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Drittes Capitel.
Aussichten.


Mit dem Gange zum Kapellmeister wollte nun Hermann den ersten Schritt in einer neuen Lebensrichtung versuchen. Die erste Verlegenheit, da sie so glücklich vorübergegangen, ließ eine desto aufgeräumtere Stimmung in ihm zurück.

Hermann war eine jener eben nicht seltenen Naturen, deren geistvoller Tiefsinn sich mit einem gewissen Leichtsinn gesunder, überkräftiger Jugend recht wohl verträgt. Er hatte viel gelernt, und hielt sich gründlich in seiner Wissenschaft; er war in sittlicher Umgebung erzogen, und nahm es ernst mit den Grundsätzen der Moral und gesellschaftlicher Sitte; aber die übrigen Begegnisse des alltäglichen Lebens behandelte er leicht, unachtsam, oft ohne Vorsicht und Klugheit. Man konnte sagen – er war so ideenreich, daß er ordentlich gedankenlos sein konnte. Schon in der Frühe des Tages hatte er den leichten, studentischen Anzug, worin er noch seine Fußreise gemacht, nicht ohne lächelnde Rührung zusammengewickelt, und hielt nun dem Bündel, ehe er es beiseite legte, eine etwas übertriebene Standrede, die mit den Worten schloß:

Ich habe dich, Lumpenpack einer leichten lustigen Freiheit, im wahren Sinne des Wortes – abgelaufen. Nun stecke ich mich in das knappe Beinkleid, das meine künftigen Schritte zügeln soll, und mich durch die Furcht vor unanständigem Platzen von allen ungemessenen Sprüngen abhalten wird. So komm und laß dich abbürsten, patentirter Visitenfrack, der sich an feuchter Nachtluft aus den Falten seiner Verpackung gezogen hat, um einen Burschen zu schmücken, der sich mit glattem Lächeln darstellen muß, weil er dienstbar zu werden sucht. Wie glücklich waren doch bei den alten Römern die Candidaten, die in ihrer weißen Toga, nach der sie eben – Weißlinge hießen, ohne Modesten fest auftraten und auch ohne viel Worte als Amtsbewerber sogleich erkannt wurden. Wenn wir, auch mit modesten Redensarten, gebückt und bettelnd, vor einflußreichen Männern erscheinen, so sieht man es unserm Frack nicht an, ob wir kommen, uns um eine Anstellung oder vielleicht um die Hand der Haushälterin zu bewerben oder zu Gevatter zu bitten. Vielleicht hangen sogar bei mancher Excellenz Amt und Haushälterin zusammen, und die Gevatterbitte ist dem Bewerber schon implicirt, prädestinirt, und er wird dreifach beglückt. – Der wackere Schneidermeister in Halle, der sich nicht wenig darauf weiß, mit der Residenz, ja mit Paris, in geheimnißvollem Rapport zu stehen, hat mir bei Zeus – seinem Ziegenbocke – betheuert, daß ecorce de palmier und dos de puce die Modefarben des Tages seien. Ich habe mich für erstere entschieden, für palmengrün. Palmen des Friedens mögen mich anfächeln, wenn ich nach verdrießlichen Gängen und Bücklingen mich aus dieser Palmenrinde schäle! Wie hätte ich auch dos de puce nehmen können, und mich unbekannten jungen Bengel flohfarben in Damengesellschaft wagen dürfen! Ich würde gewaltig gerippelt worden sein. – – Ach, ich werde ohnehin gerippelt werden! Ueberdies bedeutet auch ecorce nicht blos Rinde, sondern äußern Schein überhaupt. Und wie wollte ich ohne diesen gut fortkommen? Ja, Sanct Schein, beschirme mich, ohne mich gerade zu Einem deiner Heiligen zu machen, und führe mich glatt und glücklich durch die lustige Welt, die Jerôme Napoleon beherrscht! – – –

Das Gesicht, das dem Sprechenden beim Umlegen des weißen Halstuches und Auszupfen der künstlichen Schleife aus dem Spiegel entgegen sah, war eben kein regelmäßiges. Was es aber sehr angenehm machte, waren außer den schönen braunen Augen die heitern Züge einer feinen, frischen Gesichtsfarbe, und eine hübsche Reihe Zähne in dem etwas kräftigen Munde. Vollendeter war der Wuchs. Die Weste von gedrucktem Ribbs mit federartigen Streifen und das kurze Beinkleid von Casimir zu den Umschlagstiefeln umschlossen knapp eine hohe, vollendete Gestalt, die vielleicht nur durch etwas starken Gliederbau vom classischen Geschmack abwich, an Händen und Füßen aber zu schönem Maße zurückkehrte.

Wie Hermann, den breitschößigen grünlichen Frack angezogen, in der Stube auf- und abwandelte, fühlte er sich in den engen Kleidern nicht so bequem, als er sich doch für Andere darstellte, und hielt sich für steif, was Andere vielleicht für stolz angesehen hätten. So verließ er das Haus, und suchte sich nach den Andeutungen des Wirthes zur Wohnung des Kapellmeisters Reichardt zurecht zu fragen.

 

Dies war eben nicht so leicht; denn je weiter er an der Martinikirche hinaufkam, desto mehr glaubte er in einer ausländischen Stadt zu sein. Man hörte in den belebten Straßen fast nur französisch reden, und durch Aussehen, Kleidung und lebhaftes Wesen verrieth sich die Unzahl der Fremdlinge, die sich dem französischen Hofe nachgezogen hatten. Neue Läden mit französischen Ueberschriften waren theils ausgestellt, theils im Entstehen: hier ein Marchande de modes et de nouveautés, dort ein Traiteur oder Cafetier, da ein Tailleur bréveté, hier ein Marchand de comestibles et liqueurs oder ein Maître de langue française. Hermann ließ sich manche vergebliche Ansprache nicht verdrießen, bis er endlich zu Reichardt's Wohnung gelangte. Hier stieß er, eine Treppe hoch, vor einem offenen Zimmer, in dessen elegante, wohlriechende Unordnung er eben einen flüchtigen Blick warf, auf eine mit dem Staubbeschen beschäftigte Frauensperson, die ihn beschied, daß der Gesuchte in einer Probe auf dem Theater sei. Hermann übergab seinen Brief, den er angelegentlich empfahl. Er würde nach Tische wiederkommen und das beschmuzte Couvert entschuldigen.

Indem er nun ohne weiteres Vorhaben auf Gerathewohl durch die Straßen wandelte, überraschte ihn die Aussicht vom Friedrichsplatz ins Freie, und er schlenderte unter den Linden und Kastanien über den frisch aufgefahrenen Kies hinab. Welch' eine herrliche Landschaft, mitten aus der hochgelegenen Stadt überschaut, breitete sich hier unter seinen Blicken aus! Südöstlich der lange Zug sanfter Bergkuppen mit thalwärts gesenkten Waldzipfeln bis zu dem verschlungenen Bergspalt, durch welchen der junge Wanderer gestern ins Thal hereingekommen war, da wo der Hirschberg vortritt und der Meißner seine blasse Stirne zeigt. Links heranziehend knüpfen sich die mächtigen Kaufunger Berge und der Höhenzug des Reinhardswaldes an. Tiefer hängt ein Eichenwäldchen zur Landstraße herab. Ueber die hügelige Niederung breiten sich Felder um ein paar halb versteckte Dörfer aus, und schließen sich an die weitgestreckten Wiesen und den Augarten am Ufer des Fuldaflusses. Die Gipfel der gewaltigen Bäume dieses Parkwaldes und seiner Alleen bleiben tief unter dem Beschauenden, und nur die Obstbaumterrassen, die Gemüse- und Blumenrabatten steigen bis zur niedern Mauer empor, die den Garten von der Straße trennt.

Hier wandelte Hermann lange und in gehobener Stimmung auf und nieder, indem er den Blick abwechselnd über die sonnige Landschaft schweifen ließ oder nach den schönen Häusern wendete, die er sich im Ausblick auf eine so bezaubernde Natur von den glücklichsten Familien bewohnt dachte. Klavier und Gesang, die er aus offenem Fenster vernahm, eine schlanke Mädchengestalt, die auf einem Altane zwischen blühenden Gewächsen erschien, stimmten sein Herz und seine Phantasie ins Ungemessene jugendlicher Wünsche und Erwartungen. Er träumte sich geehrt und geliebt, und die nächste Equipage, die glänzend an ihm vorüber zum alten Schloß hinabrollte, weckte die lebhafteste Vorstellung von Macht und Reichthum in seiner Seele.

Diese beiden gewaltigsten Realitäten der bürgerlichen Gesellschaft, um die sich Hermann bisher in der Zurückgezogenheit seiner Studien wenig bekümmert hatte, traten jetzt zum ersten mal fest, wiewol noch ziemlich phantastisch, vor seine Betrachtung. Er war eben an einem Wendepunkte seines Lebens angelangt, wo er für sich selbst eine wirksame Stellung in der Gesellschaft suchte, während die Umgebung, in welcher er darnach ausging, selbst phantastisch und räthselhaft in ihrer Erscheinung, sich noch ganz an seine bisherige Anschauungsweise der Welt und Menschen anschloß.

 

Als Hermann des Nachmittags wieder beim Kapellmeister zufragte, erwartete ihn dieser schon angekleidet und den Hut aufgesetzt, mit freundlicher Ungeduld.

Sie bleiben lange aus, Herr – Treuleber! sagte er. Kommen Sie nur gleich mit! Meine Familie ist vorausgefahren; wir wollen die heißen Stunden in der Au zubringen. Es ist heut just ein Tag für diesen herrlichen Platz, der Ihnen gefallen wird.

Auf der Haustreppe stießen sie auf einen ziemlich verlumpten Franzosen, der sich Hunde zu scheren und zu dressiren erbot.

Gehen Sie zum Teufel mit Ihrer Schererei! ließ ihn Reichardt französisch an und setzte dann deutsch hinzu:

Dies fremde Gesindel glaubt, alle Welt müsse seine Sprache reden. Und so ist, sage ich Ihnen – wie Sie da gleich auch ein Pröbchen haben –, unserm von Gott bescherten Hieronymus ein ganzes Heer verlumpter Franzosen nachgezogen, wie dem Hund die Flöhe. Sie scheren oder dressiren Hunde, verkaufen Schminke und Waschwasser, repariren seidene Strümpfe und dergleichen. Immer noch besser, als es der große kaiserliche Bruder macht! Das Glied der großen Nation dort schert doch nur Hunde, sein Kaiser – ließe der doch die Deutschen ungeschoren, oder wären die Deutschen nur nicht wie Hunde, die es sich gefallen lassen.

In dieser Weise ließ Reichardt sich leicht gehen, – laut, rücksichtslos, abspringend mit einer Unruhe, die an einem tiefen Funfziger ausfallen konnte, dessen vollständige Glatze, mit Puder und Pomade geschützt, bis zu den wenigen Nackenlöckchen reichte. Sonst war sein geistreiches Aussehen, sein weltläufiges Benehmen und eine gewisse Vernachlässigung seines übrigens feinen und saubern Anzugs an dem so vielseitig gebildeten Componisten nicht unangenehm, ja es bezeichnete ihn. Nach seinen Ausfällen gegen die Franzosen kam er auf Hermann zurück.

Mein Schwiegersohn, sagte er, der wandernde Professor – beinahe hätte ich Prophet gesagt! – schreibt mir – Prophet wäre übrigens auch ganz treffend gewesen! – viel Schönes von Ihnen, Herr – – Dreileber. Er hat Ihren Vater gekannt, als dieser noch – Apropos! Er will wieder nach Halle ziehen, mein Schwiegersohn Steffens, meine ich, nachdem er den Winter in Holstein und Hamburg zugebracht. Wissen Sie, warum er sich so zwischen Preußen und Westfalen einklemmen will? Wissen Sie's?

Bei dieser Frage blickte Reichardt den jungen Gast durchdringend an, und fuhr, als dieser unbefangen verneinte, fort:

Ich weiß es. Aber von dergleichen später, – von der Politik ein andermal! Ja viel Schönes von Ihnen, und das will von Henrik Steffens etwas heißen. Wie sehr ich ihn schätze, können Sie daraus sehen, daß ich ihm meine liebste Tochter gegeben habe. Liebste? Nun, die Sie jetzt finden werden, habe ich nicht weniger lieb, – meine herrliche Luise, meine älteste von meiner ersten Frau! Diese war, wissen Sie, eine Tochter des berühmten Benda, und meine Luise ist ganz die mächtige Sängerin, die ihre selige Mutter war. Von mir hat sie das Talent der Composition, doch mehr im Geschmacke des mütterlichen Großvaters. Zu alldem hat sie Schicksale gehabt – o meine edle Luise!

Sie waren inzwischen durch das Author, die gewundene Treppe tief hinab, und durch Alleen in einen Seitengang des Parks gewandelt. Reichardt machte seinen Gast auf die großartigen Anlagen und auf die prachtvollen Bäume aufmerksam.

Da sehen Sie die alte Landgrafengarde, sagte er, die der Kurfürst zurückgelassen, als er vor anderthalb Jahren, am Jahrestage seines Regierungsantritts, mit seinen Schätzen Reißaus nahm, und das Land im Stiche ließ. Dem jungen Manne fiel hierbei der Brief wieder ein, und er erzählte den Vorfall mit dem Polizeicommissar und dessen feindselige Aeußerung über Reichardt. Dieser schwieg eine Weile und schien doch nachdenklich geworden. Indeß winkte ihnen schon die Familie begrüßend entgegen, und sie betraten einen coulissenartig von Bäumen umfaßten Hügel, das sogenannte Grüne Theater, wo Reichardt den jungen Mann mit den Worten vorstellte:

Herr – Dings – Hermann Weißleber aus Halle, ein junger Freund unsers theuern Steffens!

So heißt er nicht, Papa! bemerkte ein interessant aussehendes Frauenzimmer.

Wer heißt nicht? Wie heißt er nicht? fragte Reichardt.

Ich heiße Teutleben! versetzte mit angenehmen Lächeln der junge Gast.

Teutleben? Ja, ja ganz recht! rief Reichardt. Aber hören Sie, Liebster, schaffen Sie den Namen ab! Er klingt viel zu gesucht für unsere Zeit. Denn – Teutleben hat keine Bedeutung mehr, oder ist eine Drohung, eine Verschwörung gegen die Franzosen. Teut, der Gott der Deutschen, ist todt. Wissen Sie das nicht? Nennen Sie sich Todtleben! Oder nein, das wäre ein Widerspruch in sich selbst – eine contradictio in adjecto, wie ihr Philosophen sagt –, und Sie sind auch noch zu jung, und ein hübscher Mensch: nennen Sie sich Lebemann; damit machen Sie Glück in Westfalen. Uebrigens todtleben, – sich zu Tod leben können Sie hier mit hundert Gelegenheiten!

Still, Mann! lachte eine nette Frau, die unserm Hermann bekannt vorkam. Weißt du nicht, daß einzelne Bäume zur geheimen Polizei gehören?

Oh! Die schönen Bäume, liebe Frau? Nein! Die sind zu strack dazu, die sind noch altkurfürstlich.

Es sind auch räudige darunter, Papa, durchfaulte, bemerkte jenes interessante Mädchen. Worauf Frau Reichardt mit schalkhaftem Lächeln den jungen Gast anredete:

Wir kennen uns schon, junger Herr! Sie haben sich diesen Morgen bei Ihrem Besuche gleich überzeugen können, daß eines Kapellmeisters Frau so geschickt, wie ihr Mann das Tactstäbchen, ihren Staubbesen führen muß, um die Hauskapelle zu dirigiren.

Ich muß gestehen, antwortete er flüchtig erröthend, daß ich auf eine so liebenswürdige Familie gefaßt war, daß anmuthige Bewegung und Wohlklang der Stimme mich auch an der vermeintlichen Haushälterin nicht befremdeten.

Sie hieß ihn mit solcher Artigkeit willkommen in Cassel, und nannte ihm sodann die verschiedenen Anwesenden, unter denen ihm jenes Frauenzimmer, die schon vermuthete Tochter Reichardt's, gleich einen so ungemeinen Eindruck gemacht hatte.

Luise war schlank von Gestalt und edel gebaut. Ihre Haltung hatte etwas Schwebendes, zuweilen Feierliches. Dann sah sie wol wie verklärt oder wie abwesend aus, doch mit sprechenden Mienen, als vernehme sie Töne von oben oder führe mit Abwesenden Unterredung. Aber auch im gewöhnlichen Verkehr, für den es ihr an Verstand und Besonnenheit nicht fehlte, war Blick und Ausdruck des Gesichts höchst bedeutend und einnehmend; obgleich feine Pockennarben Das störten, was man im glatten Sinne schön zu nennen pflegt. Hermann erinnerte sich jetzt, schon in Halle gehört zu haben, sie sei eine geistreiche Schönheit und besonders für bedeutende Männer immer sehr anziehend gewesen. Er selbst empfand nach und nach diesen geheimnißvollen Zauber, und wenn er sich darum auch nicht für einen bedeutenden Mann hielt, so ward er darüber doch nicht inne, daß Luise über die erste Jugend hinaus und älter als er selber war. Auch hätte man ihr das dreißigste Jahr kaum angesehen, und Hermann erfuhr zum ersten mal, daß die geistige Schönheit oft über den Spuren der Jahre schwebt, und daß ein junges Herz, solange es dieser Macht verfällt, dem Zug und Banne der Sinnlichkeit entrückt ist. Dies leise, klangvolle Sprechen, diese Feierlichkeit in jeder Bewegung, diese Güte und Hoheit in jedem Blick hatten nichts mit den gewöhnlichen Reizen weiblicher Jugend gemein, die der junge Hermann, so beschränkt auch bis jetzt sein Verkehr in der Gesellschaft gewesen war, doch mit seinen frischen Sinnen gewiß schon empfunden hatte.

Der Park war an diesem schwülen Nachmittage sehr besucht. Es war der Wochentag, an welchem eine Regimentsmusik vor dem Wirthschaftsgebäude spielte. Doch suchten die Spazierenden lieber die entferntern Bänke unter den herrlichen Baumgruppen auf, von wo man den kleinen mit Schwänen besetzten See überschauen konnte. Noch tiefer im Parke lag der eigenthümliche Hügel, auf dem die kleine Gesellschaft des Kapellmeisters um so unbefangener verkehrte, als sie sich abgeschlossener empfand.

Es ist wirklich ein freies Theater, erklärte Luise dem jungen Gast, und Landgraf Friedrich, der Vater des vertriebenen Kurfürsten, hat hier Schauspiele aufführen lassen; wie er denn auch schon eine gar lustige halbfranzösische Wirthschaft, gleichsam als Vorspiel der Jerôme'schen, geführt haben soll. Vater liebt diesen etwas erhöhten und abgeschlossenen Platz, wo wir gewöhnlich auch ein wenig musiciren.

Plötzlich rief Reichardt:

Geh' zum Teufel mit deiner Drehorgel! Wir haben unsere eigenen Instrumente und sind unsere eigenen Polizeispione.

Die Scheltworte galten einem Burschen, der hinter einer Hecke lauschend bemerkt worden und dann mit seiner Orgel schnell hervorgetreten war. Hinter dem Weggegangenen schalt Reichardt:

Kann man sich doch dieses Hunde scherenden, Orgel und Schnurrpfeifereien treibenden Spitzbubenpacks nicht mehr erwehren! Und ich, wie es scheint, habe etwas apart Anziehendes für Polizeispione, wie für – du weißt ja, liebe Frau – für Wanzen.

Lieber Papa, flüsterte ihm Luise zu, in der nahen Fasanerie ist Gesellschaft, Graf Fürstenstein mit Anhang.

Das sind gute Freunde und verstehen kein Deutsch! lachte Reichardt. Die suchen jetzt ländlichen Zeitvertreib, dieweil der König fort ist. Sie wissen ja, lieber Doctor, daß Jerôme eben das Land bereist, und sich den Bürgern und Bauern seines Reichs präsentirt und recommandirt. Sonst hat er diesen gefürstensteinten Le Camus auf allen Reisen und Unternehmungen um sich; diesmal hat er aber kluger Weise lauter alten Landesadel mit sich genommen. Apropos, Luise! General Salha sucht ja für seine Tochter Melanie einen deutschen Sprachmeister: wie wär's, wenn du den jungen Freund da zur Madame brächtest? Er spricht das Französische gut, und käme so alsbald in die erste Gesellschaft. Wie?

Der Vorschlag schien der Tochter zu misfallen. Mit einem flüchtigen Blick auf Hermann sagte sie noch leiser als gewöhnlich:

Ach, lieber Vater, gerade dieser Kreis –!

Ja, gerade dieser! fiel Reichardt ein. Es sind die einflußreichsten Familien für das Fortkommen eines jungen Mannes. Und sodann – Sie müssen nur wissen, lieber Doctor, dieser Fürstenstein gehört zur deutschen Partei, vielleicht nur, weil er deutsch geadelt ist, und bewirbt sich um die Tochter des Generals Salha. Er wünscht, daß diese deutsch lernen möchte, und die Generalin, der Alles an dieser glänzenden Partie gelegen ist, begünstigt dies Vorhaben.

Aber daß die Empfehlung gerade von dir, – ich will sagen, von uns kommt – erinnerte mit bedeutendem Blick oder Wink Luise.

Nun, warum nicht? fragte er. Ich denke, wir kennen sie hinreichend, und Hermann ist eben an uns empfohlen. Wir haben ihn zu empfehlen, und wir können ihn empfehlen. – Doch genug für jetzt! Andere Accorde, Luise! Er reichte der Tochter die Guitarre und stimmte seine Violine. Luise sang einige Lieder Goethe's nach ihres Vaters Composition. Ihre Stimme war voll und tief, ihr Ausdruck ebenso ergreifend als eigenthümlich. Hermann, von ihrer ganzen Erscheinung eingenommen, war überrascht und bewegt.

Diese gehobene Stimmung kam ihm zu Statten, als ihn jetzt Reichardt zum Singen mit den Worten auffoderte:

Steffens schreibt uns von Ihrer ausgezeichneten Stimme und Ihrem guten Vortrage.

Wäre ich nur nicht voraus gelobt! lächelte Hermann und ergriff die Guitarre.

Geben Sie's nur von sich! lachte der Kapellmeister. Von einem Burschen, der zwischen dem häuslichen Klavier eines Pfarrers und den Orgelpfeifen eines Cantors aufwächst, darf man 'was erwarten.

Gut! So will ichs denn nach Ihren eigenen Noten wagen, versetzte Hermann, und sang das Lied von gestern Abend, das ihm gleichsam noch in den Ohren lag:

Komm' heraus, komm' heraus, du schöne, schöne Braut,
Deine guten Tage sind nun alle, alle aus,
Dein Schleierlein weht so feucht und thränenschwer,
O wie weint die schöne Braut so sehr!
Mußt die Mägdlein lassen stehn,
Mußt nun zu den Frauen gehn!

Ein räthselhafter Eindruck auf seine Zuhörer war zu bemerken: hier beifällige Bewegung, dort ängstliche Unruhe; jene vom Gesang, diese, wie es schien, von dem Liede hervorgerufen. Und während die Mutter Reichardt sich leise um die erblaßte Luise bemühte, konnte der Kapellmeister kaum den Schluß erwarten, um den Sänger mit Ungestüm zu umarmen. In seiner Lebhaftigkeit fand er wieder den Familiennamen nicht schnell genug, und rief:

Ei was! Wir nennen Sie Hermann kurzweg und familiär, ein für alle mal. Hört Ihr's, Mütterchen Luise! Hermann heißt er und verdient –

Indem er jetzt aber beim Anblick seiner Tochter zur Besinnung über das Lied kam, entstand eine Stille der Verlegenheit, die nachgerade den jungen Freund zu verwirren anfing, als eine ältere Frau mit der Geberde, ihm zu Dank etwas Freundliches zu sagen, hervortrat und ihm zuflüsterte:

Lassen Sie sich nicht beunruhigen! Es gilt nicht Ihnen: Sie haben charmant gesungen; aber das Lied ist von Luisen selbst, nicht von ihrem Vater componirt, wie Sie glauben, und hat für sie schmerzliche Erinnerungen. Sie wußten das nicht und müssen es auch jetzt ignoriren. Thun Sie ganz unbefangen!

 

Recht wie erwünscht kam ein unerwarteter Besuch und half über die verheimlichte Verwirrung vollends hinaus. Graf von Fürstenstein, Melanie Salha am Arm und von seiner Schwester, Mademoiselle Le Camus, einer niedlichen Creolin, sowie vom Vater Melaniens, General Salha, begleitet, traten unvermuthet durch die grünen Coulissen herein. General Salha, vormals Schiffslieutenant, etwas roh und unbehülflich in Ton und Manieren, entschuldigte in seinem Marinefranzösisch die Störung mit ihrem Verlangen, den neuen vortrefflichen Sänger zu sehen, den sie aus der Ferne gehört hätten.

Es ist Zeit, Herr Kapellmeister, daß wir einen andern Tenor aufs Theater bekommen, sagte er. Unser Monsieur Theodore ist recht abfällig; er hat manchen conträren Wind überstanden, Alter und Klima haben ihn mürbe gemacht, und seine Kehle ist nicht mehr zu kalfatern. Ha, ha!

Herr General, antwortete Reichardt, hier habe ich die Ehre, Ihnen den Sänger vorzustellen, – Hermann – Teutleben, ein junger Freund, an uns empfohlen. Seltener Bariton, Herr General! Geht aber auf- und abwärts weit über seine Grenzen, – kreuzt nach dem Baß und nach dem Tenor hin. Leider kein Sänger von Profession; will vielmehr Professor werden, und wäre als solcher gar wohl zu engagiren. Ei – da fällt mir eben ein –! Nehmen Sie ihn einstweilen zum Sprachmeister für Mademoiselle Melanie! Sie suchen ja Jemanden für das Deutsche? Hab' ich wenigstens gehört.

Die Franzosen blickten einander fragend und den jungen Mann musternd an, wobei die lebhaften Augen der Creolin auch für ihre Person keine Abneigung vor dem deutschen Unterricht verriethen. – Spricht der Herr französisch? fragte Graf von Fürstenstein. Worauf Hermann lächelnd versetzte:

Ich würde wol die Grammatik expliciren können, wenn ich das unerwartete Glück hätte, Sprachmeister zu werden.

Wahrlich, Graf, er spricht gut! bemerkte Salha.

Unser junger Freund ist allerdings kein gewöhnlicher Sprachmeister, fiel Reichardt ein, sucht auch darin keinen Erwerb, keine Existenz. Er hat Studien für einen höhern Beruf im Dienst gemacht. In dieser Erwartung würde er es sich aber zur Ehre rechnen, eine so liebenswürdige Schülerin leicht und angenehm in die deutsche Sprache und Literatur einzuweihen, und sich dadurch die Gunst und Förderung so einsichtvoller Hof- und Staatsmänner zu verdienen.

Führen Sie uns den jungen Mann zu, sagte Fürstenstein. Ihre Freundschaft für ihn gereicht ihm zur besten Empfehlung!

Nach kurzer Unterhaltung mit Mutter und Tochter Reichardt empfahl sich der Besuch; worauf der Kapellmeister, während man sich zu den mitgebrachten Erfrischungen setzte, zu Hermann sagte:

Ich habe Sie, mein lieber junger Freund, allerdings zu etwas empfohlen, ohne Sie darum befragt zu haben. Ich weiß aber, was Ihnen dient. Sie müssen zu Anfang nicht das Geschäft ansehen, sondern den Platz, wo Sie Ihre Springfedern ansetzen. Vor allem dürfen Sie hier nicht zu bescheiden auftreten. Die Franzosen verstehen den Tiefsinn deutscher Bescheidenheit nicht. Sie müssen hoch mit sich hinauswollen, zuerst sich selbst begründen, um dann desto wirksamer unser deutsches Leben und Leisten geltend zu machen. Der Stolz auf uns selbst ist der beste Gegendruck gegen diese erniedrigende Fremdherrschaft. Sie glauben nicht, wie sich diese Deutschen wegwerfen und in Niederträchtigkeit wetteifern.

Ich habe mir diesen zum Grafen erhobenen Herrn Le Camus älter gedacht, bemerkte Hermann.

Nein, erwiderte Reichardt, er war doch immer ein Vertrauter und guter Kumpan Jerôme's, nur soviel älter, um zugleich sein Rathgeber und Führer zu sein. Jerôme hatte ihn auf Martinique kennen gelernt, wo er Pflanzer oder auch Gewürzkrämer war. Sie kennen ja unsers Königs Vorgeschichte, nicht wahr?

Ich weiß gerade nicht, wieviel Wahres oder Falsches an Dem ist, was ich davon weiß, lächelte Hermann. Unser Jerôme hat eine etwas mythische Vorgeschichte, die sich an die Krämerelle und Ladenwage knüpft.

Ei was! fiel Reichardt ein. Nein, ich kann Ihnen kurz das Richtige sagen. Jerôme, der jüngste und verzogenste Sohn der Madame Lätitia Buonaparte, war auch der Letzte, der seiner Familie von Corsica nach Frankreich folgte. Nachdem er das Colleg zu Juilly besucht hatte, bestimmte ihn Napoleon wider seinen Willen für die Marine, und er machte als Cadet, als Schiffsfähnrich und Schiffslieutenant einige Expeditionen nach Sanct-Domingo und dergleichen. Von jener Schiffskameradschaft stammt auch dieser General Salha her. Von den Engländern verfolgt, rettete Jerôme sich auf ein Handelsschiff, das dem Kaufmann Patterson in Baltimore gehörte. Dadurch kam er ins Haus dieses Handelsherrn und lernte die schöne, liebenswürdige und gebildete Tochter Elisabeth kennen. Es kam zu einer Heirath, die den großen Absichten seines Bruders, des ersten Consuls Buonaparte, widersprach, und daher von diesem nicht anerkannt wurde. Später, als Napoleon Kaiser geworden war, hoffte Jerôme den mächtigen Bruder, der seine übrigen Brüder zu französischen Prinzen gemacht hatte, durch die Liebenswürdigkeit seiner Elisabeth mit der Heirath zu versöhnen, und kam mit ihr im Frühling 1805 nach Europa. Aber alle Landungsplätze des westlichen Continents von den Niederlanden bis nach Portugal hin waren auf Napoleon's Befehl für die gute Frau gesperrt. Jerôme eilte mit Le Camus durch Portugal und Frankreich nach Mailand, wo sich Napoleon eben zum König von Italien krönen ließ. Aber der Kaiser gab nicht nach. Er bediente sich gerade dieses Le Camus, um Jerôme zu einer Trennung von seiner Frau zu bestimmen. Der schwache Patron gab nach, so lieb er seine Elisabeth hatte, und unterwarf sich dem kaiserlichen Bruder. Er wurde jetzt zum Schiffskapitän befördert und nach Genua geschickt, das sich unter den Schutz Frankreichs gestellt hatte. Le Camus, der treue Rathgeber und Nothhelfer, übernahm es, die so geschiedene Frau nach England zu bringen, wo sie in der Nähe von London mit einem Söhnchen niederkam, das auch Jerôme getauft wurde, sodaß sie doch mit einem Jerôme wieder nach Baltimore zurückkommen konnte. Vielleicht war ihr sogar das Jerômechen lieber als der Jerôme. – Für all' diese guten Dienste wurde nun Le Camus zum Grafen erhoben, und – hören Sie, wie artig! Als Jerôme im vorigen December zuerst nach Cassel kam, war kurz vorher der letzte Abkömmling der begüterten Familie Diede zum Fürstenstein mit Tode abgegangen und die schönen Besitzungen dem Lande heimgefallen. Jerôme ordnete zum Christfest auf deutsche Weise einen Christbaum an und bescherte seinen Günstlingen einzelne Besitzungen jener reichen Hinterlassenschaft. Unter ihren Couverten fanden sie beim Festschmause ihre gräflichen und freiherrlichen Diplome. Wie lieb! Nicht wahr? Sehen Sie, nun möchten gern einige dieser Männer in ihren hohen deutschen Namen ein wenig deutsch erscheinen. Besonders gefällt sich dieser Fürstenstein darin, nicht blos deutsch betitelt, sondern für ein deutsches Original zu gelten, und schließt sich gern den Deutschen an. Der König begünstigt diese Richtung und sucht sich die Sprache anzueignen, wie er es auch der ersten westfälischen Deputation in Paris versprochen hat. Dabei, sehen Sie, müssen wir diese Leutchen fassen und für unsere deutschen Absichten von der Seite benutzen, wo sie ganz nichtsnutzig sind. Das ist meine Politik, und darum möchte ich Sie gleich unter dies Volk bringen, wo Sie unserer deutschen Sache ehrlich dienen und sich selbst rasch vorwärts bringen können.

Gut! lachte Hermann. Ich kann mir ja die deutsche Grammatik als Leiter gefallen lassen und sehen, wie hoch sie mich bringt.

Glück auf! rief Reichardt mit gehobenem Glase. Es ist eine Braut – wenigstens in spe, in der Erwartung – bei der Sie die Leiter zuerst ansetzen, mithin eine gute Vorbedeutung ohne Gefahr für Ihr Herz.

Und indem er sich über den Tisch gegen den jungen Gast vorbeugte, flüsterte er:

Deutsche Grammatik – ein großes Wort, junger Freund! Wir liegen unter schmachvollem Druck einer fremden, feindlichen Nation; wir müssen nicht blos deutsche Worte, das ganze deutsche Wesen müssen wir decliniren, abändern; nicht blos die Zeitworte conjugiren, die ganze Zeit abwandeln. Helfen Sie an Ihrem Theile mit, und die schönste Conjugation, das glücklichste Conjugium mag sich für Sie daran knüpfen.

Und sich aufrichtend, sein Glas füllend, rief er aus:

Conjugium, meine Freunde, bedeutet Ehebund! Hoch!

Ein plötzlicher Gewitterschlag schreckte die Gesellschaft auf. Der Nachmittag war so heiter gewesen, die Luft freilich ein wenig gewitterschwül, und ein Pfau hatte von der Fasanerie her, Regen verkündigend, seine widerliche Stimme hören lassen. Musik hatte in der Ferne gespielt, Lust und Lachen fröhlicher Gesellschaften war immer lauter geworden. Nun war diese Fröhlichkeit plötzlich erschüttert. Ein schweres Gewölk zog hinter den Bäumen herauf; alle Welt setzte sich in Bewegung: Spazierende, Reiter, Wagen eilten aus dem Park, um vor dem Unwetter nach der Stadt zu kommen.



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