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Viertes Capitel.
Im Vorzimmer und auf der Treppe.


Mit den ersten großen Regentropfen hatte Hermann die Fürstenstraße und, hinter dem Marstalle hinabeilend, sein Gasthaus erreicht. Nun, in seinem breiten Sessel ausgestreckt, ließ er sich diesen heftigen Absturz des Regens, diesen Schlag auf Schlag des Donners ganz wohl gefallen. Der Aufruhr des Wetters erleichterte ihn, indem derselbe den Drang der Gedanken und Empfindungen durch sein Gegengewicht in einen ruhigern Strom der Betrachtung setzte. Es war für ein jugendlich erregbares Gemüth fast zuviel Neues, was der Freund gleich beim ersten Ausgang auf einmal erfahren und empfunden hatte, und zwar nicht blos Neues, was, erlebt und abgethan, ihn blos erfüllt und durch Nachbetrachtung beruhigt hätte, sondern Neues, was ihn da und dorthin auf Entwickelung spannen mußte und seine Ueberlegung und Thätigkeit in Anspruch nahm. Wie anders als gestern, da er hier um dieselbe Stunde saß, nahm sich die Welt um ihn her aus! Dies Cassel, dem Ankömmling nur als herrliche Knospe erschienen, hatte ihn bereits in den aufgehenden Kelch blicken lassen. Das vielfältigste Interesse blätterte sich darin mit gesprenkelten Farben auf und drohte ihn mit seinem fremden Dufte zu betäuben. Wie glücklich hatte er es bei dieser Familie Reichardt genossen, von der er so herzlich aufgenommen war! Wie dankbar gedachte er des Professors Steffens, der ihn dahin empfohlen! Natürlich, daß er sich über die Persönlichkeiten und ihre Verhältnisse klar zu machen suchte.

Den Kapellmeister erblickte Hermann in den einflußreichsten Verbindungen. Das laute, absprechende, zudringliche Wesen des Musikers konnte lästig werden; aber es stieß den jungen Freund nicht ab, vielmehr regte es ihm, als Neuling in der Welt, Muth und Zuversicht an. Es lag eine Aufmunterung darin, nicht allzu ängstlich und bescheiden zu sein, und sich etwas herauszunehmen. Die unbefangene Freimüthigkeit des Musikers schien Alles niederzuschlagen, was Hermann in Warnungen vor der geheimen Polizei vernommen hatte. Es klang wie Ironie, wenn ein so kecker Mund gerade gegen Polizeispione loszog, wie eben ein Ungläubiger ohne alles Grausen böse Geister beschwören mag.

Als reizendes Gegenspiel des lauten Mannes und seiner politischen Geheimnisse erschien seine Tochter Luise. Ihr leises, feierliches Weben verrieth ebenfalls eine mysteriöse Beziehung, aber mehr ins eigene Innere. Das Brautlied fiel ihm wieder ein. Er hatte es für eine der vielen Liederkompositionen Reichardt's gehalten; wenn es nun aber von Luisen war, warum erblaßte sie bei ihrer eigenen Melodie? War sie Braut gewesen und verlassen worden? Oder welch ein schmerzliches Erinnern tönte für sie aus ihren eigenen Noten?

Zwischen beiden räthselbietenden Menschen bewegte sich desto heiterer, herzlicher und hingebender die Mutter Reichardt. Ihr Aussehen erinnerte noch lebhaft daran, daß sie einst eine anerkannte Schönheit gewesen. Von ihrem ersten Manne, dem Dichter Hensler, war sie, wie jetzt von ihrem zweiten, dem Musiker, sehr verwöhnt worden. Ein Leben in glücklichen Verhältnissen, durch das Wohlwollen der Ihrigen vor allem Unangenehmen bewahrt, hatte ihr Herz etwas verweichlicht; sie war ohne Muth gegen Leiden, aber nicht ohne Ansprüche an die Menschen, dagegen aber auch gefällig, wohlwollend, zart und gütig gegen Alle, und gewöhnt, ins Große zu wirthschaften.

Es läßt sich denken, daß Hermann eine so anziehende Familie nicht vernachlässigte. Er war von Natur und von häuslicher Gewöhnung zur Geselligkeit getrieben und jetzt auch noch ohne alle Wahl für seinen Umgang. In seinem Gasthause lernte er verschiedene Mittag- und Abendgäste kennen, höhere oder untergeordnete Beamte, die sich ihm sehr höflich erwiesen, aber sich höchst vorsichtig unterhielten. Die Stadt London war das Absteigequartier für die Angestellten vom Lande, wenigstens für althessische, und es entging ihm nicht, daß bei solchen Besuchen sich mancherlei sonst seltene Gäste aus der Stadt einfanden und sich mit den Angekommenen in einer unzugänglichen Hinterstube vereinigten. So zog ihn denn nichts ab, seine nächsten Tage ausschließend bei Reichardt zu verbringen. Er war Gast, Genosse dieser liebenswürdigen Familie. Er hieß kurzweg Hermann, und nahm einigermaßen die Stelle des Sohnes ein, des republikanischen Richard Hensler aus erster Ehe, der als Chasseur in der Pyrenäenarmee diente. Diesem Umstande maß es Hermann auch bei, daß Vater Reichardt mit so aufgeregtem Interesse den Volksbewegungen in Spanien folgte, die den Franzosen bereits soviel zu schaffen machten und im westfälischen Moniteur soviel declamatorische Spalten füllten.

 

Nach jenem Gewitter hatte sich wieder das schönste Maiwetter eingestellt. Die Familie Reichardt benutzte es, ihren jungen Gast in der Stadt, an den öffentlichen Vergnügungsorten und in der reizenden Umgegend einzuführen, und zwar bei der geringsten Entfernung, der Frau Reichardt wegen, zu Wagen. Dabei kam es ihm zu Statten, daß er als angenehmer Sänger sich an den musikalischen Abenden mitbethätigen konnte, zu denen an bestimmten Tagen sich einige deutsche Familien bei Reichardt einzufinden pflegten. Besonders setzte sich Hermann bei einigen angesehenen Frauen in Gunst, und dies Wohlgefallen half ihm zu mehr Selbstvertrauen für die höhere Gesellschaft.

 

An einem der leeren Abende mahnte Reichardt den jungen Freund, seine Aufwartung bei General Salha nicht länger zu verschieben.

Meine Luise, die der Familie nicht fremd ist, hat einmal die Grille, Sie nicht einzuführen, sagte er. Führen Sie sich daher nur selber ein. Ich habe Sie angekündigt und empfohlen. Der ziemlich unfähige und matrosenhaft ungeschliffene Mann steht zwar Ihren persönlichen Absichten sehr fern; aber er ist der Mann einer sehr feinen und tiefblickenden Frau von kaltem, verstecktem Charakter. Er selbst gilt beim König, seinem ehemaligen Marinekameraden, und hat vielfachen Einfluß. Uebrigens bezieht sich ja Ihr Besuch auf den Unterricht der Tochter, und man wird sie artig empfangen. Helfen Sie uns immerhin die Leutchen germanisiren und für unsere Politik neutralisiren!

Verwirrt mich nur durch eure Politik nicht! lachte Hermann. Es ist mir fürerst Aufgabe genug, die hiesigen Menschen und Verhältnisse kennen zu lernen. Gönnt mir dazu meinen unbefangenen Blick ohne parteigefärbtes Glas! Aber ich lasse mich morgen früh melden und handle als Missionär unserer Sprache und Literatur.

Gehn Sie nur im Namen der neun Musen; wir aber werden schon drauf fußen! rief Reichardt mit Lachen. Luise schwieg und schüttelte nur sanft mit dem Kopfe. Sie, die nur in besondern Fällen laut widersprach, hatte zwei verschiedene Zeichen ihrer Misbilligung: sie pflegte ausgesprochene Gesinnungen und Absichten, die ihr misfielen, mit Kopfschütteln zu verwerfen, bloße Ansichten oder Meinungen aber, die ihrer Ueberzeugung entgegen waren, mit graziösem Lächeln abzuweisen oder fallen zu lassen.

 

Am andern Morgen, als Hermann sein Aufwarten bei Salha überdachte, fand er sich bald durch die Erinnerung an des Generals Benehmen in der Au, sowie durch Alles, was er von dessen Unbeholfenheit gehört hatte, gefaßt und über die Aengstlichkeit hinausgehoben, mit der gewöhnlich ein junger Mensch von untergeordneter Herkunft den verhängnißvollen Uebergang aus der Studentenkneipe zum Vorzimmer eines hochgestellten Mannes unternimmt. Zur schicklichen Stunde fand er sich in der Wohnung des Generals ein und traf das Vorzimmer von Wartenden besetzt. Der Bediente beschied auch ihn zu warten, der Herr General nehme ein Bad. Ein nach der Seitenthüre schielender Blick deutete dabei das Badezimmer an, und diese Nähe des Mannes schien eben den Anwesenden die respectvolle Stille aufzulegen, die hier herrscht. Ein junger Mann von aristokratischem Aussehen, schlank gewachsen und von edeln Zügen, stand in der Fensternische, stolz auf die Brüstung gelehnt. Doch mochte diese bewußte Haltung mehr nur angenommen sein, um damit seiner verschämten Befangenheit zu imponiren; denn es schien ihm sehr angenehm, als Hermann grüßend zu ihm trat.

Es ist ja sehr viel Aufwartung hier! bemerkte unser junger Freund.

Ja, warf der Andere hin, Handwerker, die mit Rechnungen warten, Supplikanten, die sich mit Bittschriften gedulden. Der General war vor kurzem noch Pagengouverneur und empfängt Rechnungen; jetzt ist er Großmeister des Hauses der Königin und nimmt Suppliken an.

Er lächelte dabei, als ob er sagen wollte: Zu beidem gehört ein so feiner Mann, wie dieser Matrose ist. Einige mal hörte man die barsche, rauhe Stimme des Badenden, bis endlich die Thür aufging und Salha im bloßen, kurzen Hemde heraustrat. Er warf einen Blick über die Anwesenden und rief, als er Hermann bemerkte:

Ah! Sie, Herr – Dings, – Herr – Tenor, Sprachmeister! Kommen Sie mit!

Der junge Mann war aus der Fensterecke vorgetreten und übergab unter verlegenen Bücklingen ein Gesuch.

Ich habe mich dem Herrn Kriegsminister präsentirt, sagte er in gutem Französisch, wollte mich aber der Gunst des Herrn Generals noch besonders empfohlen haben.

Salha maß den jungen Mann über die Schulter, durchlief die französisch abgefaßte Schrift und fragte hochmüthig gestreckt:

Baron von Mirbach?

Zu Befehl, Herr General!

Alte hessische Familie?

Wir sind auch im Hannoverschen verzweigt, Herr General.

Sie haben auch studirt?

Wie hierin bemerkt, in Marburg und Göttingen.

Ah bah! Alles studirt in Deutschland! erwiderte Salha wegwerfend. Können also Latein?

Gewiß, Excellenz! lächelte der junge Baron. Worauf Jener mit spöttischer Miene versetzte:

So sagen Sie mir 'mal auf lateinisch: »Jetzt zieh' ich meine Hosen an!«

Der Baron schwieg, verletzt und erröthend.

Sehen Sie, Herr Baron, daß Sie kein Latein können! rief Salha mit rohem Lachen.

Die Umstehenden, die ein wenig Französisch verstanden und für ihre verschiedenen Anliegen etwas im Voraus thun wollten, lachten beifällig mit. Salha, sehr vergnügt, wendete sich, nach seinem Zimmer schreitend, gegen Hermann und winkte ihm zu folgen. Dieser, indem er eben den jungen Baron unwillig forteilen sah, murrte, von dem ganzen Auftritt verletzt, in gutstudentischer Aufwallung sich vergessend, dem glücklicherweise schon in sein Zimmer Getretenen nach:

Erlauben Herr General, daß ich warte, bis Sie die französische Hose angezogen haben.

Er nahm, von den Umstehenden mit Staunen angegafft, den Platz im Fenster ein und kämpfte sehr mit sich selbst, zu bleiben oder zu gehen, wie der Baron. Er empfand die Beschämung des jungen Mannes lebhaft mit, weniger vielleicht als einen Beweis französischen Uebermuthes, als vielmehr aus persönlicher Theilnahme an einem Altersgenossen, der gleich ihm den sauern Weg einer Amtsbewerbung ging. Im rechten Augenblicke besann er sich noch Reichardts, um keine Unbesonnenheit auf fremde Rechnung zu begehen.

Hermann hatte, von Natur ein reges und meist richtiges Gefühl, das sich aber mehr lebhaft als nachhaltig erwies. Auch gerieth ihm nicht selten, aus einer Art von Mutterwitz, eine treffende Antwort, und er war dabei glücklich genug, wenn sie etwas vorlaut ausfiel, daß es ihm um des Tones und seines guten Gesichts willen meist leicht hinging.

Nicht lange, so ward er gerufen. Der General, halb angekleidet, empfing ihn mit Lachen.

Ist der lateinische Baron fort? fragte er.

Ja wohl, Herr General! antwortete Hermann mit trockener Höflichkeit. Er war sehr gekränkt. Sie müssen ihm ein Offizierpatent auf die Wunde legen helfen.

Oho! lachte Salha. Ein sehr gesuchtes Pflaster, das! Die ganze hessische Ritterschaft möchte es auf ihre Lappen streichen. Aber man muß diesen steifen, eingebildeten Adel kurz halten. Sie wissen das nicht, mein Herr! Es steckt ein dummer, anspruchvoller Hochmuth in ihnen, ja sie sinnen auf Empörung. Ueberdies hat Se. Majestät der König ein für alle mal beschlossen, Offizierstellen nur solchen Individuen zu ertheilen, die entweder alle militärischen Grade durchlaufen, oder unter ihren Pagen gestanden, oder in der Militärschule ihre Bildung erhalten haben. Der lateinische Baron hat nichts von dem allen. Aber er ist ein hübscher junger Mann und kann sich bei den Damen versuchen. Hier bei Hofe macht man sein Glück oft weniger durch den Degen, als – durch die Scheide. Ha, ha! Auf Ehre! Ha, ha!

Was Sie betrifft, mein Herr, Sie sprechen das Französische sehr gut. Sie haben darin einen Vorzug vor vielen hessischen Baronen. Meine Tochter spricht auch schon ein wenig deutsch. Der König fragt sie manchmal: Wie geht's, Mademoiselle Salha? Und sie antwortet gleich: Gut, Eure Majestät! O ja, Sie bekommen eine talentvolle Schülerin. Aber meine Frau will den Sprachmeister erst sehen. Verstehen Sie – ich bin Herr im Hause, ich; aber Das betrifft eine Sache der Tochter.

Jacot! wendete er sich an den Bedienten, der ihn ankleiden half, melde meiner Gemahlin, ich wolle ihr im Augenblicke den deutschen Sprachmeister bringen, wenn's ihr gefällig wäre.

Jacot eilte fort; der General ging ins Nebenzimmer, aus dem er nach einer Weile in voller Uniform, den Hut in der Hand, hervorkam, und Hermann einlud, ihm zu folgen. Unterwegs sagte er:

Sie müssen sich vor allem dem Generaldirector der Polizei, Ritter v. Bercagny, präsentiren. Verstehen Sie, durch ihn will der König die Personen kennen, die in den höhern Kreisen der Gesellschaft erscheinen. Es hat weiter keine Bedeutung!

Hermann war nicht argwöhnisch, sonst würde ihm vielleicht gerade diese letzte Versicherung aufgefallen sein. Noch weniger konnte er das Mistrauen ahnen, das gerade Reichardt durch seine zudringliche Empfehlung auf ihn gezogen hatte. Er dachte nur an die Generalin, die nach der Art seiner Einführung eine stolze, gebieterische Dame erwarten ließ. Auch erinnerte er sich jetzt, daß Luise sie kalt von Charakter, aber tiefblickend und schlauer als sie es merken lasse, genannt hatte.

Der General öffnete ein reich geschmücktes, mit pariser Möbeln besetztes Zimmer. Die Dame ruhte auf einem sogenannten Pommier, einem Ruhebette mit einer sanft zurückgebogenen, in einen Schwanenhals verlaufenden Seitenlehne, die Füße gegen eine kurze, gerade Seitenwand gestreckt. Sie war in einem eleganten Hauskleide, die Mütze von Petinet mit kleinem Schleier und Garnirung von Grosgrainband. Als Hermann gegen sie vorschritt, machte sie – vielleicht von seiner Gestalt und Haltung betroffen – eine unwillkürliche Bewegung, sich ein wenig zu erheben, besann sich aber schnell zu einem kurzen Gruße. Ein vornehmes Wesen war ihr nicht durch ihre Herkunft anerzogen: die gewandte Französin hatte es sich mit ihres Mannes Emporkommen angeeignet, und konnte es daher auch einmal vergessen. An der niedern Seitenlehne des Pommier sitzend, empfing den Eintretenden die Creolin, Mademoiselle Le Camus, mit ihren großen, strahlenden Augen. Sie saß in einem einfachen Morgenbesuchkleide mit Hut und Fächer.

Der General stellte Hermann mit wenig Worten vor, erkundigte sich nach dem Befinden seiner Frau, die etwas leidend aussah, und empfahl sich mit einem plumpen Handkusse, wie Einer, der hinter vorgeschobenen Geschäften vor einer schon gefaßten Entscheidung oder vor der Gefahr, seine Autorität bloßgestellt zu sehen, sich zurückzieht.

Inzwischen hatte die Dame ihre Füße zu einer mehr sitzenden Lage herabgleiten lassen. Sie winkte dem jungen Mann, auf einem für Besuch dastehenden Sessel Platz zu nehmen, wobei sie ihn mit ihren schlauen Blicken musterte. Ihre Manieren gaben sich übrigens bei allem Stolze doch sehr einfach. Wie sie unter den gewöhnlichen Fragen nach seiner Herkunft, seiner Wohnung und seinen Absichten die Blicke bemerkte, die er immer wieder nach der Creolin gehen ließ, sagte sie mit feinem Lächeln:

Meine kleine Freundin beunruhigt Sie! Ich hab' auch ganz vergessen, sie Ihnen zu nennen – die Schwester des Grafen Fürstenstein, unsere liebe Adele Le Camus! – Aber woher haben Sie Ihr gutes Französisch, mein Herr? Sie haben das in Cassel nicht gelernt?

Sie sagte dies so schalkhaft bezüglich, daß Adele laut darüber lachte.

Nein, nicht in Cassel, antwortete er. Ich bin aus Halle, einer Stadt, die vordem zu Preußen gehörte. Schon mein Vater liebte diese Sprache, und hatte als Erzieher in einem gräflichen Hause zu Berlin Gelegenheit, sie zu üben. Der Graf war Diplomat und sprach gewöhnlich nur französisch auch in Familie. Die Erzieherin der Tochter war eine junge Schweizerin aus Lausanne. Mein Vater lernte sie von Seiten ihres gebildeten Geistes und Herzens kennen, sie ihn; beide faßten Neigung für einander und verbanden sich, als mein Vater ein Pfarramt erhielt, für das Leben. Sie gaben im deutschen Pfarrhause die gewohnte Sprache nicht auf; sie übten sie fort und hielten sich mit der laufenden französischen Literatur vertraut. So wuchsen wir Kinder, eine jüngere Schwester und ich, in den Klängen und Wendungen dieser Sprache auf, und ich mußte lernen, auch eigenthümlich deutsche Ideen in den fremden Accenten auszudrücken.

Die Generalin ließ, freundlich zuhörend, doch auch Adelen nicht unbeobachtet.

Das ist schön! Recht interessant! nickte sie. Diese Sprache wird Ihnen hier zugute kommen; sie wird Ihnen forthelfen. Mein Mann, der General, interessirt sich sehr für Sie. Er wird seinen Einfluß für Sie verwenden. Aber, wissen Sie, was Sie vor allem thun müssen? Sie müssen sich dem Ritter Legras de Bercagny vorstellen.

Der Herr General hat mich auch schon aufmerksam gemacht, versetzte Hermann; und sie sprach weiter:

Nicht weil Bercagny Chef der Polizei ist; aber er hat das besondere Vertrauen des Königs für alles Persönliche. Se. Majestät lieben es, Jeden, der zu einem Posten vorgeschlagen wird, durch Bercagny voraus zu kennen. Gehen Sie also bald hin und lassen – Er weiß auch schon von Ihnen, und wird Sie freundlich empfangen.

Hermann dankte für die gütige Theilnahme, und die Generalin fuhr fort:

Meine Tochter freut sich sehr auf Ihre deutsche Lectionen. Nicht wahr, Adele?

Ein neckischer Bezug war aus den begleitenden Mienen der Fragenden zu merken. Auch erröthete die Creolin, und winkte mit ihrem Fächer der Generalin, zu schweigen. Hermann bemerkte dies Mienenspiel; es war aber seine Art nicht, mistrauisch zu sein und so leicht etwas Unverständliches auf sich zu beziehen.

Meine Tochter liebt diese originelle Sprache, fuhr die Generalin fort, und Graf Fürstenstein begünstigt diese Vorliebe. Auch hat Melanie bereits einen Anfang gemacht, und unterhält sich zuweilen deutsch mit dem König. Der König fragt sie, so oft er ihr begegnet: Wie geht's, Mademoiselle Salha? Und sie antwortet: Gut, Eure Majestät! Die Aussprache fällt ihr nur sehr schwer. Aber sie wird bei Ihnen gute Fortschritte machen. Ich werde nun mit dem Grafen Fürstenstein das Weitere verabreden. Der Graf interessirt sich für Melaniens Ausbildung.

Ein bedeutsames Lächeln gab diesen Worten eine weitere Beziehung, als die vorsichtige Dame in Beisein der Schwester Fürstenstein's aussprechen mochte. Dabei fielen ihre Blicke wieder so anzüglich und bedrohlich auf die Creolin, daß diese immer unruhiger wurde. Das leidenschaftliche Mädchen war in seiner Erregbarkeit wie ein Kind, von jeder Empfindung abwechselnd beherrscht. Hermann hatte keine Ahnung davon, wie nahe es ihn selbst betraf, was die Situation ihm so peinigend machte. Adele, die bei der ersten Begegnung im Auparke ein lebhaftes Wohlgefallen an dem jungen Deutschen gefaßt zu haben schien, war nämlich, wie schon einige mal, gekommen, um der Generalin vertraulich anzudeuten, der junge Sprachmeister sei von so einnehmender Persönlichkeit, daß Melanie sich gar leicht mehr für ihn interessiren dürfte, als es ihrem Bruder bei seiner Bewerbung um ihre Zuneigung angenehm sein werde.

Die Generalin, die ihrer Tochter sehr wenig reizbares Gemüth besser kannte, und wußte, wie sehr dieselbe, gleich ihr, einer bestimmten Erklärung des Grafen entgegensah, durchblickte leicht die kleine List der unbesonnenen Adele; und diese Anzüglichkeit war es, die aus ihren Blicken und Worten Adelen nicht wenig ängstigte.

Hermann hatte sich auf die letzte Aeußerung der Generalin erhoben. Wenn er sich auch zu dem verhandelten Unterrichte nur ungern verstanden hatte, so war ihm doch jetzt, nach dem Aufwand einer so umständlichen Aufwartung bei der etwas brutalen Familie, diese Art von Abfertigung nicht wenig empfindlich, sodaß er ziemlich lebhaft erwiderte:

Sie haben das ganz zu bestimmen, Madame, – ob Lectionen und wann Lectionen Ihren häuslichen Verhältnissen zusagen. Hoffentlich behalte ich auch bei andern Geschäften, die ich zu finden denke, für spätern Sprachunterricht noch Zeit übrig. So wenig solcher Unterricht in meinen Absichten lag, werde ich mich doch stets glücklich schätzen, Ihnen zu dienen.

O nein, mein Herr, Sie misverstehen Madame! fiel, sich selbst vergessend, Adele ein. Man will Sie nicht beleidigen. Im Gegentheil – Sie sollen die Lectionen einstweilen mit mir anfangen. Ich kann noch gar nichts deutsch, bis Melanie –

Sie wurde von schallendem Lachen der Generalin unterbrochen, und schrak zusammen. Ihre großen, dunkeln Augen flammten auf, eine höhere Röthe leuchtete aus dem feinen Gewebe ihrer Wangen. Doch die Generalin, gegen Hermann gewendet, fuhr lächelnd fort:

Wahrhaftig, mein Herr, Sie glauben nicht, was unsere liebe, kluge Adele für ein excellentes Herz hat! Ma foi, sie wäre im Stande, sich mit diesem Herzen in eine Gefahr zu stürzen, von der sie Andere mit der naivsten Schlauheit abhält.

Adele, die sich so in ihrer tiefsten Empfindung durchschaut, und in ihrer kleinen List verlacht, ja verrathen sah, war einen Augenblick wie vernichtet. Dann stand sie rasch auf, schlug ihren Fächer zusammen und eilte ohne Adieu der Thüre zu.

Mademoiselle, ein Wort! rief gebieterisch die Generalin. Und als das Mädchen stehen blieb, sagte sie artig zu Hermann:

Bitte, mein Herr, begleiten Sie das liebe Kind durch die Gefahren des Corridors und der Treppe! Adieu, auf Wiedersehen!

Hermann verneigte sich und ging. Adele, mit der Bewegung vergnügten Trotzes gegen die spöttische Frau, ergriff seinen Arm und blickte triumphirend zurück. Die Generalin rief mit Strenge:

Die Lectionen werden aber nicht angefangen, Mademoiselle Le Camus! Ich erwarte keine Unklugheit von Ihnen!

 

Hermann wußte nicht, wie er als ein aus dem Stegreife galanter, ja zur Galanterie gepreßter Mensch, mit der anmuthigsten Gestalt eines creolischen Mädchens am Arm, über den Corridor einer so vornehmen Wohnung gekommen war, als Adele auf dem Absatz der Stiege stehen blieb und ihm ihren Arm entzog.

Nicht wahr, fragte sie gesenkten Blicks, Sie glauben nicht, was Madame von mir gesagt hat?

Daß Sie, Mademoiselle, ein excellentes Herz hätten?

Ach nein! Sie haben's nicht verstanden! jubelte sie mit dem vollen Aufschlag ihrer strahlenden Augen. Aber es ist eine böse Frau. Und, wissen Sie, ich will doch deutsch lernen. Auch mein Bruder will's. Ich wohne bei ihm; wollen Sie zu uns kommen? Sie müssen sich ihm vorstellen; er ist Minister und wird wegen meiner Stunden mit Ihnen verabreden.

Hermann verneigte sich verlegen. Sie hatte in befangener Aufregung und mit ihrer natürlichen Lebhaftigkeit ihren rechten Handschuh ausgezogen und spielend um den Fächer auf- und abgewickelt. Jetzt reichte sie, sein Versprechen zu empfangen, das entblößte Händchen hin, das wie Wachs aussah und wie Sammet sich anfühlte, sodaß es Hermann wunderbar überschauerte, als er es gedankenvoll erfaßte. Er wußte in seiner ersten Verwirrung nicht, wozu es gegeben war, und noch weniger, was er damit anfangen sollte. In Gedanken rollte er mit bebenden Fingern die zarte Fläche zu einer niedlichen Walze zusammen, spielend, als ob er das warme Wachs zu etwas Anderm umkneten wollte. Sie lächelte zu ihm auf, und er besann sich jetzt, wie er von seiner Mutter gewöhnt worden war, bei empfangenen Geschenken die Hand artig zu küssen. So machte er es auch jetzt, nur ein wenig ungeschickt, und Adele zuckte die Hand von den heißen Lippen ab.

Ich habe also Ihr Wort, und Sie dürfen's nicht vergessen! sagte sie, wobei sie den Zerstreuten mit dem Handschuh auf seine Rechte schlug. Er war nun durch seine gelungene Artigkeit schon so kühn geworden, das zarte Ledergebild an den Fingern zu erhaschen. Sie hielt es an der Oeffnung fest und zog an sich; er zog zurück. Unter solchem Hin- und Herwiegen kam er dazu, sie lächelnd anzusehen. Das Licht des Treppenfensters fiel auf die unbeschreiblich zarte und doch reizende Gestalt, auf die feine bräunliche Gesichtsfarbe, an den Wangen durchwebt von dem duftigen Roth, das die Luft der Antillen anhaucht. Dies lebendige Spiel der Züge, diese durchschimmernde Glut des Naturells ward ihm erst in solcher Nähe recht bemerklich. Unter den wunderbaren Regungen, die er empfand, flüsterte sie:

Mein Bruder liebt die Deutschen, und ich – o ich liebe meinen Bruder sehr, und Alles was er selbst schätzt.

Aber, mein schönes Kind, stotterte Hermann, die Dame rief Ihnen doch nach: »Keine Lectionen, Mademoiselle Le Camus!«

Und doch Lectionen, mein unartiger Herr! erwiderte sie. Was, Mademoiselle Le Camus! Ma foi, c'est elle qui restera camuse!

Bei dem unbeschreiblich schalkhaften Lächeln, als ob sie es verbergen wollte, lehnte sich die Kleine gegen ihn, und er war eben im Begriff, den Handschuh fahren zu lassen und sich des unwiderstehlichen Geschöpfs mit beiden Armen zu bemächtigen, als auf dem obern Gang eine Thür aufging und Adele zurückfuhr. Darüber behielt Hermann das Handschuhchen in seinen Händen und stürzte in größter Verwirrung fort.

Der ganze Treppenabsatz hatte übrigens in raschem Halbflüstern kaum drei Minuten gedauert.



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