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Dreizehntes Capitel.
Der Frühstücksmann und der Abendschleicher.


Hermann war unter Nachbetrachtungen über den Baron noch lange wach geblieben, nachdem er diesen sonderbaren Mann heut, wie noch nie bisher, in so stark contrastirenden Zügen als Gecken, als scharfblickenden Weltmann und als Wohlschmecker gefunden hatte. Er konnte sich nicht klar darüber machen, wie viel von diesen edeln Gesinnungen, umfassenden Lebensansichten und possenhafter Sinnlichkeit naturwahr an ihm – und wie viel um seiner geheimen Zwecke willen blos zur Schau gestellt sein möchte. Am Ende gefällt man sich selbst gegen seine Bekannten in einem Spiele, durch das man sich so vielen Menschen überlegen fühlt.

Mit dieser Betrachtung hatte der junge Freund seinen bunten Tag abgeschlossen. Als er andern Morgens in der Frühe erwachte, zerstreute der Gedanke an Lina schnell die verworrenen Erinnerungen des gestrigen Nachmittags und Abends. Er öffnete das Fenster, und die Frühnebel des Thals wichen eben der Sonne, die leicht verschleiert über das Gebirge heraufgestiegen war. Er hatte den lieben Freunden so Vieles mitzutheilen; sie hatten ihn so verwirrt, so ängstlich über seine Verwickelung mit Bercagny gesehen, und er war inzwischen so sieghaft und doch auf seinem eigenen Weg daraus hervorgegangen, daß er kaum die Stunde erwarten konnte, wo er es nur einigermaßen mit der Schicklichkeit verträglich fand, sie zu besuchen.

Die Zimmer standen offen, als er leise die Treppe hinaufging, und der Geruch der neuen Möbel und Einrichtung ließ sich selbst vom Duft des Kaffees nicht ganz unterdrücken. Er hörte aus der lebhaften Unterhaltung eine fremde Stimme, eine tiefe männliche, deren Wohlklang ihm doch nicht angenehm war, vielleicht nur weil sie seine gemüthliche Erwartung einschüchterte und einem Menschen angehören konnte, gegen den er mit seinen Mittheilungen zurückhalten müsse.

Wirklich fand er Drei beim Frühstück, und der Dritte war zu seiner Ueberraschung jener ältere Mann, halb Militär, halb Jäger, auf den er selbst die Freunde an jenem ländlichen Morgen zuerst aufmerksam gemacht hatte.

Mit fröhlichem Gruß eilte ihm Lina entgegen, und Ludwig, indem er ihn mit freundlichem Händedruck bewillkommte, stellte ihn dem – Herrn Oberstlieutenant Emmerich vor. Hermann mußte sich zum Mitfrühstücken setzen, und als ihn Lina bediente, sagte sie lachend:

Ist es nicht sonderbar, lieber Ludwig, daß Hermann, der uns den damals räthselhaften Frühstücksmann zuerst gezeigt hat, nun auch den Herrn Oberstlieutenant zum ersten mal wieder beim Frühstück antrifft?

Was? fiel der alte Soldat lachend ein. Also von damals heiß' ich schon der Frühstücksmann? Nun ja, heut muß ich mir den Ehrentitel schon gefallen lassen; heut bekomme ich ihn mit Recht und lasse mir ihn schmecken. Da seht ihr, Kinder, wie manchmal Einem ein Glück zu Theil wird, ehe man's verdient!

Schade, daß wir dich gestern Abend nicht zu Hause getroffen! sagte Ludwig. Wir wollten dich mitnehmen, und du hättest die wunderbaren Geschichten mitangehört, die unser Freund, dieser liebe Gast, aus seinem deutschen und amerikanischen Kriegsleben erzählt hat.

Dafür soll er uns nun seine Polizeigeschichte erzählen! platzte Emmerich sehr vorlaut heraus, sodaß Ludwig und noch mehr Lina in Verlegenheit kamen, besonders als Hermann verwundert fragte, woher der Herr Oberstlieutenant davon wisse.

Nur durch uns, lieber Freund, durch mich! versetzte Ludwig mit einem warnenden Blicke gegen den Alten. Du mußt nur wissen, der Herr Oberstlieutenant gehört zum Kreis der homberger Freunde, die sich gern über die Lage unsers Vaterlandes und über den Druck der Franzosenherrschaft verständigen. So kam auch was dir, unserm damaligen Gaste, von diesem Bercagny widerfahren, zur Sprache, und aller Freunde herzlicher Wunsch war es, daß du dich aus dem Fallstricke glücklich herauswinden möchtest.

Ist geschehen! lachte Hermann stolz.

Wir haben schon von der Mutter gehört, wie heiter du jenen Tag von der Polizei zu Tische gekommen bist, bemerkte Lina. Du hast also die Geschichte klugerweise zu Ende gebracht?

Klug will ich nicht sagen! versetzte Hermann; aber glücklich genug habe ich ihn abgefertigt, den Bercagny, und kam eben her, euch den Verlauf mitzutheilen. Wenn Sie ihn also mitanhören wollen, Herr Oberstlieutenant?

Gewiß! rief Emmerich. Ich weiß, was Ihnen Herr Heister gerathen hat, und verlangt es mich recht, zu hören, wie Sie um den Polizeiobersten herumgekommen sind.

Hermann erzählte nicht ohne selbstgefälliges Behagen, und je öfter der alte Soldat, seinen Schnurrbart drehend, beifällig nickte, desto selbstzufriedener spann der junge Freund, besonders auch Lina zu Gefallen, den Faden seines Berichts aus.

Lina freute sich, daß der ärgerliche Handel so sehr zur Befriedigung seines entrüsteten Herzens abgelaufen sei, ohne daß er klugen Rath bei Seite gesetzt habe.

Der ist mein Mann! rief Emmerich, und streckte die Hand gegen Hermann aus. Er hat Glück und braucht keine Klugheit. Guter Tact, a prompting. Eingebung ist auch Glück. Her mit Eurer Hand, junger Doctor! Wir sind unter gleichen Schicksalsplaneten geboren, wenn auch ein halb Säculum zwischen uns liegt. Auch ich bin bei meinen tollkühnsten Unternehmungen mehr nach innerm Antrieb als nach kluger Abwägung ins Zeug gefahren. Ei warum sollte denn der Mensch nicht einen geistigen Instinct haben für Gewächse der unsichtbaren Welt? Die vierfüßige Creatur findet mit der unvernünftigen Nase stets ihr richtiges Futter, und wenn – she fell sick, wenn eine Maladie in ihr steckt, schnüffelt sie irgend ein Heilkraut heraus. Warum soll mancher Mensch nicht wittern, wo die Zukunft hinaus will und wo ihre Gefahren liegen? Keck aus der Faust, ist mir immer besser eingeschlagen, als klug an den Fingern abgezählt. Allen Respect vor der Klugheit! Auch darf sie bei großen Unternehmungen durchaus nicht fehlen; aber – dem Einen gibt der Himmel Glück, dem Andern Klugheit. Jeder muß nur sein Geschenk richtig gebrauchen und nicht beides zugleich verlangen. Darf aber auch nicht wechseln wollen, sonst geht's ihm wie Einem, der immer die rechte Hand gebraucht hat, und will nun mit der Linken hantiren.

Und indem er Ludwig die Linke und Hermann die Rechte reichte, fuhr er fort:

Klugheit hat nicht immer Glück, Herr Heister, und Glück muß sich nicht durch Klugheit irre machen lassen, Herr Doctor! Stellt ihr Beide euch mit dem Rücken zusammen, so macht ihr einen Doppeladler gegen die berechnenbaren und gegen die unvorherzusehenden Gefahren unsers Unternehmens.

Er blinzte Ludwig aufmunternd zu; dieser aber schüttelte leise mit dem Kopf.

Lina bemerkte und verstand dies auf Hermann bezügliche Mienenspiel. Und ob es gleich nichts mehr bedeutete, als daß man den jungen Freund in eine politische Verbindung ziehen wollte, der ja ihr Ludwig auch angehörte, so machte ihr doch diese mysteriöse Besprechung den ängstlichen Eindruck, als gelte es, Hermann zu verrathen und zu verkaufen. Ohnehin misfiel ihr das unruhige, zufahrende Wesen des alten Mannes. Indem sie sich aber ihrer Pflicht als Hauswirthin besann, nahm sie sich zusammen und sagte sehr freundlich:

Nun Sie aber nichts mehr genießen und Ihre Tasse umgestürzt haben, Herr Oberstlieutenant – wollen Sie nicht Ihr Pfeifchen rauchen?

Ei, wenn ich vor einer so schönen Lady rauchen darf, erwiderte er mit Verneigung, so muß ich auch mein Ehrenpfeifchen holen.

Er eilte nach dem Schlafzimmer, wo seine Reisetasche lag, und kam mit einer hübschen und seltenen kleinen Pfeife zurück, die unsern Hermann an ein bekanntes, in Musik gesetztes Gedicht erinnerte. Heiter aufgelegt, wie er war, klopfte er, theatralisch oder studentisch vortretend, den alten Soldaten, wie er eben die Pfeife anrauchte, auf die Schulter und sang ihn mit den Worten an:

Gott grüß' Euch, Alter, schmeckt das Pfeifchen
Aus Euerm Türkenkopf
Von rothem Thon mit goldnen Streifchen?
Was wollt' Ihr für den Kopf?

Emmerich, der als Jäger und Soldat alle gangbaren, ältern und neuern Lieder und Singweisen im Kopf hatte, stand mit angenommener Miene der Ehrerbietung auf, indem er, die flache Hand an die unbedeckte Stirne gelegt, salutirte, und sang mit seiner tiefen, noch recht klangvollen Stimme, aber nicht ohne affectirte Manier, die Antwort:

Ach, Herr, den Kopf kann ich nicht lassen,
Er kommt vom besten Mann,
Der ihn, Gott weiß es, welchem Bassen
Bei Belgrad abgewann.

Die übrige Erzählung von der poetischen Pfeife paßt nicht recht zu meiner Geschichte, fuhr er dann, indem er sich wieder setzte, fort. Mein Pfeifchen hat andere Schicksalswege gehabt, die ich aber nicht erzählen darf. Denn die Pfeife da, echt orientalisch, ist – talismanical – ist mit einem Zauber behaftet, den nur Geheimniß bewahrt. Mein Glück hangt an der Pfeife.

Er lachte dabei etwas schalkhaft, als ob er seinen eigenen Worten nicht traute.

Man kam darüber auf diese und jene Wunderbarkeiten eines abenteuernden Lebens zu reden, bis Lina das Gespräch auf ihre häuslichen Angelegenheiten lenkte. – Mit der beginnenden Woche wollte das junge Paar die freundschaftlichen und die Anstandsbesuche machen. Lina nahm es mit ihrem ersten Eintritt in die große Welt etwas feierlich, wiewol ihrem Naturell gemäß, heiter und eher etwas neubegierig als ängstlich oder verzagt. Auch bei Reichardts wollte sie von Hermann eingeführt sein, um vielleicht zu den musikalischen Abenden des Kapellmeisters geladen zu werden, von denen der Freund ihr soviel Anziehendes erzählt hatte. Im Stillen interessirte sie aber auch Luise, für die Hermann wahrhaft schwärmte. Dagegen sollte er mit ihr bei der Familie Engelhard Besuch machen.

Es schickt sich, daß du hingehst, sagte sie. Du hast an unserm Polterabende so zärtlich mit Theresen gewalzt und geplaudert, und eine poetische Mutter mit sieben blühenden Töchtern ist auch etwas, was man nicht alle Tage sieht. Ihr sprecht ja doch immer soviel von unsern Poeten und ihren Werken –

Ihren Ausgaben! lachte Ludwig schalkhaft.

Sie sprang auf, ihn zu strafen; er lief lachend fort und zog den alten Emmerich mit sich auf sein Arbeitszimmer.

Wie kommt ihr nur zu diesem Gaste? fragte Hermann, und Lina erwiderte:

Ludwig hat in Homberg seine Bekanntschaft gemacht. Er hat uns hierher begleitet, um sich mit den Männern des kurfürstlichen Anhangs zu besprechen, und dann nach Marburg zurückzukehren, wo er sich jetzt aufhält. Es ist merkwürdig, was ein so alter Mann noch so unruhig und tollkühn sein kann. Freilich sind ihm auch die verwegensten Unternehmungen geglückt, und er hat zur rechten Zeit keine Warnung erhalten. Für mich hat es etwas gar Betrübendes, wenn ein alter Mann nicht zur Gemüthsruhe kommen kann, und in so hohen Jahren noch fortwährend auf Abenteuer ausgeht.

Sie ließ sich dann über ihre künftige Einrichtung und Lebensordnung aus, wobei sie auf Hermann's fleißige Besuche zählte.

Wir wollen recht viel singen, sagte sie, besonders Abends, wenn Ludwig müde ist; er hat das gern, und kann sich dabei ausruhen. Eins aber wollen wir hinter meinem lieben Manne her treiben, fuhr sie – des übereilten Ausdrucks flüchtig erröthend – fort, und ich komme dazu auch manchmal zur Mutter. Ludwig spricht nämlich sehr oft von diesem und jenem Schriftsteller mit Entzücken, und ich bin darin so fremd geblieben. Er selbst besitzt das Beste von ihnen in seiner kleinen Bibliothek, und ich kann mich damit bekannt machen. Zeit hab' ich bei meinem kleinen Haushalte dazu, und bin ja den Tag über ziemlich allein. Ludwig möchte mir manchmal gern vorlesen, kommt aber meist erschöpft aus dem Bureau, und – hat auch jetzt soviel andere Dinge im Kopfe. Da möcht' ich ihm lieber selbst vorlesen. Wie meinst du, Hermann? Es fehlt mir nur noch ein wenig an Verständniß und Geschmack, und – du müßtest mir beistehen, daß ich in der rechten Reihenfolge selbst lese, und mich ein wenig aufmerksam machen, worauf's dabei ankommt und worin der Werth und die Schönheit liegt. Ich bin nicht auf den Kopf und nicht aufs Herz gefallen – setzte sie lächelnd hinzu –, und du sollst dein blaues Wunder sehen, was ich für einen Geschmack und für ein Urtheil gewinnen werde. Dabei kannst du mir dann und wann etwas von der Persönlichkeit und dem Leben der Dichter und Schriftsteller erzählen; das ist mir außerordentlich interessant und – ich verrathe auch den Franzosen nichts davon! setzte sie schalkhaft hinzu.

Hermann drohte ihr mit dem Finger, belobte aber ihr Vorhaben und versprach sein Bestes.

Ludwig soll sich verwundern, fuhr sie fort, wenn ich auch in diesem Stück so ganz mit ihm wie zu Hause bin. So zufrieden er mit der unwissenden Braut war, würde er doch von der Frau nach und nach mehr verlangen, oder eigentlich – mehr an ihr vermissen; abgesehen davon, daß nun die Reihe an mir ist, ihm zu Gefallen zu leben.

Aber die Männer belehren gern, wenn sie lieben, wendete Hermann ein; werde ich nicht etwa deinem Ludwig vorgreifen?

O nein! betheuerte sie. Ludwig ist ein wenig bequem, und hat auch auf dem Bureau viel zu thun, was ihn leicht ein wenig nervös macht und verstimmt. Dann aber – hab' ich auch soviel von ihm, lieber Hermann, und möchte etwas besitzen, womit ich ihn erfreute, ohne es von ihm zu haben, und worauf ich also ein bischen stolz sein dürfte auf meine eigene Hand.


Nun sollte es sich aber fügen, daß dieselbe Woche, mit der sich dem jungen Freund ein so herzlicher Familienverkehr eröffnete, ihm von einer andern Seite eine Herzensverwickelung anzettelte, die seine nächste Zukunft in Gefahr bringen konnte.

Die Gräfin Antonie fühlte sich unwohl, oder gab sich wenigstens in Folge eines Misverständnisses mit dem König dafür aus, und zog sich in die Einsamkeit ihrer Stadtwohnung zurück, während ihr Gemahl als Oberkammerherr selten von Napoleonshöhe herunterkam. Was ihr diese Tage des Verdrusses noch widerwärtiger machte, waren die häufigen Regengüsse, die der gewitterreiche Juni mit sich brachte. Sie sah sich nach Unterhaltung um, da ihr besonders die trübseligen Abende eine wahre Verzweiflung anrichteten, und versuchte es in dieser Verlegenheit öfter mit der cyanenblauen Vase, die denn freilich dem jungen Freunde stets ein erfreuliches Signal erschien.

Die Gräfin Antonie, eine geborene Fürstin H. H., war eine sehr eigenthümliche, in ihrer schönen Begabung von innern Widersprüchen bewegte Dame. Eine reizbare Phantasie, ein nicht leicht befriedigtes Herz und nicht würdig genug beschäftigter Geist trieben sie nicht selten zu einer Bethätigung, worin sie sich selber nicht verstand, und doch – wenn sie bei Andern in ein Misverständniß gefallen war, es nicht begreifen konnte. So wollte es ihr auch gar nicht einleuchten, daß sie sich mit den heimlichen Sprachstunden Adelens übereilt und ihre Stellung vergessen haben sollte, wie es ihr mit dem Könige zurückgekehrter Gemahl ansah, so leicht er es selbst auch mit dem Leben an jenem Hofe nahm.

Dennoch war es nicht anders. Schon ihre Vorliebe für ein so launenhaftes und eigentlich unausgebildetes Geschöpf, wie die Creolin Adele, war mehr aus einem Reize für die Phantasie, als aus einer Sympathie des Herzens entsprungen. Adele hatte dann mit ihrem Vorschlag wegen der deutschen Stunden eine der unbefriedigten, sehnsüchtigen Stunden der Gräfin getroffen. Das Räthsel des verliebten, trotzigen Mädchenherzens lockte die Dame; die Intrigue erschien mehr amüsant als bedenklich, wenn nicht etwa auch die kleine weibliche Schalkheit dahinter steckte, den ihr unleidlichen General Morio mit seiner Bewerbung um Adelen ein wenig zu durchkreuzen. So hatte sie sich zu einer Heimlichkeit verstanden, in der sie unerwartet sich selbst ein wenig verfing, sobald die einander begegnenden Seelenbewegungen des Lehrers und der Schülerin ihre seine Beobachtungsgabe zu beschäftigen anfingen.

Adele hatte aus Amerika ein lebhaftes und verwöhntes Naturell mitgebracht, und in Cassel mit ihrem guten Verstand für die Außenwelt ein unreifes Selbstgefühl auf dem Fuß ihres hochgestellten Bruders angenommen. Zwischen diesen beiden Regungen bewegte, vergaß und besann sich immer wieder das leidenschaftliche Herz in der jugendlichen Mädchenbrust.

Ein ähnlicher Kampf widerstrebender Empfindungen in Hermann's Seele entging dem guten Blicke der Gräfin nicht. Der blühende junge Mann blieb nicht kalt unter diesen flammenden Augen des reizenden Geschöpfs von den Antillen. Aber diesen Empfindungen widersprach ebenfalls ein Selbstgefühl, nicht auf äußerliche Rücksichten gestützt, sondern auf sittlichen Grundsätzen ruhend, ja von einer schwärmerischen Verehrung für die Frauen getragen.

So anziehend anfangs diese Beobachtung für die Gräfin war, so kamen doch bald genug Augenblicke, in denen sie bei diesen wechselseitigen Regungen des mit jeder Stunde vertraulicher gewordenen Paares eine gewisse Bangigkeit empfand. Sie dachte nicht an die Gefahr, daß Beide im heißen Drang der Jugend, bei der Gunst eines leidenschaftlichen Augenblicks, sich vergessen könnten; denn dafür war sie ja als Hüterin der Stunde da, und wußte, daß Beide im gesellschaftlichen Verkehr der Stadt weit von einander blieben. Aber es kam ihr wol einmal die Betrachtung, daß diese Stunden zu ernsthaft für die Zukunft Beider werden, und über die Sprachlehre hinaus das wirkliche Leben stören und verwirren möchten. Und – welche Verantwortung für sie, zumal in ihrer hohen Stellung!

Dies hatte sie in einer der ersten Nächte ihrer jetzigen Einsamkeit bänglich durchdacht und den Vorsatz gefaßt, mit Ende der Woche die Lectionen zu schließen. Sie kam aber zu diesem Beschluß nicht ohne ein stilles Leid um Hermanns willen. Der junge Mann hatte ihr Interesse gewonnen, besonders nachdem sie ihn auch noch an ihrem Klavier als Sänger kennen gelernt hatte. Seine angenehme Erscheinung, die natürliche Anmuth seiner Manieren und eine leicht erregbare Schwärmerei seiner Gedanken schienen der Gräfin in solchem reinen und umfassenden Bariton ihren Zusammenklang zu finden. Sie überlegte hin und her, wie sie es einrichten möchte, um den jungen Mann nach Auflösung der Lectionen nicht ganz zu verlieren. Für so manche gute Stunde und heitere Stimmung, die sie durch ihn gefunden, rechnete sie sich eine Verpflichtung an, die ihrer Empfindung nach mit einem Honorar für die Stunden des Unterrichts durchaus nicht abzumachen war. Sie hoffte vielmehr für seine Beförderung etwas thun zu können, was ihm wie ihr selbst zur Befriedigung gereiche. Sie nahm sich vor, mit ihrem einflußreichen Freunde Bülow zu reden; sie dachte an ihre andern Verbindungen, bis sie zuletzt einsah, daß sie vor allem wissen müsse, nach welcher Richtung hin der junge Mann seine Zukunft suchte. Einstweilen konnte sie sich nicht versagen, am nächsten Abend, als Hermann nach geschlossener Stunde sich zum Fortgehen anschickte, ihm ihre guten Absichten anzudeuten, indem sie dabei den Wunsch aussprach, von ihm zu hören, worauf er seinen Lebensplan gerichtet habe.

So lebhaft Hermann das Wohlwollen der hochgestellten Dame empfand, so war es doch in einer Weise ausgedrückt, daß es an seine unbedeutende, der Fürsprache bedürftige Stellung in der Welt erinnerte, was ihm in Beisein Adelens eher etwas empfindlich ward. Er hätte lieber schon in diesen strahlenden Augen für etwas Rechtes gegolten, sich lieber als Gegenstand des Verlangens, statt des mitleidigen Wohlwollens, empfunden.

In dieser befangenen Stimmung war er, den dämmerigen Corridor betretend, nicht achtsam genug, um vor der Stubenthür der Kammerjungfer einen Mann zu bemerken, der in zärtlichem Abschied begriffen, jetzt rasch in die Stube zurückschlüpfte, aus der er gekommen war. Die geschminkte Französin aber trat heraus, die Thür halb zuziehend, um den Vorübergehenden mit einem lauten, etwas boshaften Bon soir, Monsieur le Docteur! zu begrüßen.

Hermann dankte und wollte vorüberschreiten, sie hielt ihn aber – ohne Zweifel dem Versteckten zu Gehör – mit der Frage an, ob Mademoiselle Adele Le Camus wol noch bei der Gräfin verweilen werde, oder ob sie den Bedienten rufen sollte, sie nach Hause zu begleiten.

Hermann, seitdem er bei seinem ersten Anmelden von der coquetten Person abgewiesen worden, hatte wie damals den studentischen Tik nicht lassen können, ihr zuweilen eine freundliche Unart zu sagen. Dies war schon einige mal geschehen, so oft sie es mit ihrem pretiösen Wesen im unrechten Augenblicke bei ihm getroffen. Dies war eben wieder der Fall. Er blieb stehen, betrachtete sie lächelnd und sagte:

Ha, Mademoiselle, Sie machen Toilette? Ein Wohlgeruch dringt aus Ihrem Boudoir. Die Nachtviolen duften zu Ihrer Abendröthe.

Und indem ihm jener Ausdruck im Briefe der Mutter Linas einfiel, setzte er hinzu:

Welche Essenzen lieben Sie, Mademoiselle? Eau de bougre?

Hinter diesen Worten her kam es ihm vor, als rege sich Jemand hinter der Thür. Er eilte daher lachend fort, und Angelika trat in die Stube zurück mit dem ängstlichen Ausrufe:

Mein Gott, er hat Sie erkannt, Monsieur Würß!

Empfindlich über diese Naivetät, die sich auf den Wohlgeruch und auf den Bougre beziehen konnte, versetzte Würtz feierlich:

Was meinen Sie? Nein! Aber – der Bursche hat den Geruch seines Verhängnisses!

Dann gegen die Kleine gebückt, drohte er mit dem Finger unter zärtlichem Grinsen:

Sie sind ein kleiner Bösewicht, Mademoiselle Angelique!

O mon cher Würtz, erwiderte sie, auf den Zehen sich an ihm emporstreckend, Sie sind grausam! Aber – haben Sie sich nun von dem Sprachmeister überzeugt?

Jeder Zuschauer hätte von dieser beiderseitigen Annäherung eine zärtliche Umarmung erwartet; aber sie vergaßen Beide nicht, was sie ihren geschminkten Wangen für Rücksichten schuldig waren.



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