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Zwölftes Capitel.
Im Theater.


In solchen Gesprächen kamen sie an dem kleinen Gartenlocal des Herrn Keilholz in der Allee vorüber. Sie hatten kein Bedürfniß, in dieser neuen Restauration einzukehren, der Baron aber empfahl dem jungen Freunde die artig gelegene Wirthschaft.

Sie finden da stets eine ausgewählte Männergesellschaft, sagte er, interessante Unterhaltung und, wenn Sie sich einmal ins Zutrauen gesetzt haben, – piquante Mittheilungen, Hofgeschichten u. s. w. Dabei ist der Wirth gefällig und billig, besonders mit seinem guten Kaffee. Wissen Sie, was auf Napoleonshöhe die Partion kostet? Einen halben Thaler.

Sie hatten jetzt die Gärten der Stadt erreicht und schlugen einen Seitenweg ein, um die Theaterstunde herbeizuschlendern. Als sie sich von der Au herauf dem Hause näherten, fanden sie den Opernplatz von Menschen sehr belebt. Die Thüren der langen Eingangshalle waren von ältern und jüngern Herren besetzt, weniger um der reizenden Aussicht zu genießen, die man hier über den weiten Platz hinaus in die Landschaft hat, als um die schöne Welt zu Wagen und zu Fuß ankommen zu sehen. Auf dem Altan über der Halle zeigten sich in übergeworfenen Mänteln einzelne Figurantinnen aus dem Personal der Oper und des Ballets, die – wie es schien – nach ihren Verehrern ausspähten, und mit Blicken und Fingerzeigen ihre Bestellungen machten.

Es ist doch ein unverschämtes Völkchen, sagte der Baron, und leider wetteifern unsere Landsmänninnen aus Berlin, Braunschweig und Hannover mit den leichtfüßigsten Französinnen des Ballets. Unser hiesiges Theater hat nicht blos ein Repertoir für die Stücke, sondern auch einen Preiscourant für das weibliche Personal – wenigstens für das untergeordnete der Figurantinnen. Ein Doppelrepertoir für Sujets, die gut aufgeführt werden, und solche, die sich schlecht aufführen.

Unsere Freunde verweilten nicht lange vor dem Hause, sondern suchten sich, um auch ein wenig auszuruhen, bequeme Eckplätze im Parterre. Hermann wunderte sich, daß es hier so leer blieb, besonders von jüngern Frauenzimmern.

So oft ich sonst hier war, sagte er, fand ich angenehme Nachbarinnen, und heut hätte ich noch mehr Zudrang erwartet, da der König zum ersten mal wieder hier erscheint.

Eben deshalb finden Sie es weniger besucht, erwiderte der Baron. Ich meine das Parterre. Die Logen werden sich schon mit geputzten Damen füllen. Als Sie früher hier waren, befand sich der König auf Reisen, und solche Abwesenheit benutzen die ehrbaren Frauen, die das Parterre besuchen, um ihre Töchter einmal ins Theater zu führen.

Sie sprechen von ehrbaren Frauen, entgegnete Hermann; liebt denn der König Stücke, die Anstoß beim Publicum geben?

Dies weniger, flüsterte der Baron mit schalkhaftem Lächeln. Aber es hat noch ein anderes Häkchen. Es wundert mich, daß Sie davon noch nicht gehört haben. Aber freilich, man spricht kaum mehr darüber. Jerôme, müssen Sie wissen, erscheint nur bei feierlichen Gelegenheiten mit seiner Gemahlin in der großen Mittelloge. Wenn er außerdem das Theater besucht, was er fleißig thut: so ist es dort in der Prosceniumsloge, – sehen Sie da rechts, wo die purpurnen Vorhänge –! Und – eben diese Vorhänge sind das Aergerniß! Man sieht sie nämlich zuweilen, oder auch öfter, während der Operette oder nach dem Ballet sich schließen.

Nun? fragte Hermann gespannt, und der Baron fuhr fort:

Dann folgt eine kürzere oder längere Unterbrechung, die unser Freund Kapellmeister mit Musik auszufüllen angewiesen ist, so, als ob noch nicht Alles hinter dem Vorhang in Ordnung wäre. Aber Sie können seinem Tactstocke, mit dem er auf das Notenpult hämmert, anmerken, daß er über etwas Anderes ärgerlich ist, als über die Partitur, auf die er klopft. Und Das, was ihn so grimmig macht, ist es auch, was unsere rechtschaffenen Frauen vom Theater abhält – dies unsichtbare Intermezzo, das die Fragen der Töchter veranlassen oder gar die Phantasie derselben beunruhigen könnte. Wie unsere Logendamen darüber hinauskommen – ich habe noch keine darüber befragt. Man hört sie dann blos sehr laut und lebhaft reden und lachen, so – wie man zu thun pflegt, wenn man sich etwas ausreden will oder es nicht zu merken anstellt.

Je nun – was ist es denn aber? fragte Hermann noch begieriger. Jerôme soll zuweilen etwas abgespannt sein: macht er ein Zwischenschläfchen in der Loge?

O Sie –! lachte der Baron.

Und da eben alle Logenthüren auf- und zugingen und der Zudrang rauschte, sprach er etwas rascher:

Es ist freilich auch oft eine große Schuld der Könige, wenn sie zur Unzeit schlafen. Aber Das ist es hier nicht, sondern – nun ja! – Jerôme, müssen Sie wissen, ist ein großer Liebhaber – auch von der Kunst, und liebt besonders das hoch aufgeschürzte Ballet. Aber er haßt allen nichtigen Schein, und wenn er nun während des Spiels oder Tanzes in Zweifel darüber kommt, wie viel Wahrheit oder wie viel – Watte an der reizenden Erscheinung ist, so läßt er sie vom Theater abholen – es geht nämlich ein Treppchen aus der Loge auf die Bühne – und – Ha, der König!

Ein Geräusch entstand dadurch, daß Alles sich erhob, um den Gruß der Majestät aus der kleinen Loge mit Verneigungen zu empfangen. Die Ouverture begann.

Die Operette »Quinaut et Lully« hatte für Hermann wenig zusagende Musik. Im Allgemeinen war es aber um die Ausführung solcher kleinern Singspiele doch besser, als mit der großen Oper bestellt. Madame Theodore, so vortrefflich der junge Freund sie schon in den Rollen einer petite etourdie gesehen hatte, zog heut nur durch ihr phantasievolles Gesicht und seelenvolles Auge das Interesse des Publicums auf sich, ließ aber mit ihrer mittelmäßigen Stimme die Ohren unbefriedigt.

Im Ballet Zeli, ou la journée heureuse that sich Mademoiselle Coustow hervor – Eine der Theaterbekanntschaften Jerômes aus Paris! flüsterte der Baron dem Freund ins Ohr.

Das Ballet war kaum zu Ende, als die Vorhänge der kleinen Loge sich wirklich zusammenzogen. Eine flüsternde Bewegung entstand im Theater. Durch des Königs Abwesenheit war die Sache wieder neu geworden, und das Publicum, das wahrscheinlich erwartend gewesen, schien nun mit der rauschenden Bewegung ausdrücken zu wollen: Ja doch, er ist noch der Alte!

Auch dem Kapellmeister mochte der Vorgang nicht unerwartet gekommen sein, wenigstens war er darauf vorgesehen und ließ als vorgeschriebene Zwischenmusik ein anzügliches Stück aus »Don Juan« spielen. Der alte Weltgänger konnte bei seiner leidenschaftlichen Reizbarkeit, wenn er einen piquanten Trumpf auszuspielen dachte, zuweilen noch unüberlegt wie ein Student handeln. Leider! wurde er auch verstanden, und ein beifälliges Stampfen ließ sich aus einigen Ecken, wenn auch ziemlich blöde, vernehmen. Denn die Aufpasser der Polizei kamen schon in Bewegung, und eben als Hermann sich mit einer leisen Bemerkung gegen Rehfeld wendete, trat Einer derselben – ein Mann in Civil – an den Baron heran, lüftete unter artiger Begrüßung wie zufällig den Ueberrock, um sein Polizeischild blicken zu lassen, und lud ihn ein, ihm auf die Polizei zu folgen; ein verdächtiger Mensch sei von der Gendarmerie eingebracht worden und habe ein Schreiben an den Herrn Baron bei sich, worüber Auskunft zu geben sei.

Der Baron war sichtlich betroffen, und schickte sich an, dem Commissar, der ruhig vorausgehen wollte, zu folgen, als ein wohlgekleideter junger Mensch, groß und pockennarbig, mit der Bewegung, sich in dieselbe Sitzreihe durchzudrängen, dem Baron zuflüsterte:

Beruhigen Sie sich, Herr von Rehfeld! Der Brief ist unversiegelt, und hat nur Inhalt für Den, der den Schlüssel dazu hat.

Er grüßte im Vorübergehen auch Hermann mit einem freundlichen Blick der lebhaften Augen, und dieser hatte ihn bereits für jenen jungen Mann, Namens Wilke, aus dem Schaumburg'schen Garten erkannt.

Hermann wollte den Baron begleiten, der es aber mit den leisen Worten ablehnte:

Heften Sie sich nie an einen Freund, der vor die Polizei geholt wird! Aber – fragen Sie später nach, ob ich zu Hause bin. Dort will ich Ihrer warten, wenn –!

 

Hermann blieb sehr beunruhigt zurück. Die Befangenheit des Barons machte ihn um so besorgter, als er demselben bisher selbst bedenkliche Verbindungen zugetraut hätte. Mit Ungeduld erwartete er das Finale der Operette, um sich dem Kapellmeister zu nähern und ihm den Vorfall mitzutheilen.

Reichardt verrieth doch mehr Bestürzung, als es der junge Freund von einem sonst so kecken Sprecher erwartet hätte. Er ließ durch den Diener des Orchesters sich nach Haus entschuldigen, und eilte mit Hermann nach Rehfeld's Wohnung. Dieser war noch nicht zurück, begegnete ihnen aber zwischen den Wachthäusern des Thors, als sie eben auf Nachforschung in der Nähe des Polizeipalais ausgehen wollten. Ohne ein Wort zu reden, hängte er sich ihnen an die Arme und nahm sie mit sich zurück. Die Allee war noch von Hin- und Herwandelnden belebt. Erst im Zimmer, nachdem der Bediente Licht gebracht, sagte er:

Beruhigt euch! Alles ist für diesmal gut abgelaufen. Die verfluchten Spione hatten unsern Eisenhart richtig ausgewittert und der Gendarmerie verrathen. Glücklicherweise reiste der Pfifficus diesmal auf den Namen Siebdraht und ohne den alten Backenbart. Das hat ihm durchgeholfen gegen das im Uebrigen zutreffende Signalement. Der Brief wies sich als offener Bericht meines Gutsverwalters aus; er ist eben für unser Netz geschrieben. Doch war mir der Wink des unbekannten jungen Mannes gar lieb; ich trat gleich mit mehr Unbefangenheit auf. Wer war's aber nur? Haben Sie ihn gekannt, kennen Sie ihn?

Hermann, an den diese Frage gerichtet war, nannte Wilke's Namen und erzählte, wie er ihn kennen gelernt. Es blieb aber Allen ein Räthsel, was den jungen Scribenten aus dem Bureau des Legionschefs der Gendarmerie zu einem offenbar so wohlwollenden Wink bewogen haben könnte. Rehfeld war aber zu unruhig und rief:

Ein andermal davon! Jetzt setzt euch! Ich bin zu verlangend, meinen Fischzug zu thun!

Befremdet und erwartungsvoll sah Hermann dem Baron zu, wie er aus einem Versteck des Schreibtisches ein steifes Blatt Papier von der genauen Größe des Briefbogens hervorbrachte. Es war unregelmäßig von kürzern oder längern schmalen Ausschnitten durchlöchert, sodaß es, Ecke auf Ecke des glatt gestrichenen Briefes ausgelegt, einzelne oder mehre Worte hinter einander durch die Lücken hervorschimmern ließ. Im offenen Briefe zerstreut und in andere Sätze verflochten, gaben sie, durch die Maschen des Netzes hervorblickend, einen zusammenhängenden Sinn in kurzen, gedrängten Sätzen, die der Baron mit einer Bleifeder flüchtig auf ein Blatt Papier trug. Dann warf er sein Netz auf die zweite und dritte Seite des Briefes, um auch hier aus den offen dahin fließenden Zeilen seine Geheimnisse – wie er sich eben ausdrückte – zu fischen. Er durchlief dann seinen Auszug, wobei sein lebhaftes Gesicht verrieth, wie sehr ihn die Mittheilungen erregten.

Wir sprechen noch darüber! sagte er, mehr gegen Reichardt gewendet, und setzte dann aus Höflichkeit gegen Hermann hinzu:

Sehen Sie, lieber Freund, so müssen gute Bekannte heutiges Tags mit ihrem Vertrauen Versteckens spielen, da es hinter keinem Siegel mehr sicher in die Ferne gehen kann. Beschränken müssen sich da freilich die Nachrichten. Man sagt sich eben nur das Allerdringendste, oft nur, auf welchem geheimen Wege man umständlichere Papiere erhalten werde. Aber jetzt kommt, ich begleite euch zurück! Meine Besorgniß hat mir den Appetit geschärft. Auch ihr habt noch nicht zu Nacht gespeist – ich hab' euch drum gebracht, und bin euch Ersatz schuldig geworden. Kommt, seid meine Gäste! Wir gehen ins Hôtel de France, Legendre hat treffliche Küche. Guten Spargel, handlange Krebse, Häschen und Forellen gab's gestern Abend. Und Bordeaux-Nuit nirgends echter – in versiegelten Flaschen. Wir können beruhigt sein, daß Jerôme noch nicht darin gebadet hat.

Hermann lachte, und meinte, die ganze Geschichte mit dem Badewein sei wol erfunden.

Dem sei wie ihm wolle! fiel Reichardt ein, – der bloße Gedanke daran kann Einem in einer verdächtigen Wirthschaft den Wein verderben. Ich warne Sie wenigstens, lieber Freund, vor der Restauration bei Lelong unter den Arkaden, da, wo auch die Couriere einzukehren pflegen. Die lassen Sie unbesucht, so bequem Sie solche gerade unter Ihren Fenstern haben! Dorthin sollen die Spitzbuben von Lakaien die echte Sorte Rothwein verkaufen, die sie aus des Königs Weinbädern auf Beutelchen zapfen.

 

Am Friedrichsplatze trennte sich Hermann, indem er für die Einladung des Barons dankte, von den beiden Männern, und wandelte hinab nach seiner Wohnung. Er fühlte, daß die Nachrichten des sonderbaren Mannes doch nicht für ihn waren, wenn er auch mehr Verlangen, sich in die gefährlichen Geheimnisse einzudrängen, gehabt hätte.

Zu Hause vernahm er von seiner freundlichen Wirthin, daß das junge Ehepaar von den Neuhöfen zurückgekehrt sei, daß Lina lange auf ihn gewartet habe, Ludwig aber mit einem alten Herrn, der mitgekommen, zu Schmerfeld gegangen sei.



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