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Achtes Capitel.
Ein Maßliebchen.


Im Garten wandelten die Gäste, der Dechantin folgend, über die Blumenterrasse hinauf durch das Buschwerk nach dem Gartenhause, wo man einen artigen Ausblick hatte und das Dessert aufgetragen wurde. Dörnberg war wieder Herr seiner Unbefangenheit, und unterhielt die noch etwas verstimmte Gesellschaft. Den Kaffee wartete er aber nicht ab, da er selbst mit der Frau Dechantin und Herrn Heister beim Oberforstmeister zu solchen Tassen erwartet wurde. Nachdem er durch einige artige Reden den Eindruck seiner diesmal gegen Damen so unbewachten Hitze wieder gut zu machen gesucht hatte, empfahl er sich mit dem Auftrage der Dechantin, sie zu entschuldigen. Gegen die Calenberg gewendet, sagt er, in den zuweilen nach Witz jagenden Ton der poetischen Dame eingehend:

Ich hoffe, meine Gnädige, daß ich nicht mit Ihrem zürnenden Nachsehen, sondern mit Ihrer gütigen Nachsicht scheide.

Bester Oberst, versetzte sie, ich weiß schon von länger her, daß man nur durch Dörner zu Ihrem Berg gelangt.

Charmant! rief er, und setzte mit sehr schalkhaftem Blick hinzu:

Den Berg haben wir mit einander gemein, aber Calenberg hat freilich andern – hat poetischen Bezug, indem man mit der ersten Silbe Ihres Namens ebenso wol nach Calenberg als zu Calderon kommt.

Aber das ist höchst liebenswürdig bemerkt, bester Oberst! rief Philippine, in die Hände klatschend. Das geht über Alles! Kommen Sie, das verdient eine Patschhand.

Sie küßte ihre Rechte und reichte sie ihm hin. Dörnberg drückte sie an seine Lippen, und verneigte sich im Halbkreise mit einem feurigen Blick nach der schönen Frau Heister, seiner Tischnachbarin. Ludwig begleitete ihn.

Um nun den gewissermaßen aufs Trockene gesetzten jungen Gesandtschaftsattaché wieder in den Fluß der Unterhaltung zu ziehen, fragte die Dechantin nach jener blassen Frau seines Oheims, deren er anfangs gedacht hatte.

Ich habe so viel Herrliches von ihr gehört, sagte sie, daß es mir recht leid thut, nicht zu ihrer Bekanntschaft gekommen zu sein. Und sie ist es, sagten Sie, die zuerst Ihr poetisches Talent geweckt hat?

Ja wohl, gnädige Frau! antwortete er mit dem Ausdruck von Empfindsamkeit. Jene geist- und seelenvolle Frau gab sich auf des Oheims Schlosse viel mit mir kränklichem Knaben ab. Und ich, leidend wie ich war, hing an der Leidenden mit ahnungsvoller Seele. Durch manche Täuschungen im Leben hatte sie endlich den Trost edler Poesie gewonnen. Sie glaubte in meinem Auge, in dem Aufblicke des blassen Knaben, etwas von dichterischer Weihe zu erkennen, und segnete mich in gerührter Stunde zu diesem hohen Beruf ein. Dies Alles, und jene Stunden auf Escheberg, wurde jüngste Nacht so lebhaft in mir, daß ich es halb träumend in Reim und Reihen zu fassen suchte. Wenn Sie mir erlauben, lese ich Ihnen die eine Strophe, die sich auf jene Liebe der Seligen bezieht, vor.

Er nahm aus einem gestickten kleinen Notizbüchlein ein Blättchen Papier und las:

Du siehst mich an so mild wie immer,
Weil ich mitleidig ausgeschaut,
Und führest mich mit auf dein Zimmer,
So heimatlich, so reich und traut.
Dort drückst du an die Brust mich Kleinen,
Und deine Thränen rinnen still;
Ich muß so innig mit dir weinen,
Und weiß nicht was es sagen will.

War nun schon die Calenberg, die ebenso leicht in Sentimentalität fallen, als mühsam nach Witz jagen konnte, von dieser Strophe sehr ergriffen, so wurde sie durch Otto's weitere Zeilen –

Du littest viel, und im Gesange
Versöhntest du der Erde Leid;
Ich singe noch, wer weiß wie lange,
So theil' ich deine Seligkeit –

aufs tiefste erschüttert, und brach über diese vermeintliche Todesahnung ihres jungen Freundes in schluchzende Thränen aus.

Dieser unverhoffte Zwischenfall erschwerte die Bemühung der guten Dechantin um eine gemeinsame Unterhaltung ihrer kleinen Gesellschaft. Sie saß in wahrer Pein zwischen dem doppelten, aber so verschiedenen Paar. Und hatte früher die heitere Liebenswürdigkeit des bürgerlichen Paares bei dem adeligen Sinn des aristokratischen nicht verfangen, so wollte jetzt die adelige Sentimentalität wieder nicht in die bürgerlichen Herzen eindringen. Ueberfluß und Trockenheit wollte sich in der Conversation nicht ausgleichen. Lina empfand diese Misstimmung, winkte Hermann und erhob sich zum Fortgehen. Die Dechantin faßte ihre beiden Hände, und umarmte sie mit der schalkhaftesten Güte ihrer schönen blauen Augen. Und Hermann, der noch vor kurzem in Verlegenheit war, was er mit dem allerliebsten Händchen einer Creolin anfangen sollte, hatte nun schon eine recht anständige Fertigkeit erlangt, sich auf die Hand einer Stiftsdame zu verneigen.

Beide, Hermann und Lina, kamen auf dem schwülen Heimwege leicht und heiter über die Erlebnisse des Mittags hinaus. Früher als gestern, und von innen wie von außen bewegter an der Wohnung angelangt, lenkte Hermann nach der Gartenlaube. Lina bat ihn aber, erst einen Augenblick mit ins Haus zu treten. Ohnehin dachte sie erst sich umzukleiden. In dem kühlern Zimmer zog sie ihren Levantin-Fichu dichter um die Schultern, und sagte mit herzlichem Tone:

Du willst also morgen wirklich nach Cassel zurück, Hermann?

Er bejahte, und sie fuhr fort:

Mein Gedanke war, du bliebest, bis du zu einer Erklärung gegen Bercagny recht gefaßt und frei im Herzen wärest. Das scheint mir noch nicht der Fall zu sein. Nun dich aber, auf der Mutter ihr Briefchen, ein längeres Bleiben nur noch mehr beunruhigt, will ich dir nicht weiter zureden. Doch darf ich wol fragen, was du nun in der Sache thun willst? Du bist gewiß mit dir selbst einig; darf ich's im schwesterlichen Vertrauen wissen?

Du vor Allen, liebe Lina, sagte er, beim Gedanken an sein Scheiden weicher gestimmt. Ich werde Ludwig's Rath in einem Stück befolgen, nämlich thun, als merkte ich die falsche Absicht Bercagny's nicht, und so mit Taubenlist der Arglist begegnen. Das Geld aber zu behalten kann ich mich durchaus nicht entschließen, – unbrauchbare Arbeit blos zum Schein liefern, nein, das kann ich nicht; es widerstrebt meinem tiefsten Gefühl. Ich bring' auch nichts zu Stand.

Das ist mir lieb, fiel sie heitern Blicks ein; – folge darin deinem Herzen!

Ich weiß zwar noch nicht, fuhr Hermann fort, unter welchem Vorwand ich das Geld zurückgebe, ohne mich zu verrathen. Ludwig hat Recht, daß Bercagny dadurch aufmerksam und mistrauisch werden könnte. Warum sollte ich das Geld nicht behalten, und doch Arbeit liefern wollen? Aber, ich finde gewiß noch eine Auskunft dafür.

Ja wohl, Hermann, entgegnete Lina herzlich. Wenn ich aber deinem Gefühl darin Recht gebe, so will ich nicht sagen, daß Ludwig's Rath nicht gut oder nicht ehrlich wäre: nein, er ist gewiß der Vorsicht und Klugheit ganz gemäß. Ludwig hat einen außerordentlichen Scharfsinn für den Augenblick, für irgend eine überraschende Verlegenheit, und handelt überhaupt mit großer, oft rasch durchblickender Umsicht. Im ersten Augenblicke muß man ihm auch folgen, so sehr überwältigt sein Verstand unser hülfloses, oft sogar widerstrebendes Gefühl. Du hast aber Zeit gehabt, deine eigene Ansicht zu Rath zu ziehen; auch ist ja Eines nicht für Alle, weißt du. Und die Klugheit gilt uns ja nicht für das Höchste und Unbedingteste. Nicht wahr? Gewiß, mit Klugheit gewinnt man vielleicht die ganze Welt; allein, wenn man sich selbst dabei verliert, was ist dann der Rest noch werth? Nicht wahr, Hermann?

Wie wahr und schön sagst du das, beste Lina! rief er hingerissen. Sieh', da bringst du mich gleich auf einen Gedanken, oder vielmehr nur auf einen Vergleich zu deinem herrlichen Gedanken. Wo uns auch immer die Welt nach ihrer Urgestalt – im Kleinsten wie im Größten – erscheint, sei's in einem Tröpfchen Maithau, oder in den Sphären einer sternhellen Winternacht, in den heißen Blutkügelchen, die ein liebendes Menschenherz durch selige Pulse treibt, oder in den kühlen Perlen, die deinen reinen Hals schmücken, Schwester Lina: überall nimmt sie die Form an, die wir unsern Nullen geben, denen erst eine Ziffer, die für sich selbst zählt, vorgesetzt werden muß, wenn sie mitzählen und etwas bedeuten sollen. So ist es mit allen Erscheinungen der unendlichen Welt: sie sind erst vorhanden, sie gewinnen erst eine Bedeutung, wenn ein erkennender Geist vor ihnen steht. So meint es auch mein großer Lehrer Fichte, wenn er sagt, die Welt sei gar nicht anders vorhanden, als durch das Ich, – durch den Geist. Und so sinken die tausend Dinge, die wir erleben, für sich selbst zu Nullitäten herab, die erst durch ein menschliches Selbst eine Bedeutung gewinnen.

Wie prächtig, Hermann! rief sie und drückte ihm die Hand. Aber ich denke, nicht blos ein erkennendes, sondern auch wollendes Selbst. Beim bloßen Erkennen kommen wir Frauen leicht zu kurz. Ich meine daher immer, der Wille macht unsern Werth. Nicht wahr?

Eigentlich ja, Lina. Der Wille macht unser Ich, und das Ich setzt seine Welt. – –

Sie blickten einander innig lächelnd an, bis Hermann mit einer gewissen Verlegenheit oder Verschämtheit ausrief:

Du bist so lieb, so herrlich, Lina! Weißt du, was ich mir wünsche? Ich bekäme einmal eine Frau, die halb soviel werth wäre, wie du!

Wie galant das Brüderchen ist! rief sie, wobei sie, ihre Bewegung zu verbergen, die Handschuhe auszog und glatt zupfte. Jetzt bekomme ich in der Geschwindigkeit noch, was du für Fräulein von Baumbach mitgebracht hattest, die heut leider nicht ins Stift kam.

Geh', Lina, störe mir den seelenweichen Augenblick nicht! lächelte er. Lieber laß mich dir aus der Fülle meines Herzens, das deiner und deines Glückes so froh ist, jetzt statt morgen früh Lebewohl sagen. Morgen früh bin ich zu nüchtern, oder ihr schlaft noch, wenn ich fortreite. Könnt ich dir sagen, du liebe, herrliche Frau, wie innig beglückt ich mich fühle, daß ich euch gefunden habe, und daß ihr mir soviel Vertrauen schenkt, soviel Antheil an euerm seligen Frühlingsbunde gönnt. Wie verlassen würde ich ohne euch in diesem Cassel sein, wo es so lustig und so listig zugeht, daß mir oft angst und bange wird vor meiner Tölpelhaftigkeit! Nun hab' ich durch euch ein Haus, wo ich wie daheim bin, und eine Schwester Lina durch dich, und wo ich lustig und traurig sein darf, wie's eben kommt, und – allen Dank der Welt, Lina! Und sag's deinem Ludwig, Lina: Du verstehst mich besser, als ich's ihm sagen könnte. Und – so lebe wohl! Und kommt recht bald nach, und – denke gut von mir, Lina!

Er drückte ihre beiden Hände an seine Lippen, wobei von seiner innern Bewegung ein heißer Tropfen darauf fiel.

Da hast du einen Kuß, weil du so gut und ehrlich bist! sagte sie leise, und hielt mit niedergeschlagenen Augen den Mund hin. Ihr Halstuch fiel ihr dabei von der Schulter, und Hermann, der es rasch aufhob und es ihr darreichend bescheiden zurücktrat, sagte mit verlegenem Lächeln:

Noch Eines könntest Du mir zum Abschied versprechen!

Und –?

Zieh' dies Kleid nicht mehr an, – so überhaupt keines, Lina!

Nicht wahr, es steht mir nicht gut? fragte sie betroffen.

Das nicht; im Gegentheil –! stotterte er verlegen. Ich weiß eigentlich nicht warum.

Geh' doch, sagte sie, und machte sich mit ihrem Fächer und den feinen Handschuhen zu thun, du bist ein Philosoph, und wirst nicht wissen warum!

Nun – so thu's deinem Manne nicht zu leid! flüsterte er. Der Dörnberg hat dich immer so keck angesehen.

Meinem Ludwig? rief sie. Ei, der will's ja gerade. Warum hätt' ich's denn sonst angezogen? Er verlangt's ja, er hat's ja den Morgen von mir verlangt?

Bei diesen Worten erschrak und erröthete sie, als ob sie sich eben in eine kleine Unwahrheit verrannt hätte. Denn eigentlich war es doch mehr um Hermann's willen, auf seine gestrige Aeußerung geschehen. Und Hermann versetzte:

Ludwig? Wahrhaftig? Nun dann – mußt du freilich thun, wie's deinem Manne gefällt, und – wie du's vielleicht auch gern thust.

Mit diesen Worten verließ er das Zimmer, um nach dem Garten zu gehen. – Lina blieb eine Weile wie träumend stehen, indem sie langsam ihr Tuch so fest zusammenzog, daß ihre Hände sich auf der tiefathmenden Brust überkreuzten. Dann langsam aufblickend, strahlten ihre Züge ein seliges Lächeln. Vielleicht war es blos Zufriedenheit darüber, daß der werthe Freund nun doch auf ihren Geschmack zurückgekommen war. In diesem Augenblicke sah sie Hermann am offenen Gartenfenster vorüberwandeln, eilte hin und rief ihm nach:

Hermann!

Lina?

Da hast du meine Hand darauf: ich zieh's nicht mehr an.

Er hatte eben ein Maßliebchen gepflückt in der Hand, und hielt es ihr mit den Worten hin:

Weißt du, wie das auf Französisch heißt?

Nein, Hermann.

Marguerite, Margrethchen. Paßt so nicht für Lina. Nimm's deutsch, – da! – Ein ganzes Maß voll –!

Danke! sagte sie erröthend. Es wächst ja mit diesem Namen auch für Bruder und Schwester.

Sie drückte, ins Zimmer zurücktretend, das hochrothe Blümchen an die Brust, ließ es hinabgleiten, und zog sinnend ihr Tuch darüber, als ob es gelte, ein eingeschlüpftes Geheimniß zu verhüllen. Aber sie dachte nichts dabei, sondern ging still und lächelnd, sich in ihr Hauskleid umzuwandeln.



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