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Neuntes Capitel.
Vor der Polizei.


Hermann, mit grauendem Tag auf einem muntern Pferde vom Neuhof ausgeritten, traf bei guter Zeit in Cassel ein. Nachdem er Lina's Aufträge an die Mutter bestellt und die lebhaftesten Fragen der guten Alten befriedigt hatte, ruhte er von seinem scharfen Ritt aus, indem er sein Vorhaben noch einmal überdachte, und sich in dem Vorsatze befestigte, Bercagny und den denkbaren Vorwürfen desselben gegenüber ein unbefangenes, aber würdevolles Benehmen aufrecht zu erhalten. Dann kleidete er sich um und erwartete den bestellten Lohndiener, der ihm das Geldpacket nachtragen sollte. Denn obgleich das Polizeipalais, wie das eben nicht sehr ansehnliche Haus im französischen hohen Stil genannt wurde, nur eine kurze Strecke von seiner Wohnung, an der Ausweitung des sogenannten Steinwegs in die Fürstenstraße lag: so mochte Hermann doch nicht mit dem Packet vor Bercagny treten, und mit der Zurückgabe seine Unterhandlung anheben. Ueberdies verschlug es gegen seinen jugendlichen Stolz, sich in eigener Person mit Geld, zumal mit dieser ihm so fatalen Summe, zu schleppen.

In diesem Palais bewohnte Bercagny den ersten Stock, pflegte aber zu gewissen Stunden in seinem Bureau im Erdgeschoß die laufenden Sachen abzuthun. Heut war er von seinem Frührapport beim König auf Napoleonshöhe später als sonst zurückgekommen, und gleich unten eingekehrt. Seine Miene verrieth keine ganz glücklich abgelaufene Audienz. In der großen Uniform, finster und in sich gekehrt, saß er vor seinem Schreibtische, einen Haufen Ausfertigungen zu unterzeichnen. Er suchte seinen Mismuth zu unterdrücken, um seine Untergebenen die ungnädige Quelle desselben nicht errathen zu lassen, während er doch eigentlich Anlaß zur Unzufriedenheit suchte, um seinen Aerger mit einigem Fug loszuschlagen. – Savagner, der Generalsecretär, stand neben ihm, und wagte bei dieser Stimmung seines Chefs nicht, ihn zu den Unterschriften zu drängen, wie er zu thun pflegte, wenn er einige eigenmächtige Polizeierlasse unter die Ausfertigungen gemischt hatte. Denn wenn dieser versteckte Mann manches Polizeigeheimniß, z. B. für den französischen Gesandten, entwendete, so schleppte er auch wieder auf noch verwegenere Weise manches Papier ein, was für den Polizeipräfecten, während es durch dessen Hände ging, doch ein Geheimniß bleiben mußte. Savagner hatte so manche stille Beziehung in der Stadt, ja im Lande, der zu Lieb oder zu Leid er gern eine höhere Gewalt in Bewegung setzte, als ihm persönlich verliehen war. Heut hatte er einen verfälschten Zuschlagsbescheid und ein eigenmächtiges Arrestationsdecret unter den Signanden, und bangte bei der Wahrnehmung, daß Bercagny die Ausfertigungen vor der Unterzeichnung so scharf durchsah. Vergebens brachte er piquante Rapporte vor; es half nichts, bis ihm ein Petschaft in der Tasche einfiel, das der geheime Siegelstecher Chenard abgeliefert hatte. Dies wirkte auf Beschleunigung der Unterschriften, weil Bercagny das Petschaft zu vergleichen eilte. Es bestand nämlich im Polizeilocal eine sogenannte schwarze Kammer, in welcher die von der Post eingelieferten Briefschaften geöffnet und bei sehr ansehnlichen oder sehr fleißigen Correspondenzen mit nachgestochenen Siegeln wieder geschlossen wurden. Das neue Siegel enthielt das Wappen des Grafen von Hardenberg, der seit kurzem viel nach Berlin und Königsberg schrieb, mitunter an seine Tochter Adelaide, die noch als Hoffräulein bei der Königin Luise von Preußen stand.

Die Prüfung des Petschafts geschah sehr vertraulich selbst gegen den ab- und zugehenden geheimen Agenten Würtz, wie denn bei dem ganzen Geschäft nur etliche Personen im Vertrauen waren, und Savagner selbst statt eines Abschreibers die nöthigen Copien machen mußte. Bei der Post ward das Geschäft vom Generalpostdirector Pothau, einem Schwager des Ministers Fürstenstein, persönlich verfolgt. Dieser schon bejahrte Mann, feiner Intrigant, der seine Unkenntniß des höhern Postdienstes unter einer vornehmen Miene zu verbergen suchte, hatte sich von seinem Schwager nur zum Schein für die deutsche Partei gewinnen lassen, war aber mit Leib und Seele Bercagny ergeben, – homme souple et madré, wie ihn der rechtschaffene Eblé später als Kriegsminister zu bezeichnen pflegte, um Pothau's verschmitzte Geschmeidigkeit damit auszudrücken.

Nach diesem Geschäft berichtete Savagner über die Besetzung einiger untergeordneten Polizeistellen, zu denen sich deutsche und französische Subjecte gemeldet hatten. Savagner schlug zwei Franzosen vor; Bercagny aber erklärte, daß er auf dergleichen Posten lieber Deutsche habe.

Die von mir empfohlenen Franzosen Ducrot und Fourmont sind des Deutschen mächtig genug, wendete der Generalsecretär ein.

Mag sein, was die Sprache betrifft, versetzte der Chef; aber ich rede vom Charakter. Die Deutschen sind eifriger im Denunciren, im Angeben und Verrathen; soll ich sagen die Deutschen apportiren besser. Sie kennen ja doch Ihre Stammesgenossen, Savagner? – –

Leider sprach Bercagny aus einer Erfahrung, die damals von den Franzosen in Deutschland überhaupt gemacht wurde. Die Polizeiagenten im Königreich Westfalen waren lauter Deutsche, und hatten es, als die unbedingtesten Diener der Franzosen, durch ihren Eifer soweit gebracht, daß sogar im Polizeilocal das Wort Mouchard für das ärgste Schimpfwort galt, und daß keiner derselben ohne besondere Erlaubniß eines der Expeditionszimmer betreten durfte. Daß sich Bercagny aber jetzt so stark ausdrückte, lag in seiner Verstimmung und in einem heimlichen Widerwillen gegen Savagner, den er, wenn er gerade nichts Schlagenderes hatte, wol auch mit seiner deutschen Abstammung neckte. Denn dieser versteckte Mann, allerdings ein Elsasser, war so sehr darauf erpicht, für einen Stammfranzosen zu gelten, daß er seinen eigentlichen Namen Silvester Alois (S. A.) Wagner in – Savagner zusammengezogen hatte.

Auf jenen Einwand des Polizeipräfecten versetzte mit einiger Bitterkeit der Generalsecretär:

Es ist wahr, die Deutschen sind oft übertrieben diensteifrig, ich möchte aber sagen, aus eingefleischter Gerechtigkeitsliebe und Pflichttreue. Sie sind dabei aber nicht so pfiffig und so spitzbübisch auf ihren Vortheil, wie unsere Franzosen auf andern, auch höhern Posten, und sie suchen sich gefällig zu erweisen, wo unser hergelaufenes Gesindel bettelhaft und brutal zugleich erscheint. Ich kenne einen unserer Agenten, der Ihnen, Herr Ritter, sehr fleißig apportirt, seinen Pudel aber von einem Franzosen scheren läßt.

Brav, lieber Savagner, rief Bercagny, brav, daß Sie Ihre Race so zu schätzen wissen. Vergessen Sie eine gute Eigenschaft derselben nicht: sie greifen auch da zu, wo der Franzose seine Hand selbst im Handschuh zurückzieht. So scheinen mir auch diese beiden, Ducrot und Fourmont – sie waren bei mir –, gar subtil. Wir wollen sie lieber in die Livree einiger der deutschen Familien bringen, aus denen wir Nachrichten brauchen. Für dergleichen hat ein Franzose ein feineres Auge und Ohr. Beim Grafen Oberkammerherrn – wie? Haben wir denn da –?

Ja, die Kammerjungfer, die alte, geschminkte Person. Würtz macht ihr den Hof.

Wie befehlen –? rief hier, als er seinen Namen hörte, der Agent, der mit Bercagnys Aufträgen beschäftigt, eben wieder herein und an den Spiegel getreten war.

Sie bearbeiten die Kammerjungfer bei Oberkammerherr – heißt das, bei der Oberhofmeisterin? fragte Bercagny.

Nun ja, Herr Ritter! schmunzelte Würtz. Diesmal klopfe ich auf den Esel, aber ich meine den Sack.

Ich weiß wohl, Würtz, stichelte der Chef, es sind keine herzlichen, sondern – geschminkte Sympathien!

Und gegen Savagner gewendet, fuhr er fort:

Aber der Oberst, Prinz von Salm, sucht einen französischen Kammerdiener. Sprechen Sie mit Fourmont. Ein gewandter, hübscher Bursche! Schicken Sie ihn hin, und wenn er angenommen wird, weisen Sie ihn gehörig an. Und wie heißen die beiden Deutschen?

Schädtler und Henzerling, antwortete Savagner.

Gut! Also Schenzerling und Hädtler! Nehmen Sie diesmal diese braven Deutschen! Aber – scharf instruirt! Sie verstehen mich, Savagner! Und nun Sie, Würtz! Ich bin sehr unzufrieden mit Ihnen!

Würtz, der sich eben vor dem Spiegel in seine künstlich geordneten Stirnlöckchen vertieft hatte, schrak zusammen. Es war eine lange, ausgetrocknete, gichtische Gestalt, das Gesicht von Liederlichkeit gestempelt, geschminkt, worauf Bercagny eben gestichelt hatte, und an Kinn und Nase scharf ausgespitzt. Das matte Auge schwamm in scheuen, unsichern Blicken; der breite Mund war mit schwarzen, morschen Zähnen besetzt. Ein braunes, glanzloses Haar umgab noch dicht einen kleinen Kopf, und fiel mit sorgfältig gekräuselten Tituslöckchen auf die öde, lederne Stirne. Wie er auf Bercagny's Schreckwort herbeistürzte und sich tief verneigte, verbreitete sich aus dem feinen modischen Anzuge der starke Duft wohlriechenden Wassers um ihn her.

Unzufrieden mit Ihrem eifrigsten, unbedingtesten Diener? rief er mit kriechenden Geberden aus. Sie verdammen mich zum unglückseligsten Menschen, Herr Ritter! Ich muß bei Ihnen verleumdet worden sein. O ich habe Feinde, mein Gebieter! Alle sind wider mich unter meinen Collegen, denen ich es an Pünktlichkeit und Eifer zuvorthue.

Würtz, ein Deutscher, sprach das Französische geläufig, aber in Accent und Ausdrücken der niedern Volksklassen, unter denen er es aufgelesen und geübt hatte; wogegen sein Deutsch, wenn er es sprach, affectirt-fein und gesucht herauskam.

Eifrig nennen Sie sich? fuhr ihn Bercagny an, und sein verhaltener Mismuth fand jetzt einen Durchbruch. Zum Teufel mit Ihrem Eifer! Kommen Sie mir nicht immer mit Ihren Floskeln, die Sie bei Marketenderinnen aufgelesen haben. Legen Sie meinethalben Roth auf, so dick Sie wollen, nur keine hochtrabenden Betheuerungen! Leistungen rechtfertigen den Polizeiagenten; und wo sind Ihre Thaten, Würtz? Ich dächte, Sie müßten sich doch besser kennen, denn Sie versäumen keinen Spiegel, dem Sie nahe kommen. Was haben Sie in jüngster Zeit an den Tag gebracht? Spiegeln Sie sich einmal in den Polizeistrafregistern! Apropos! Das geht auch Sie an, Savagner! Die Polizeistrafen vermindern sich auf eine schreckliche Weise, wie ich aus den Tabellen gesehen.

Die Gesetze fangen an, heilsam zu wirken, Herr Ritter! entschuldigte der Generalsecretär. Die Gewohnheiten der Ordnung und des Gehorsams durchdringen immer mehr die verbrecherischen Schichten der Gesellschaft und die sonst ergiebigen Classen der Bewohner; so kommen die Verbrechen und Vergehen in Abnahme.

Ist uns aber damit gedient? schalt Bercagny. Gewohnheiten der Ordnung, sagen Sie; wo soll's denn aber mit den Gewohnheiten der Strafkasse hinaus? Man muß Verbrechen schaffen, Vergehen improvisiren, inoculiren, wenn's daran fehlt. Die Strafgelder können wir einmal nicht entbehren, das wissen Sie doch. Ha, ich werde einen Theil der festen Gagen auf Procente der Strafgelder setzen müssen, um den Herren diesen Gegenstand mehr ans Herz zu legen. Und nun, Würtz, specificiren Sie mir einmal Ihren Eifer! Was haben Sie z. B. über den Baron Rehfeld ausgemacht?

O ich bin ihm jetzt an den Hacken, mein Gebieter! prahlte Würtz. Er besucht seit kurzem auch den Kapellmeister Reichardt, und ich habe gesehen, wie er schon auf der Haustreppe Briefe unter der Weste hervorzog. Also sehr brennende, sehr pressante Papiere! Hinter seine Geheimnisse zu kommen, wollte ich erst durch meine eigene Frau –, die in solchen Operationen – nun bekanntlich! Sie sehen, wie absolut ich in meinem Beruf zu Werke gehe! Aber ich besorgte, er möchte sie kennen. Meine Gattin ist aus Halle – nun ebenwohl bekanntlich! – und sie erinnert sich, Herrn von Rehfeld dort gesehen zu haben.

In Halle? Also aus Halle? Da, wo die Studenten dem Kaiser das Pereat –? fragte nachdenklich Bercagny, und Savagner, vorhin im Beisein dieses Würtz dienstlich gehudelt, ergriff die Gelegenheit, seine Autorität gegen denselben durch Spott und Späße an ihm wieder herzustellen, indem er einfiel:

Ja, Herr Generaldirector, die Dame Würtz ist aus Halle, und heißt noch jetzt im Publikum die »Hallische Rike«. Nämlich Friederike, eine gebotene Wanz, cela veut dire »punaise«; sehr gewandt, sehr geübt, und Mancher, den sie heimgesucht, juckt sich noch heut nach ihr.

Bei diesen losen Worten warf sich Würtz in die Brust und erwiderte mit Gravität:

Besagte Friederike ist derzeit meine Gattin, und die hohe Polizei hat alle Ursach, mit ihren Verdiensten zufrieden zu sein. Dies bekanntlich! Hat sie in ihrer dann- und wannigen Mission ihre Tugend einmal in die Schanze schlagen müssen, so war es auf große Effecte abgesehen. Unser gebietender Herr Chef weiß, daß sie, ohne Ruhm zu melden, noch jüngst ganz artige Enthüllungen aus den ersten Familien beigebracht hat, und ich darf bitten, daß man sie respectiret.

Also Halle! sprach Bercagny vor sich hin. Auch Reichardt ist aus Halle. Die Complote sammeln sich. Aber – was weiter, Würtz! Fächeln Sie nicht so heftig mit dem Taschentuche! Ihre Parfüms sind etwas zu stark. Auch darin versehen Sie es. Ein geheimer Agent darf in keinem Geruche stehen. Sie brauchen zu vorlaute Wasser. Ihre Essenzen eilen Ihrer liebenswürdigen Person zu weit voraus, und verscheuchen Alles, was Sie nur durch Ueberraschung entdecken könnten. Warum lecken und waschen sich die Katzen so fleißig? Damit sie nicht von den Mäusen gerochen werden. Nehmen Sie sich ein Beispiel! Ein geheimer Polizeiagent muß in einer Wolke wandeln, wie die antiken Götter; aber – riechen darf man ihn nicht.

Ihre Winke sollen mir Befehle sein! gelobte Würtz, wobei er unter tiefen Verneigungen das Taschentuch einsteckte. Ich habe nun die schöne, reizende und sehr durchtriebene Person, die als Mademoiselle Lenchen Willig von uns patentirt ist, engagirt, sich dem Herrn von Rehfeld zu nähern, sich ihm gefällig zu machen, und die wird Alles von ihm herauskriegen.

Ich halte ihn für einen wirklichen Gecken, Herr von Bercagny, fiel Savagner ein. Ich habe ihn verschiedentlich und unbemerkt beobachtet, reden hören, handeln sehen. Doch will ich Ihrem Scharfblicke nicht vorgreifen.

Ich muß Gewißheit über ihn haben. Auch Se. Majestät der König hält ihn für verkappt, und will, daß ich ihn überwache. Machen Sie, daß die genannte Person hinter seine Correspondenz kommt. Es ist mir verdächtig, daß die Post fast gar nichts an ihn bringt. Und Sie haben doch gesehen, Würtz, daß er Briefe zu Reichardt getragen hat. Auch an andere verdächtige Personen kommt nichts mit der Post. Welche Schleichwege der Correspondenz bestehen noch? Es ist abscheulich, was im untern Dienst Alles lahm und träge geht. Dieser zähe westfälische Boden hängt sich auch an die besten französischen Institutionen und hemmt sie. Es bestehen hier Verbindungen mit den preußischen Patrioten, es gehen Nachrichten aus England ein, es wird mit dem Kurfürsten correspondirt, wir wissen das bestimmt, und Keiner von unsern Leuten kann dahinterkommen, Keiner entdeckt eine Spur, nur ein Fadenendchen. Ist das Eifer, ist das polizeiliches Talent! Soll man euch nicht Alle zum Teufel jagen? Alles, was ihr ermittelt, Würtz und Consorten, dreht sich um liederliche Häuser, um besoffene Wirthshausreden, die keinen Hintergrund, keine Perspektive haben; um unschuldige Liebschaften vornehmer Ehemänner, um Abendgesellschaften in der Euterpe oder Harmonie, im Appellationsklub; um die stillen Besucher unserer patentirten Amoretten u. dgl. Dorthin lauscht ihr, überrascht, steckt die baaren Abfindungen und Bestechungen ein, und mir bringt ihr ausgedroschene Berichte, taube Nüsse, die ich erst noch aufknacken muß, um nichts darin zu finden. Aber von Verschwörungen, von geheimen Verbindungen auch nicht ein Pip. Nicht einmal vom offenkundigen Tugendbund etwas Bestimmtes, etwas Geheimes. Ich glaube, ihr geht dem bloßen Wort aus dem Weg, wie der Teufel dem Weihwasser! Und nun müssen wir uns von unserm Gesandten in Berlin Winke erbitten, müssen sogar uns vom Marschall von Davoust den Hohn bieten lassen, daß er uns von seinen Officianten schicken wolle, wenn wir nur Spürhunde mit stumpfen Nasen hätten. Ein Donnerwetter soll euch in den Boden schlagen, wenn ihr nicht in aller Kürze solche Mittheilungen schafft, die den Kaiser Napoleon zufrieden stellen und Se. Majestät, unsern gütigen König, beruhigen. Selbst so viel aufrührerische Schriften. – Apropos! Der Doctor – Detlef noch immer nicht zu Hause?

Im demselben Augenblicke wurde Doctor Teutleben angemeldet, – wie ja der Hase, von dem man spricht, aus den nächsten Hecken zu springen pflegt. Bercagny nickte, winkte den beiden Anwesenden, sich zu entfernen, und streckte sich, die Beine über einander geschlagen, in seinem Sessel mit kalter Vornehmigkeit aus. So empfing er Hermann, der durch die den Abgegangenen entgegengesetzte Thür eintrat, über die Schulter blickend, mit ironischer Freundlichkeit:

Ha, sieh da, glücklich zurück? Haben sich angenehm amüsirt und mich hübsch warten lassen?

Hermann fühlte rasch heraus, daß er unartig behandelt werden sollte, faßte sich aber in seinen guten Vorsätzen, schob mit artigen Geberden seinen Hut neben Bercagny's Federhut auf den Tisch, und nahm einen Stuhl.

Verzeihung, sagte er, wenn ich fragen muß, worauf Sie gewartet haben?

Bercagny, von Ton und Haltung des jungen Mannes etwas betroffen, rückte sich unwillkürlich aufrecht und ihm zugewendet, indem er sagte:

Worauf? Wunderliche Frage! Ich denke auf Ihre Arbeit? Meinen Sie nicht auch?

Meine Arbeit? Wenn ich mich recht erinnere, Herr Ritter, hatte keinen Termin, versetzte Hermann.

Wetter noch einmal! brach Bercagny aus. Der König, Seine Majestät, hat schon zum dritten mal darnach gefragt!

Der König? fragte Hermann, alles Ernstes etwas erschrocken. Ich bin in Erstaunen! Sind Sie doch nicht in meiner Person irre? Verzeihung! Ich meine, – Sie reden doch von der Abhandlung, die – zum Verständniß beider Nationen, wie Sie mir sagten, beitragen soll, – versteht sich, nach meinen geringen Kräften!

Bercagny fühlte, daß er sich in seiner Aergerlichkeit übereilt hatte, was aber seine Stimmung eben nicht verbesserte.

Ganz recht! versetzte er. Und davon habe ich Sr. Majestät berichtet. Finden Sie das nicht in der Ordnung?

Ich habe kein Urtheil über Das, was Ihres Amtes ist, Herr Generaldirector! antwortete Hermann mit bescheidenem Tone. Aber ich konnte das doch nicht wissen. Und – so schmeichelhaft es für mich ist, daß Se. Majestät nach diesem Versuche verlangen: so konnte ich mich doch nur nach der zwischen uns verabredeten Bestimmung meiner Arbeit selbst richten. In dieser Bestimmung aber liegt durchaus keine Eile, – wenigstens wie mir scheint. Gedanken der Art, wissen Sie selbst, dringen nur in ruhigen Zeiten in die Gemüther ein, gehen wie Samenkörner nur beim rechten Wetter auf, und es kommt daher, wenn ich nicht irre, mehr darauf an, daß etwas Rechtes und Wirksames geleistet werde, als daß es auf den Stutz fertig sei. Die Zeit zur Versöhnung der Nationen durch Schriften scheint noch nicht sehr dringend zu sein.

Auf dies letzte Wort blickte Bercagny den jungen Mann rasch und scharf an, weil er im ersten Augenblicke die innerliche Bewegung desselben, die sich im bebenden Ton der Stimme verrieth, auf politische Gesinnung deutete.

So? Glauben Sie? sagte er mit argwöhnischem Lächeln. Aber auch dann durften Sie in der Rolle, die sie einmal übernommen haben, nicht zögern. Se. Majestät kennt die Beziehungen nicht, aus denen Sie, mein Herr, die Arbeit für nicht eilig halten, sondern verlangt darnach, und Sie wissen, daß die Ungeduld der Könige respectirt werden muß.

Gewiß, Herr von Bercagny, – allen Respekt vor den Befehlen Seiner Majestät! Aber dieser Beweggrund meiner Arbeit wird mir ja eben erst bekannt; es ist ein Novum, etwas neu Hinzugekommenes.

Die schlagenden Antworten Hermann's, denen man doch den Kampf der Selbstbeherrschung anmerkte, setzten den hochmüthigen Franzosen, weil sie ihn an seine Ungeduld erinnerten, etwas außer Fassung; sodaß er in dem Grad, als er dieselben mit seiner Autorität überbieten wollte, in die Unbesonnenheit gerieth, zu der ihn sein heftiges Temperament nicht selten hinriß.

Diese Dringlichkeit hätten Sie, Herr Doctor, auch ohne dies »Novum« aus der Abfassung meiner Bemerkungen und Fragen zu Ihrer – übereilten Arbeit errathen können, sagte er, und Sie würden solche ausdrücklich vernommen haben, wenn Sie nicht gegen alle Geschäftsordnung ohne Urlaub aufs Land gegangen wären.

Urlaub? fragte hastig der Getadelte, nahm sich aber rasch zusammen und erwiderte:

Verzeihung! Aber ich hätte wahrhaftig nicht gewußt, Herr Ritter, wo ich Urlaub zu einem Besuch lieber Freunde holen müßte. Urlaub setzt doch einen Vorgesetzten voraus.

Ha, ha! lachte Bercagny. Wie jung Sie in Geschäften sind! Von wem Sie Geld und Gehalt beziehen, von Dem haben Sie Urlaub nöthig. Ist Ihnen das auch ein Novum, Sie homo novus?

Daß gerade die ihm so fatale Geldsache auf so unzarte Weise zur Sprache kommen sollte, hatte Hermann nicht erwartet. Er erhob sich daher so rasch von seinem Stuhl, daß auch Bercagny mit der Bewegung, sich gegen einen persönlichen Anfall zu schützen, aufsprang. Als er aber Hermann heftig gegen die Thür schreiten sah, sprang er nach dem Schellenzuge. Doch schon kehrte der junge Mann mit dem Päckchen zurück, das er dem Aufwärter vor der Thür abgenommen hatte. Bercagny, seines Schrecks beschämt, ging ihm, die Hände rückwärts überkreuzt, mit verbissenen Lippen entgegen.

Was ist das? fragte er.

Hermann hatte sich schon für die Zurückgabe des Geldes eine, wie ihm schien, ganz gute Wendung ausgedacht, und fand nun nach der ersten ihn so verletzenden Ueberraschung den Anknüpfungspunkt; war aber doch innerlich so bewegt, daß seine Erklärung mit bebender Stimme etwas feierlich ausfiel.

Ich bin nach Cassel gekommen, Herr Generaldirektor, sagte er, mich um eine Stelle zu bewerben, die mir eine würdige Beschäftigung und durch diese ein angemessenes Einkommen gewähre. Allein dies Geld da, diese 300 Francs, diese Bezahlung vor dem Verdienst hat mich so gestört, daß dadurch meine Arbeit selbst hinter allem Werth geblieben und durch meinen beschämten Eifer übereilt, wie Sie selbst ganz richtig gesagt, ja wirklich übereilt worden ist. Empfangen Sie daher vor aller weitern Arbeit die Summe unangegriffen zurück, die ich erst zu verdienen suchen werde.

Nichts hätte diesem Napoleon'schen Polizeimanne überraschender kommen können. Ja, es verwirrte ihn, in seiner Art zu denken und die Menschen zu nehmen, so sehr, daß er im ersten Augenblicke nichts zu erwidern wußte, und in seiner Ueberlegung abwechselnd das Packet und Hermann betrachtete. Endlich sagte er mit einer gewissen halb spöttischen Freundlichkeit, hinter der er seine Anerkennung versteckte:

Sie denken sehr uneigennützig, mein lieber Doctor; aber Sie müssen sich doch ein wenig acclimatisiren, wenn Sie bei uns gedeihen wollen. In Handel und Wandel muß man sich doch an etwas Positives halten, und da Sie zuerst das Geld angenommen, so habe ich auch meine Erwartungen darauf gestellt. Indessen hoffe ich, wir werden uns künftig besser verstehen. Kommen Sie her, wir wollen die Sache nun anders fassen. Ich werde nun auf Ihre Arbeiten nicht mehr pränumeriren, aber ich bin vielleicht im Stande, etwas zu Ihrer Beförderung zu thun. Nehmen Sie gefällig Platz! Haben Sie vielleicht Ihre Beantwortungen mitgebracht?

Hermann, ohne sich wieder zu setzen, weil er fühlte, daß es jetzt brechen müsse, erwiderte:

Verzeihung! Aber ich muß, wenn nicht auf die ganze Arbeit verzichten, mir wenigstens eine längere Frist erbitten. Ich fühle zu lebhaft, daß mir Ihre Aufgabe jetzt noch etwas fremd liegt. Bei der guten Absicht, die Sie für mich gefaßt haben, wünsche ich nur, daß Sie mich nicht für ebenso unbrauchbar in einem andern Berufe ansehen möchten, – in einem Berufe, für den ich mich mehr vorbereitet habe.

Aufgeben? rief Bercagny. Nicht möglich! Kommen Sie mir doch nicht wieder mit Ihrer übertrieben deutschen Bescheidenheit! Sie sprechen viel zu gut französisch. Setzen wir uns noch ein Halbstündchen zusammen; sagen Sie mir zu jeder Frage, was Sie darüber wissen und denken, und ich bringe es selbst zu Papier. Allons! Wo haben Sie Ihren ersten Bericht?

Ich habe ihn vernichtet.

Was? Vernichtet? Wie können Sie mir so 'was sagen?

Weil es so ist! lächelte Hermann.

So ist? Sie haben in der That? Wie durften Sie das? fuhr der kaum so artige Mann wieder auf.

Ich glaubte, daß ich mich über eine Arbeit erzürnen dürfte, die ein so unterrichteter Mann, wie Sie, ungenügend, übereilt gefunden hat. Ich habe mir das schon früher selbst gesagt, und daher den unnützen Wisch den Flammen übergeben.

Bercagny zitterte vor Wuth. Er wollte eben losbrechen, als der Anblick des Geldpäckchens seinen Gedanken eine andere Richtung gab. Er durchschritt einmal das Zimmer, trat sodann dicht vor Hermann, und sagte mit gedämpfter Stimme und durchdringendem Blicke:

Wissen Sie, daß Sie sich verrathen haben?

Und worin? fragte Hermann sehr gelassen.

Sie sind selbst in die Verbindungen verwickelt, die Sie angedeutet haben, sagte er, sind mit den Personen vertraut, den rebellischen Schriften nicht fremd, die Sie mir bezeichnet haben. Sie sind ein Eingeweihter und ziehen sich jetzt zurück, um kein Verräther zu werden. Haben wir Sie?

Diese Wendung, so unerwartet sie für Hermann kam, erschreckte ihn doch am wenigsten. Sie verrieth sich ihm, da er ruhiger war, rascher in ihrem innern Widerspruch, und berührte überdies die Betrachtungen, die er über die Angelegenheit mit Luisen und besonders mit Ludwig gehabt hatte. Er sagte daher ruhig, ja lächelnd:

Es thut mir recht leid, Herr von Bercagny, daß Sie das hohe Vertrauen in mein Talent so schnell mit der Erklärung vertauschen müssen, daß ich ein Dummkopf, ein Einfaltspinsel sei. Denn nur ein solcher könnte nach freiwilliger Uebernahme und mit tagelanger Ueberlegung Dinge niederschreiben, bei denen sein eigener Kopf auf dem Spiel steht, könnte sich erst als Verräther erkennen, nachdem er schon verrathen hat. Ein solcher Tölpel, dächte ich, würde schwerlich Aufnahme bei einer Verschwörung finden, oder gar als ihr Agent gebraucht werden. Nein, aber Eines überrascht mich, Herr von Bercagny. Sie haben also in meinem Berichte Enthüllungen von Verbindungen, von aufrührerischen Schriften und verschworenen Personen gesucht? Dergleichen habe ich freilich nicht gemacht, und nach unserer Abrede auch nicht zu machen gehabt. Ich sollte ja blos zur Verständigung beider Nationen schreiben, die deutsche Feder gegen das französische Schwert abwägen. Sie sehen nun selber ein, daß ich Ihre Absicht ganz verfehlt, daß ich sie nicht einmal richtig gefaßt habe, und – werden es selbst in der Ordnung finden, daß eine so ganz verfehlte Arbeit vernichtet worden ist. Aber – ich werde nun auch eine neue Arbeit und überhaupt das ganze Unternehmen aufgeben müssen. Sie selbst, Herr Ritter, werden mich zu solchen Zwecken unbrauchbar finden, und in der That – ich bin es.

Bercagny verneigte sich mit dem ironischen Ausdruck einer Genehmigung dieses Selbsttadels. Hermann aber nahm es für ein Zeichen seiner Entlassung, empfahl sich mit einigen artigen Worten und verließ ruhigen Schrittes das Zimmer und das Haus.

Bercagny war ihm bis an die Stubenthür gefolgt, ohne selbst zu wissen, ob aus einer Anwandlung von Höflichkeit oder um dem Abgehenden noch etwas Bitteres zu sagen. Er hätte gern die eigene Beschämung auf ihn zurückgewälzt, oder den Aerger gegen ihn ausgelassen, den er jetzt nur gegen die alten Dielen der Stube ausstampfen konnte.

Savagner und Würtz traten ungerufen und ihrem Chef sehr ungelegen wieder ein. Doch die Bitterkeit, die er gegen sich selbst empfand, hielt ihn von allen Aeußerungen ab, die seinen Unmuth hätten verrathen können. Er nahm sich zusammen, und sagte nach einer Pause gelassen, mit geheimnisvoller Zurückhaltung:

Würtz, lassen Sie mir den jungen Doctor nicht aus den Augen. Ich traue ihm nicht ganz. Er hat mir zwar gute Zusagen gegeben, aber – man muß ihn controliren. Er ist ein gescheiter und gewandter Mensch, scheint auch ehrlich und hat 'was Nobles. Indeß – geben Sie Acht, wo er aus- und eingeht, mit wem er verkehrt, welche Häuser oder Familien er besucht, ob er etwa eine vornehme Liebschaft hat. Dazu ist er ganz der Mann. Versteht sich, daß Sie ihm stets artig begegnen. Es wäre mir angenehm, wenn ich mich auf ihn verlassen könnte. Jetzt gehen Sie, ich habe noch mit Savagner zu arbeiten.



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