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Zweites Buch.


Erstes Capitel.
Ein Lever Jerôme's.


Eine große militärische Morgenmusik verkündete in der Frühe des 27. Mai die Ankunft des Königs auf Napoleonshöhe. Eigentlich war er schon am Spätabende zu Pferd eingetroffen, hatte aber Alles untersagt, was durch Vorkehrungen zu seinem Empfang oder durch Verkündigung seiner Rückkehr die Residenz in Bewegung setzen konnte. Statt der Ueberraschung aber, auf die er es dabei für seine Gemahlin abgesehen, erfuhr er selbst einen unvermutheten Empfang durch ein artiges häusliches Fest, das die Königin zu seiner Ankunft bereit gehalten hatte.

Schon seit einigen Tagen war die Rede davon gewesen, daß am Abende nach der Rückkehr eine Beleuchtung der Stadt gewünscht werde. Cassel, hieß es, könne hinter so vielem Jubel, womit der König auf seiner Umreise empfangen worden sei, nicht kalt zurückbleiben. Wirklich sah man nun in aller Frühe Diener der Mairie von Haus zu Haus eilen, die Illumination anzusagen. Die Vorkehrungen dazu machten den Morgen in den Straßen sehr lebhaft. Und da man wußte, daß gegen Mittag Alles, was den Rang dazu hatte, zum Lever des Königs, zur Morgenaufwartung, nach dem Sommerschloß hinauffahren werde, so trieben sich Neugierige und müßiges Volk genug vor das Thor.

Es hatte die Nacht geregnet; eine erquickende Luft wehte, und das frische Grün der aufgeschossenen Saaten, die feuchten Hecken und nachblühenden Bäume glänzten im milden Schein der Sonne, die allmälig wieder das abziehende Gewölk durchbrach. Alles das belebte die Menschen, selbst die unachtsamen und gedankenlosen. Man ging bis Wehlheiden, Manche bis Wahlershausen. Das kleine Gartenlocal des Herrn Keilholz, der das deutsche Theater verlassen und eine angenehme Wirthschaft an der Chaussée eröffnet hatte, war diesen Morgen sehr besucht; der Kaffee, der hier besser und billiger als in den Restaurationen der Stadt gegeben wurde, fand guten Abgang. – Einzelne, die bis zur Einfahrt in den dem Publicum verschlossenen königlichen Park wandelten, konnten vom Bergschloß herab die Wecktrommeln, die Morgenmärsche der Gardemusik hören.

Um diese Zeit waren der König und die Königin schon aufgestanden, und saßen zärtlich neben einander im Ankleidezimmer der Monarchin.

Katharina bewohnte die untere Etage des majestätischen Schlosses, die häuslich eingerichtet war und zugleich die Bequemlichkeit darbot, daß die wohlbeleibte, etwas schwerfällige Fürstin, wenn sie aus dem herrlichen Park und vom Blumenrevier um die springende Fontaine zurückkam, nicht höher als über die breite, bequeme Treppe zu steigen brauchte, die zu den Riesensäulen des Vorbaus führte. Ihr Ankleidezimmer war in Blaßblau mit Orange, und man blickte in das weiß und blaue Schlafzimmer, das im Halbcirkel gebaut, Draperien aus weißer Seide mit gewirkten Borden in Blau um die Fenster und den Alkoven hatte, das erhöhte antike Bett aber ohne Vorhänge ließ.

Es war eine zärtliche Liebhaberei des Königs, seiner Gemahlin die Nägel der Finger zu beschneiden. Dazu hatte er sich auch jetzt neben sie gesetzt, während sie im eleganten Morgenüberwurf in der Ecke des niedern Divans ruhte.

Aber, mein Gott, Cataut! rief er aus, als er ihre Hand ergriff. Wie finde ich diese Finger verwildert! Hast du den Geschmack einer Chinesin angenommen, oder –? Sacré, welche allerliebste kleine Krallen!

Dabei küßte er die feinen weißen Finger, gegen die er seine kleine englische Zange erhob.

Ei, wie wenig erkenntlich bist du, Jerôme! lächelte sie schalkhaft verschämt. Ich habe sie ja für dich wachsen lassen. Und wie hab' ich sie vor Biegen und Brechen gehütet! Du solltest gleich an meinen Händen bemerken, an meinen Fingern abzählen, wie lange ich deiner Fürsorge entbehrt habe.

Fürsorge! Ja wohl! Ich fürchte, du hast dich selbst nicht damit geschont, Cataut, und hast deinen schönen Hals, der mir gehört, mit diesen scharfen, grausamen Auswüchsen – Laß gleich einmal sehen –!

Willst du artig sein, Jerôme! kicherte sie mit einer Bewegung, als ob sie den freien Hals unter den runden Armen verstecken wolle, wobei sie zugleich zurückgelehnt mit den drohenden Nägeln der gespreizten Finger den zudringlichen Händen und Küssen des galanten Gemahls zu wehren suchte.

So rangen sie lachend mit einander, bis Katharina, die leicht ermüdete, mit dem ernsten Wort: Willst du jetzt gleich Ruhe halten! den ausgelassenen Gemahl auf seinen Sessel bannte.

Die Prinzessin von Würtemberg nahm, auch ohne Absicht, in Ton und Kopfbewegung leicht etwas Gebieterisches an – ein Erbstück ihres strengen Vaters, oder eine Angewöhnung ihrer fürstlichen Abkunft, die Jerôme mit seiner jugendlichen Gutmüthigkeit zu respectiren pflegte. Aber diese stolze Art von Abwehr war heut nicht so gemeint, sondern nur eine unbeherrschte Zugabe zu der weiblichen Empfindsamkeit über die Situation – eine ängstliche Rückhaltung, während sie sich innigst glücklich fühlte bei dieser lebhaften Hingebung und verschwenderischen Zärtlichkeit ihres Gemahls, wofür sie die ganze Empfänglichkeit ihres gesunden, heißen fünfundzwanzigsten Jahres hatte. Und obschon Jerôme, bei allen Nebengängen seines für weibliche Reize so empfänglichen Herzens, es gegen seine Gemahlin nicht leicht an Aufmerksamkeit und an Beweisen einer leidenschaftlichen Neigung fehlen ließ, so mußte doch in seiner heutigen Feier des Wiedersehens etwas Besonderes gelegen haben, was Katharinen an den heitern Sommermorgen erinnerte, der sie zum ersten mal in so vertrautem Zusammensein mit ihm gefunden hatte. Es waren eben neun Monate gewesen, und sie war so lebhaft von dieser Erinnerung bewegt, daß sie es mit verschämtem Lächeln gegen Jerôme aussprach.

Ich weiß nicht, sagte sie, wie mir eben der Morgen des vorjährigen 24. August einfällt, Jerôme!

Aha! erwiderte er, du meinst, wie uns der alte Geck von Fürsten Primas in der Tuilerienkapelle getraut hatte, und – die folgende Nacht und den Morgen darauf, Cataut?

Ja, versetzte sie ausweichend, die herrlichen Feste, die uns der Kaiser in Fontainebleau gab, wollten kein Ende nehmen und ließen uns kaum zur Ruhe kommen.

Gewiß! Es waren recht erschöpfende Freuden, seufzte er. Ich meine nämlich, liebe Katharina, durch den Verdruß, den mir der Kaiser hineinmischte, waren sie mir fatal.

Mein Gott, ja! lachte sie. Du konntest ihm nichts recht machen. Du warst in allen Bewegungen nur der liebende, fröhliche Jerôme, und nach seinem Willen sollte doch aus all' deinen Mienen und Geberden ein König von Westfalen heraussehen. Votre Majesté, sagte er stets mit Nachdruck zu dir.

Und da sollt' ich mit Campacères, Regnault, dem alten elsasser Publicisten Koch und den andern langweiligen Gesellen zusammensitzen, während sie die Verfassung des neuen Königreichs beriethen und entwarfen. Mußte ich denn aber nicht mit dir sein, Cataut? Da lag mir eine schon vollendete Constitution vor, und ich hatte zu studiren, wie ich immer verfassungstreu regieren wollte. Und hab' ich nicht auch, Cataut?

Die Königin lächelte mit drohend gehobenem Finger. Aber es war nur verliebte Schalkheit, die so drohte, kein Zweifel an seiner Treue. Sie glaubte mit liebevollem Herzen an den Anstand, hinter welchem Jerôme seine sogenannten écarts verbarg, und die öffentlichen Huldigungen, die er seinen begünstigten Damen bei Hof erwies, erschienen in ihren Augen nur als ritterliche Artigkeit eines Königs, dem nun einmal mehr gefällige Anmuth, als eigentliche Majestät angemessen war. Kein Mistrauen hätte zumal diesen Morgen den Nimbus der Freude trüben können, der ihren schönen Kopf und die einnehmenden Züge ihres hochgefärbten Angesichts umleuchtete. Ihr blaues Auge strahlte von innerer Befriedigung und leuchtete in Entzücken, als Jerôme auf ihren etwas blöde vorgebrachten Wunsch einging, die Aufwartungen zu seinem Lever in ihrem prächtigen Saal zu empfangen. Er merkte, ohne es sich merken zu lassen, welchen weiblichen Triumph sie für die Augen des Hofes und der Stadt in solcher Darlegung ihrer ehelichen und häuslichen Vertraulichkeit suchte.

Wir sind so glücklich hier oben, liebe Katharina, wie dieser Sommeraufenthalt selbst groß und herrlich ist, sagte er. Ich habe auch wieder auf meiner Umreise, besonders in Braunschweig, das doch auch eine Residenz war, recht lebhaft empfunden, daß dies Schloß und seine Umgebung einzig, unvergleichlich sind. Ich habe deshalb auch daran gedacht, um dieser Besitzung willen Cassel unter allen Umständen als zweite Residenz – als Sommerresidenz beizubehalten. Was wäre Sanssouci bei Berlin, wenn dort auch der große Friedrich zu wohnen liebte, gegen diese Napoleonshöhe?

Unter allen Umständen, Jerôme? Wie ist das zu verstehen? fragte die Königin? Was meinst du damit?

Hab' ich dir nicht gesagt, Cataut, daß es die Absicht des Kaisers ist, das Königreich Westfalen bis an die Oder auszudehnen? Dann müßte doch Berlin unsere Residenz werden. Versteht sich!

O mein lieber Jerôme, versetzte sie nachdenklich, daran habe ich noch nie ernstlich geglaubt. Der unglückliche König von Preußen soll noch mehr verkleinert werden?

Verkleinert? Nein! fiel Jerôme etwas heftig ein. Aber der Kaiser wird kein Preußen dulden, auf das er sich nicht verlassen kann. Preußen ist auch in seiner Demüthigung noch immer hochmüthig geblieben. Statt durch Treue und festen Anschluß an des Kaisers Macht seine Wiederherstellung zu verdienen, geht es mit Planen zur Rache und Empörung um. Wir wissen, was dort insgeheim betrieben wird. Der König – nun ja, er mag ein guter ehrlicher Mann sein; aber er wird mit Schreck gewahr werden, in wessen Händen er ist. Der Kaiser wartet nur, bis er vor aller Welt gerechten Anlaß nehmen kann, eine Macht vollends zu vernichten, die sich tückisch und treulos seinen weltumfassenden Absichten widersetzt.

Ich glaube nicht Alles, Jerôme, was euch über Preußen eingeflüstert wird, entgegnete Katharina. Leute, die als Spione gut bezahlt werden, wollen doch ihren Sündenlohn auch mit etwas verdienen. Und da ihr unzählige Leute der Art haltet, so wird jede Kleinigkeit wichtig durch die unzähligen Anzeigen, womit sie einander überbieten. Geh', lieber Mann, und gib dich solchen Insinuationen nicht so unbedingt hin, weil du vielleicht gern an Berlin denkst! Ich glaube gar nicht, daß der Kaiser ernstlich so viel Gewicht auf Preußen legt, das ihm ja zu widerstreben außer Stand ist. Mein Vater und die andern deutschen Souveraine des Rheinbundes –

Ah, Madame! fiel Jerôme ein. Sie verstehen sich wenig auf Politik. Je nachdem die Ereignisse in Spanien fallen und Oestreich sich gegen uns stellt, kann Preußen eine große Entscheidung geben, besonders wenn es ihm gelänge, den Norden von Deutschland in Aufruhr zu bringen.

Er sprach dies mit der Ungeduld eines reizbaren Mannes, der in einem Lieblingstraum nicht gestört sein will.

 

Eben fuhren die ersten Wagen an, und Jerôme eilte, sein tägliches Bad zu nehmen, das ihm mit Zuguß einer Quantität kölnischen Wassers bereitet wurde. Im Publicum wollte man auch von Bädern in rothem Wein und in Bouillon wissen, zu welchen täglich ein Kalb geschlachtet würde.

Hinter ihm her erhob sich die Königin zu ihrer Toilette, worauf bereits zu ihrem Beistande eine bevorzugte Hofdame wartete – die Baronin von Otterstedt, der Königin liebwerth durch die verschwiegenen Dienste, die sie als früheres Hoffräulein in Stuttgart der Prinzessin in einer verrathenen und verwickelten Herzensangelegenheit mit Hingebung geleistet hatte. Sie war die vertrauteste, wie die Gräfin Antonie die befreundetste Dame der Königin aus der würtemberger Zeit.

Die Toilette der Königin brachte ihre besondern Umständlichkeiten mit sich. Die Prinzessin von Würtemberg, die bei ihrer ersten Ankunft in Frankreich durch einfachen, altmodischen Anzug den Parisern so sehr aufgefallen war, hatte seitdem eine ausgesuchte Eleganz mit etwas eigensinnigem Geschmack angenommen. Besonders aber gebot ihr abweichender Wuchs verschwiegene Berücksichtigung, und eine vertraute Kammerfrau behandelte, als Priesterin des Corsets, mit feierlicher Miene ein Geheimniß, das in den Augen der Damen am Hofe keines mehr war.

 

Während dieser Vorgänge in den innern Räumen versammelte sich Alles, was zur Aufwartung angefahren kam, im Saale der Königin. Es war ein sehr geschmackvoll decorirter Raum – die Wände mit schwerem, purpurfarbenen und goldbesternten Seidenstoffe überkleidet, die Fenster mit Vorhängen aus purpurfarbigem Zeug auf der einen Seite, und auf der andern von weißem Atlas mitgewirkten purpurnen Borden umgeben.

Die verschiedensten Uniformen und Hofkleider mischten sich in bunten Gruppen zu leiser Unterhaltung, Militär und Civil, Gesandte und Hofchargen, Herren und Damen. Zuweilen führte vor dem Auge des Beobachters der Wechsel der einander Begrüßenden die abstechendsten Persönlichkeiten zusammen. So, als die groteske Gestalt des Chevalier Borel-Duchambon, des Schatzmeisters der Civilliste, zu des Barons von Wendt bischöflichen Gnaden trat – der bekannte Spaßmacher des Königs zu dessen Almosenier. Von Fremden, die vorgestellt sein wollten, war heut nur Baron von Rehfeld da. Der Generalpolizeidirector, der dem König die nähere Kenntniß der Persönlichkeiten zu vermitteln pflegte, hatte diesem Fremden eine Audienz zugesagt, und verabredete sie mit dem Oberkammerherrn.

Des Königs Erscheinen verzögerte sich durch eine längere Berathung mit dem Leibarzte Zadig.

Dieser Abraham Zadig war ein jüdischer Arzt aus Schlesien. Jerôme hatte ihn im Herbste 1806, als er neben Vandamme im Feldzuge gegen Preußen das neunte französische Armeecorps nach Schlesien führte, in Breslau kennen gelernt. Hier nämlich, in lustigem Garnisonsleben besonders auch mit Schauspielerinnen, wo Jerôme an den langen Abenden Geld und Gesundheit auf's Spiel gesetzt, fand er endlich auch Gelegenheit, Abraham Zadig's gute Recepte zu versuchen. Als sodann der glückliche Arzt später an den Hof des neuen Königs kam, sich nach dem Gedeihen seines ehemaligen Patienten zu erkundigen, ward er als ordinirender Arzt angenommen, und gewann bald auch das Vertrauen der Königin.

Nach ihm wurden zu besonderer Audienz der Gouverneur, Brigadegeneral von Rewbel und der Polizeichef Bercagny vorgelassen. Der Gouverneur kam bald wieder zurück, als aber Bercagny etwas später wieder erschien, und mit bedeutendem Lächeln seinen Platz nahm, entstand unter den Männern, mit denen er sich vorher vertraulich unterhalten, ein Flüstern, das um sich griff und sich bis zu Herrn von Rehfeld verbreitete. Man sei einer Verschwörung, einem Geheimbund in Preußen, auf der Spur, hieß es; aufrührerische Reden an die deutschen Völker seien in Abschriften unter einer Fichte gefunden worden u. dgl. Eine ängstliche Erwartung entstand, die durch das längere Ausbleiben des Königs sich noch mehr spannte. Endlich öffneten sich die Flügelthüren, und die Majestäten traten ein.

Jerôme, von dem dienstthuenden ersten Kammerherrn, Grafen von Pappenheim, begleitet, erschien, wie am gewöhnlichsten, in der Oberstenuniform der Grenadiergarde, weiß mit orangefarbenem Kragen, Aufschlägen und Brandebourgs. Er war von mittler Statut, mager, blaß, etwas olivenfarbig von Teint und schwarz von kurzem, glattem Haar. Das Auge hatte keineswegs das Feuer eines Jünglings von 24 Jahren, die Wangen waren eingefallen, das Kinn vortretend. Er hielt sich ein wenig schlaff, und trat eher etwas schwankend als fest ausf. Bei alledem umgab ein mysteriöser Reiz des Ungewöhnlichen und Fremdartigen seines Aussehens, seiner Abkunft und Schicksale diese wenig mit Majestät angethane Gestalt eines jungen Königs, dem es dagegen nicht an eigenthümlicher Anmuth in der Darstellung und an gewinnendem Ausdruck eines verständigen Blicks und wohlwollenden Lächelns fehlte.

Die über ein Jahr ältere Königin sah im Gegensatze zu ihrem Gemahle feurig, ja in Blick und Miene aufgeregt aus. Sie trat bei aller Schwerfälligkeit ihres Körperbaues nicht ohne majestätische Haltung auf, wobei sie den Kopf an kurzem Hals etwas steif und hoch hielt. Man fand sie, die sonst um Stirn und Mund einen hochmüthigen Ausdruck hatte, heut ungemein gnädig, sodaß sie sich auch freundlicher als je gegen Adele Le Camus zeigte, der sie sonst nicht hold schien. Diese Abneigung erklärte man sich aus dem Umstande, daß Adele eine Vertraute von Elisabeth Patterson, der durch einen Gewaltstreich des Kaisers von Jerôme getrennten Frau aus Baltimore, gewesen war. Heut schien die Königin sogar auf Morio's Bewerbung anzuspielen, als sie mit feinem Lächeln die gnädige Aeußerung that:

Der König liebt seinen General Morio sehr und meint, wenn der sich einmal verheirathe, würde ich dabei eine angenehme Palastdame gewinnen.

Während dessen unterhielt sich der König sehr angelegentlich mit dem französischen Gesandten, Baron von Reinhard. Dieser, in der ehrerbietigsten Stellung, schien doch Manches vorzubringen, was für Jerôme verdrießlich war, oder ihn doch nachdenklich machte. Er ging zerstreut weiter und übersah Manchen, der sich auf die gewohnte Gunst der Anrede gespannt hielt. Erst als er den neu angekommenen holländischen Gesandten, Chevalier van Huygens, erblickte, nahm er sich zusammen und schien von dessen Gespräch sehr befriedigt. Mit voller Heiterkeit nahm er den Baron Rehfeld auf, als ihm derselbe zur Vorstellung zugeführt wurde. Er erwartete – nach Bercagny's Signalement – ein durchaus seltsames Original, dessen sich der preußische Bund vielleicht als Agenten bediene. Beides war ihm angenehm, indem er durch Spaß hinter einen erwünschten Ernst zu kommen hoffte. Als ihm der Baron genannt war, fragte er lächelnd, ob er ein Preuße sei.

Ich habe dort Besitzungen, antwortete Rehfeld; aber ich zähle mich zu Eurer Majestät Unterthanen: mein Stammschloß liegt am Harz in einem wilden Strich.

Gute Jagd dort, Baron?

Das will ich meinen, Sire! Jagd mit allen Sorten von Hunden, Trüffelhunden, Dachshunden, Hühnerhunden und Saubellern. Ich könnte die Hofküche mit den ausgezeichnetsten Trüffeln und Morcheln versehen, und wenn ein glücklicher Jagdzug Eure Majestät einmal bis an meine Grenze führte, würde ich meinen königlichen Herrn durch Wälder bringen, denen es an Wildschweinen so wenig als an wilden Katzen fehlt.

Der Schalk, indem er sich bei diesen Worten tief verneigte, warf einen prüfenden Blick über die Gestalt des Königs, wobei er selbst über die ungesuchte Zweideutigkeit seiner Courtoisie lächeln mußte. Denn seine geheimste Absicht ging dahin, sich bei einem zu erregenden Aufstande der Person des Königs zu bemächtigen, wozu er sich ebenso kräftig als aufgelegt fühlte.

Jerôme, so gern er sich an den linkischen Verneigungen und an dem zwar geläufigen, aber höchst drolligen Französisch des Barons ergötzte, fand sich doch durch den kühnen Ton und die pralle Haltung des kraftvollen Mannes ein wenig beirrt. Um sich dagegen geltend zu machen, suchte er ihn durch die ernste Ansprache zu überraschen: Sagen Sie mir, Baron, was ist das mit dem preußischen Tugendbunde? Sie sind in Preußen bekannt: was ist der eigentliche, der nicht ausgesprochene Zweck des Bundes, und woran erkennt man – –

Er unterbrach sich selbst, indem er umblickend rief:

He! General Bongars!

Ein Militär in der Gendarmerieuniform eilte herbei – ein Sechziger von hoher, magerer Gestalt und etwas vorgebückter Haltung, kurzem grauem Haar bei bedeutenden Gesichtszügen und freundlichem Aeußern. Er trug den holländischen Ritterorden.

Diese Wendung des Königs, die doch eigentlich etwas Verlegenes hatte, ließ dem Baron Zeit, sich aus seiner wirklichen Betroffenheit zu fassen. Ja, er nahm sich, beim Anblicke des Legionschefs der Gendarmerie, zu einem stolzen Selbstgefühl zusammen.

Woran erkennt man die Mitglieder des Tugendbundes, General? fragte Jerôme.

Sire, am Bart unterm Kinn! war die Antwort.

Der König wendete sich wieder mit fragendem Blick nach dem Baron, der einen solchen Bart trug.

Verzeihung, Herr General! erklärte Herr von Rehfeld, ich glaube, Ihre Signalements sind nicht ganz richtig. Solche Bärte werden ja von jeher viel getragen, und eignen sich darum schwerlich zum Abzeichen eines Bundes, der – ja auch gar keines Geheimzeichens bedarf. Er ist ja etwas Oeffentliches – der Tugendbund. Solchen Bart, Ew. Majestät, haben schon in der Schlacht bei Jena und in den belagerten Festungen preußische Generale getragen, die gar keine Tugend besaßen. Auch ich trage solchen Bart; aber ich werde ihn abnehmen lassen, weil der Herr General vermuthlich seine Gendarmerie auf diese Bärte detachirt hat, und ein ehrlicher Mann in Ungelegenheiten kommen könnte. Ich trage ihn übrigens noch aus der Zeit des ersten preußischen Tugendbundes.

Wie, Herr Baron? Gab's schon einen ältern preußischen Tugendbund? fragte rasch der König.

Ja, Sire, – von der bekannten Gräfin Lichtenau, der Freundin des vorigen Königs gestiftet. Damals wurden auch von dieser merkwürdigen Dame Gespenster als Mitglieder aufgenommen; es war der Bund von Sanssouci. Aujourd'hui on ne s'en soucie pas!

Jerôme lachte; und an Sanssouci erinnert, mit welchem sich diesen Morgen schon seine Gedanken beschäftigt hatten, fragte er, woher es kommt, daß nach dem großen Monarchen, der jenen hohen Sitz unsterblich gemacht habe, in Preußen so schwache Zeiten hätten folgen können.

Sire, antwortete der Baron, die Uebel des preußischen Staats rühren aus dem Mangel an Regierungsform her. Friedrich der Große trug diese Form in seinem Geist, der alle Zweige der Administration belebte und durch seinen Minister ausführte. Aber er fixirte den Maßstab nicht fester, kurbte ihn dem preußischen Scepter nicht ein, und so wurde dieser Maßstab im Sarge des großen Mannes mit begraben. Die Minister, an einen starken und furchtbaren Impuls gewöhnt, fanden sich nach des Königs Tode verlassen, rath- und hülflos, und regierten nun mit der Feder, in die ihnen früher dictirt worden – Jedem die Hand küssend, der ihnen nur – aus Osten oder Westen – dictiren will.

Und der jetzige König – er ist so wortkarg, sagt man – , besinnt er sich vielleicht auf jenen Maßstab, um mit demselben die Franzosen aus Deutschland zu vertreiben?

Auf dies spöttische Wort Jerôme's versetzte der Baron mit ernster Verneigung:

Der jetzige König, Sire? Ich respectire sein Unglück in Gegenwart eines so glücklichen Königs!

Sie sind ein kluger Mann, Baron, lächelte Jerôme, und indem er weiter wandelnd an Bercagny vorüberkam, sagte er zu diesem:

Lassen Sie den überwachen, Bercagny! Er ist nicht, wofür er sich ausgibt, er ist kein Narr, sage ich Ihnen!

 

Als bald darauf die Majestäten den Saal verließen, bemächtigte sich der Baron im Gedränge des Herrn von Schmerfeld, und zog ihn eine Strecke mit sich fort in einen Seitenweg des Parks.

Hier geben Sie mir eine Ohrfeige, Schmerfeld! keuchte er in verbissenem leidenschaftlichen Unwillen. Ich habe, meiner Narrenrolle Schande gemacht, – ich habe mich vergessen, ich war ein Esel und einfältig genug, stolz zu sein. O ich möchte –!

Ruhig, ruhig, mein Freund! mahnte leise der vertraute Schmerfeld. Ich erschrak allerdings auch nicht wenig, als der König nach der ersten Unterredung mit Ihnen den Commandeur der Gendarmen herbeirief.

Das war's eben, Schmerfeld! versetzte der Andere. Weiß der Satan, was mir dabei durch den Kopf schoß, was mir ins Herz hineinfuhr. Furcht war's nicht, obschon ich eben, so dicht vor seiner corsischen Nase, den Gedanken hatte laufen lassen: O diese pariser Puppe trägst du auf deinen Armen fort, Rehfeldchen, und steckst sie in einen guten Kornsack von Garn aus bestem Werg gesponnen. Nicht Furcht, nein, oder Besorgniß, Schmerfeld! Aber es kam mir vor, sie hätten's auf mich abgesehen, und ich müßte mich geltend machen, ich wäre mein Narr, und wollte nicht der ihrige sein. O Dummerjahn, daß dich doch ein Schock –

Um des Himmelswillen, Herr Baron! Kommen Sie! Vergessen Sie nicht, daß Sie die Aufmerksamkeit der ganzen Lever-Genossenschaft auf sich gezogen haben?

Ich habe selbst Lever gehalten, rief der Baron, und mich im Hemd sehen lassen.

Kommen Sie! Dort steht noch Alles unter den Bäumen. Munter, Baron! Machen wir ein Paar lachende Gesichter durch den Park. Dort steht auch noch Bongars. Im Wagen erzählen Sie mir dann –! Ei, wissen Sie nicht, – der beste Schauspieler fällt einmal aus der Rolle; aber er spielt den folgenden Act desto besser!

Ganz recht! lachte Rehfeld. Ich bin dann wieder Peter in »Menschenhaß und Reue« und – »hole Pfeifen für uns!«



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