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Zweites Capitel.
Ein Spitzl, ein Spitz und ein Dreispitz.


Wirklich war auch, als Hermann erwachte, die alte frohmuthige Stimmung, der leichte Schwung seines Herzens, wieder zurückgekehrt. Er theilte beim ersten Frühstücke seinen Tag ein, und da er im Gasthofe nur so lange wie nöthig zu bleiben dachte, so schien es das Nächste, den Empfehlungsbrief an den Mann zu bringen, von dem er neben der Hauptsache, der Bewerbung um eine passende Stelle, auch wegen einer schicklichen ökonomischen Einrichtung den besten Rath erwarten durfte. Es ging ihm wie andern jungen, unerfahrenen Leuten, die in ihrem Drang, Etwas zu leisten und zu gelten, die Welt für ebenso aufgelegt halten, ihr Anerbieten und Bewerben zu empfangen und anzuerkennen. Hermann sah in Gedanken schon mehr als eine Hauslehrerstelle bei vornehmen, deutschen oder französischen Familien offen, wohin er gleich aus dem Gasthof überziehen könnte. Nicht, als ob er es besonders nöthig gehabt hätte: denn seine Aeltern waren in guten Vermögensverhältnissen; auch nicht, als ob er besonders eitel auf sein vielfaches Wissen oder gar auf sein höchst vortheilhaftes Aeußere gewesen wäre; vielmehr achtete Hermann hinsichtlich des letztern kaum weiter auf sich selbst, als die häusliche Angewöhnung reichte, schicklich und anständig in der Gesellschaft zu erscheinen. Sondern es war der Schwung einer hochgestimmten Seele, die mehr sich selbst fühlte, als auf die äußerlichen Lagen der Welt achtete.

In jener Zeit schwärmte die begabte Jugend einer höhern Schule und Bildung mit dem erstaunlichen Aufschwung unserer Poesie und Wissenschaft – mitbegeistert, ihrer selbst vergessend, und noch nicht, wie dermal, zerstreut durch den hundertfachen Aufwand einer nur mit sich selbst beschäftigten eiteln Welt. Allein mit so träumerischen Vorstellungen vom Leben einer fremdartigen Residenz, wie unser Candidat sie mitbrachte, schien ihm auf jedem Pfade, den er einschlagen möchte, das wartende Glück zu sitzen. Es wäre ihm nicht eingefallen zu fürchten, daß für so angemessene Ansprüche oder Erwartungen ein Einstand von ihm dürfte gefodert werden. Eine Warnung that ihm noth, und sein gutes Verhängniß beschied sie ihm bei guter Zeit.

Noch war er nämlich über den vor ihm liegenden Tag nicht ganz einig mit sich selbst, als auf hartes Anpochen der Mann von gestern, den großen Dreimaster auf dem Kopf, ins Zimmer trat. Er hatte, bereits etwas angetrunken, die auflauernde Miene von gestern mit einem hochfahrenden Amtstone vertauscht, der für Hermann nur noch unangenehmer war. Der junge Mann empfing ihn daher nicht sehr zuvorkommend.

Ich bin der Polizeicommissar Steinbach, sagte er, und bitte mir Ihren Paß aus.

Paß? erwiderte Hermann. Wie kommen Sie mir vor? Und haben Sie mich denn überhaupt schon im Fremdenbuche gelesen?

Weiß ich Ihre Ankunft nicht seit gestern Abend? erklärte Steinbach barsch genug.

So? Sie kommen also auf eigne Faust? versetzte der junge Mann, indem er aufstand, seine Brieftasche zu holen. – Dann wissen Sie aber auch, daß ich aus Halle bin, und mithin als westfälischer Unterthan keines Passes bedarf. Hier haben Sie meinen Heimatschein!

Er nahm einen starken Brief heraus, den er auf den Tisch legte, und reichte seinen Nachweis hin. Statt aber diesen zu ergreifen, riß der Commissar den Brief an sich, von dessen Adresse er schon den unterstrichenen Namen Reichardt gelesen hatte, wendete ihn um und rief: Versiegelt! Wissen Sie, daß Sie 50 Dukaten Strafe zu zahlen haben?

Jetzt erinnerte sich Hermann leider! zu spät der ihm schon in Halle mitgegebenen Warnung; that aber fremd und patzig mit der Ausflucht, daß es blos ein Empfehlungsbrief sei. Worauf Steinbach versetzte:

Und wenn nichts darin steht als »Schönen guten Morgen! Wünsche wohl geruht zu haben!« Oder »Gesegneten Kaffee, und empfehle ich Ihnen den Ueberbringer zu einer Tasse«, so kostet der Brief mit einem Petschaft, neben der Post hergelaufen, 50 Dukaten. Werde ihn daher an den Generaldirector der hohen Polizei, Herrn Ritter Legras de Bercagny, gehorsamst abliefern.

Das werden Sie bleiben lassen! rief Hermann, dem es einfiel, daß ihm das Schreiben wegen vertraulichen Inhalts sehr empfohlen war. Dabei schlug aus dem Geängstigten der Universitätsbursche noch einmal so stark hervor, daß er den Polizeimenschen hart am Arme faßte und den Brief herausverlangte, den dieser zwischen Rock und Weste flüchtig eingesteckt hatte.

Nun lass' ich Sie arretiren! schrie der Geschüttelte. Sie haben mich im Amt insultirt! Wissen Sie das?

Worauf Hermann betroffen, mit Höflichkeit erwiderte:

Verzeihen Sie meine Uebereilung, Herr Commissar! Nehmen Sie hier meinen Ausweis, und geben Sie mir gefälligst meinen Brief zurück! Ich bin unerfahren in den Vorschriften der Behörde und – werde Ihnen erkenntlich sein.

Einen Augenblick sah ihn Steinbach mit erwartender Miene an; als aber nichts von einer Erkenntlichkeit erfolgte, rief er:

Was? Sie wollen mich bestechen? Auch Das werde ich anzeigen. Wofür halten Sie mich? Mich in meinen aufhabenden Pflichten? Das sind Zumuthungen, die die –

Er reichte dabei wiederholt die gesticulirende Hand hin. Da jedoch Hermann nun noch weniger eine Miene machte, den Bramarbas wirklich abzufinden, so schlug dieser den dreispitzigen Filz auf den Kopf, und stieß mit vorgestreckter Faust die Drohung aus:

Sie sollen erleben, Sie vorlauter Monsieur, mit wem Sie es zu thun haben – Sie!

Jetzt aber gehn Sie zum Teufel! fiel Hermann entrüstet ein, indem er dem Abgehenden die Stubenthür öffnete. Draußen setzen Sie den Hut auf!

Ein Schlag mit der Hand und der Dreispitz flog auf den Vorplatz, dem Spitzhunde des Wirthes zur Beute.

Ha, gilt's ein Tänzchen! rief Kersting, faßte und schwenkte den Commissar auf der Diele umher. Der Hund verließ den Hut, und zerrte bellend den Polizeirock am fliegenden Zipfel. Selbst Hermann, in die Thür getreten, konnte, Angst und Aerger vergessend, sich des hellen Lachens nicht erwehren, wie der Wüthende nach dem Hunde trat und fluchte, vom Wirthe loszukommen strebte und schimpfte. Darüber glitt der dicke Brief zwischen den Kleidern hinab auf den Boden. Rasch, mit geschickter Fußspitze, stieß ihn der Wirth unter einen schweren Kleiderschrank, ließ seinen Mann los und hob ihm den Hut auf, den der Spitz eben nach der Treppe schleppte. Indem er den schlappen Deckel lachend abstäubte, suchte er den scheltenden und von Schwindel verwirrten Steinbach zu begütigen.

Kommt, Steinbach! sagte er in leise-vertraulichem Ton. Auf solche Motion gehört ein gutes Glas, und der Monsieur Student muß es bezahlen. Es soll ihm ein hübsches Stück Geld kosten.

Mit diesem und andern Gespräch faßte er ihn unterm Arm und nöthigte ihn mit sich hinab ins Hinterstübchen zu einem Versöhnungstrunke.

 

Kersting war ein kluger, erfahrener Mann. Wenn ihn seine Bekannten scherzweise den Commandanten der Stadt London nannten, so verriethen sie damit schon, daß er gewöhnlich ein ernsthafter Althesse, doch auch auf einen Juks eingehen konnte, falls er damit besser durchzukommen dachte. Wie er diesen habsüchtigen Polizeikundschafter kannte, traute er ihm, als er nach Hermann fragte, gleich keine gute Absicht zu, und war ihm nachgeschlichen, um nöthigenfalls zwischen dessen Finten und eines jungen Gastes Unerfahrenheit einzutreten.

Nun saß er beschwichtigend mit dem gefährlichen Menschen und schenkte ihm Wein und Worte so fleißig ein, daß in Steinbach's ödem Kopfe auf den Tanzschwindel bald ein Burgunderschwindel folgte. Doch blieb demselben noch Besinnung genug, sich des erbeuteten Briefes zu erinnern, den er in allen Taschen suchte.

Sapperment! lachte Kersting, ich habe den verfluchten Hund sich mit zerrissenen Papieren umherschleppen sehen, eben als ich den Wein holte. Gewiß habt Ihr den Brief verloren und der Spitz hat ihn verarbeitet. Ei nun, – so braucht Ihr's nicht, Steinbach! Einer hat ihn doch. Drum beruhigt Euch! Der junge Mann wird die Ohren an den Kopf drücken und über den confiscirten Brief sein Maul halten. Wir wollen's denn auch, und – so wär' der Handel ausgeglichen! – An wen war denn der Brief? Oder habt Ihr ihn auf Gerathewohl –?

An diesen verdächtigen Kapellmeister Reichardt, fuhr Steinbach sich vergessend fort. Den haben wir ohnehin auf dem Korn: er hat preußische Verbindungen, und ist ein Franzosenhasser. Den Teucker auch! Wer weiß, hinter was wir durch den Brief gekommen wären. Und wie hätt' ich mich poussirt durch solchen Fund! Oder hätte allerwenigstens einen schönen Antheil an den Strafgeldern. Der Brief war versiegelt! Daß dich, daß dich! Der verfluchte Köter! Wo war der Hund, Kersting, mit den Papieren? Vielleicht läßt sich aus den Fetzen noch etwas – Die Hunde geben manchmal eine Beute auf, wenn's kein Knochen ist.

Ja wohl! Drum gebt den Fang auf, Steinbach, und bleibt sitzen! Ich bin eben dran, Euch einen burgundischen Spitz anzuschaffen. Trinkt und laßt Eure Spitzbübereien!

Aber der junge Mensch wird sehr verdächtig durch solche Empfehlung! bemerkte der Commissar. Ich werd' ihn im Auge behalten und ihn bei meinem obersten Chef bezeichnen. Ja, das werd' ich!

Ihr seid ganz auf dem Holzweg, Steinbach! schalt Kersting. Ich weiß, daß der junge Herr an den französischen Gesandten empfohlen ist, an Baron von Reinhard, und Ihr habt Reichardt gelesen. Es hat Euch vor den Augen geflimmert. Nehmt Euch aber in Acht! Der Gesandte Napoleon's, wißt Ihr, spricht selbst mit unserm König Jerôme ein Wörtchen, wenn der Kaiser mit seinem Bruder – Nun was weiß ich! Macht Euch ja keine Ungelegenheiten, Steinbach! Und das Paßwesen ist ohnehin Eure Sache gar nicht. Ich werde den Ausweis des jungen Mannes aufs Bureau besorgen, und Ihr – schweigt und trinkt aus!

Der Wein that denn auch das Uebrige. Kersting wußte seinen Mann zu behandeln, der dafür bekannt war, daß er im Rausche den Gegenstand seiner Angeberei zuweilen ganz und gar vergessen konnte. Es wurde ihm daher auch manches Gute zu Theil, wie jetzt der Burgunder, der ihn wirklich dahin brachte, daß er beim Weggehen den Wirth versicherte, er habe ihm etwas Wichtiges mitzutheilen gehabt, und werde wiederkommen, sobald es ihm einfalle.

 

Inzwischen hatte Hermann mit Hülfe seines Reisestocks den Brief ziemlich bestäubt unter dem Schrank hervorgeschoben, und er schien jetzt nicht ohne Verlegenheit dem Wirthe zu danken.

Danken Sie es Ihrem Glücke, sagte Kersting, daß es gerade dieser Spitzbube war, der noch mit Spaß und Wein zu bewältigen ist, und lassen Sie sich den Fall zur Warnung dienen. Wie konnten Sie nur mit solchem Brief so unachtsam umgeben?

Wie leicht vergißt man eine so ungewohnte Vorsicht! antwortete Hermann erröthend. Es kommt Einem auch gleich so vielerlei vor, und macht Einen zerstreut. Ich sehe wohl, ich werde ganz neue westfälische Studien machen müssen.

Sie sind, wie ich sehe, an den Kapellmeister Reichardt empfohlen?

Mit diesen Worten nahm Kersting die Einleitung zur vertraulichen Mittheilung der bedenklichen Aeußerungen Steinbach's, indem er Hermann bat, seinen Landsmann davon in Kenntniß zu setzen. – Ich weiß schon, er gilt für einen Mann, der den Mund gern frei spazieren läßt, sagte er. Wir kennen uns nicht so, daß ich ihm selbst einen Wink geben dürfte. Er ist ein Altpreuße, ich bin ein Althesse; aber von Cassel bis Königsberg leiden wir ja unter demselben fremden Druck und an dem gleichen vaterländischen Hasse. So sind wir Landsleute. Und die Rechtschaffenen müssen einander ebenso heimlich beistehen, als die Schurken verstohlen gegen sie verbunden sind. Sie sehen mich verwundert an? Die Adresse des Briefes, der Sie empfehlen soll, gibt mir Ihre Farbe. Das Vertrauen knüpft in Zeiten gemeinsamer Noth viel rascher aneinander.

Wie ich Sie nun kenne, wüßte ich Ihnen auch eine achtbare Familie zu empfehlen, wo Sie gut aufgehoben wären, wenn Sie eine Privatwohnung suchen. Wir sprechen dann davon.

Hermann dankte einstweilen und zog sich nachdenklich über des Wirthes leise, aber nachdrückliche Rede auf seine Stube zurück.



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