Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Buch.


Erstes Capitel.
Ein Student von der Garde.


Gegen Abend eines heitern Frühlingstages näherte sich ein junger Wanderer dem Ziel einer mehrtägigen Fußreise. Er erblickte in einiger Entfernung die Stadt, die am östlichen Rücken eines Waldgebirges, hoch über dem baumreichen Flußthale, recht wie eine beherrschende Residenz, gelegen war. Die Pracht alter Kirchenthürme fehlte zwar, desto erhabener nahmen sich die Gebirgsgipfel des nahen Hintergrundes aus; zumal auf dem höchsten derselben sich das Monument einer Riesengestalt gegen den glänzenden Abendhimmel dunkel abzeichnete.

Indem nun bei diesem stolzen Anblicke der ermüdete Wanderer sich unwillkürlich streckte und seine Schritte beschleunigte, kam ihm der Abendgruß einer schweren Glocke entgegen. Dieser Klang, der ihn an die Kirche und an das Pfarrhaus seines Vaters erinnerte, stimmte ihn ernst, ja feierlich. Die Absicht seiner Reise fiel ihm jetzt, so nahe dem Ziele, schwerer auf das Herz, als er unterwegs sich damit getragen. Bald aber lächelte ihn die nächste Umgebung der Stadt, das ausgebreitete Thal mit Grün und Sonnenschein an; seine Rührung verlor sich mit dem schwärmerischen Blick über die Wiesen nach den nahen Dörfern und Hügeln. Seine Phantasie regte sich, die glänzende Stadt, die reizende Umgebung zu bevölkern. Er träumte seine Person, seine Morgen und Abende in dies anmuthige Weichbild hinein, wozu ein langer Sommer mit angemessenen Erwartungen vor ihm lag. Zu Fuße, zu Pferd und Wagen kamen jetzt Männer und Frauen heiter und geschmückt an ihm vorüber. Auch sie verfielen dem Zauberspiele seiner räthselnden Einbildungskraft. Wer mögen sie sein? In welche Bezüge wirst du vielleicht mit diesen und jenen kommen? fragte er sich selbst, und las nach dem Wohlgefallen seines Herzens diejenigen aus, von denen er Gunst und Förderung, Umgang und Erheiterung, Freundschaft und Liebe zu empfangen sich gestimmt fühlte. Sein schönes braunes Auge glänzte von zufriedenen Erwartungen, wobei jedoch was um den kräftigen Mund lächelte nur edle Regung zu sein schien.

Unter solchen Empfindungen hatte er an einem ansehnlichen Hospital und einer kleinen Kirche mit Anbauten vorüber eine Reihe gleichförmig gebauter Häuser erreicht, die, mit Wetterbrettern bekleidet, nach Kneipen und Fuhrmannswirthschaft aussahen. Soldaten und Mädchen trieben sich lustig aus und ein; ein paar grelle Instrumente spielten zum Walzer, und zwischen den Weidenbäumen des Wiesenabhangs tanzten noch lustiger die Mückenschwärme in der Abendsonne.

Mit diesen Eindrücken fröhlichen Lebens und heiterer Witterung kam unter günstigen Vorzeichen der junge Wanderer an das belebte Thor. Der Wachtoffizier, bei dem er sich auszuweisen hatte, maß ihn mit wohlgefälligen Blicken. – Das ist ein Student von der Garde, Corporal! sagte er hinter dem Fortgehenden. Und wirklich erregte der Ankömmling weniger durch seinen studentischen Anzug mit Stock und Ränzchen, als durch Wuchs und Haltung die Aufmerksamkeit vieler Menschen auf dem Platz vor der Brücke. Ein hübsches Frauenzimmer von schöner Gestalt und auffälligem Putz sah ihn so freundlich an, daß er sie nach dem Gasthofe zur Stadt London befragte. Sie erbot sich ihn zurechtzuweisen, und wandelte sehr vertraulich neben ihm her. Als er auf der Brücke sich rechts und links umsah, sagte sie:

Sehen Sie dort, mein Herr, das alte Schloß! Da wohnt unser junger König Hieronymus oder Jerôme, und den großen Park an der Fulda nennt man die Au. Da werden Sie schöne Spazieranlagen finden. Aber hier rechts, – vor dem alten Bau hüten Sie sich! Man nennt ihn das Castell. Hier können Sie eingesteckt werden, und man steckt sehr unangenehm in den Löchern, besonders des Erdgeschosses.

Erschrocken blickte er sie an.

Sind Sie etwa eine Wahrsagerin? fragte er lachend.

O nein, mein Herr! lachte auch sie. Sonst könnte ich Ihnen viel eher Glück prophezeien. Aber nicht wahr, Cassel macht Ihnen einen guten Eindruck.

Sehr! erwiderte er. Es scheint hier lustig genug zuzugehen, und da verspricht man sich denn auch sein Theil, nämlich das Beste. Der Mensch sieht gewöhnlich nach seiner Stimmung aus, und so nimmt auch eine Stadt leicht die Miene ihres gesellschaftlichen Lebens an. Ich lasse mir darum gern die ersten Begegnisse an einem mir neuen Ort als bedeutsame Vorzeichen gelten. Das Castell nehme ich aus.

Während sie jenseit der Brücke über den belebten Altstädter Markt gingen, und der junge Fremdling an dem angenehmen Organ und der weichen Mundart seiner gesprächigen Begleiterin noch mehr Wohlgefallen, als an ihrem freundlichen Aussehen fand, war ihnen ein Mann in guter bürgerlicher Kleidung mit einem großen dreieckigen Hut bis an die Judengasse gefolgt. Hier trat er dem Frauenzimmer dicht an die Seite mit der leisen Frage:

Wohin denn, Mamsell Lenchen, mit der guten Prise?

Betroffen, mit einem Blicke nach dem jungen Mann, aber schnell besonnen, erwiderte sie laut:

O Herr Commissar, verschonen Sie mich mit Ihrer Spaßhaftigkeit! Ich nehme keine Prisen, wissen Sie doch!

Es geht nichts über 'ne gute Wendung! lachte der Mann, indem er das kupferige Gesicht zu einem Lächeln verzog, und aus einer alten Tabacksdose schnupfte, wobei unter dem Rock ein silbernes Schild hervorblickte.

Der fremde Herr will nach der Stadt London. Kommen Sie, mein Herr, wir sind ganz nahe! sagte die Genannte, und nahm, um loszukommen, einen lebhaftern Schritt. Der Commissar aber hielt sie mit dem leisen spöttischen Wort am Arme zurück:

Nur langsam, Lenchen! Ueberlassen Sie mir die Gefälligkeiten bei Tage. Gehen Sie nur immer voran und hängen Sie sich in der Hausthür als Schild für Ihre Kunden aus. Wir kommen vorüber, und der Herr wird sehen, wo Sie wohnen. Sie vergessen immer, setzte er leiser hinzu, daß Sie aufs Abwarten und nicht aufs Einfangen patentirt sind, und zurücktreten müssen, wo unser Einer sich einmischt.

Der junge Wanderer war indeß, ohne dieser gemeinen Zwiesprache weiter zuzuhören, stolz vorausgeschritten, und wendete sich eben einem Bürger mit der Frage nach dem Gasthofe zu, als der sogenannte Commissar ihn einholte.

Kommen Sie, mein Herr, sagte er. Ich führe Sie zurecht. Aber, verzeihen Sie, wie kommt's, Sie haben sich da einen etwas entlegenen Gasthof gewählt?

Er ist mir von Halle aus empfohlen, antwortete der junge Mann.

Ah! Kommen also von Halle? Hm, hm! Aus dem ehemals preußischen Halle!

Auch ist mein Koffer dahin adressirt, – in die Stadt London, meine ich.

Koffer? Ei! Werden also einigen Aufenthalt nehmen? Haben gewiß auch Empfehlungsbriefe?

Der lauernde Ton und Blick, das ganze Aussehen des Mannes, misfiel dem Reisenden. Ohne zu antworten, schritt er etwas rascher das enge, abschüssige Gäßchen entlang, das auf einen kleinen lebhaften Platz auslief.

Das ist der Brink, bemerkte der Commissar etwas artiger, und dies hübsche Eckhaus – da haben Sie die Stadt London!

Der junge Mann dankte, und der Andere empfahl sich auf Wiedersehen, wobei er nachblickend vor sich hinbrummte: Preußischer Spion? Den Vogel müssen wir im Auge behalten. Stadt London – ist eben das Nest, wo die Altkurfürstlichen brüten!

Ein gelassener, einfach höflicher Mann von stattlichem Aussehen empfing den Ankömmling.

Ich bin der Wirth Kersting, sagte er auf dessen Anfrage, und –

Ha! Da steht ja auch schon mein Koffer! fiel der junge Mann ein.

Sind also der Herr Doctor Hermann Teutleben. Seien Sie mir willkommen! Diesen Morgen hat der Fuhrmann Ihre Sachen abgeliefert.

Folgen Sie mir! Matthes! Die Sachen herauf!

Mit diesen Worten führte er den jungen Gast eine Treppe hoch, und öffnete ein freundliches Zimmer auf die Pauligasse. Koffer und kleinere Päcke wurden heraufgeschafft, und sobald der Wirth nach einigen Fragen der Höflichkeit das Zimmer verlassen hatte, warf sich Hermann in den ledernen Polsterstuhl, indem er die müden Beine ausgestreckt, sich dem Behagen des Ausruhens und dem Frohgefühl seiner glücklichen Ankunft hinträumend überließ. Lärm und Lachen um den alterthümlichen Brunnen des kleinen Platzes begünstigte diese gemüthliche Einkehr, bis aus der Nachbarschaft sich eine gute Clarinette hören ließ und in die Melodie eines ihm gar lieben Liedes von Brentano: »Komm' heraus, komm' heraus, o du schöne, schöne Braut«, überging. Er sprang auf und wandelte, aller Müdigkeit vergessen, die Stube auf und ab, vom Tacte der Clarinette bewegt und die Melodie mit den Worten begleitend. Ein ausgezeichneter Bariton von süßester Fülle und seltenem Umfang gab sich kund, und das Gesicht leuchtete von jugendlicher Schwärmerei. Auch ließ ihm das aufgeregte Herz die Ruhe des Zimmers nicht länger; es war, als ob Alles, was er hier am Ziel der Reise vorhatte, ihm in die Glieder gefahren sei. Er öffnete den Koffer, und nahm einen Ueberrock heraus, um noch in der Dämmerung durch ein paar Gassen zu schlendern; wie ihn denn das eigenthümliche Leben und Treiben einer Stadt ohnehin lebhaft anzuziehen pflegte.

Unten an der Treppe stieß er abermal auf den Wirth, der in seinem Hause wie allgegenwärtig war.

Sie wollen noch ausgehen, Herr Doctor? sagte er. Dürfte ich Sie auf ein Wörtchen –?

Er führte Hermann durch das Gastzimmer in ein Hinterstübchen, rückte ihm einen Stuhl, und setzte sich vertraulich zu ihm, indem er sagte: Mit Ihren Sachen habe ich ein Schreiben des Herrn Pfarrers, Ihres Vaters, erhalten, worin er mich ersucht, Ihnen mit Rath und That an die Hand zu gehen. Ein nach Halle versetzter hiesiger Beamter habe mich ihm empfohlen, und da wolle er mir denn in gutem Vertrauen etwas von seinen väterlichen Rechten übertragen haben. So müssen Sie es nehmen, geehrter Herr Doctor, wenn ich einmal über den Gastwirth hinausgehe und Ihnen mit einem Rath oder Wink lästig falle. Sie werden in unserm deutsch- und französischgemischten Cassel auf mancherlei stoßen, was für einen jungen, gebildeten Mann gar anziehend ist. Aber – nur vorsichtig, und – wonach Sie mir eben nicht aussehen – rechtschaffen mistrauisch zu Werk gegangen! Polizeispione schleichen in allen Gestalten um, auch in solchen, worin man sie am wenigsten vermuthet. Seien Sie daher in Ihren Aeußerungen vorsichtig! Und so oft Sie nach Hause schreiben, denken Sie daran, daß Ihre Briefe auf der Post geöffnet werden könnten. Ich weiß nicht, wie Sie vom Kaiser Napoleon denken, ob Sie die Franzosen lieben, und was Sie von unserm König Jerôme halten; aber Sie dürfen Keinen von beiden Napoleons und überhaupt nichts Französisches auch nur mit einem Achselzucken hassen. Trauen Sie aber auch keinen deutschpatriotischen Reden aus unbekanntem Munde. Es sind oft nur Herausfoderungen. Zweitens hat sich ein junger Mann, besonders von Ihrem Aussehen, vor verführerischen Frauenspersonen zu hüten. Auch diese gehen in täuschenden Gestalten mit allerlei Anerbietungen um. Viele sind überdies im Dienste der geheimen Polizei. Der Herr Doctor suchen eine Stelle als Hauslehrer oder Erzieher in einer vornehmen Familie? Was soll ich Ihnen da sagen? Da ist voraus gar schwer zu rathen. Unsere vornehmen Damen leben auf leichten Füßen: Liebesintriguen sind ihr Strickzeug, und bei einem hübschen Faden fragen sie nicht leicht nach dem Garn, aus dem er gedrillt ist. Soviel im Allgemeinen. Wollen Sie mir bei besondern Vorkommenheiten Ihr Vertrauen schenken, so werden Sie mich immer als ehrlichen Mann finden, auch wenn Sie demnächst eine Privatwohnung nehmen.

Mit diesen Worten erhob sich der freundliche Kersting, indem er, nochmal um Entschuldigung bittend, dem jungen Gaste die Hand bot. Hermann ergriff sie lebhaft, dankte und versprach vorsichtig zu sein. Er war nachdenklich geworden bei diesem Vorausblick in das casseler Leben, und kehrte in dieser Stimmung lieber auf sein Zimmer zurück. Hatte vorhin der Rückblick auf eine heitere Pilgerfahrt sein Herz aufgeregt, so erschien ihm jetzt die nächste Zukunft für ein ungebahntes Unternehmen bedenklich genug. Er kannte sich selbst hinreichend, um sich auf eigene Vorsicht und Klugheit nicht sehr zu verlassen. Seinen unbestimmten Besorgnissen lieh die eingebrochene Dämmerung ihre ängstlichen Schatten. Er foderte Licht und packte, Zerstreuung suchend, Einiges von seinen mitgebrachten Büchern aus. Es waren Schriften von Goethe und Fichte, von Schelling, Tieck und Novalis. Das Büchlein von Steffens über die Idee der Universitäten fehlte nicht. Aber weder Dichtung noch Wissenschaft fanden zu dieser Stunde Anklang in seiner Stimmung, bis hinter dem Nachtmahl und einigem Nachträumen her zuletzt die Ermüdung des Tages einen guten Schlaf herbeiführte, der allen Mismuth und Zweifel, alle Aengstlichkeit vor dem wirklichen Leben der großen Gesellschaft auszugleichen versprach.



 << zurück weiter >>