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Zehntes Capitel.
Stimmung und Störungen.


Hermann dachte nun ernstlich an die übernommene und gewissermaßen schon voraus honorirte Arbeit für Bercagny. Die Aufgabe lag aber so unbestimmt und zugleich so umfassend vor ihm, daß er sie nicht gleich recht anzugreifen wußte. Er wendete sie so und so, wie ein Maler hin- und herwandelnd den besten Augenpunkt sucht, eine reiche und reizende Landschaft treu und doch künstlerisch als ein Ganzes aufzunehmen. So sah er sich bald nach den neuen großen Gedanken um, von denen die deutsche Gegenwart bewegt werde, bald nach den bedeutenden Männern, von denen diese Gedanken ausgegangen waren oder getragen wurden. Natürlich traten ihm vor allen die würdigen Lehrer und Gönner, die er im Herzen hegte, für die er schwärmte, mit jener Wehmuth vor die Seele, die sich wie ein dunkelblauer Duft um entfernte liebe Gestalten und Namen zu legen pflegt. Ihre großen Ideen, ihre edeln Bestrebungen lebten in seinem warmen Andenken. Er hatte in Halle mit ihnen verkehrt, und als diese Universität durch einen Gewaltspruch Napoleon's aufgehoben worden, war er Denen gefolgt, die sich nach Berlin zurückzogen. Es erschien ihm als ein Opfer der Dankbarkeit, wenn er ihre wissenschaftlichen Arbeiten, ihre Lehrverdienste um Deutschland, ihre Umgestaltungsabsichten für das Volk in den Augen Derer geltend machte, die ihre Eroberung durch Anerkennung, ihre Uebermacht durch ehrende Gunstbezeigungen zu versöhnen und auszugleichen die Absicht verriethen. Wie viel mußten solche Männer erst in den Augen der Deutschen gewinnen und Muth erregen, wenn ihnen selbst die Fremden eine Huldigung nicht versagen konnten!

Die ganze Seele Hermann's ward von solchen Betrachtungen erfüllt; sein Herz quoll über von heimwehlichen Erinnerungen an seine Studentenzeit, von schwungvollem Verlangen, weiter zu streben, zu wirken, zu schaffen, – Empfindungen, die ihn immer wieder auf seine gegenwärtige Aufgabe zurückführten, ähnlicherweise wie seine Blicke, die während seiner wortesuchenden Ueberlegung hinaus in die Landschaft schwärmten, sobald er nach der Feder griff, rasch wieder ins Zimmer zurück auf das gefaltete Papier fielen.

Zu diesen Störungen aus dem eigenen Innern, zu dieser Fülle des Herzens, die sich nicht bewältigen ließ, kamen auch äußere Unterbrechungen durch Mutter und Tochter des Hauses, die sehr geschäftig waren, die Hochzeit vorzubereiten. Lina besonders, nachdem ihre Ausstattung in die neue Wohnung geschafft war, erschien voll ungewohnter Unruhe nicht mehr recht hier, und noch nicht dort zu Hause, ja selbst von ängstlichen Erwartungen umhergetrieben.

Ja, ja! Sie kommen mir nun doch ein wenig träumerisch und gerührt vor, liebe Lina! sagte Hermann neckend. Sie haben erst das thränenfeuchte Schleierlein gar weit weggeworfen; geben Sie Acht, es wird nun doch noch dicke Thränen absetzen, so dick wie Gurkenkerne!

Ich denke nicht! lächelte sie. Aber es geht mir ein wenig im Kopf herum, daß ich meinen Ludwig so ernst, so nachdenklich sehe. Ich weiß, es sind Geschäftssachen, Acten, und auch noch andere Dinge gehen ihm durch den Kopf; ich weiß das, und doch ängstige ich mich auch wieder einmal, und steigen mir allerlei Zweifel auf. Es fällt mir manchmal ein, ob's an mir liege, daß er vielleicht kein volles Vertrauen auf eine glückliche Zukunft fassen kann. Doch nein! Ich weiß ja – ich habe so viel Liebe für ihn, so viel allerbesten Willen, daß ich ihn gewiß zufriedenstellen werde. Und was mich angeht, so habe ich so mein Alles und Alles an ihm, daß ihn schon der Anblick meiner Glückseligkeit, als seines Werkes, erfreuen muß, denke ich. Ach ja, ich habe auch wieder recht selige, hoffnungsvolle Stündchen! Kommen Sie, lieber Freund, wir wollen ein paar Noten singen, da wird's schon heller in mir werden. Lassen Sie Ihre Arbeiten! Arbeiten bleibt Ihnen noch übrig, wenn auch Ihre neue Schwester fort ist.

 

Sie sangen dies und das, bis die Unruhe der schönen Braut sich auch gegen die Noten behauptete. Sie stand auf und sagte weggehend:

Also übermorgen ist unser Polterabend, und da rechnen wir auf drei Stücke von Ihnen: erstens auf Ihre Liebenswürdigkeit beim kleinen, häuslichen Fest, dann auf Ihr Klavier für hinab in die große Stube, wo sich das junge Volk belustigt, und drittens auf Ihre Stube hier für die sogenannten alten Herren, heißt das – Ludwig's Freunde und des seligen Vaters Bekannte. Sie mögen dann zusehen, wo Sie sich am besten behagen, bei Jung oder Alt. Unten finden Sie für die Augen meine hübschen Brautjungfern, oben einige Leckerbissen, womit die Alten bewirthet werden. Die Jugend soll's nämlich nach der altcasseler Einfachheit haben, damit diese nicht ganz in Vergessenheit komme; die Alten aber sollen damit geneckt werden, daß sie sich an den üppigen neufranzösischen Geschmack gewöhnen müssen; denn es sind meist Anhänger des alten Herrn, getreue Hessen. Verkehrte Welt, lieber Freund: die Jugend kriegt Altes, das Alter Neues vorgesetzt.

Und Sie helfen sie noch verkehrter machen, Schwester Lina, wendete Hermann ein; denn Sie geben mir unten für die Augen, oben für den Mund: in unserer Physiognomie stehen aber Mund und Augen umgekehrt.

O Sie – Spitzfindiger! lachte Lina, indem sie ging.

 

Am andern Abende begab sich Hermann zur bestimmten Stunde nach der Wohnung der Gräfin. Er hatte sich sehr sorgfältig gekleidet, wie er denn durch seine hofmeisterlichen Aeltern mehr als andere Studenten damaliger Zeit zu äußerlichem Erscheinen angewiesen worden war. Dabei streckte er sich etwas gespannt, als ob er die schlottrige Aengstlichkeit bei der räthselhaften Einladung durch das Selbstgefühl aufsteifen müsse, ein so gesuchter Mensch zu sein. Aber er sollte gleich, vielleicht zu belehrender Warnung, erfahren, daß man es in diesen höhern Kreisen auch mit beeiferten Dingen doch nicht sehr genau nehme, oder wol auch nicht immer sein eigener Herr sei. Statt der Gräfin empfing ihn nämlich eine französische Zofe, die seinem guten Auge eine schalkhafte Wahrnehmung erregte. Im Gegensatze der falschen preußischen Groschenstücke, die ihren Umlauf durch Rothwerden verriethen, schien nämlich die Französin ihren Cours durch aufgelegtes Roth verbergen zu wollen. Sie beschied ihn zuerst etwas schnippisch-kokettirend, die Gräfin sei bei der Königin und erwarte ihn morgen Abend.

Ich bedauere, versetzte Hermann, morgen Abend bin ich versagt.

Die Zofe machte große Augen über einen jungen Mann, der den Erwartungen einer Großhofmeisterin der Königin gegenüber versagt sein dürfe, ward aber gerade dadurch artiger, und da sie etwas Empfindlichkeit in seinem Ton und Gesicht bemerkt haben mochte, erklärte sie ihm sehr freundlich, man würde ihm gern den vergeblichen Gang erspart haben, wenn man seine Adresse gehabt, seine Wohnung gekannt hätte.

Die Gräfin, sagte sie, hat einer Berathung wegen einiger Vorkehrungen zum Empfang Sr. Majestät des Königs beizuwohnen, der in diesen Tagen zurückkehrt und indessen Gefolge auch der Herr Graf, ihr Gemahl, zurückkommt. Es wird der Gräfin nicht lieb sein, daß Sie nicht kommen. Und was soll ich zu Ihrer Entschuldigung sagen?

Daß ich zum Polterabend der Tochter des Hauses eingeladen sei, wo ich wohne.

Qu'est ce que c'est que çaPolterabend? fragte die Zofe, und es machte Hermann Spaß, der gezierten Person flüchtig und neckisch die Gebräuche eines deutschen Brautabends zu erklären. Sie fand es charmant, besonders daß man auch zu Ehren einer neuen Wirthschaft die alten Töpfe zerschlage.

Fünfundzwanzig Jahre später, sagte er, wird die silberne Hochzeit gefeiert; dann schminkt man sich junge Gesichter und kocht in alten Töpfen. So wechselt Alt und Jung, Mademoiselle!

Er übergab seine Adresse und erklärte, daß er die weitern Befehle der Gräfin erwarten wolle.

Ich werde die Artigkeiten des Herrn bestellen! antwortete sie mit einer vornehmen Kopfbewegung.



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