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Sechstes Capitel.
Hermann als Unkraut.


Der Abendhimmel stand mit Federwölkchen über der untergehenden Sonne, die Luft war lau und still; eine späte Lerche schwang sich noch mit Gesang empor, und aus der Ferne klang die helle Stimme einer Magd, die einen Schubkarren mit frischem Klee belud. Lina ging eine Strecke schweigend neben ihrem Begleiter den sanften Pfad am Berge hin, etwas verstimmt gegen ihren Ludwig. Sie konnte nicht mehr zweifeln, daß er tiefer, als sie bisher geglaubt hatte, in das politische Geheimniß eines regierungsfeindlichen Unternehmens gezogen war. Sie misbilligte gerade diese Verbindung mit einigen sonst sehr achtbaren Männern in und um Homberg nicht, weil sie sich überhaupt kein Urtheil über ihres klugen Ludwig's Angelegenheiten zutraute, dagegen das heiterste Vertrauen in seine Einsichten und Bestrebungen setzte; aber um so mehr kränkte es sie, daß er sich dennoch gegen sie so rückhaltend benahm, und ihr aus seinen täglichen Abendbesuchen beim Oberforstmeister, beim Metropolitan und beim Friedensrichter Martin, oder vielmehr aus den Verhandlungen in diesen Versammlungen, ein Geheimniß machte. Seit sie mit ihm verlobt gewesen – und das datirte von Jerôme's Einzug, also vom 7. December vorigen Jahres – hatte sie den stets sehr beschäftigten Ludwig nur in der einfachen Bemühung um ihr Herz und für ihre gemeinsame Häuslichkeit besorgt gesehen. Nun endlich mit ihm verbunden, war sie ihm aufs Land gefolgt, um die glücklichsten Stunden schöner Maitage in traulichster Gemeinsamkeit zu verleben. Und gerade jetzt konnte er sich diesem innigen Zusammensein so leicht entziehen, und gab sich einer Geheimthätigkeit hin, die er durch sein Schweigen noch über ihre gemeinsame Liebe zu setzen schien, indem sie ihn wenigstens mehr als diese einnahm und beschäftigte.

Diese flüchtige Betrachtung durchzuckte ihr Herz und bebte um ihren wehmüthigen Mund. Aber nur wenige Minuten lang, und der Gedanke, daß Hermann nichts von dieser Unzufriedenheit ahnen dürfe, half ihr schnell wieder zu einer heitern Fassung. Sie hätte den Freund beim Abschied nach ihrer Trauung zum Besuch auf dem Lande nicht einladen mögen, weil sie eben ausschließend ihrem Ludwig zu leben dachte. Nun war ihr Hermann unerwartet ein lieber und tröstlicher Gast und von Ludwig selbst ihr zugewiesener Begleiter. Es freute sie, daß er Ludwig's Unachtsamkeit nicht übel nahm. So wendete sie ihm, ohne alle Ueberlegung, jenen Theil der Hingebung und ihres bedürftigen Herzens zu, der für ihren Ludwig überflüssig schien. Mit aufgeregter Heiterkeit sagte sie:

Heut warst du sehr lieb, Bruder Hermann, und hast meiner Einführung im Stift alle Ehre gemacht. Ich habe in der That zum ersten mal empfunden, was man an einem Bruder hat. Du kennst das nicht, Hermann, denn du hast wenigstens eine Schwester. Wenn man aber ohne Geschwister aufwächst, so behält, so zu sagen, das Hausgärtchen des Herzens einige unbestellte Rabatten.

Wo dann leicht Unkraut wächst, nicht wahr? lachte Hermann.

Ja, du könntest Recht haben, erwiderte sie neckend; denn ich sagte ja eben, daß du da zum Vorschein kamst,. als eine Art von Stiefbruder. Wie sich die Damen nämlich an deinem Erzählen, an deinem Gesang entzückten, war ich ordentlich stolz auf dich. Dennoch glaube ich, daß eine wirkliche Schwester noch anders empfinden muß.

Und wie denn, Frau Schwester? fragte er, indem er mit einem gewissen eiteln Behagen ihre linke Hand ergriff, und im Gehen die so verbundenen Arme schlenkerte.

Einmal durfte ich meinen Stolz auf dich nicht verrathen, antwortete sie, aus derselben Schicklichkeit, die auch dich mit Recht abhielt, mich vor den Damen zu duzen.

Gut, das begreif' ich, erwiderte er, wenn ich's auch ohne besondere Ueberlegung that.

Sodann aber, fuhr sie fort, bin ich dir auch darin noch keine ganze Schwester, daß ich dir nicht sagen kann, was mir die Damen Schmeichelhaftes über dich zugeflüstert haben.

Ei, lachte er vergnüglich, das begreife ich aber nicht.

Ich auch nicht, versetzte sie flüchtig erröthend. Schade, daß keine darunter ist, die für dich paßte und der du ein wenig den Hof machen könntest, wenigstens so lange du hier bist. Du weißt ja, die Stiftsdamen sind zwar hochwürdig, dürfen aber auch liebenswürdig sein und sich lieben lassen.

Keine darunter? scherzte Hermann. Was hättest du denn gegen Fräulein von Baumbach? Sie heißt ja sogar auch Karoline, wie du!

Die ist ja keine Stiftsdame! entgegnete sie. Also die gefällt dir? Nun ja, sie ist nicht übel, und hat auch einen gewissen Schwung der Seele; schade nur, daß gerade sie am wenigsten über dich geäußert hat.

O das ist kein schlimmes Zeichen; im Gegentheil, es ist mir lieb, fiel er lachend ein; sie hat's also für sich behalten, ein Geheimniß, und das will mehr sagen, als was die Andern so leicht von sich gegeben. Meinst du nicht auch –? O wir kennen euch Mädchen!

Seht doch! An guter Meinung von sich fehlt's dem Bruder Doctor nicht! meinte sie. Aber es ist schon recht, daß du als Bruder so offenherzig gegen mich bist. Ich kann alles Rückhaltige nicht leiden unter Menschen, die ein Herz für einander haben.

Ludwig fiel ihr bei diesen unbedachten Worten ein, und sie schwieg erschrocken.

 

Das Abendlüftchen, das mit Sonnenuntergang sich erhoben, war so frühlingswürzig, daß Beide, zu Hause angekommen, und nachdem Lina das Abendbrot angeordnet hatte, noch im Garten verweilten.

Weißt du, Lina, sagte Hermann, was mir an einigen dieser Damen aufgefallen ist? Daß sie in ihrer Art von eigentlich doch geistlicher Stellung, und sogar auf dem Lande, sich nach dem Hofschnitt der Kleider tragen, was freilich auch jetzt die Mode der Zeit und in der hohen Gesellschaft nicht mehr auffallend ist.

Es ist mir eine recht fatale Mode, diese ausgeschnittenen Kleider, sagte Lina. Decolletirt nennen sie's; und freilich ist's auch ein französischer Geschmack, aber häßlich!

Warum? wendete er ein. Ich finde das nicht. Es ist blos so bürgerlich angenommen; es ist nur unschicklich durch Vorurtheil. Die Gewohnheit würde Das zu einem reinen, natürlichen Wohlgefallen machen, was durch Verhüllung ein Reiz für die Einen und ein Aergerniß wird für die Andern. Was die Sitte, die Voraussetzung, der reinen Natur für Zwang anthun, siehst du daraus, daß z. B. die türkischen Frauen sogar auch das Gesicht verhüllen müssen, und durch zwei Löcher gucken, die man in die Hülle schneidet, weil sonst die feurigen Augen solche doch einbrennen würden. Vielleicht darf man in guter türkischer Gesellschaft das Gesicht gar nicht Gesicht nennen, wie man bei uns auch das Edelste an der weiblichen Gestalt mit dem Worte Büste bezeichnet. Ich muß immer dabei an die Italiener mit den Gipsfiguren denken: diese verkaufen Büsten. Oder will man etwa durch die Vorstellung von dem rauhen und kalten Gips –

Schweig' und sei nicht unartig! gebot Lina, indem sie gebückt einige Maßliebchen von der Einfassung eines Blumenbeetes pflückte.

Erlaube mir nur noch die eine kunstgelehrte Bemerkung, bat Hermann. Die Bildhauer wollen wahrgenommen haben, daß nur bei ganz vollendeten weiblichen Gestalten der Schulterbau und der Hüftenbau gleichmäßig schön entwickelt seien, in den meisten Fällen aber der eine sich auf Kosten des andern hervorthue.

Jetzt aber ein für allemal genug, Hermann, mit kunstgelehrten und leichtfertigen Bemerkungen! rief Lina mit Ernst, und setzte dann scherzend hinzu:

Hörst du nicht aus der Küche das Brätseln? Laß uns hineingehen! Ich will deiner Naturforschung einen Pfannkuchen als Doctormäntelchen umschlagen, und deine gelehrte Zunge auf das grüne Feld eines Lattichsalats führen. Nun weißt du, was du zu erwarten hast!

Lachend eilte sie voraus, die zwei Tritte der Hausthür hinauf. Hermann folgte mit dem neckischen Ausrufe:

Daß man dich für herrlich gewachsen ansieht, kannst du mir doch und keinem Menschen verwehren, Lina!

 

Das ländliche Abendgericht wurde ziemlich still eingenommen, nachdem Lina, ohne es gegen Hermann auszusprechen, ängstlich auf ihren Mann gewartet hatte. Mit der zunehmenden Dämmerung legte sich eine heimliche Trauer über ihr Herz. Hermann brachte allerlei aufs Tapet, was nicht anschlug; auch die Bitte, noch etwas zu singen, wurde mit vorgeschützter Müdigkeit abgelehnt.

Der Freund empfahl sich endlich mit einer herzlichen Gutenacht, und suchte sein Zimmer auf. Nachdem er hier den Vorhang auseinander geschlagen, der das Bett des Alkovens verdeckte, legte er sich ins offene Fenster und überließ sich beim Ausblick in die sanft athmende Mainacht den Empfindungen, die mit den lauen Luftstößen zu kommen und zu wechseln schienen.

Der Nachthimmel war mit Wölkchen durchsetzt, zwischen denen einzelne Sterne hervorschimmerten. Aus dem Gebüsche schlug eine Nachtigall durch das eintönige Rauschen der entfernten Mühlen. Mit dem Nachtthau sank die Würze nieder, die unter brütender Sonne des Tages aus Gärten, Wiesen und Wäldern aufgestiegen war. Bald ließ sich auch durch die weiche, wehmüthige Stille noch eine menschliche Stimme hören; eine weibliche Kehle, wahrscheinlich aus der Schlafkammer einer Magd, sang nicht ohne Empfindung das einfache Lied:

Arm und klein ist meine Hütte,
Aber Ruh' und Einigkeit
Finden sich auf jedem Schritte,
Folgen der Zufriedenheit.
Laß die Liebe bei uns wohnen,
Die uns Blumenkränze flicht;
Dann beneiden wir die Kronen
Auch der größten Fürsten nicht.

Hermann war bewegt, und hing einer unbestimmten Sehnsucht nach, bis er männliche Schritte vom Wege her vernahm, und Ludwig erkannte, der mittels eines Hausschlüssels einkehrte. Das lenkte seine Betrachtung auf das liebe, befreundete Paar. Ludwig erschien hier auf dem mäßigen Lande sogar noch ernster und zerstreuter, als er ihn vor der Trauung, zwischen Geschäften und häuslichen Vorkehrungen, gekannt hatte. Was konnte ihn nun hier innerlich so beschäftigen, wo er frei von Sorgen war? Dagegen kam ihm Lina blühender, rosiger vor, vielleicht weil er sie zuletzt, in den Stunden der Trauung und des Abschieds, doch ziemlich blaß und gedankenvoll gesehen hatte. Ihrem innern Wesen nach war sie noch so frisch und unbefangen wie vorher; doch schien etwas eigenthümlich Sinniges, eine gewisse feinere und zartere Empfindsamkeit bald der eigenen Hingebung, bald der fremden Auffassung, hinzugekommen. Der junge Philosoph brachte seine Wahrnehmung mit der bekannten Erfahrung in Uebereinstimmung, wornach das Geheimniß der Liebe sich einer reinen Mädchenseele selten ohne wunderbare Verwandlungen offenbart. Da wird oft die Aengstliche muthvoll, die Schüchterne tritt hervor, die Beschränkte zeigt Einsicht und Urtheil, die Ausgelassene gibt sich sanft und zärtlich hin, die Trübselige blickt heiter in die Welt, wogegen die Eitle oder Leichtfertige wol nicht selten auch einen edeln Ernst für das Leben annimmt.

Und könnte es auch anders sein? rief Hermann aus. Wenn die echte Liebe sich darin hervorthut, daß sie eine verlassene Seele in Verbindung mit einer andern, verwandten zur Empfindung und Wahrnehmung des Unendlichen und Harmonischen erhebt, so kann Das nicht ohne Erweiterung ihres eigenen ewigen Wesens bleiben. Sagt doch schon der alte Plato, die Liebe sei die Tochter der Armuth, die den Ueberfluß zum Vater habe.



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