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Fünftes Capitel.
Eine alte Trauer.


Die Ordonnanz, die mit einer ledernen Schriftentasche in der Hausthür stand, sah den Forteilenden verwundert an, mochte wol aber daran gewöhnt sein, verwirrt aussehende junge Männer von dem barschen General kommen zu sehen, sodaß es ihr nicht beikam, Hermann mit dem Damenhandschuh etwa als einen verscheuchten Hausdieb anzuhalten.

Auf der belebten Straße eilte der Glückliche in seiner aufgeregten Gedankenlosigkeit weiter, bis er auf der Treppe zu Reichardt's Wohnung, betroffen über sich selbst, stehen blieb. Jetzt besann er sich, daß er schon im Zimmer der Generalin den Vorsatz gefaßt hatte, ihren und des Generals Rath wegen einer Aufwartung bei dem Polizeiminister nicht ohne Reichardt's Vorwissen zu befolgen, und daß diese Absicht ihn wahrscheinlich des Wegs getrieben hatte. Lächelnd steckte er den wohlriechenden kleinen Handschuh zwischen Weste und Hemdkrause ein, und da dies mit der rechten Hand geschah, so fügte es sich von selbst, daß der süße Raub auf das pochende Herz zu liegen kam, es vor den Freunden zu beschwichtigen.

Er ward nach Luisens Zimmer gewiesen, da die Aeltern auf Ehrenbesuchen aus waren. In seiner Verwirrung bemerkte er nicht gleich, daß er eigentlich etwas ungelegen kam. Luise sah feierlich aus und schien geweint zu haben. Sie saß in einem Lehnstuhle vor einem aufgeschlagenen, nicht gedruckten, sondern von sorgfältiger Hand beschriebenen Buche in himmelblauem Saffianeinbande. Dahinter, gegen eine Blumenvase gelehnt, stand ein kleines Bild im Schattenriß, über welches sie bei Hermann's Eintritt ihr Taschentuch geworfen hatte. Eine Näharbeit war beiseite gelegt.

Sie wies dem grüßenden Freund einen Stuhl an, und fragte mit angenommener Heiterkeit:

Nun, was ist denn geschehen? Sie sehen ja wie der Gott des Sturmwindes aus!

Nichts, liebe Luise! antwortete er. Das heißt – ich will sagen, mit dem deutschen Unterricht ist es nichts. Ich komme eben von Generals.

Wirklich? erwiderte sie. Wissen Sie, daß mir das lieb ist? Recht lieb!

O mir auch! Sehr recht! warf er zerstreut hin. Ich bin ordentlich erleichtert! Wahrhaftig! Besonders, da auch Sie Manches dagegen haben.

Sie sehen mir nicht gerade darnach aus, lieber Freund, als ob Sie so ganz zufrieden damit wären, lächelte sie, indem sie ihn schärfer betrachtete. Beruhigen Sie sich aber! Wer einen Weg durch die Welt sucht, muß bei Zeiten darauf gefaßt sein; auch einmal fehl – ja irre zu gehen. Und Sie sind ja noch jung genug, um sich auch bei einem oder dem andern Abweis für Ihr Glück nicht zu verspäten. Meinem Vater müssen Sie aber offen mittheilen, was Ihnen Verletzendes widerfahren ist.

Verletzendes? fiel er verwundert ein. Ich wüßte nicht – nein, im Gegentheil –!

Er schwieg über dem Gedanken an das mit der Creolin Vorgefallene, dessen er um keinen Preis gegen Luisen hätte erwähnen mögen.

Im Gegentheil? erwiderte sie. Das hieße – Angenehmes? Nun ja, ich kann mir denken, daß man Sie auf artige Weise ablehnen wird, wenn einmal – Aber, guter Freund, daß etwas Schmeichelhaftes von Franzosen, von diesen Franzosen Sie so aufregen könnte, das hätte ich mir nicht gedacht. Sie sind jünger, als ich glaubte.

Er erröthete, besann sich aber schnell des Auftrittes im Vorzimmer des Generals und erzählte denselben so, daß Luise darin den Grund seiner Aufgeregtheit finden mochte.

Ja! rief sie aus, da haben Sie ein Pröbchen von der Brutalität und dem Uebermuthe dieser Fremdlinge! Aber ist solche Behandlung nicht die verdiente Folge unserer Uneinigkeit und Unterwürfigkeit? Da haben Sie die Söhne unsers Adels, der sich stets allein die Tugenden des Muthes und der Vaterlandsliebe angemaßt hat. Und: nachdem sie in unserm Preußen schändlich geflohen sind, und die Festungen des Landes schmachvoll überliefert haben, betteln sie bei dem übermüthigen Feind um Degenquasten. Sitzt doch dieser alte Schulenburg-Kehnert auch im westfälischen Staatsrathe – er, der als Minister-General Berlin so schmählich verließ und – Unterwerfung die erste Adelspflicht sein läßt! Und wie werfen sich erst diese deutschen Frauen weg! Pfui der Schmach! O diese Auflösung aller Charaktere, alles Gefühls sittlicher Würde ist wie ein gelbes Fieber, eine aus Fäulniß entstandene Pest, die in Deutschland wüthet. Könnte ich mich doch in die stille Einsamkeit unsers Giebichenstein retten und verbergen, in jenes Paradies verlorener Jugendhoffnungen!

Ihre innere Bewegung zu verbergen, schloß sie das vor ihr liegende Buch und wollte es in seine Kapsel verwahren. Hermann fragte, was es für ein Werk sei.

Kleine Gedichte, sagte sie, und Uebersetzungen verschiedener Oden des Horaz.

Von wem, Luise?

Sie stand auf und trat ans Fenster, sich zu fassen, ehe sie den Namen nennen konnte. Endlich sagte sie sehr leise:

Hat Ihnen mein Schwager Steffens nichts vom jungen Eschen mitgetheilt? Oder wissen Sie sonst von ihm?

Nein! antwortete er. Ich weiß nur, daß dieser viel versprechende junge Poet zu früh für sein Talent gestorben ist. Besinne ich mich recht, so lebte er in der Schweiz. Ich kenne nichts von ihm, und – ich glaube auch, es ist schon Jahre her?

Luise trat an ihre Commode, ein frisches Sacktuch herauszunehmen, das sie verstohlen an die Augen drückte. Dann öffnete sie wieder das Buch, suchte eine Seite auf und deutete in den schöngeschriebenen Versstrophen eine Stelle an, die sie dem Freund hinreichte. Hermann erkannte die Ode des Horaz an Manlius Torquatus und las laut die angestrichenen Worte:

Sankst du einmal hinab und ward ein glänzendes Urtheil
Schon dir von Minos gefällt:
Führt nicht Geschlecht, o Torquatus, Beredtsamkeit nicht und biedere
Seele zu uns dich zurück.

Die Worte, »o Torquatus«, waren leicht durchstrichen, und von weiblicher Hand mit »o mein Eschen« überschrieben.

Luise war von den ihr so bekannten Worten, indem ihr dieselben aus fremdem Mund ertönten, heftig erschüttert, sodaß sie das Zimmer verließ.

In Ueberlegung, ob er gehen oder sie zurückerwarten sollte, und was es mit ihrer Stimmung für eine Bewandtniß haben möchte, durchblätterte Hermann ziemlich zerstreut das so ausgezeichnete Buch und fand hinter dem Titel eine zärtliche Widmung an Luisen aus Bern, vom 20. Mai 1800 datirt, und mit dem Namen F. A. Eschen unterzeichnet. Es war also heute der achte Jahrestag jener Niederschrift. Nachdenklich über dies mysteriöse Verhältniß und durch Luisens Empfindsamkeit fast ein wenig verstimmt, schloß er das Buch und wollte sich entfernen, als sie zurückkehrend ihm an der Thür begegnete, gefaßt, ja gehoben.

Sie wollen gehen? sagte sie mit ihrer milden Freundlichkeit, und – ich darf Sie auch nicht zurückhalten. Ich feiere heut' Erinnerungen der Einsamkeit. Ein andermal sage ich Ihnen, was mich bei jenen Versen so bewegt hat und worauf sie sich beziehen. Der lateinische Ausdruck soll in der Uebersetzung nicht erreicht sein, sagte man mir. Versuchen Sie sich einmal daran, und – kommen recht bald wieder. Schon diesen Abend würden Sie mich anders gefunden haben.

Hermann bat um Verzeihung, daß er die Stunde gestört habe; er sei nur gekommen, in einer dringenden Angelegenheit ihre Entscheidung zu holen.

Und –? fragte sie mit all' ihrer besonnenen Theilnahme. Worauf er der Treppe zuwandelnd fortfuhr:

Beide, Salha und seine Frau, legten mir sehr nahe, mich dem obersten Polizeimenschen Bercagny zu präsentiren. Nur durch ihn könnte ich –

St! unterbrach sie den Lautredenden, und flüsterte ihm über das Treppengeländer zu:

Ja, lieber Freund, das müssen Sie nun durchaus; das scheint mir – abgekartet.

Er erwartet mich auch schon, wie mir die Generalin sagte, setzte Hermann hinzu.

Um so eher; aber – dann auch um so vorsichtiger, lieber Hermann! Ich begreife nun, daß man Sie abgewiesen hat; man mistraut Ihnen. Mein Vater ist ein wenig zu rasch mit seiner Empfehlung gewesen. Lassen Sie sich das nicht anfechten! Geben Sie sich unbefangen, aber – vorsichtig! Gehen Sie auf nichts ein, was Ihnen nicht klar und ehrlich scheinen sollte. Behalten Sie sich dann Ueberlegung vor. Gehen Sie hin, und Gott mit Ihnen! Aber – noch Eins! Von meinem Vater dürfen Sie gar nichts wissen, als daß wir über Alltäglichkeiten plaudern, daß wir zusammen lesen, musiciren u. dergl. Weiter nichts! ja nichts!

Mit diesem gesteigerten Worte verschwand sie in ihr Zimmer.

 

Welch' andere Empfindungen, als aus der Wohnung der Generalin, begleiteten Hermann aus diesem Hause! Das Geheimniß der Trauer, worin er Luisen gefunden, wollte ihm nicht aus den Gedanken kommen. Selbst der kleine süße Handschuh, der ihm auf seiner Stube aus der geöffneten Weste entgegenduftete, störte ihn nur die wenigen Augenblicke, bis er ihn unter seine Wäsche versteckt hatte und hinab zum Mittagstische ging. Von da zurückgekehrt, suchte er seinen Horaz hervor und schlenderte nach der Au, wo er im Schatten einer Baumgruppe am großen Teiche die ihm so liebe Ode: Diffugere nives, mit neuem Interesse las. Er fand auch, daß die ihm von Luisen bezeichnete Stelle in Eschen's Uebersetzung hinter dem Original sehr zurückblieb, und beschäftigte sich damit, einen treffendern deutschen Ausdruck zu finden, um durch diesen Beweis von Theilnahme Luisen gelegentlich zur Mittheilung über das für sie so wehmüthige Geheimniß zu veranlassen. Er machte sich nicht klar darüber, daß dies räthselhafte Verhältniß mit einem längst dahingegangenen Poeten ihm doch mit einer gewissen Eifersucht im Gemüthe lag. Reichardt's Aeußerung, seine Luise habe Schicksale gehabt, und der Eindruck seines Gesangs in der Au fielen ihm wieder bei. Der Uebersetzungsversuch nahm ihn so sehr ein, daß ihn selbst bei seiner Rückkehr die Nachricht des besorgten Wirthes, Herr von Bercagny habe ihm auf morgen früh eine Anmeldestunde bestimmt, so wenig zerstreute, daß er noch am Abende seine Uebertragung zu Papier brachte. Sie lautete:

Sankst du einmal hinab, und ward ein glänzendes Urtheil
Schon dir von Minos gefällt:
Bringt kein Geschlecht, o Torquatus, kein Flehen und keine fromme
Treue zu uns dich zurück!



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