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Drittes Capitel.
Hercules am Scheidewege.


Solcher Sorgen um ihn ohne Ahnung war auch Hermann an diesem Morgen vor das Thor hinaus gewandelt, früh, und in der Absicht, seinen Kaffee im Keilholz'schen Garten einzunehmen und von hier aus die festliche Bewegung zum königlichen Lever zu beobachten.

Der Garten war so früh nur erst von drei Gästen besucht. Aus Vorsicht aber vor den nachfolgenden wählte sich der Freund den einsamsten Sitz aus, der zugleich einen Blick auf die vorüberziehende Straße bot. Er wollte sein Frühstück in ungestörter Gemüthlichkeit genießen, und brachte dazu ein Buch mit, daß ihn jetzt sehr fesselte. Er hatte »Romeo und Julie«, diese ewige Tragödie der Liebe, früher mit poetischem Sinn gelesen, mit prüfendem Geiste gemessen, noch keinmal aber den Zauber empfunden, der ihn seit ein paar Tagen einnahm, nachdem ihm das Buch zufällig oder, wie er zu glauben geneigt schien, durch sympathetische Anziehung in die Hände gefallen war. Und allerdings mochte es in einer verwandten Seelenstimmung liegen, daß diese Sprache der Leidenschaft und der seligsten Jugendliebe ihn jetzt mächtiger als sonst bewegte. Es war nicht mehr jene flüchtig und von weitem angeregte oder ganz gegenstandlose Sehnsucht des Herzens, die er wol früher empfunden hatte, sondern die naive Hingebung und die vertrauliche Annäherung dieser ihm neuen und fremdartigen Reize der Creolin hatten das brennendste Verlangen in allen Pulsen angefacht. Hermann hätte in seiner casseler Zurückgezogenheit und Lebensrichtung in keine gefährlichere Berührung kommen können, als mit einem Mädchen von solcher sinnlichen Unbefangenheit bei untadelhaftem gesellschaftlichen Benehmen und hoher bürgerlicher Stellung. Selbst die Art und Weise, wie das lebhafte Geschöpf seine Ungeduld über die Schwierigkeiten der Sprache, die es lernen wollte, in verliebtem Aerger gegen den Lehrer ausließ, hatte etwas Verführerisches. Sie gab dem jungen Mann eine Ueberlegenheit, eine Freiheit verliebten Gegenneckens, womit er zwar in Beisein der Gräfin an sich halten mußte, die ihn aber in günstigen Augenblicken hinrissen, oder nur desto tiefer in sein Inneres zurückschlugen, und hier Empfindungen, Wünsche anregten, die er sich kaum selbst hätte eingestehen mögen. Und diesen heimlichsten Regungen lieh nun die Sprache der Tragödie einen so unschuldigen als feurigen Ausdruck. Hierin lag der Zauber und das Entzücken, womit er Verse las, wie:

Ein Spiel, wo Jedes reiner Jugend Blüte
Zum Pfande setzt, gewinnend zu verlieren.

Oder das aufmunternde Wort:

Bis scheue Liebe kühner wird, und nichts
Als Unschuld sieht in inniger Liebe Thun.

Waren nicht mit dieser seligen Wahrheit alle Aengstlichkeiten des Herzens und alle Vorurtheile einer einschüchternden Erziehung vollständig überwunden? Und lag nicht, was eine Julie vor sich selbst aussprechen konnte, vielleicht stumm in jeder Mädchenseele?

 

Jene drei Gäste, die vor Hermann schon dasaßen, waren Musiker aus dem deutschen Orchester. Sie saßen um eine Flasche Burgunder, und ließen ihre gesteigerte Stimmung in einer Jagd nach Witzen und in kecken Reden aus. Sie hatten Verdruß mit dem Generalintendanten gehabt und Unrecht bekommen; der feurige Wein gab ihnen Recht; der Wirth Keilholz, vormals auch beim deutschen Theater, hielt es mit ihnen und mit dem Wein, – ein zuverlässiger Kerl, wie er war, und die Einsamkeit ihres Tisches hob alle polizeiliche Rücksichten auf. So kamen sie vom Hundertsten ins Tausendste und endlich auch auf des Königs frühere Lebensverhältnisse. Man sprach ziemlich wegwerfend von seinen Diensten in der Marine, in die er aus dem Erziehungscollège zu Juilly getreten war, – von der Expedition, die er als Schiffslieutenant nach Domingo, und als Fregattencapitän nach Martinique gemacht hatte, bis er, von den Engländern verfolgt, auf einem amerikanischen Schiffe glücklich entkam, und in Baltimore sich mit Elisabeth Patterson verheirathete.

Sagen Sie mir nun, Clarinette, unter welchem Himmelszeichen lag der berühmte Seeheld dort vor Anker – unter dem Zeichen der Wage oder der Elle? fragte Einer von den Dreien.

Die lustigen Gesellen pflegten sich nämlich unter einander bei ihren Orchesterinstrumenten, statt bei ihren Namen, zu nennen. Sie hießen Beneke, Stöpler und Grosbom. Auf Beneke's Frage antwortete jetzt Stöpler:

Darüber, gute Bratsche, sind die Historiker noch nicht einig. Die Einen berichten, dem jungen Jerôme sei ein hohes Glück zugewogen gewesen, wogegen Andere sich ausdrücken, das Verhängniß hätte ihm einen neuen Purpur zugemessen. So schwanken sie zwischen Wage und Elle.

Ei was! fiel Grosbom ein. Ihr seid Beide irre. Patterson war Wechsler, und hatte es weder mit Wage, noch mit Elle zu thun.

O Posaune, wie kannst du so einen falschen Ton geben! versetzte Beneke. seinem Schwiegersohn einen Wechsel auf Hessen-Cassel geben lassen, wovon seine Tochter als Protest zurückkam.

Bratsche, das war ein Fehlgriff! rief Grosbom. Patterson, der famose Negotiant, dachte mit seinem hübschen Töchterchen ein gutes Geschäft zu machen. Er gab sie doch dem nach Frankreich zurückberufenen Jerôme mit, wißt ihr. Aber das Project fiel leider dem größten Chemiker unter die Hände, und verdarb.

Chemiker? Wie so? fragte Keilholz.

Ei, wie so? Wißt ihr nicht, daß Kaiser Napoleon der größte Scheidekünstler ist? Sie wurden geschieden, wie sehr auch der Papst den Kopf und seine dreifache Krone, Tiara benamst, dazu schüttelte.

Alle lachten, und der Sprecher fuhr fort:

Und die Scheidung ging so scharf vor sich, daß die gute Elisabeth mit ihrem bald darauf in England geborenen Bübchen ganz niedergeschlagen nach Baltimore zurückkam, und Jerôme, obgleich katholisch, wieder heirathen und sogar von einem Erzbischof getraut werden konnte.

Apropos Bübchen! wendete Keilholz ein. Hört! Glaubt ihr wol, wenn unser König aus zweiter Ehe keinen Erben bekäme, daß das Pattersöhnchen König von Westfalen werden könnte?

Gewiß! Es ist ja königlich Blut! rief die Bratsche.

Bratsche, Bratsche, was für Fehlgriffe! versetzte Stöpler. Das väterliche Blut ist ja erst durch den Tilsiter Frieden purpurroth geworden!

Nun, dann succedirt der kleine Amerikaner, wie sein Vater, nach Wechselrecht! rief Grosbom.

Willst du dich dämpfen, Posaune! mahnte Stöpler. Piano! Oder du wirst die Posaune deines eigenen Gerichts! Dort sitzt Einer, der steckt die Augen in sein Buch, aber streckt sein rechtes Ohr hierher!

Jerôme hoch! schrie der schlaue Wirth, und die Gläser erklangen.

Eben traten noch drei Musiker, die sich verspätet hatten, in den Garten, und Einer sang:

Kaffeechen, Kaffeechen, du lieblicher Trank,
Dir weihe sich jetzo mein schönster Gesang;
Dein wallendes Feuer, das Nerven durchglüht,
Durchglühe, durchzittre, begeistre mein Lied!

Keilholz, eine Tasse Martini!

Heut gibts keinen de la Martinique, heut gibt's Mocca – moquanten Kaffee! versetzte Keilholz.

Mit Polizeischmant?

Nichts! Ohne! Schwarz!

Schwarz wie der Teufel, heiß wie die Hölle, süß wie die Liebe muß der Kaffee »sind«! declamirte jener Sänger, und Beneke versetzte:

Süß wie die Liebe? O wie bitter steigt die den Meisten auf!

Beneke, entgegnete der Andere feierlich, Sie kennen die Liebe vom echten Zuckerrohr nicht. Sie reden von der Runkelrübenliebe, die jetzt freilich viel fabricirt wird – auf Patente! Der Teufel hole die Continentalsperre und die Cichorien! Cichorium, Wegwart! Genuß, der auf allen Wegen wartet. Erhitzt das Blut, sagt der Arzt; gutes Kuhfutter, sagt der Oekonom; nichts für uns, sag' ich! – –

 

Hermann verließ bei dieser Lustigkeit den Garten und schlenderte der Stadt zu. Die ersten Wagen begegneten ihm. In einem derselben erblickte er Adelen mit ihrem Bruder, Grafen Fürstenstein, und dem General Morio. Er selbst wurde nicht bemerkt, weil alle drei einen Gegenstand nach der andern Seite der Gegend ins Auge gefaßt hatten. – »Bis scheue Liebe kühner wird«, tönte es in seinem Herzen, und er dachte an den Abend. Er war nämlich von der Gräfin Antonie in der letzten Lectionsstunde für den Illuminationsabend eingeladen worden. Sie wollte von Napoleonshöhe herunterkommen, um später mit der Königin aus dem alten Schloß durch die Stadt zu fahren und die Beleuchtung anzusehen. Als er in seine Wohnung zurückkam, fand er Luisens Billet, und las:

»Uebereilen Sie sich, lieber Freund, um des Himmelswillen nicht mit dem weitern Berichte, den Bercagny von Ihnen erwartet, und verwahren Sie auch den zurückgegebenen, bis Sie mich diesen Abend um 7 Uhr, und zwar auf meiner Stube, gesprochen haben. Ich erwarte Sie unfehlbar!                   Luise.«

Es läßt sich denken, wie überrascht der Freund war, daß Luise so genau von seinem Geheimniß wußte. Zuerst empfand er eine kleine Beschämung über seine Zurückhaltung gegen die ihm so wohlwollende Familie. Doch, er hoffte sich zu rechtfertigen und räthselte nur, wie die Sache gegen den eigenen Wunsch Bercagny's, und doch nur durch ihn selbst ausgekommen sein könnte.

Schwerer noch fiel ihm die doppelte Einladung auf eine und dieselbe Stunde aufs Herz. Luise war sehr pressant, und die Gräfin durfte, Adelen mochte er nicht aufgeben. Nach langer Unruhe fand er den Ausweg, etwas vor 7 Uhr zu Luisen zu gehen, sie um Aufschub ihres Anliegens zu bitten und dann nach der Wohnung der Gräfin zu eilen.

Mit diesem guten Entschluß schlenderte er nach Reichardts Wohnung, und fand Luisen auf ihrem, im Seitenbau nach hinten gelegenen Zimmer seiner schon wartend. Sie hatte ihre anfängliche Empfindlichkeit gegen ihn überwunden, und dachte den jungen unerfahrenen Freund mit aller Milde und Schonung zu behandeln, als sie ihn jetzt mit so selbstzufriedener Miene eintreten sah, und sich plötzlich umgestimmt fühlte. Sie hatte ihn wenigstens doch von ihrer Mitwissenschaft überrascht, oder wegen seines Heimlichthuns befangen erwartet, und fand sich nun durch den Ausdruck heitern Leichtsinns in seinem Gesichte so gereizt, daß sie ihn auffallend ernst und gemessen empfing.

Hermann, an freundliche Aufnahme gewöhnt, sah sie betroffen an, indem er sagte:

Sie erschrecken mich, Luise! Sie sehen so ernsthaft aus, so –

Ich bin es! antwortete sie. Und daß Sie dagegen so heiter und – seelenvergnügt kommen, ist mir dennoch lieb; ich kann mich desto unumwundener mittheilen.

Ich bin sehr gespannt, erwiderte er, und seines Vorsatzes, die Sache vorläufig abzuthun, ganz vergessend, nahm er den ihm angewiesenen Stuhl ein.

Ja, ich bin irre an Ihnen geworden, Herr Doctor! sagte sie. Doch – davon wollt' ich jetzt nicht reden; sondern von dem Bericht, den Sie an Bercagny erstattet haben, über – —, nun Sie wissen ja selbst am besten worüber?

Sie sah ihn mit einem Blick an, der etwas ganz Anderes zu erwarten schien, als das Lächeln, womit er sagte:

Ja, Luise. Aber es ist mir ein rechtes Räthsel gewesen, woher Sie in aller Welt nur –

Davon wissen? unterbrach ihn das heftige Mädchen. Von Ihnen selbst nicht, nein; sonst würde ich jetzt – Doch nichts von mir! Sie haben also gar keine Ahnung davon, wozu so bedenkliche Mittheilungen misbraucht werden können?

Sie erschrecken mich, Luise, aber – ich verstehe Sie nicht!

Also deutlicher! Wenn Sie wollen – ganz deutlich! Sie stehen beim Polizeiminister auf der Liste der Polizeispione erster Classe, das heißt der sublimen, intelligenten; Sie haben ein Handgeld von 300 Francs aus der Kasse der geheimen Polizeiagenten angenommen –

Hermann sprang entsetzt mit geballten Fäusten auf.

Wer sagt das? Wer wagt – schrie er.

Still, um des Himmelswillen! Rufen Sie keine Zeugen unserer Verhandlung herbei! gebot sie. Sie kommen immer noch nicht auf sich selbst. Ich muß Ihnen also noch sagen, wo's mit der Sache hinaus will. Sie haben jetzt nur den zurückgegebenen Bericht noch zu vervollständigen, noch die Fragen des Herrn Ritters, besonders auch in Betreff meines edeln Schwagers Steffens, der Sie uns empfohlen, zur polizeilichen Zufriedenheit zu beantworten, und es wird dann an den Kaiser Napoleon Bericht erstattet, und Sie können's erleben, daß einige der von Ihnen bezeichneten Männer mit dem Kreuz der Ehrenlegion ausgezeichnet, und Einem oder dem Andern der Palmenorden verliehen wird – ich meine den Orden, den zuerst vor anderthalb Jahren der Buchhändler Palm mit sechs Bleikugeln auf die Brust erhalten hat.

Heiliger Gott! schrie Hermann mit erstickender Stimme, und sank blaß auf seinen Stuhl zurück.

Luise, von diesem Eindruck ihrer leidenschaftlichen Worte erschüttert, ging nun zur ängstlichsten Theilnahme über. Sie faßte seine Hand, sie strich ihm über die kalte Stirne, und bat, daß er sich fasse, daß er sich beruhige.

Ich weiß, Sie haben's so nicht gemeint, lieber Hermann, flüsterte sie, ich weiß es! Und die Gefahr ist ja nun auch abgewendet.

Bei diesen Worten schlug Hermann den schmerzvollen Blick zu der über ihn gebeugten Freundin auf, indem er misverstehend, mit leisem Kopfschütteln versetzte:

Wie konnten Sie mir aber so heftige Schrecknisse sagen, Luise, – mich dennoch mit solchen blos eingebildeten Gefahren entsetzen? Und Sie haben mir stets das edelste Herz gezeigt! Luise?

Es ist dasselbe Herz, Hermann, das Sie durch unbedachtes Handeln in soviel Angst und Betrübniß um Sie gesetzt haben. Ruhig, lieber Freund! Es ist ja nun Alles gut, der Himmel hat's abgewendet; aber – was er abgewendet, sind keineswegs eingebildete Gefahren, lieber Hermann! Bercagny hat es so gemeint, hat es noch so in Absicht.

Es ist nicht möglich, beste Luise! Glauben Sie mir! Sie selbst haben keine Verbindungen mit Bercagny: sagen Sie mir, von wem Sie die Kenntniß haben, damit ich begreife, wie eine solche Misdeutung hat entstehen können, damit ich mich rechtfertige!

Ich darf Ihnen jetzt nur sagen, fiel Luise ein, daß Ihr Bericht durch glückliche Fügung in die Hände Ihrer wohlwollendsten Gönner gekommen ist. Es sind nur zwei Ihnen wohlgesinnte, herrliche Menschen, die außerhalb der Polizei Kenntniß von Ihrer Schrift haben, und durch sie unterrichtet, bin ich die dritte. Aber Sie sind bei uns gerechtfertigt, gänzlich!

Gerechtfertigt? rief Hermann lebhaft aus. Also haben mich doch diese herrlichen Menschen der Niederträchtigkeit für fähig gehalten, daß ich als Agent der Polizei – Herr des Himmels –

Ich beschwöre Sie, Hermann, sprechen Sie ruhig! Mein Vater darf nichts von dieser Verhandlung hören und erfahren. Gerechtfertigt heißt, – wir glaubten, ja wir wußten alsbald, daß Sie sich nicht – wie soll ich es ausdrücken? – zu Bercagny's Absichten verstanden haben, sondern von ihm getäuscht worden sind. Eins von beiden war ja auch nur denkbar.

Getäuscht! rief Hermann unwillig aus. Herrliche Gönner Das, die mich entweder für einen Schurken oder für einen Pinsel halten müssen! Also Eines oder das Andere! – Nein Luise, es ist noch ein Drittes: jene Mitwissenden kennen Bercagny's großartige Denkweise nicht und beargwohnen seine Absichten. Oder – meinethalben, sei es auch Theilnahme für mich, Besorgniß, daß Ungelegenheiten für mich aus der Sache erwachsen könnten. Auf dem Verkehr mit Polizeibeamten ruht einmal Mistrauen.

Luise erwiderte hierauf mit wehmüthigem Kopfschütteln und leiser, beschwichtigender Handbewegung:

Nein, mein Freund! Woher jene Wohlwollenden von dieser heimlichen Angelegenheit wissen, kennen sie auch die geheime Bestimmung jener Arbeit. Ich muß Ihnen das sagen, Hermann. Sie müssen um Ihres eigenen edeln Selbst willen wissen, in welchen Händen Sie sind. Glauben Sie mir – und Sie sollen sich demnächst überzeugen –, Bercagny hat Sie getäuscht, er hat das Schlimmste mit Ihrem Vertrauen vor.

Aber dann sei Gott diesem Schurken gnädig! rief Hermann empört, mit drohend gehobenen Armen. Solche Entwürdigung ertrage ich nicht! So wahr der Himmel über uns steht, Luise, – dieser reine blaue Himmel draußen! Und sollt' ich mein Leben, mein Alles dran setzen –

Halt, Hermann! fiel Luise mit warnender Geberde ein. Keine Betheuerungen, keine thörichten Vorsätze! Nehmen Sie Ihre gute Vernunft zusammen! Ist das denn das ganze Unglück, daß Sie gekränkt, daß Sie misbraucht worden sind? Und zwar nicht ohne Mitschuld. Oder gilt es darum, Das zu retten, was durch Sie in Gefahr gerathen ist? Ueberlegen Sie einmal: Was wollen Sie thun? Ist hier studentische »Touche«, die sich mit jenaer Schlägern ausfechten läßt? O mein Freund, seit der Schlacht bei Jena leben wir in einer andern Welt! Oder wollen Sie einen schlauen Polizeiminister bei einem Tribunal belangen, daß er Ihr edles Selbst verletzt habe? Lieber, guter Hermann! – fuhr sie mit weichem Tone fort, indem sie seine beiden Hände zusammenfaßte – nehmen Sie ja Ihre ganze Ruhe und Besonnenheit zusammen! Wenn Sie unklug, wenn Sie übereilt handeln, läßt dieser gewalthabende Mensch Sie festnehmen und auf Mitwissenschaft von den Verbindungen in Preußen untersuchen, von denen Sie ihm so übereilte Andeutungen gegeben haben.

O mein Gott! seufzte der Freund, der nun seine ganze Verwickelung übersah, und schritt mit gefalteten Händen wie nach Rath und Hülfe suchend, unruhig durch das Zimmer.

Aber jetzt laß auch nicht gleich den Muth sinken, Hermann! sprach Luise, die ihm folgte. Mit Klugheit kannst du noch aus der Sache herauskommen. – Nun ja, laß mich in so erschütternden und vertrauten Augenblicken du sagen, und vergib, daß ich dir solche Erschütterung nicht ersparen konnte. Und ich bin freilich auch etwas unzart zu Werk gegangen. Ich will dir nur gestehen, daß ich ein wenig ärgerlich über dich war: einmal, weil du meine Warnung vor diesem Bercagny so wenig beachtet hast, und dann, weil du einen so bedenklichen, so offenbar verfänglichen Schritt ohne Vertrauen zu mir oder meinem Vater thun konntest. War das recht von dir gegen uns?

Vertrauen zu Ihnen – zu dir, Luise? rief er, ihre beiden Hände fassend, tief bewegt aus. Mit so gemeinem Vertrauen, mit solchem Hinwurf ungeduldiger, unbeachteter Stunden soll ich dir nahen? Wüßtest du, in welcher Stimmung von Zweifeln, Unmuth, Unzufriedenheit mit mir selbst und zuletzt von Hohn über mich selbst ich den verwünschten Bericht hingesudelt habe: du würdest es gerecht finden, daß ich dich damit nicht aus deiner großen, heiligen Trauer herabziehen durfte. Wohnst du nicht wie in einem durch ewige Erinnerungen geweihten Tabernakel des Schmerzes, und ich soll hinantreten, ohne die Schuhe abzulegen, mit denen ich den Unrath des Lebens trete? Vertrauen? O nenne es nicht Vertrauen, was ich zu dir habe! Meine Brust ist erfüllt von Andacht, von Anbetung zu dir, du erhabene Luise!

Träumer und kein Ende! lächelte sie. Aber – laß uns selbst zu Ende kommen, und glaube mir, Hermann, du mußt die Welt behandeln lernen wie ein Mann, der in der Welt weder unter Thoren, noch unter Schelmen fremd bleiben darf. Und anstatt dich über Bercagny's List gegen dich zu erbittern, betrachte du die schiefe Position dieser Menschen in unserer deutschen Welt, worin sie nothgedrungen auf alle Lebenslagen um sich her drücken. Diese Fremdlinge haben Grund genug zum Mistrauen gegen eine Nation, die von ihnen Schmach, Mishandlung, Armuth erfahren hat und täglich erduldet. Sie bangen vor Dem, was sie mit Recht zu fürchten haben – die Rache, die sich auch schon gegen sie rüstet. Wer kann ihnen verargen oder es doch nicht begreiflich finden, daß sie auf geraden oder krummen Wegen hinter Das zu kommen suchen, was eines Tags sie Alle mit Vernichtung überraschen könnte? Doch genug davon! Jetzt gilt es vor allem, deinen Bericht zu vernichten, damit das gefährliche Papier aus der Welt komme.

Gut! Das ist gleich geschehen, erwiderte Hermann, aber das Geld von Bercagny, diesen bittersten Vorwurf, der mich kränkt, kann ich doch nicht vernichten, und werde es ihm, – o ich könnte es ihm vor die Füße werfen!

Werfen nun gerade nicht, und noch weniger vor die Füße, lächelte sie. Ich glaube, nicht einmal zurückgeben darfst du es, um dich nicht zu verrathen. Doch darüber sprechen wir noch. Ich werde dir den Rath eines Mannes von großer Weltkenntniß mittheilen. Du darfst weder deine Würde, noch deine Zukunft in die Gefahren einer Aufwallung, einer wenn auch noch so gerechten Entrüstung bringen. Und so lange dir dies schwer wird, verlange ich unbedingte Hingebung an meine Anweisungen. Hältst du mich einmal so hoch, so vernimm mich auch von oben herab! Also zieh' nur immerhin deine Schuhe wieder an, und wandle heiter und vorsichtig durch den Unrath der casseler Welt!

Hermann, etwas empfindlich auch über diesen Scherz, versetzte:

Ja doch! bevormundet nur immerhin einen Menschen, der so täppisch in eine grobe Falle gehen konnte. O ich schäme mich meiner Albernheit!

Schäme dich keiner Lehre, die dich zum Meister macht, Hermann, entgegnete Luise. Du, träumender Schüler Fichte's, wirst an diesem polizeilichen Nicht-Ich dein ehrliches deutsches Ich desto besser kennen lernen. Und wie sehr ich diesem vertraue, gebe ich dir zum Abschiede noch den Beweis. Eine der Fragen Bercagny's betrifft den Verfasser des Buches: »Napoleon Buonaparte und das französische Volk.« Wie würdest du die Frage beantwortet haben?

Mit: Ich kenne weder das Buch noch den Verfasser, antwortete er.

Der Verfasser ist – mein Vater! flüsterte Luise.

Hermann bebte zurück. Eine Stille entstand, und als er Luisens Hand erfaßte, fühlte sie, daß er zitterte und wie er keines Wortes mächtig war. Vom Hausgange her hörte man Luise! rufen, und sie eilte an die Thür:

Ich komme den Augenblick, lieber Vater!

Noch einmal ergriff Hermann ihre Hand, und sprach mit dem weichsten Tone seiner angenehmen Stimme:

An welchem Abgrunde bin ich hingetaumelt, Luise! Ich kenne das Buch nicht, und die satanische Frage ist so gestellt, daß ich stolz gewesen wäre, den Verfasser zu nennen – Gott im Himmel, deinen Vater! Was hätte ich noch festhalten können von meinem verschuldeten Dasein! O wohin kann der thörichte Mensch mit aller Liebe und Wärme des Herzens – oder auch durch diese selbst gerathen! Du hast mich demüthig gemacht, Luise. O laß mich dir knieend danken! Nun auch Das noch zu deinem Geheimniß, zu deinem ganzen Wesen, das schon meine Seele erfüllt!

Still Hermann, still! flüsterte sie, weil sie fühlte, daß ihre innerste Bewegung laut werden wollte. Still von all' dergleichen! Was du mein Geheimniß nennst, ist ja kein Geheimniß: es ist eine Weihe, ist die Weihe des Unglücks für eine höhere Bestimmung als die ist, glücklich zu werden. – Aber genug! Es ist Zeit, daß du gehst. Ich heiße dich nicht mit hinüberkommen; denn das Dringendste des Augenblicks ist, daß dein Bericht vernichtet werde. Dann aber kehre zurück, hinüber zu den Aeltern. Wir gehen, die Illumination zu sehen; du begleitest uns, und ich nehme Gelegenheit, dir das Weitere wegen deines Benehmens gegen Bercagny mitzutheilen. Es ist der Rath eines Gönners, dem du blindlings folgen würdest, wenn ich dir ihn jetzt nennen dürfte. Doch du wirst an dem Rathe selbst den Mann von Welt, den Eingeweihten in unsere Verhältnisse erkennen. Adieu!

Indem sie ihn über den Gang begleitete, sagte sie leise:

Uebrigens, Hermann – diese Stunde und unsere Verhandlung bleibt unter uns, und das Du gilt nur für diese Stunde!

Lächelnd und mit seelenvollem Blicke drückten sie diese Zusage einander in die Hände, und schieden an der Treppe.



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