, sagte Lina. Und ihre Tochter hat etwas gar Pretiöses bei ihrem kränklichen Aussehen.

Es ist mir lieb, Linchen, daß du dich dort so wenig angesprochen findest, versetzte Ludwig. Ich denke auch, wir machen keinen Gebrauch von der Einladung zu ihren Assembléen. Ich werde mich beim Minister entschuldigen.

 

Soviel verschiedene Menschen und Manieren rasch hinter einander aufzunehmen, war der bürgerlichen Tochter etwas Ungewohntes. Dazu kam, daß sie des Französischen nicht so mächtig war, als es die Zuthätigkeit erfodert hätte, mit der Herren und Damen die schöne Frau behandelten, jene, um ihr zu gefallen, diese, um sie sich wo möglich misfallen zu lassen.

Lina erzählte lebhaft, und wenn sie dabei verrieth, daß die glänzende Einrichtung, der verschwenderische Aufwand, womit die vornehmen Wohnungen einander überboten, ihr ein wenig imponirten: so bewiesen doch ihre treffenden Bemerkungen auch wieder, wie besonnen und scharfblickend sie sich dennoch über all' den Eindrücken zu halten wußte. Auch gab Ludwig ihr das Zeugniß, daß sie merkwürdig tactvoll und überall wie zu Haus sich benehme.

Sie sträubt sich nicht, den Ehrenplatz einzunehmen, liebe Mutter, sagte er lächelnd; sie läßt sich in die seidenen Kissen fallen, als wenn's durchaus nicht schade darum wäre, und ihr Auge schweift so kalt und vornehm über die großen Spiegel und goldenen Kronleuchter, über die Oelgemälde und Marmorbilder, so lächelnd über die Muscheln und Mineralien auf den Mahagoniconsolen, als ob sie es nie anders um sich gehabt hätte.

Alles mit Ausnahmen, du loser Mann! erwiderte Lina. Hier und dort bin ich auch wieder so artig, etwas zu bewundern oder nach etwas zu fragen. O ich finde mir schon meine guten Casselaner heraus, die den kostspieligen Uebergang vom Kurfürsten zum König, diesen kümmervollen Aufwand, nicht so für nichts und wieder nichts gemacht haben wollen. Nicht umsonst haben sie bei unserer Anmeldung schnell die Ueberzüge von den guten Sachen abgestreift. Die Kostbarkeiten sollen bemerkt und besprochen werden.

Und deine Bewunderung wird dir hoch angerechnet werden, Lina! wendete Hermann ein.

Das denk' ich auch, erwiderte sie. Ich hoffe gute Geschäfte zu machen; auf den bewunderten Möbeln setze ich eine Burggrafentochter in Renommé, und erobere für meinen Ludwig eine »ungemein gescheite, liebenswürdige Frau«.

Während Hermann herzlich lachte, und Ludwig mit Brotkügelchen nach ihr warf, fuhr sie fort:

Wenn aber so manche Familie wüßte, daß mein Auge mehr als die neuen pariser Möbel erblickt! Es sieht auch Gespenster am hellen Tag. Hinter manchem Pommier, mit orangegelbem Gourgouran beschlagen, sehe ich verschämte Sorge kauern, um hervorzukommen, sobald der angelächelte Besuch wieder fort ist; aus den schweren Falten der Vorhänge schielt mancher aschgraue Kummer, und vor den Spiegeln erblicke ich in Gedanken die grauen Haare, die Morgens unter die Mütze von Petinet, mit kleinem Schleier und Rosa-Grosgrainband gekämmt, oder unter die Perlenschnur versteckt werden, die sich zum Abendball durch die aufgewickelten Locken schlingt.

Du könntest mehr sehen, beste Lina! fiel Ludwig nicht ohne Bitterkeit ein, – Schulden, die an das traurige Arbeitspult des vornehmen Herrn schleichen, eine leichtfertige Liaison, die sich im Boudoir der jungen Hausfrau hinter den Nachtgewändern versteckt. Wie manches Schmuckkästchen, das auf hohen Füßen, geschnitzten Krallen und geflügelten Löwenköpfen ruht, ist der Besitzerin für den schönsten jungfräulichen Schmuck zu Theil geworden – ein Souvenir für Herzklopfen!

Geh', lieber Mann! Wie kannst du so 'was sagen! rief Lina misbilligend, und Hermann, von diesem Gegenstande ablenkend, versetzte:

Die Besoldungen sind doch so gering nicht, wie mir scheint, daß man damit nicht ohne Schulden und was noch schlimmer wäre – ohne Schuld fertig werden könnte? Dabei ist Alles wohlfeil, was zu den eigentlichen Lebensbedürfnissen gehört – die Wohnungen vielleicht ausgenommen, die hoch getrieben sind.

Und der Kaffee! bemerkte die Mutter. Ich höre, auf Wilhelmshöhe – nun ich nenne es immer noch so! – kostet die Portion einen halben Thaler. Da soll man sich doch lieber aufs Maul schlagen!

Die Besoldungen sind hoch genug, erwiderte Ludwig – man könnte sagen, so hochbeinig, daß sie das Einkommen des Königreichs überschreiten. Nur den Aufwand des üppigen Lebens können sie nicht einholen. Dieser eilt mit Glück und Ehre, mit Liebe und Treue davon. Es ist, als ob man von dem Vorgefühl, keine Zukunft zu haben, hingerissen, die Gegenwart im tollsten Taumel erschöpfen und bis aufs Mark aussaugen wollte. Vom Throne fällt Prunk und Lust auf die obern Stufen, von diesen auf die folgenden und gewinnt nach dem Gesetze der Schwere eine wachsende Gewalt. Der Hof nöthigt zum Aufwand, der Aufwand drängt in Schulden, die Schulden reizen zur Sittenlosigkeit. Dann wieder aufwärts steigend macht die Sittenlosigkeit leichter Schulden; diese fördern den Aufwand, und der Aufwand bringt Gunst bei Hofe. Das sind die Engel, die auf unserer Himmelsleiter auf- und niederschweben; nur daß wir sie nicht, wie der Patriarch Jakob, blos im Traume sehen.

Da du doch von Engeln sprichst, lieber Mann, so will ich euch als erquickendes Amen zu eurer unerbaulichen Betrachtung einen Vorschlag thun, sagte Lina. Kommt, wir gehn zu Engelhards, wo wir kein Aergerniß an Luxus und Leichtfertigkeit nehmen. Unser Hermann kennt nur ein Siebentel jener lebenden Poesien unserer liebenswürdigen Philippine Gatterer, verheiratheten Engelhard. Und – fällt mir eben ein! – die poetische Calenberg hieß ja auch Philippine; da ist dir's recht heilsam, lieber Freund, daß du noch eine andere dichterische Philippine kennen lernst. Nicht wahr, du gehst mit?

Gewiß! lachte Hermann aufstehend. Laßt mich nur einen schicklichen Rock anziehen. Ich kenne jene Hauspoesie nicht, wette aber darauf, daß sie – Hände und Füße hat, was man von unserer Romantik nicht immer sagen kann.

 

Als er nach seinem Zimmer fort war, flüsterte Lina, nicht ohne eine gewisse Befangenheit, über die sie ein Lächeln gleiten ließ:

Wär's nicht allerliebst, Ludwig, wenn Hermann's Herz an einem Siebentel der Töchter Engelhard's hangen bliebe? Sieben Töchter eines einfachen Oberappellationsraths unter Jerôme'scher Regierung – gesteh' nur, Ludwig, es ist –

Eine heilige Zahl, Lina! fiel er ein. Sieben ist eine heilige Zahl; mehr weiß ich nicht!

Nun ja, ich will nicht sagen, daß Philipp und Philippine an das Wort Christi dächten: Philipp, woher werden wir Brot nehmen? Nein, aber es ist eine so zufriedene, glückliche Familie, und bedenke nur einmal, wie glücklich sieben Männer werden könnten aus einem einzigen lieben Hause! Und Hermann hätte jetzt auch noch die ganze Wahl von 25 bis 19 Jahren. Er könnte – Scala üben – im Lieben! Und weißt du, was ich glaube? Therese hat an unserm Polterabende –

Mit Hermann getanzt und gelacht! fiel Ludwig ein. Lassen wir's dabei, Lina. Geh'! Kaum vier Wochen verheirathet, und gibst dich schon mit Freierei ab! Lassen wir ihn erst eine Stellung erringen. Wer weiß denn auch, ob er nicht schon eine Neigung hat? Wo bringt er seine Vorabende zu? Er kam die Tage her immer später zur Mutter oder zu uns, schien so zerstreut, so eigens erregt, und vermied zu sagen, wo er gewesen. Ich will nicht denken, daß er sich noch einmal von der Liebe dran kriegen läßt, wie von der Polizei. Er ist eine auffallende und gefallende Erscheinung, und unsere hohen Damen haben Sinn und Geschmack für dergleichen und geschickte Unterhändlerinnen.

Du bist aber heut ganz unleidlich, Ludwig! rief Lina heftig und erschrocken, und setzte dann leiser und mit bewegter Stimme hinzu:

Siehst du, das habt ihr von euern heimlichen Zusammenkünften, – daß ihr aus allen Ecken und Winkeln Stoff zur Unzufriedenheit zusammenkehrt. Nun macht ihr auch noch die Frauen nichtsnutzig, weil sie höchstens ein wenig –

Eben trat Hermann im Frack herein, den Jabot herausgelegt, den Titushaarschnitt aufgebürstet. Auch Lina und Ludwig machten sich schnell zurecht, und so schlenderte man nach Engelhard's Wohnung.

Sie wurden in das Wohnzimmer gewiesen, wo sich die Mutter ein paar Augenblicke darauf in häuslichem Anzug mit den beiden ältesten Töchtern zu ihrem Empfang einfand. Anzug und Aussehen der ehemaligen Dichterin verriethen eine gewisse Selbstvergessenheit, die aber nicht bis zur Vernachlässigung ging. Ihr freundliches Auge, früher vielleicht, nach Shakspeare's Ausdruck, »in schönem Wahnsinn rollend«, mochte jetzt mehr nur die Dinge der Alltagswelt und Wirthschaft umkreisen, und blos die Stirne schien noch von den ehemaligen poetischen Stunden nachzuleuchten. Den ihr vorgestellten jungen Freund begrüßte sie mit dem gemessenen Ausdruck einer vorgefaßten Meinung von ihm; wie sie denn auch gleich sehr freundlich bemerkte, daß ihre Therese bereits von ihm erzählt habe.

Therese, hoch erröthend, setzte rasch hinzu:

Von Ihrer Verkleidung hab' ich der Mutter erzählt.

Ja, und wie charmant Sie gesungen, fuhr die Mutter fort, und wie Sie überhaupt –

Als sie plötzlich schwieg, und das Lob der Liebenswürdigkeit, das ihr schon auf der Zunge war, verschluckte, half ihr Lina über die Verlegenheit hinaus, indem sie sagte:

Wir wollen aber vor allem die Mutter in ihrem siebenfarbigen Bogen sehen. Ich will nicht – Regenbogen gesagt haben; denn die vierzehn Augen leuchten nur wie ein doppeltes Siebengestirn. Sind doch alle zu Hause?

Ja, rief Therese, lief geschäftig fort, und man hörte draußen fünf Mädchennamen rufen. Nicht lange, so kamen sie lächelnd herein, eine die andere vorschiebend, nicht blöde, aber – vielleicht des jungen Herrn wegen, von dem wol die Rede gewesen, ein wenig befangen, – alle, wenn nicht gleich hübsch, doch gleich gesund, frisch und vergnügter Miene, einander nicht auffallend ähnlich, doch um Mund und Auge von einem Zug der Mutter als Schwestern bezeichnet. Wie Goethe in einem Gedichte sagt:

Wie Schwestern zwar, doch keine ganz der andern.

Lina ordnete sie dem Alter nach in einen Halbkreis um die Mutter.

Nun schauen Sie einmal das Siebengestirn, lieber Freund! sagte sie. Aber ihr müßt die Mutter umtanzen, Mädchen, wie die Planeten ihre Sonne.

Nichts Sonne! lächelte die Mutter, nein – um die Luna im letzten Viertel, sagen Sie lieber.

Jetzt, um sich zugleich der verlegenen Präsentation zu entziehen, faßten die Mädchen einander an den Händen, umtanzten und küßten die Mutter, wobei sie nach Theresens Stichwort sangen: Vollmond, Vollmond! Nicht letztes Viertel!

Alles lachte, und Hermann rief, in die Hände klatschend:

So ist's recht! Aber kein Siebengestirn! »Die Sterne, die begehrt man nicht!« sagt Goethe; lieber wollen wir sagen – ein blühender Kranz, ein lebendiger Lorber! Und welcher Dichter, Frau Oberappellationsräthin, welcher Künstler kann eine solche aus seinem eigenen Wesen geschaffene Krone aufweisen?

Doch, geehrtester Herr Doctor, doch ist der Fall schon dagewesen, entgegnete sie. Mein seliger Vater hat mir von Michel Anton Lanius erzählt, welcher Baßsänger des Kurfürsten Clemens Wenceslaus in Coblenz gewesen und sieben Töchter gehabt hat. Ich kann sie sogar noch beim Namen nennen: Clara, Judith, Therese, Dorothea, Margretha, Ida Katharina und Anna Maria – eine immer schöner als die andere, und alle vom Vater her mit der Gabe des Gesangs ausgestattet.

Baßsänger war dieser Lanius? fragte Ludwig, und zu Hermann:

Ob wol solch' ein Glück auch einem Bariton zu Theil werden kann?

Hermann lächelte, und gegen die Mutter gewendet sagte er:

Und wie sieht's mit diesen sieben aus? Sie haben alle poetische Augen; wenn man poetisch nennen kann, was Empfindung und Phantasie in Bewegung setzt und mit Erwartung beschäftigt.

Wirklich? erwiderte die Mutter. Nun, ihr könnt euch beim Herrn Doctor bedanken, Kinder. Ich kenne sie nur nach der Prosa ihrer Hände: sie kochen gut, bügeln hübsch, nähen fein, stricken egal und sticken sauber; einige schlagen ein wenig das Klavier, singen thun sie alle bei einem geselligen Lied, aber Verse machen sie nicht, sondern nur Fersen in die Strümpfe für sich und den guten Papa. Das sind nun lauter vergängliche Werke; dennoch war den guten Kindern eine gewisse Unsterblichkeit zugedacht. Mein seliger Vater nämlich, Professor Gatterer in Göttingen, dem die Welt soviel Verdienst um die historischen Wissenschaften zugesteht, ging mit dem Gedanken um, seinen Enkelinnen zu Lieb den Siebenjährigen Krieg zu beschreiben, und wollte jedem Kriegsjahr den Namen einer meiner Töchter vorsetzen. Leider kam es nicht zur Ausführung!

Und wie gut ist das, Frau Oberappellationsräthin! versetzte Hermann. Wenn die liebenswürdigen Töchter sich verheirathen, so hätten sie zu viel verlorene oder gewonnene Schlachten mit in die Ehe gebracht, und meine Wenigkeit hätte sich jedenfalls am schnellsten hier für die liebenswürdige Jüngste entschließen können, schon wegen des Hubertsburger Friedens.

Netty, die Jüngste, erröthete und biß in den Zipfel ihres Taschentuchs.

Nun, an Frieden fehlt's Allen nicht, sagte die Mutter, und statt über Geschichtscapitel sind die Sieben nun über Küche und Keller gesetzt. Und denken Sie nur, wie gut sie's dabei haben: zwischen Ostern und Pfingsten kommt Jede nur ein mal an die Woche.

Man lachte herzlich, und Ludwig versetzte:

Wie wird's denn aber dem Mütterchen ergehen, wenn einstmal sieben Filialküchen entstehen?

Lieber Ludwig, rief Lina, du kommst ja gar ins Reimen. Ich glaube, Frau Engelhard, Sie stecken meinen Mann an! Sonst bringt er nur Ungereimtes zu Stand!

Worauf diese erwiderte:

Ja, ja! Komm' Einer nur nicht der Philippine Gatterer zu nahe; der poetische Schnupfen steckt an. Uebrigens wird's mit den Filialküchen keine Noth haben. Sehen Sie meine Mädchen nur an, nicht jetzt im Hauskleid, sondern wenn sie geputzt sind: selbst wenn sie Ostern und Pfingsten und Himmelfahrtstag zugleich angezogen haben, sind und bleiben sie in unserm heutigen Jerôme'schen Hof- und Gesellschaftsgeschmack – Aschenbrödel. Nun hat zwar im Märchen eine Aschenbrödel ihr Glück gemacht; aber heutzutag, in der Napoleon'schen Wirklichkeit und beim Geschmack und Trachten unserer jungen Männer, finden sieben Aschenbrödel keinen Abgang. Das können Sie mir glauben!

Die Mädchen errötheten, eine kleine Stille entstand, bis Netty, die jüngste und witzigste, ausrief:

Kommt, Schwestern, wir wollen der Mutter zeigen, daß wir doch – Abgang finden!

Sie faßte zwei der Schwestern an den Händen, winkte den andern, und in lachender Kette zogen sie sich nach der Thür und hinaus. In der Thür rief das lustige Mädchen noch zurück:

Alle auf einmal, Mutter, anders thun wir's nicht!

Ja, ja, du kleiner Schalk! versetzte lachend und gerührt die Mutter; das müßte ein sehr hungriges Jahr sein, das sieben so magere Schwestern auf einmal verschlänge – heißt das an gute Männer brächte. So 'was könnte nur Joseph im Traum sehen und prophezeien. – Doch kommen Sie einmal mit hinüber! Wir sind eben dran, unser durch die Hausflur getrenntes hübsches Zimmer mit unsern besten Möbelstücken schicklich auszustatten.

Sie führte sie über die Hausflur hinüber, und Lina fragte, ob sie lieben Besuch erwarteten.

Ja, unbekannten, Besuch auf Gerathewohl, lächelte sie. Ich will's Ihnen nur sagen, vielleicht richten Sie sich auch darnach. Herr von Canstein, unser Maire der Residenz, hat gestern in der Euterpe, wo die Musik der Kapelle spielte, mit meinem Manne vom bevorstehenden Reichstage gesprochen. Er meint, man müsse, wenigstens das erste mal, 'was extra thun, und die Herrn Reichsstände in Privatwohnungen aufnehmen. Mein guter Mann war einverstanden, und hat sich gleich erboten, auch ein Quartier zu geben. Wir haben nun überlegt, wie dies Zimmer mit dem Schlafcabinet angenehm einzurichten sei für einen so angesehenen Reichsstand, und haben die besten Stücke aus den verschiedenen Zimmern dazu auserlesen; aber – nicht wahr, es will nicht recht zusammenpassen?

Man fand Alles recht schicklich und geschmackvoll; Philippine aber, noch nicht zufrieden, führte die Freunde durch alle ihre Zimmer, ob sie vielleicht noch etwas passend für das Landstandszimmer fänden.

Es ist nur zur Probe, sagte sie, wir nehmen's dann einstweilen wieder in eigenen Gebrauch, bis der Reichstag angeht. Anfangs Juli, glaub' ich.

Dies gab Veranlassung, von den Erwartungen und Festlichkeiten jener Zeit zu reden, und Ludwig meinte, die guten Diäten und was so manche reichen Deputirten noch darüber ausgeben würden, möchten für Cassel einen erwünschten, befruchtenden Sommerregen abgeben.

Als man sich endlich empfahl, bedauerte die Räthin, daß ihr Mann doch länger als gehofft ausbleibe, und nicht zur Ehre des Besuchs gekommen sei. Er habe freilich einen weiten Spaziergang vorgehabt, um seiner Verstimmung los zu werden.

Doch nicht unwohl? fragte Lina.

Das nicht, war die Antwort; aber – denken Sie, wie's doch bei uns zugeht! Bei der jüngsten Besetzung der Ober- und Untergerichte hat man sich über so manche Beförderung und Anstellung erstaunt. Nun ja, ganz angenehme Gesellschafter, aber gar schwache Juristen, oder, wie der Dichter sagt – gute Leute, aber schlechte Musikanten. Nun hört man denn auch, wie's damit gegangen ist. Der ehrliche Justizminister Simeon, ein sonst gründlicher und gewissenhafter Mann, hatte wegen Besetzung der mit der neuen französischen Organisation geschaffenen Stellen, weil es ihm an Personalkenntniß in Westfalen fehlte, sein Vertrauen dem Referenten im Staatsrath, Herrn von Coninx, geschenkt. Dieser, eben auch erst aus Paderborn hierher gekommen, schenkt das Vertrauen weiter an seine verehrte Freundin, die lebhafte und poetische Elise von Soch, und die nimmt denn zu ihren Empfehlungen diejenigen von ihren Verehrern und Anbetern, die sich hauptsächlich auf das Recht der Schönheit und Liebenswürdigkeit verstehen, wenn sie auch sonst nicht sehr – geochst haben, wie die Studenten sagen. So sind denn gerade Solche, die sich auf den Sesseln der Salons gut ausgenommen, auf die besten Richterstühle gekommen. Da hieße es recht, meint mein Mann – fiat mundus et pereat justitia. – –

Die Freunde verließen mit freundlichen Empfehlungen an den vergebens Erwarteten das Haus, und Lina bemerkte, wie Therese, am Fenster sich zurückhaltend, ihnen über die Brüstung nachblickte.



 << zurück weiter >>