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Zwölftes Capitel.
Ob lehren oder lernen?


Aus kurzem, aber tiefem Schlaf erwachte Hermann mit dem Gedanken – an Halle. Von soviel Erfreulichem und Aufregenden des gestrigen Abends schien also doch gerade die ihm am wenigsten erwünschte Unterhaltung mit dem Sonderling von Baron Rehfeld seine träumende Seele besonders beschäftigt zu haben. Es stand ihm vor, als habe er in seinem Traume mit Niederschreiben von Erinnerungen an jene verhängnißvollen Tage zu thun gehabt, und nachdem er sich vorher so lange auf einen guten Anfang seiner Berichte an Bercagny hin und her besonnen, überraschte es ihn, daß er gerade im Schlaf darauf gefallen war, seine Arbeit mit Dem einzuleiten, was er selbst erlebt und unmittelbar vernommen hatte. Wie er sich damit sogleich unter den jüngern und strebsamsten Geistern Deutschlands bewegte, mußte auch seine Darstellung an Lebhaftigkeit und Interesse gewinnen. Er suchte Bercagny's Brief, der seine Instruction enthielt, hervor, und las gerade die verfänglichste Stelle mit lebhafter Befriedigung. Es hieß nämlich darin: »Vor allem, mein Herr, halte ich mich an Ihren vortrefflichen Gedanken, daß beide Nationen, die sich mit dem Schwerte des Kriegs begegnet sind, zu ihrer Feindseligkeit nur von verborgener Wechselneigung getrieben werden, die eben durch Kampf zur Erkenntniß kommen soll. Zum Beweise, daß ich Sie verstanden habe, möchte ich nur an die einfache Naturerscheinung erinnern, daß zwei Körper, hart an einander gerieben, sich erwärmen, ja Licht geben. Wohlan, thun Sie nun das Ihrige dazu; wirken Sie mit zu solcher Erkenntniß und Wärme, indem Sie uns mit den deutschen Männern bekannt machen, die ihre patriotischen Empfindungen, Gedanken, Bestrebungen in der kraftvollen und aufrichtigen deutschen Sprache laut werden lassen. Wir haben Deutschland mit dem Schwerte getroffen, und verlangen sehr darnach, wie man sich mit der Feder und mit der Batterie der Wahrheit wehren kann. In Deutschland bewundert man unsere Marschälle, unsere Kriegsfürsten: wohlan! machen Sie uns mit den Herzögen der Gedanken und des Wortes bekannt, die in Deutschland die öffentliche Meinung commandiren und die Gemüther der Nation entflammen. Auch wir haben das Bedürfniß der Anerkennung und die schwere Schuld der Anerkennung. So werden wir uns verständigen und einen fruchtbaren Frieden schließen!«

Herrlich! rief Hermann aus. Welche hochherzige Gesinnung in diesem Franzosen lebt! Und wie ließe sich behaupten, daß Bercagny der einzige wäre, der so dächte, wenn man auch annehmen darf, daß Napoleon, vermöge seines Herrscherblickes, für jeden Platz die geeigneten Männer zu finden weiß, mithin auch für Westfalen – diesen von ihm geschaffenen Einigungspunkt von Frankreich und Deutschland – neutrale Geister auf neutralen Boden sendet, wo entzweite Politik, zwieträchtiges nationales Interesse sich die Hände reichen, verbinden und zu einer neuen Zukunft einander ergänzen. Das nenne ich mir denn doch eine andere Neutralität, als der entflohene Kurfürst sich ausgedacht hatte: keine – möcht' ich sagen – Zwiebelneutralität mit dem langen Hohlblatte des Zopfes, und die sich nach Umständen häutet, wobei sie dem eigenen Volke Thränen in die Augen zieht.

Hermann war von seinen Betrachtungen und seinem mit Stolz gefaßten Vorsatze so hingerissen, daß er sich auf der Stelle zur Abfassung seines Berichts gesetzt haben würde, wäre die Trauung nicht gewesen, zu der er sich bei Zeiten bereit halten mußte. Unter dem Ankleiden fielen seine Gedanken wieder auf den räthselhaften Herrn von Rehfeld. Der wunderliche Kauz hatte doch etwas Anziehendes für ihn. Daß derselbe bei ausgebreiteten Bekanntschaften in Preußen von den wissenschaftlichen Männern so warm und mit Einsicht gesprochen, flößte ihm Vertrauen ein.

Seine Unterhaltung bewegt sich in Widersprüchen, sagte Hermann zu sich selbst. Am entschiedensten scheint er ein Lebemann zu sein, mithin ein großer Egoist. In der Küche, auf der Börse ist er zu Hause. Wußte er nicht ganz genau, daß die östreichischen 4procentigen Obligationen auf 41 Papier und die hessischen 5procentigen Etats für Papier und Geld ohne Ziffer im Börsenblatte stehen? Und zählte er nicht die Fische und die Gemüßesorten an den Fingern her, die der Monat Mai als Leckerbissen bringt? Diese schleckende Zunge, mit der er von der Küche spricht, diese geldzählenden Finger, an denen er den Cours abmißt, gehören keinem Spion an, worauf ihn gestern einige Gäste anzusehen schienen – für einen französischen Spion, von dem selbst Herr von Schmerfeld getäuscht werde. Bewahre! Aber in preußischen Verbindungen mag er stehen. Daß er von Politik spricht und doch wieder über Politik spottet, scheint doch nur auf ein Tasten oder auf Täuschen abgesehen.

Hermann setzte sich vor, den Baron zu besuchen und kennen zu lernen. Er ist hier fremd, wie ich, dachte er, und ich kann von ihm lernen, wie man sich in die Fremde schickt. In Bercagny's Briefe war auch angelegentlich nach dem Verfasser einer deutschen Schrift: »Napoleon Buonaparte und das französische Volk«, gefragt, und – vielleicht, daß Rehfeld dies Buch kannte und etwas Näheres vom Verfasser wußte, was dem Bericht zu statten käme.

Mit diesem Vorsatze begab sich Hermann hinab, begrüßte das feierlich gestimmte Paar und fuhr mit zur Kirche.

Die Trauung geschah unter großem Zudrang von Menschen aus allen Classen. Lina galt für eine große Schönheit, und Alles wollte ein so anmuthiges und glückliches Paar am Altare sehen. Man war stolz darauf, daß Beide aus altcasseler Bürgerfamilien stammten. Der Anzug der Braut, nach dem neuen französischen Geschmack, war ein Gegenstand der Musterung für die Frauen. Der Bräutigam wurde gepriesen, daß er bei ansehnlichem Vermögen und guten Aussichten im Dienste nicht im Kreise der hohen fremden Beamten, sondern im casseler Bürgerstande gewählt habe.

Möge er sich nur auch immer vom Hofe fern halten, flüsterten Einige, damit ihm sein schöner Hausstand unangefochten und ungetrübt bleibe!

So klug ist Herr Heister wol! lautete die Erwiderung. Er weiß, wie's bei uns zugeht und wie verführerische Jagd auf schöne Frauen gemacht wird.

Aber er ist auch ehrgeizig und weiß, daß man durch eine schöne Frau am schnellsten vorwärts kommt.

Vergessen Sie aber nicht, daß er ein Ehrenmann ist und – ein Altkurfürstlicher! Sonst freilich ist es für einen westfälischen Beamten, zumal im Ministerium, schwer, Ehrgeiz und eine schöne Frau beisammen zu haben, ohne eins von beiden dran geben zu müssen.

Schwer, sagen Sie? Wie man's versteht! Mancher macht großes Spiel: er spielt aus und sticht mit seiner Dame den König.

Und den Buben, den er gewinnt, läßt er Jerôme taufen!

Oh! Das nennt man aber auch Sauglück haben! Wer kann darauf rechnen?

 

Unter solchen schalkhaften Wechselzuflüsterungen war die Trauung vorübergegangen, und Alles eilte vor die Kirche, das Paar in den Wagen steigen zu sehen.

Zu Hause fand Hermann eine Einladung zur Gräfin. Diese Erwartung setzte, nach dem Frühstücke des kleinen häuslichen Kreises und nach der Abreise des stillen Paares, den übrigen Tag, der nach den bewegten Vorgängen des Morgens sehr leer und öde geblieben sein würde, in eine gelinde Spannung.

Als der junge Freund sich bei der Gräfin melden ließ, ward er durch einen Salon in ein sehr behagliches, süßduftendes Zimmer von einem einzigen Fenster geführt. Die Dame schien sich eben von ihrem Pommier erhoben zu haben und hielt noch das »Journal des Luxus und der Mode« in Händen. Sie empfing ihn mit vornehmer Freundlichkeit und lud ihn mit anmuthiger Handbewegung auf ein freistehendes Tabouret. Sie hatte viel Gehaltenes bei etwas schwankendem Gang. Nicht groß, und nicht mehr in der ersten Jugend, erschien sie mehr interessant als eigentlich schön; ihre Augen waren weniger lebhaft, als ihr Mund edel und einnehmend. Ihren Manieren fehlte nicht, was die Franzosen groß und bequem – grandes et aisées – nennen. Aber der eigenthümliche süddeutsche Schmelz von Natürlichkeit ihres Betragens erschien Hermann neu. Dennoch lag eine kleine Befangenheit in ihrem Empfang. Der Gegenstand oder die Absicht ihrer Einladung hatte sich nämlich geändert. Adele, die inzwischen bei ihr gewesen, hatte ihr eine Geschichte erzählt, die für eine so heitere und geistreiche Frau den Reiz einer Verlockung mit sich brachte. Ihrem Blick entging es nicht, was das Herz ihres Lieblings beschäftigte, als ihr Adele eine wunderliche Zumuthung machte. Das launenhafte, trotzige Mädchen wollte nämlich, Morio zum Possen, in der Wohnung und unterm Schutze der Gräfin heimliche deutsche Stunden nehmen. Die Gräfin fühlte lebhaft das Unpassende einer solchen Begünstigung, besonders in. ihrer Stellung; doch bei dem Reiz des Unterhaltenden, den die kleine Intrigue für ein lebhaftes Frauenherz bei müßigen und öden Stunden hatte, ließ sie sich halb und halb überreden; wozu es allerdings beitrug, daß Morio, dem der Trotz galt, bei den Hofdamen und bei der Gräfin besonders nicht in Gunst stand. Sie wollte nur noch den Eindruck abwarten, den der äußerlich interessante junge Mann durch Gesinnung und Benehmen auf sie machen würde, um auf einen Scherz einzugehen, der sein Gutes hatte, und den sie ja jeden Augenblick abbrechen konnte.

Sie stimmte daher auch gleich die Verhandlung mit dem jungen Manne ins Scherzhafte, indem sie ihn diesmal deutsch, mit etwas schwäbischer Zunge, anredete:

Es wird Ihnen Spaß g'macht haben, Herr Doctor, daß Sie überall Bräute gefunden, wo Sie Schülerinnen erwartet haben. Wenn das unsere guten Familien wittern, daß Ihnen solch' ein Verwandlungszauber vorausgeht, so werden Sie bald noch viel Schülerinnen zu verlieren bekommen.

Hermann, durch diesen launigen Empfang schnell auf seinen leichtesten Fuß gestellt, fragte lächelnd, ob Fräulein Le Camus wirklich Braut sei.

Doch noch nicht, antwortete die Gräfin. Sie steht noch vor Morio's Bewerbung, die damals, wo Sie beim Minister – und nachdem Sie wieder fort waren, feierlich geschah. Aber Adele hat ihn noch hingehalten. Sie scheint jetzt zuviel Luscht – fürs Deutsche zu haben. Die Partie ischt gut, und ihr Bruder, der sich gern selbst verheirathen möchte, hat ihr zugeredet, den General nicht abzuweisen. Ich glaube, er hält's für gut, daß Adele nicht mit ihrer künftigen Schwägerin lebe – er, oder seine kluge Schwiegermutter, deß will ich die Wahl lassen. Wenn überhaupt noch etwas aus Fürstenstein's Heirath mit der Salha wird!

Mademoiselle Le Camus scheint demnach mehr ihren Vortheil als ihr Herz zu Rathe zu ziehen? bemerkte Hermann.

Ei nun, wir Frauen, wissen S', haben nicht immer Wahl für unsere Hand, und müssen uns dann das Herz als Sondergut reserviren, lächelte die Dame.

Aber, gnädige Gräfin, ist das kein Unglück?

Lieber Himmel, was wäre nicht über Glück und Unglück in der Ehe zu sagen! rief sie ernstlich aus. Und – bleibt es denn immer ein Glück, wenn auch einmal günstigerweise auf den Hochzeittag Herz und Hand in der einen Wagschale zusammenfallen? Plumps! da liegt's Glück fescht für eine lange Lebenszeit, heißt das für die Lebenszeit der langen Weile, und erscht wenn das Herz in die andere Wagschale fällt, und die Hand für sich allein liegen bleibt, kommt die Wage der Ehe in jenes anmuthige Schweben, wobei beiden Theilen wieder wohl wird. Denn's Schweben ischt ein Hauptreiz im Leben.

Besonders wenn dabei das Publicum das Zünglein der Wage führt! lächelte Hermann.

Charmant! rief die Gräfin. Ich sehe schon, man kann ein munteres Wort mit Ihnen plaudern. Aber ich muß Sie doch schnell mit unserm Vorhaben bekannt machen, eh' Adele kommt. Sie hat also den General hinausgeschoben, und will ihm zum Trotz erscht deutsch lernen. Und da hab' ich ihr den Spaß nachgegeben, daß wir hier bei mir insgeheim Lectionen haben. Das ischt, kurz gesagt, die Sach'!

Also Lectionen zum Spaß? erwiderte etwas empfindlich Hermann. Aber – dürfte der Spaß nicht mit gerechten Vorwürfen des Ministers und mit Verdruß ablaufen?

Da hör' mir Einer den Sauertopf! fiel die Gräfin etwas erröthend ein. Hören Sie, wenn Sie hier in Cassel Ihr Glück machen wollen, müssen Sie ein wenig leichtfüßig werden. Rechtschaffen können S' doch dabei bleiben. Auch müssen Sie sich gegen Ränke und Kniffe vorsehen, und müssen sie daher kennen lernen. Das ischt aber eine ganz unschuldige und anmuthige Intrigue, die wir vorhaben. Geben Sie Acht, – am Ende wissen Sie gar nicht, ob Sie hier gelehrt oder gelernt haben! Freilich, Sie sind Doctor; aber Sie können vielleicht noch in manchem Stück promoviren. Was aber den gefürchteten Verdruß betrifft, so müssen Sie nur wissen, daß eine Truch-Waldseß sich keinen Spaß auf fremde Kosten und Gefahr macht.

Ehe noch Hermann auf diese Zurechtweisung um Verzeihung bitten konnte, meldete der Kammerdiener den Herrn Baron von Bülow, Excellenz.

Die Gräfin öffnete das Seitenzimmer und bat Hermann, auf einige Minuten einzutreten.

Der Finanzminister verweilt nicht lange, sagte sie. Da nehmen Sie zu Ihrer Unterhaltung das Journal mit und besehen Sie sich die Modedamen. Es ist das Neueschte.

Sie zog hinter dem Eingetretenen die Thür wieder zu und gab dem Bedienten einen Wink.

 

Hermann betrat das Ankleidezimmer der Gräfin. Es war aufs üppigste eingerichtet und durchduftet. Ein tiefes Lotterbett stand gleich neben der Thür, ein beweglicher großer Spiegel gegenüber, in welchem man sich selbst und das über dem Ruhebette hangende Gemälde einer Susanna im Bade widerscheinend erblickte. Die Gefäße, die Büchsen und Gläser, kurz, alle die Sachen und Sächelchen auf dem Wasch- und Putztische hatten etwas Aufregendes für einen jungen Mann, indem sie die Phantasie mit den heimlichsten Bedürfnissen und Verwöhnungen einer reizenden vornehmen Frau beschäftigten.

 

Der inzwischen von der Gräfin freundlich empfangene Finanzminister war ein lebhafter Mann in Mitte der Dreißig, angenehm und heiter von Aussehen, leicht und bequem in Manieren. Er sprach klar und gefällig, nur daß er an einzelnen Worten einen leichten Anstoß der früher stotternden Zunge merken ließ.

Ich wollte nur der durchlauchtigen Großhofmeisterin berichten, sagte er, daß die von der Königin verlangte Summe angewiesen ist.

Schönen Dank, lieber Baron, erwiderte sie. Die Königin wollte doch gar zu gern ihrem rückkehrenden Gemahl ein häusliches Fescht bereiten. Sie wird's Ihnen sehr gnädig vermerken.

Das wird mich unendlich glücklich machen, lächelte er, besonders wenn Ihre Majestät recht lange damit ausreichen.

Das heißt – nicht sobald wieder ein solches Anliegen hat. Nicht wahr? Ich kann mir denken, was Sie für eine Lascht haben mit unsern Finanzen, lieber Freund.

Wahrlich, Durchlaucht, seit ich Excellenz bin, seit dem 8. dieses, bin ich ein geschlagener Mann. Excellire einmal Einer mit einer Staatskasse, die ein Sieb zum Boden hat! Eben sind auch wieder sehr ungnädige Befehle des Kaisers wegen Abtragung der rückständigen Kriegscontributionen eingelaufen. Quellen, die bei uns schon wie im Sande der Wüste, ich meine – des wüsten Lebens versickern, sollen auch noch bis Paris strömen! Dazu noch diese Sündflut verlumpter Franzosen – Abenteurer, Taugenichtse, die mit jedem Tag ankommen und hier ihr Glück, das heißt Geld oder Stellen suchen. Aber – Basta! Warum sage ich das meiner liebenswürdigen Gönnerin? Verzeihung, daß ich mit diesem Portefeuille-Geruche in Ihr trauliches Sanssouci –!

Er erhob sich zu gehen, die Gräfin nahm ihn aber durch einen Wink mit in die Fensternische und sprach sich ebenfalls sehr lebhaft gegen diesen Zudrang bettelhaft anmaßenden Franzosenvolkes am Hof und in der Stadt aus.

Auch die Königin wird vielfach angegangen, sagte sie, und zeigt sich leider! um ihres Gemahls willen gerade, den Franzosen nur allzu hold. Ischt denn da gar kein Einhalt zu thun? Sagen Sie, lieber Freund, was Sie davon denken!

Ich bin's entschlossen, soviel in meinen Kräften steht, Einhalt zu thun, versetzte Bülow, und freue mich, Sie auf solchen Gedanken zu finden. Was könnte man nicht durch Einverständniß und Zusammenwirken ausrichten – hemmen, abschrecken! Sie wissen, Durchlaucht, daß ich nicht allzu gern nach Cassel gegangen bin, als ich in Folge des Tilsiter Friedens mit der Provinz Magdeburg an das neue Westfalen fiel. Ich habe Ihnen auch, glaube ich, schon gesagt, daß ich damals bei meinem alten König bat, mich in preußischem Dienste zu behalten. Allein der unglückliche Monarch, der sein halbes Reich verloren hatte, konnte nicht auch noch die treuen Diener übernehmen, die zu den verlorenen Provinzen gehörten. Als hierauf Jerôme nach Magdeburg kam, hatte ich in einer längern Unterredung mit ihm das Glück, ihm zu gefallen. Er berief mich in seinen Staatsrath und übertrug mir nach Beugnot's Abgang die Finanzverwaltung. Ich habe mich aber – im Vertrauen gesagt! – dem sorgenvollen Amte nur unterzogen, um für das Beste des unglücklichen Landes, besonders des ehemals preußischen Antheils, zu wirken. Ich werde nur Deutsche befördern und soviel ich vermag die Fremden abwehren. Wollten Sie mir darin beistehen –

Mit Freuden! flüsterte sie, ihm ihre Hand reichend. Was kann aber ich dabei thun?

Wenn wir nur erst einmal einverstanden sind, wird es sich schon finden! antwortete er. Wir theilen uns mit, was wir beobachten, überlegen, was Jedes an seinem Platze thun kann, und wie wir uns in die Hände arbeiten. Vor der Hand wachen Sie nur bei der Königin! Die französische Partei drängt sich allzu sehr an die hohe Frau. Und Katharina hat leider! schon zuviel Vorliebe für das Franzosenthum. Nimmt sie doch keine Bittschriften an, die nicht französisch abgefaßt sind, während der König selbst versprochen hat, deutsch zu lernen, und wir fort und fort gegen das Eindringen dieser Sprache in das Staatsgeschäft kämpfen. Erinnern Sie Ihre Gebieterin doch daran, daß sie eine Würtembergerin und Königin in Westfalen ist, und daß die Würtemberger und Westfalen die rechten deutschen Kernvölker sind.

Haben Sie Dank, lieber Bülow! erwiderte mit nachdenklicher Miene die Gräfin. Ja, wir wollen gute Freundschaft und Bündniß halten und einander beistehen. Geben Sie mir nur bei allen Gelegenheiten Wink und Rath!

Er verneigte sich auf die dargebotene Hand, indem er sagte:

Ich darf es für einen verhängnißvollen Antrieb halten, daß ich in dieser Stunde hierher gekommen bin. Soviel Geist und Herz ist ein anderer Zuwachs, als ich diesen Morgen erhalten habe. Vor allem wollen wir unsere edle Sprache, wollen deutsche Sitte und stille Hoffnung aufrechthalten. Dies Westfalen – hält sich nicht, Gräfin! Glauben Sie mir! Einiger französischer Einschlag in den deutschen Zettel des westfälischen Gewebes kann inzwischen nichts schaden, wenn wir nur das Dessin deutsch halten.

Ha, ha! lachte sie; deutsches Dessin! – Aber gut: Muster und Absicht zugleich, nicht wahr? Aber was sagten Sie von Zuwachs?

Fürstenstein hat mir Morio für die deutsche Partei zugeführt, antwortete er. Aber, Sie mögen Morio nicht, Gräfin? Wie?

Nein, lieber Freund, der Morio ischt mein Mann nicht. Er ischt ein – Grobian, wo ihn's Hemd anrührt. Verzeihen Sie den ordinären Ausdruck!

Der Besuch ist ihm wol auch schwer genug angekommen, fuhr Bülow fort. Wir waren früher ganz gute Freunde, allein – wissen Sie, ehe der König sein Land betrat, schickte er Morio, seinen Adjutanten, voraus, die öffentliche Meinung zu prüfen. Auf dieser Umreise nahm er auch über die Einnahmsquellen des neuen Reichs Notizen auf – ich denke mir in Wirthshäusern, bei Schafhirten, Handelsjuden, Chausseegelderhebern u. dgl. – das originellste Budget von der Welt. Der König aber, dem die hohen Ziffern gefielen, hielt darauf, bis ich ihm die Albernheit begreiflich machte. Morio erfuhr hernach, wie sehr ich über sein Machwerk gelacht hatte, und grollte mir seitdem Er ist übrigens durchaus nicht ohne Talent und hat in seinem Fach sehr gute Kenntnisse. Er soll Bräutigam sein: ist es so weit?

Noch nicht, lieber Baron; aber er bewirbt sich eifrig. Die kleine Le Camus hält ihn noch hin. Das voreilige Gerücht scheint von ihm selbst ausgegangen zu sein. Er ischt so von seiner siegreichen Liebenswürdigkeit eingenommen, daß man ihm einen kleinen Possen von Herzen gönnen möchte.

Während sie bei diesen Worten lächelnd einen Blick der Erinnerung nach der Thür warf, hinter welcher Hermann, der Gehülfe eines solchen Possens, harrte, trat unangemeldet Adele ganz leise herein. Bülow begrüßte sie mit einigen scherzenden Artigkeiten und empfahl sich.

 

Kaum war die Thür hinter ihm zu, als Adele der Gräfin in die Arme hüpfend flüsterte:

Er ist noch nicht gekommen?

Noch? erwiderte die Gräfin ebenso leise. Wo wär' er längst hin, wenn ich ihn nicht eingesperrt hielte!

Morio hat mich aufgehalten, versetzte Adele. Wir haben ihm erlaubt, mich zu besuchen, und nun meint er, meine Hand küssen hieße sich um meine Hand bewerben. Da sehen Sie nur wie roth! Der General hat einen sehr harten Bart.

O wie unzärtlich! bedauerte die Gräfin im Scherz. Man sollte glauben, der Herr Stallmeister hätte die Striegel gebraucht. Geben Sie Acht, daß er die zarte Kleinigkeit nicht nach und nach wegküßt, um sie gewiß zu bekommen. Jetzt will ich Einen rufen, der keinen so harten Bart, aber rauhe deutsche Worte für Sie im Munde hat.

Indem sie die Seitenthür öffnete, sagte sie:

Kommen Sie, Herr Doctor, das Staatsbudget ist fort, und wir können zur Grammatik übergehen.

Nach einer ziemlich befangenen Begrüßung, und als die Damen auf dem Pommier, Hermann neben Adelen auf einem leichten Sessel Platz genommen, entspann sich ein nach Tact und Tonart sehr eigenthümliches Terzett von Unterhaltung. Adele ging aus ihrer anfänglichen Geziertheit gar bald in ihre muthwilligste Stimmung über. Sie sah in dem leichten Kleidchen, nach damaliger Mode eng und tief ausgeschnitten, sehr reizend aus, und saß keinen Augenblick still. Daß Manches, was sie in dieser Unruhe und Spannung sprach, unbedacht, aber oft auch naiv und unbefangen herauskam, setzte den jungen Freund anfänglich ebenso sehr in Verlegenheit, als es ihn nach und nach unterhielt und anregte. Es kam ihm zu statten, daß die Unterhaltung französisch geführt wurde: diese leichten, abgeschliffenen Worte widerstrebten nicht, wenn er einmal auch etwas nach seiner guten Erziehung – Leichtfertiges erwidern wollte. In der fremden Sprache fiel es ihm leicht, manchen Scherz, manche Empfindung hinzuwerfen, die in deutschen Worten schwerfällig oder zuvielsagend erschienen wären; ja er fühlte sich mit französischer Zunge im Stande, dies und jenes zu berühren, was ihm in der Muttersprache zu ehrwürdig für solche Unterhaltung gewesen wäre. Hätte er mehr Sammlung und Reflexion gehabt, er würde sich selbst darüber verwundert haben, wie leicht seine hergebrachte Sentimentalität sich in solcher Atmosphäre zum Muthwillen umstimmen konnte.

Die Gräfin ihrestheils ergötzte sich an diesem Spiele des Neckens und Versteckens zweier gesunder, einander anziehender Herzen. Sie brachte mit anscheinender Wichtigkeit und nicht ohne Geist immer neue reizende Bemerkungen oder Fragen aufs Tapet. So sagte sie, als Hermann einleitungsweise über das Naturell und die Eigenthümlichkeiten der deutschen Sprache geredet hatte:

Ich denke, lieber Doctor, die schweren Consonanten und tiefen Klänge unserer Muttersprache sollen der lieben Schülerin da, die noch so unruhig im Leben ist, etwas Aplomb geben. Und da sich ihr Herz jetzt mit Liebes- und Heirathsgedanken beschäftigt, so lassen Sie ja keines unserer tiefen und sinnreichen Worte vorübergehen, ohne sie auf die Geheimnisse des Lebens aufmerksam zu machen, die oft in sinnreichen Worten, wie in Keimaugen, sich andeuten. Um nur beispielsweise einer Kleinigkeit zu erwähnen, so können Sie ihr beim Zeitwort lieben – ich liebe, du liebst u. s. w., den außerordentlichen Unterschied im Begriffe dieses Wortes gegen das französische aimerj'aime, tu aimes etc. begreiflich machen. Mein Gott, welch eine unermeßliche Kluft liegt nicht zwischen zwei anscheinend gleichbedeutenden Worten! In diesem lustigen aimer schwimmen Goldfischchen, und Niemand scheut sich, dieselben öffentlich mit Brosämchen aus der Tasche, das heißt aus dem Herzen, zu füttern; im deutschen lieben aber schwimmen, wie aus den Tiefen des Oceans heraus, Elefanten – nicht doch, Walfische wollt' ich sagen!

Sie brach über ihren Misgriff in herzliches Lachen aus, und die beiden Andern lachten noch lauter mit, froh, wie es schien, daß sie sich einmal von ihrer innern Spannung recht auslachen konnten.

So waren einige Stündchen hingegangen und die Dämmerung eingetreten. Hermann sagte sich, daß er gehen müsse, so sehr ihm noch die strahlenden Augen der Creolin leuchteten. Die Lectionen wurden auf zwei Wochentage verabredet, auf Montag und Freitag, als die mit den Hofbeziehungen dermal verträglichsten.

Da wir aber, zumal ich, durch meine Stellung bei der Königin, hundert Zwischenfällen und Abhaltungen ausgesetzt sind, erklärte die Gräfin: so wollen wir es so halten, daß ich Ihnen in solchen Fällen hier die kleine kornblumenblaue Vase auf das Fenstersims hinausstelle. Dann ist es nichts mit der Lection, und Sie brauchen sich nicht herauf zu bemühen. Steht aber das Ding an einem andern Tage als den beiden regelmäßigen vor dem Fenster, so soll es ausnahmsweise das Gegentheil bedeuten, und Sie können heraufkommen. Nicht wahr, das verstehen Sie? Wir haben, wie die Grammatik, Regel und Ausnahme!

Hermann bejahte mit so feierlichem Ernst, daß es die Gräfin zum Lächeln brachte. Er holte jetzt den kleinen Handschuh hervor und warf ihn, seinen Hut ergreifend, Adelen – wie er glaubte unbemerkt – hin. Die Gräfin aber, die es wahrgenommen und jetzt von dem Raub wußte, sagte an der Thüre deutsch zu ihm:

Sie sind ein rechter Deutscher – nehmen den Handschuh hin, damit ein Franzose nach dem freien Händchen greife. Aber machen wir's nicht in größern Dingen auch so? Der Deutsche schafft immer mit heiligem Ernste die Verschalungen, die Verpackung hinweg, und die andern Nationen nehmen dann die Güter selbst in Empfang mit dem zufriedenen Lächeln: Wohlconditionirt angekommen!



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