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Zweites Capitel.
Congreß über den Polizeispion.


Baron Reinhard traf bei seiner Rückkehr von Napoleonshöhe Luise Reichardt in vertrauter Unterredung mit seiner Gemahlin.

Zwischen ihm und Luisen bestand schon länger her eine edle Freundschaft. Durch die Musik eingeleitet, als der Gesandte noch die Abende des Kapellmeisters besuchte, erweiterte sich die neue Bekanntschaft durch geschmacksverwandte Theilnahme Beider an unserer Literatur zu einem Einverständniß ihrer Ansichten und Denkungsart, bis durch die zuwachsende Herzlichkeit Luisens mit der Baronin die schöne Freundschaft auch in das politische Geheimniß gezogen wurde. Er begrüßte sie daher sehr freundlich, indem er ihr beide Hände entgegenreichte, und die Baronin sagte heiter:

Siehst du, herziger Mann, daß ich die richtige Auskunft gefunden hatte! Luise hat bereits mit zwei Zeilen den jungen Verräther vor Uebereilung seines weitern Berichts gewarnt, und auf den Abend zu sich eingeladen, wo sie ihm unter der allgemeinen Illumination ein besonderes Licht aufstecken wird. Der junge Herr war schon von Hause fort, und scheint es daher auch mit seiner Arbeit nicht so eifrig zu nehmen.

Gut! erwiderte Reinhard. Aber erlaubt mir nur erst das steife Kleid mit dem gestickten Halsbande und den Federhut wegzulegen. Die stehen im Dienste Napoleon's, und dürfen nichts von unserm Congreß erfahren.

Er ging nach dem Nebenzimmer, aus dem er sehr bald wieder im bequemen und feinen Hausrocke zurückkam.

Sie wissen, liebe Luise, sagte er, daß ich Ihrem Verstand und Herzen unbedingtes Zutrauen schenke; in diesem absonderlichen Fall müssen Sie mich aber vor dem Ausspielen in Ihre Karten sehen lassen, als ob ich Moitié mit Ihnen hätte. Der König weiß bereits durch diesen Bercagny von der Sache und ist sehr erwartungsvoll. Er dachte mich mit seinen Neuigkeiten zu überraschen, da er sonst ein wenig Scheu vor meinem Vorauswissen hat. Ich lächelte aber nur so geheimnißvoll ablehnend zu seinen kleinen Trümpfen, und setzte ihm dagegen einige Honneurs vom Kaiser ein, so einen Surcoup, einen Ueberstich; was denn auch Sr. Majestät das Spiel ein wenig derangirte. Sehen Sie nun, liebe Freundin, – da die Enthüllungen durch mich kommen, können sie leicht auch auf mich zurückschlagen, und – wenn Sie auch unter Umständen Ihre Karten remis geben können: ich – könnte das Spiel leicht Codille verlieren.

Nur unbesorgt, bester Freund! fiel nicht ohne eine gewisse Aufregung Luise ein. Kenne ich Ihre Stellung nicht? Und gerade heute fühle ich zum ersten mal so lebhaft und so dankbar, daß die diplomatischen Nebenwege doch zuweilen auch ein Rettungsfädchen, einen heimlichen Schlich ins Haus einer stillen Familie haben. Nun meine ich so: ich entdecke dem jungen unpolitischen Freunde geradezu, wohin er sich durch Unbesonnenheit und durch seine sehr undankbare Rückhaltung gegen unser Haus hat verleiten lassen. Woher ich das wisse, – mit dieser Frage darf er mir gar nicht kommen; ja, dies Räthsel hinter der für ihn so erschreckenden Offenbarung her mag ihn nur immer ein wenig peinigen. Er hat's nicht besser verdient. Eine zweite Unbesonnenheit aber – seiner Entrüstung etwa, oder des Misbrauchs unserer Mittheilungen besorgen Sie nicht; so viel Einfluß hab' ich auf ihn, dies abzuwenden. Die Hauptsache ist aber, was er zu thun habe, um sich zurückzuziehen. Da nun – ja, da hapert's! Was rathe ich ihm, Herr Diplomat? Darüber bin ich mit mir selbst nicht einig. Was?

Das will ich Ihnen sagen, Luise! lächelte er. Wie mir Savagner mitgetheilt, so hat der junge Mann bereits 300 Francs Vorschuß angenommen. Nun soll er thun, als sei Alles in der besten Ordnung, soll den ihm zurückgegebenen Bericht alsbald vernichten und einen andern schreiben – über Das, was Tacitus von den alten Deutschen und Julius Cäsar von den Galliern sagt, soll dann auf Fichte's Idealismus überspringen, Mittheilungen über die romantische Schule machen – »Röslein, Röslein, Röslein roth, Röslein auf der Haiden!« Auch wird es sich sehr artig machen, etwas beizubringen über die Befriedigung der deutschen Geister, die sie in den Ideen, in der Abstraction vom alltäglichen Leben und in der Religion des Weltbürgerthums finden. Und eben fällt mir ein, wie er zum Schluß von solcher kleinen Excursion schicklich wieder hier in Cassel eintreffen kann, – durch das nichtsnutzige Buch des Friedrich Schlegel, die »Lucinde«, das uns belehrt, wie wir den liederlichen Realismus unserer guten Gesellschaft sublimiren und zur Religion der Liebe hinausläutern können. Sehen Sie, das ist ja wie für unsern Hof gemacht, Liebste! Schlagen Sie ihm das Wort Inbrunst vor: das wird von der Andacht gebraucht und hat nur eine Vorsatzsilbe mehr, als was wir schon – haben. Aber kurz! Euer Hermann soll dem Polizeichef einen solchen deutschen Dunst auf gut französisch vorpuffen, daß ihm schwindelig davon wird; er soll schreiben, bis ihn Bercagny für den unbrauchbarsten Polizeispion erklärt. Das Geld steckt er natürlich ein, wenn's noch nicht verputzt ist; denn er hat Arbeit dafür geliefert. Er darf aber um Alles nicht thun, als habe er Bercagny's Schelmerei gemerkt. Verstehen Sie? Darauf kommt Alles an.

Sie sind ein rechter Spötter, lieber Freund, versetzte Luise. Doch mögen Sie Recht haben. Aber Bercagny fragt noch ausdrücklich nach gewissen Personen, unter denen auch mein edler Schwager, Professor Steffens, genannt ist: wie denn damit?

Ei, Liebste, fiel die Baronin ein, Hermann wird doch so einfältig nicht sein, auch da noch etwas wissen zu wollen wo die Gefahr des Wissens anhebt. Muß er denn den Hanf so genau kennen, wenn ihm ein Strick daraus gedreht werden soll?

Richtig, liebe Christine! lachte Reinhard. Er muß den Ignoranten so geschickt spielen, wie Bercagny den Intriganten.

 

Im Laufe der Unterredung nahm Reinhard wieder das Wort; wie denn der bei öffentlichem Auftreten sehr vorsichtige Mann sich in vertrautem Kreise gern gehen ließ, ja gegen die Art der Schwaben sich mit Gemüthlichkeit gern reden hörte.

Meine Frau, sprach er, wird Ihnen gesagt haben, Luise, wie sehr mir der junge Mann gefallen hat. Selbst der Misgriff, mit dem er uns jetzt zu schaffen macht, spricht für ihn – für seinen Enthusiasmus, für sein edles Streben. Wir dürfen eben nicht vergessen, daß er ein guter Deutscher von heute ist, und wollen nur dafür sorgen, daß ihm sein Unbedacht blos wie dem unerfahrenen Kinde das Feuer sei, an dem er sich ohne weitern Schaden den Schreibfinger verbrannt hat, und daß ihm damit ein Licht für seinen weitern Weg aufgehe. Sehen Sie, an diesem preußischen Tugendbunde ist eigentlich nichts Geheimes, da ihn ja der König öffentlich genehmigt hat; die Franzosen wittern aber gar wohl, daß mehr dahinter steckt, als der gute Friedrich Wilhelm denkt. Auch der Kaiser Napoleon ist voll Mistrauen gegen Preußen und gegen Deutschland überhaupt. Ich habe alle Wachsamkeit nöthig, daß mich seine Spione nicht mit wahren oder falschen Berichten überflügeln. Und vorab dieser Bercagny, der sich beim Kaiser emporzuarbeiten sucht. Meine Stellung ist eine doppelt schwierige, wie Sie ja wissen: mir als einem geborenen Deutschen traut man mehr Einblick in die Verhältnisse und Bewegungen zu, mistraut zugleich aber auch mehr meinen Gesinnungen für Frankreich. Ich habe darum den Kaiser doppelt zu beschwichtigen: einmal über Deutschland, sodann über mich selbst. Ich wiederhole Ihnen meine alte Klage, um Ihnen etwas Neues daran zu knüpfen. So hab' ich denn in einem jüngsten Berichte mit Rücksicht auf Spanien einen umfassenden Gesichtspunkt geltend zu machen gesucht. Im Norden, Sire, hab' ich ihm gesagt, ist das Leben auf mühsamen Erwerb gepflanzt: die Natur schenkt nichts; daher jeder Umsturz nicht blos mit vorübergehendem Mangel, sondern auch mit dauernder Armuth droht. Wie wäre da wol an einen spanischen Guerillaskrieg zu denken, der am nächsten Winter erlahmte! Ich habe ihm dann begreiflich zu machen gesucht, daß er selbst durch seine Continentalsperre, womit er es nur auf den Ruin Englands absehe, zugleich jedem Aufstand in Deutschland zuvorkomme, indem durch diese Abwehr fremder Industrie die praktischen Kräfte Deutschlands auf ein neues Feld großer, schaffender Thätigkeit gelockt würden. Auch die Hoffnungen solchen ordnenden Fleißes würde man so wenig als die mühsamen Früchte des Bodens einer Empörung preisgeben wollen, sodaß also Treue und Hingebung doppelt verbürgt seien. Sollten Sie glauben, Luise, daß dieser Napoleon, der fortwährend auf die deutschen Ideologen oder Gedankenaushecker schilt, sich die Ideologie seines Gesandten hat gefallen lassen?

Ich glaub's, antwortete sie; denn vielleicht haben Sie damit weniger ihm etwas weis gemacht, als uns geweissagt, Sie Unglücksprophet! Wir wollen uns aber empören, so gut wie die Spanier, wir wollen diese Fremden vertreiben, wollen wieder ein freies, stolzes, sittliches Volk werden!

Recht, meine Freundin! Ich wünsche es mit Ihnen. Mit meiner Prophezeiung aber hat es gute Wege; denn der Krieg mit seinen Einquartirungen, Verwüstungen, Requisitionen, Contributionen, kurz die Habsucht Napoleon's und seiner Gewaltträger entziehen ja dem unglücklichen Deutschland alle Mittel zur Industrie, ja nur zur Hebung des Landbaus. Das könnte sich der Kaiser selbst am besten sagen: er dürfte nur einen Blick in seine französischen Provinzen thun. Inzwischen bewahrt aber der stille Zorn der Preußen die Erinnerungen an das große Unglück der jüngsten Vergangenheit als ein Heiligthum; der häusliche Herd wird ein patriotischer Altar, an welchem die scheinbare Selbstsucht der Familien sich zu einem Kampfe vorbereitet, der mit den entschlossensten Aufopferungen verbunden sein wird. Ja, Luise, wir leben in einer schmachvollen Zeit; aber der Enthusiasmus des Schwertes reinigt am schnellsten eine Nation von Entsittlichung und Verweichlichung, von Feigheit und Aberglauben. Der nationale Krieg scheidet alles Edle vom Egoismus aus, wie man an den schmuzigen Borden des Luxus das reine Gold von der zähen Seide ausbrennt.

Ja, rief Luise, wenn Sie mich an die Aufopferungsfähigkeit unserer selbstsüchtigen Zeit glauben lassen: dann, mein edler Freund, ja dann –!

Apropos selbstsüchtig! fiel Reinhard lächelnd ein. Hören Sie, Luise, eine wunderliche Combination, die mir neulich in der Nacht den Kopf einnahm, den der Magen nicht schlafen ließ. Es war nach dem großen Schmause, den der holländische Gesandte van Dedem zu seinem Abschiede gab, als Huygens ihn ablöste. Ich weiß nicht, hatte ich mich an seinen Lampreten oder an den fetten Wachteln verdorben. Napoleon, der Kaiser, erschien mir als das gewaltigste, riesenhafteste Ich unserer Ichzeit. Sein erstaunliches, unwiderstehliches Glück liegt doch wirklich nur in dem Umstande, daß er mit seinem kolossalen Egoismus gerade in die Zeit der Selbstsucht und Indifferenz der europäischen Menschheit gefallen ist. Indem jede Macht, neidisch auf die andere, nur für sich sorgt, verschlingt er eine um die andere. Wie hätte er Deutschland bewältigen können, wenn Oestreich und Preußen gegen einander das gute Sprüchwort befolgt hätten: Es ist besser, dem Nachbar den Stiefel putzen, als dem Fremden den Fuß küssen? Gut! Aber haben Sie denn schon bedacht, daß wir neben dem französischen realistischen Napoleon noch einen deutschen idealistischen haben? Ja, schauen Sie mich nur groß an! Ich meine aber nicht Ihren verehrten Freund Schleiermacher. Hören Sie nur! Während dieser Napoleon nur die gekrönten Iche benagt oder verzehrt, stellt uns der Philosoph Fichte ein absolutes Ich aus. Der kostbare Mann offenbart uns, daß die reale Welt eigentlich gar nicht wirklich, sondern nur im Ich existirt; er verschlingt uns also den Napoleon mit allen seinen Eroberungen.

Nein, lieber Mann, wendete die Baronin ein, wir müssen diesen Fichte als den verheißenen Tröster betrachten. Denn wenn sich derzeit die ganze Welt so unglücklich, so arm und unterdrückt fühlt, so braucht sie ja zu ihrer Beruhigung nur zu begreifen, daß sie gar nicht vorhanden ist.

Man lachte, und Luise versetzte:

Nachdenklich darf es uns immerhin machen, das realistische Frankreich und das idealistische Deutschland, beide zu gleicher Zeit, auf ihren Höhepunkt zu erblicken.

Nun, da sehen Sie ja, Luise, daß doch unser junger Polizeispion eine ganz gute Wahrnehmung davon hat, wie es an der Zeit sei, beide Nationen zu einem Wechselverständniß zu bringen, sie auszugleichen! sagte Reinhard lächelnd, und Luise erwiderte:

Ich denke, er soll dabei wenigstens zum Verständniß seiner selbst kommen, und sich vor allem der Zeit accommodiren.

Nehmen wir die Sache heiterer, Luise! wendete die Baronin ein. Die Zeit führt ein großes Schauspiel auf; der Wendepunkt ist noch nicht da: wie es ausgeht, errathen wir noch nicht; aber wir sind sehr gespannt darauf. Hier, in unserm Cassel, sitzen wir so zu sagen in der Fremdenloge, in einer Mittelloge zwischen Deutschland und Frankreich, die wir da, wie man's nennt, agiren sehen.

Und wo wir selbst ein lustiges Intermezzo mit aufführen, und während der großen Tragödie zum Lachen gekitzelt werden!

Mit diesem Seufzer nahm Luise Hut und Halstuch, und empfahl sich mit der Zusage, morgen über die Verhandlung mit Hermann weiter zu berichten.

Reinhard, indem er sie nach der Thür begleitete, sagte mit warmem Nachdruck:

Ihrem jungen Freunde machen Sie aber begreiflich, wohin eine Verschmelzung der deutschen mit der französischen Bildung führen würde, und daß die Nation, wenn sie nicht ihrer gesunkenen Selbständigkeit vollends verlustig gehen wolle, sich in Geist und Gesinnung und in dem eigenthümlichen Ausdrucke beider, in der Literatur, vielmehr zusammen zu nehmen habe. Welche Träger ihrer Einheit und Unabhängigkeit hat sie denn sonst? Und wohin hat es geführt, Luise, daß euer Adel und eure Höfe sich der französischen Sprache und Bildung so sehr accommodirt haben? Er soll das Accomodiren den Haarkräuslern und Perückenmachern überlassen, der junge Philosoph!



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