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Siebentes Capitel.
Ein verkehrtes Paar.


Andern Morgens, während Frau Lina im hübschen Hauskleide das Frühstück bereitete, ging aus der Unterhaltung mit ihrem Manne hervor, daß er ihr doch, um auch sein Ausbleiben bis in die Nacht zu entschuldigen, Mittheilungen über die politische Berathung einiger Vaterlandsfreunde gemacht hatte. Es lag nicht in Lina's heiterm Naturell, sich empfindlich zu zeigen, oder verdrossen zu thun; sie beschwerte sich nicht einmal über sein bisheriges Schweigen, sondern nahm seine Nachrichten mit. freundlicher Aufmerksamkeit hin, ohne gerade ein besonderes Interesse an dem Geheimniß zu nehmen, sodaß sie nicht einmal nach einer Erklärung des Widerspruchs verlangte, der ihr in Dörnberg's Stellung zu einem Vorhaben zu liegen schien, das doch ganz nach einer Verschwörung gegen seinen König aussah. Ihre gestern empfundene Kränkung warf sich, wie ein gehobener Krankheitsstoss, von ihrem Ludwig hinweg auf den Gegenstand, dem er sich mit so beeifertem Geheimthun hingab. Sie überlegte nicht, daß ihre Gleichgültigkeit gegen etwas, was Ludwig's Gemüth in so hohem Grad und mit solchem Ernst einnahm, ihn nur immer wieder zurückhaltend machen müsse, oder daß sie durch Theilnahmlosigkeit ebenso leicht, wie Ludwig durch Schweigsamkeit, eine Störung in ihr herzliches Verhältniß bringen könnte. Die höhere Einsicht ging ihr noch ab, daß im engsten Bunde zweier Herzen eben Alles, auch das Geringste, von Beiden getheilt, durchwärmt und in ihr gemeinsames Leben verwandelt werden muß, wenn dies Bündniß für ein ganzes Leben sich gesund und beglückend erhalten soll. Die junge, liebenswürdige Frau befriedigte sich mit dem herzlichen Vertrauen, das sie unbedingt in die Rechtschaffenheit und in die Klugheit ihres Ludwig setzte.

Als man jetzt Hermann die Treppe herabkommen hörte, erklärte Ludwig, daß der Freund von der Sache noch nichts erfahren dürfe; man setze kein Mistrauen in seinen Charakter, wolle aber vor allem abwarten, wie er sich aus der mislichen Verwickelung mit Bercagny losmachen werde.

Gut, lieber Ludwig! sagte sie. Aber mir gefällt es, und ich finde es ordentlich lieb von ihm, wie er sich so ehrlicherweise von polizeilichen Kniffen fangen lassen konnte. Uebrigens hättest du, däucht mich, den Herrn noch gar nichts davon mittheilen sollen, und – weißt du was, lieber Ludwig? Laßt ihn ganz aus euern Heimlichkeiten weg!

 

Eben trat der Besprochene ins Zimmer und machte auf einen fremd aussehenden Mann aufmerksam, der auf dem Wege stehend das Haus betrachtete, und eine eben vorübergehende Bäuerin nach dem Bewohner zu fragen schien. Es war ein schmächtiger Mann mit schneeweißem, aber noch starkem Haar, das Gesicht dunkel und wie von klimatischem Wechsel gefärbt, das Auge lebhaft, keck und unruhig blickend. Das auffallende Aussehen des Fremden, der ein gesunder Siebenziger sein mochte, lag zum Theil auch in seinem Anzuge, der besonders an Hut, Rock und Umschlagstiefeln nach englischem Zuschnitt ebensowol einen gewesenen Soldaten, als einen Jäger vermuthen ließ. Als er, ein thönernes Pfeifchen im Munde und die Hände auf dem Rücken gekreuzt, weiter ging, verriethen die Bewegungen einen noch behenden, kraftvollen Mann, der nur die Schultern, wie ein bequemer Reiter, etwas überhangen ließ.

Lina und Hermann waren ans Fenster getreten, ihm nachzusehen. Ludwig, der sich geflissentlich zurückgehalten, sagte jetzt mit einer eigenthümlichen Befangenheit, die seiner Frau nicht entging:

Ich kann euch verrathen, wer es ist. Er war gestern Abend beim Oberforstmeister, und seine anziehenden Erzählungen haben mich eben solange aufgehalten. Es ist Oberstlieutenant Emmerich, ein berühmter Parteigänger und höchst merkwürdiger Mensch, der ein sehr wechselndes, zum Theil waghalsiges Leben geführt hat. Ein Förstersohn aus dem Hanauischem ward er, etwa 19 Jahre alt, vom Grafen Isenburg, als derselbe vor nun bereits 52 Jahren ein hessisches Truppencorps nach England führte, mitgenommen, und trat als Jäger in die Dienste des Herzogs von Cumberland. Dieser übernahm ein Jahr darauf das Commando der verbündeten Armeen in Deutschland, und hier trat der junge Emmerich als Freiwilliger in das neuerrichtete Jägercorps des Grafen von Schulenburg. Eine Reihe tollkühner Handstreiche und glücklicher Unternehmungen machten ihm als Parteigänger während des Siebenjährigen Kriegs einen Namen, sodaß ihn Friedrich der Große nach dem Frieden als Forstmeister und Domänenrath anstellte. Der unruhige Mann hielt sich aber nicht, sondern ging nach England, um ein altes Guthaben einzutreiben. Statt dessen gab man ihm eine Stelle in des Königs Forsten. Aber der ausgebrochene amerikanische Krieg lockte ihn bald wieder zu Waffenunternehmungen, und auch drüben, in der Neuen Welt, ward er durch seine rasch und unerwartet ausgeführten Wagstücke ein gefürchteter, ja ein fabelhafter Mann. Er kehrte zurück mit neuen Foderungen an die englische Regierung, konnte dieselben aber so wenig wie die ältern geltend, heißt das – zu Geld machen. Seitdem lebt er, wie mir scheint in dürftigen Umständen, zu Köln, oder führt vielmehr von dort aus ein unstätes Leben, – alt, aber noch immer voll Unruhe und auf Abenteuer ausgehend.

Hermann hatte mit Verwunderung, Lina nicht ohne einige Besorgniß zugehört. Der Gedanke beunruhigte sie, daß der Fremde eben auch Antheil an der Berathung und den Absichten der homberger Freunde nehme. Wohin konnte aber ein solcher abenteuerlicher Mann, der sein Leben, aber nicht seine Tollheiten hinter sich hatte, auch die beste Sache wenden, und selbst die Klugen und Besonnenen mit sich fortreißen? Sie nahm sich vor, ihren Ludwig zu warnen oder sich von ihm beruhigen zu lassen.

Unter dem Frühstück überbrachte die Bötin des Orts einen Brief an Lina von ihrer Mutter. Es betraf einige bei Hermann's eiliger Abreise vergessenen häuslichen Bestellungen, und als Hauptanliegen die Nachricht, daß von der Polizei aus sehr dringend nach dem Herrn Doctor geschickt worden sei. Ein fein gekleideter, aber sehr unangenehmer Mann sei da gewesen, und habe sehr wichtig gethan. Wenn's nur kein Verdruß für den lieben jungen Herrn ist, schrieb die Mutter. Der Herr von der Polizei schnitt gar bedenkliche Gesichter, und hinterließ mir die ganze Stube voll Geruch von »O der Bougre«.

Was ist das? fragte Hermann, und Lina, nach einigem Räthseln in herzliches Lachen ausbrechend, versetzte:

Nein, das ist aber köstlich! Die gute Mutter! Hört nur die drollige Verwechselung! Ich habe jüngst einmal einer hausirenden Französin, einer sehr hübschen Person, ein Fläschchen Eau de bouquet abgekauft, und das hat die gute Mutter dem Gehör nach in »O der Bougre« verwandelt.

Aber der Misverstand ist zufällig treffender als ihr denkt, lachte Ludwig. Ich errathe, daß es der geheime Polizeiagent Würtz ist, der sich gewöhnlich parfümirt, ein recht widerwärtiger Schurke!

Hermann war doch in einiger Unruhe und wollte gleich morgen früh zurückkehren. Lina suchte ihm die Sache leicht zu machen.

Laßt uns hinaus in den Garten gehen! sagte sie. Ich will dir sagen, Hermann, warum es besser ist, daß du noch ein paar Tage bleibst und diesen Bercagny zappeln lässest. Ich besorge, du hast noch immer die freie Fassung und Laune nicht, den Mann recht schlau und geschickt abzufertigen. Dein Gemüth ist noch zu sehr gegen ihn eingenommen; jedes Wort von ihm kann dich aufbringen und über deine Absicht hinausreißen.

Lina hat Recht, fiel Ludwig ein. Du darfst dir um Alles den Mann nicht zum Feind machen.

Während sie im Garten die Sache weitläufig verhandelten, kam Oberst Dörnberg auf seinem Morgenritt von Homberg her vorüber, grüßte und wechselte einige freundliche Worte über das Stacket. Weiter reitend zog er die Unterhaltung nach sich. Hermann erhob das stattliche und bedeutende Aussehen des Mannes, und fragte nach dessen Familie und bisheriger Stellung.

Es ist eine altritterliche hessische Familie, berichtete Ludwig, schon früh von Einfluß und Vermögen. Unser Oberst diente in der preußischen Armee und ward 1806 mit dem Blücher'schen Corps gefangen genommen. Nachmals frei gelassen, kehrte er nach Hessen zurück, und kam nach Allendorf, wo ein kleiner Aufstand zu Gunsten des Kurfürsten erhoben, aber bald unterdrückt worden war. Er brachte dann Frau und Kinder zu seinem Schwager Laffort nach Wittorf, und ging über Schleswig nach England. Hier knüpfte er einflußreiche Verbindungen an – mit Lord Castlereagh und Cathcart, mit dem russischen Minister von Alopeus, dem hannöverschen Grafen von Münster und andern hochgestellten Staatsmännern. Bis er von dort zurückkehrte, war die preußische Armee bekanntlich sehr vermindert worden, und da auch der neue König Jerôme alle Eingeborenen seines Reichs bei Verlust ihrer Güter einberief, so kam Dörnberg wieder nach Hessen. Im Stillen entschlossen, unter der Fremdherrschaft für das Beste seines Vaterlandes thätig zu sein, wollte er Maire in Hausen werden, wo in schöner Bergumgebung ein Dörnberg'sches Schloß liegt. Er stellte sich dem Könige vor, gefiel begreiflicherweise durch seine ausgezeichnete Persönlichkeit, und ließ sich bewegen, die Stelle eines Bataillonschefs in der Grenadiergarde anzunehmen. Soeben ist er zum Obersten der gelernten Jäger, der Chasseurs-Carabiniers, befördert worden, und kehrt morgen zu seinem Regiment zurück.

Lina nahm des Augenblicks wahr, um darauf hinzudeuten, welch' ein wirksamer Platz ihr dies für einen Mann von Dörnberg's Verbindungen und Absichten scheine.

Nicht wahr, Ludwig, setzte sie mit bezüglichem Blick hinzu, bei einem Mann wie Dörnberg ist auch nicht zu fürchten, daß er sich von dem alten Emmerich zu einem tollen Wagstück hinreißen lasse?

Ludwig, indem er ihr Stillschweigen zuwinkte, versetzte nur scherzend:

Ein Oberst, liebe Lina, steht nicht unter einem Oberstlieutenant, weißt du, und Dörnberg sieht nicht darnach aus, sich reißen zu lassen!

Er lenkte die Unterhaltung auf andere Gegenstände, bis Lina nach ihrem Zimmer ging, sich zum Mittagessen im Stift anzukleiden.

 

Als eine Weile darauf beide Freunde zu gleichem Zweck den Garten verließen, fand Ludwig seine Frau im quadrillirten grünen schottischen Tafftkleide, das in Stoff und Zuschnitt nach der Mode des Tages ganz neu und ein Geschenk seines Geschmacks war.

Ha! rief er vergnügt aus, endlich kommt's doch einmal dran!

Still nur Ludwig, still! versetzte sie etwas hastig und befangen. Ich weiß schon, daß du das ausgeschnittene Kleid meinst. Aber – hast du mir's nicht selbst wider meinen Willen eingepackt! Ich kann die Mode nicht leiden, weißt du; da jedoch sogar die ältern Stiftsdamen – Oder – meinst du, ich soll's lieber nicht anziehen? Sag's nur!

Ei, du hast ja ganz Recht, und es ist mir lieb, lachte er, daß du es endlich einmal anziehst! Wozu die Erklärungen? Hab' ich dich nicht schon oft gequält, daß du dich jetzt mehr nach dem Geschmack und der Mode des Tages und unsers Standes richten müssest? Es freut mich, und du gefällst mir so, und – kannst dich auch sehen lassen, Herzens-Linchen! Zeig' einmal!

Geh' fort, Ludwig! rief sie erröthend und mit vorgestrecktem Arm den Schmeichler abwehrend. Nur bitt' ich mir's aus – du darfst mich nicht vor Hermann – und vor gar Niemand damit necken, daß ich das Kleid zum ersten mal heut –

Sie schwieg, indem sie unruhig und heftig an der Halsschnur von Perlen häkelte, die sich – vielleicht aus Eifersucht auf den glänzenden Nacken – nicht sogleich fügen wollten.

Wie kommst du nur darauf, liebe Lina? fragte er lachend.

O mein Schatz, wir kennen uns! rief sie unruhig und verlegen. Du kannst mich manchmal mit Kindereien necken. Ich weiß – du meinst es lieb; aber – es setzt mich doch in Verwirrung!

Geh', geh' doch, Linchen! Das ist meine Art gar nicht, versetzte er. Das Kleid, scheint's, macht dich ein wenig verwirrt.

Das Kleid? Ich glaube du bist nicht klug! erwiderte sie lebhaft.

Sie warf dann ihr Tuch um, und umarmte ihn, indem sie freundlich hinzusetzte:

Ich bin jetzt fix und fertig! Nun staffire dich einmal heraus! Ich denke, mit dem grünen Frack und der zweifarbig gestreiften Cordelineweste, – Jabot heraus, und den Haarbusch des Titus seitwärts aufgebürstet – ein coup de vent, wie's der Friseur nennt! – –

 

Die geputzten Drei verließen zeitig die Wohnung, um bei etwas schwüler Luft gelassenen Schrittes die Stadt zu erreichen. Eine günstige Wolke vor der Sonne begleitete sie mit ihren Schatten, ein schmeichelndes Mailüftchen umfächelte sie. So kamen sie nach Homberg.

Das Stift mit seinem ausgedehnten Garten – seitdem von den Damen verlassen und in ein Schullehrerseminar verwandelt – lag in der untern Stadt an der sogenannten Freiheit, zwischen dieser und der nach dem nahen Stadtthor führenden Straße. Der leichte Bau mit seinen drei einander überragenden Stockwerken und zwei Seitenerkern wendete seine Vorderseite dem kleinen Hof und den Gartenterrassen zu. Die unterste Terrasse, mit dem untern Stock des Hauses von gleicher Höhe, führte ihre Blumenstücke, Rasenplätze und Lauben längs der Freiheiterstraße hin. Der folgende Erdwall erhob sich mit Bosketen und einem Gartenhause, und die beiden noch höhern dienten zu reichlichem Gemüßbau, und reichten an die breite Stadtmauer, die von neugierigen Nachbarn zuweilen zur Promenade benutzt wurde. Es fehlte nicht an Obstbäumen und Weinreben, die an Mauern und Spalieren gezogen wurden. Die eigentlichen Oekonomiegebäude störten die Ruhe und das Behagen der Damenwohnung nicht, indem sie seitwärts und durch die nordöstliche Thorstraße getrennt lagen – Remisen, Scheuern und Stallungen für Wagenpferde und Milchvieh.

Die Freunde wurden von der Frau Dechantin im untern Garten empfangen. Sie hatten von der obern Stadt herab ein auffallend gekleidetes Paar kommen sehen, das die lächelnde Aufmerksamkeit der Menschen hinter sich zurückließ.

Es werden auch liebe Gäste sein, sagte Marianne Stein, und da in diesem Augenblicke das Paar zum Vorschein kam, setzte sie lächelnd hinzu:

Richtig! Sie sind's – Philippine von Calenberg aus dem Stifte Fischbeck und Otto von der Malsburg, zur westfälischen Gesandtschaft in München gehörig –, liebe Menschen, aber eine etwas wunderliche Freundschaft! Sehen Sie nur, wie viel sie sich zu sagen haben!

Während Beide in traulichem Gespräch alle paar Schritte stehen blieben, ließen sie sich genauer betrachten. Die Dame ging in einem modischen weißen Filochekleide mit gestickten Streifen, die aus lauter in einander laufenden rothen und silbernen Herzen bestanden; ihr weißer Hut war mit Stroh wie ein Blumenkörbchen voll eingelegter Rosenguirlanden eingefaßt. Sie mochte einige und vierzig alt sein, stark und breitschulterig gebaut, mit antik geformtem Kopfe, geistreichen Augen, kluger Stirne und lebhaften Gesichtszügen. Auffallend war die Oberlippe durch einen Schmuck dunkler Härchen ausgezeichnet, wie solche kaum so stark bei Frauen südlicher Länder vorkommen. Ihr Begleiter, vielleicht soviel in die zwanzig, als sie in die vierzig alt, sah blaß und schmächtig aus, besonders in der dicken weißen Halsbinde mit aus einander gezupfter Schleife. Seine aristokratischen Formen hatten etwas Zartes, Schmachtendes, ja Frommergebenes; seine Züge verriethen Herzensgüte und unter dem Sprechen ein schalkhaftes Lächeln des Witzes.

Beide führen einen poetischen zärtlichen Briefwechsel, sagte die Dechantin, und haben sich kürzlich zu einem Rendezvous in Cassel zusammengefunden, woher sie jetzt einen Ausflug zu befreundeten Familien auf dem Lande machen.

Eben traten sie ein, und in der Art, wie sie sich darstellten, gingen sie sehr aus einander. Dem jungen Diplomaten fehlte es nicht an Weltmanieren, die aber etwas zart Befangenes hatten. Die Calenberg stürmte dagegen, süßlich exaltirt, in ungraziösen Bewegungen auf die Begrüßten los.

Die Unterhaltung bei Tafel, nachdem sich der Oberst von Dörnberg ebenfalls eingefunden, lief anfangs in lebhaftem Wechsel über verschiedene Gegenstände, bis das fremde Paar sich der artigen Aufmerksamkeit der kleinen Gesellschaft bediente, um in seiner Sentimentalität sich des Gespräches fast ausschließend zu bemächtigen. Otto Malsburg erzählte von München und wie sehr ihn anfänglich der allzu freie Ton der leichtfertigen Societät entsetzt habe.

Es hat aber gar nichts an unserm lieben Otto verdorben, beste Marianne! versicherte die Calenberg gegen die Dechantin. Ich finde noch ganz die alte Reinheit und Innigkeit in seinen Briefen, wie in seinem Umgang.

Dank dem Himmel, der mich auch bei Zeiten in einige edle und zartgebildete Familien jener lustigen Stadt gerettet hat! erwiderte der junge Legationssecretär.

Und liebenswürdige Frauen walten darin, mein theurer Otto? fragte sie mit einem Tone, der nicht ganz frei von Eifersucht der Freundschaft schien.

Bin ich nicht von Kindesbeinen auf von Frauenhänden geführt, an das edle, sorgendtreue, liebebildende Geschlecht gewiesen, theure Philippine? entgegnete er. Ich rede nicht blos von meiner amerikanischen Mutter, der wackern Tochter Sir Ch. Eggerton-Leights, deren kränkliches Kind ich war; nicht von der seligen Tante, jener in ihrer steten Leichenblässe mir unvergeßlichen Frau meines edeln Oheims, die durch ihre wunderbare Stimme früh die Liebe zum Gesang in meiner Seele weckte. Mit dieser Liebe regte sich ebenso bald in mir der Trieb zu dichten. So darf ich wol mein Träumen während der langwierigen Drüsenleiden meiner Kindheit nennen. Ausgeschlossen von den wilden Spielen der Knaben war ich in mein Inneres, zu denken und zu dichten, getrieben. Eine schwere, schmerzliche Cur gab meinem jugendlichen Geiste die ernste Stimmung, die zu mildern Sie, theure Philippine, mir vom Himmel zugeführt wurden.

Nun ja, mein Otto, versetzte die Calenberg. Ein eigenes Verhängniß trat mit den reinsten Bezügen des Familienlebens zwischen uns, und vermittelte das herzliche Vertrauen; Ihnen fehlte nämlich die Schwester, ich hatte keinen Bruder.

Bei diesen Worten begegneten sich die lächelnden Blicke Lina's und Hermann's, die einander gegenüber saßen; Lina rechts dem Obersten, Hermann links der Stiftsdame von Uslar. Ueberhaupt ging ein lebhaftes Kreuzfeuer schalkhafter Blicke zwischen den zuhörenden Gästen; denn bereits fuhr der Gesandtschaftsattaché fort:

Aber Sie vergessen ein Zweites, Philippine: unsere poetische Verwandtschaft. Wir lasen zusammen, wir tauschten unsere lyrischen Versuche aus. Und zuletzt haben Sie mir noch die befriedigendste Aufgabe für meine ganze poetische Zukunft gestellt; Sie haben mich zu Calderon geführt, und ich verdanke Ihnen meine seligsten Stunden. Wie entzückt, wie erfüllt mich diese von Wundern getragene, vom Glauben verklärte Welt jenes poetischen Genius, der seine Bühne zwischen dem Theater und der Kirche schwebend erhält! Seitdem lebt und webt mein Geist in Spanien und im Dienste dieses »Königs der spanischen Bühne«, wie ihn seine Landsleute so treffend bezeichnen.

Mit vergnügtem Lächeln versetzte hierauf Philippine gegen die Tischgenossen gewendet:

So erkennt manchmal ein weibliches Herz das wahre Geistesbedürfniß eines lieben Freundes besser als er selbst. Die oft angefachte Andacht zu Goethe wollte doch bei Otto immer nicht recht verfangen. Die Welt unsers Dichters lag ja auch nicht unter so christlichem Himmel, wie Calderon's. Damals, als ich Sie mit diesem erhabenen Genius bekannt machte, lieber Otto, mit Calderon, kannte ich ihn nur aus den wenigen Stücken, die August Wilhelm Schlegel so vortrefflich übersetzt hat; jetzt lese ich ihn in seinem eigenen herrlichen Spanisch.

Und werden mir bei meiner Uebersetzung rathen und beistehen können. Sie sind so glücklich in Reimen und Assonanzen, theure Philippine!

Mit vergnügtem Lächeln wendete die Belobte sich an die Dechantin:

Sie kennen wol noch nichts von Calderon, liebe Marianne?

Und als diese verneinte, fuhr sie fort:

Es ist auch eine ganz neue Eroberung, die wir in Spanien gemacht haben. Aber Sie denken sich gar nicht, welche wunderbare Dramen dieser göttliche Poet gedichtet hat. Ich werde Ihnen die Schlegel'sche Uebersetzung mittheilen. Ich lebe und webe ganz in Spanien.

Wir auch, meine Gnädige, nur in andern Stücken! bemerkte Dörnberg ironisch.

Wirklich? erwiderte sie, in ihrem Eifer misverstehend.

O ja, die Spanier sind außerordentlich reich an dramatischen Sachen. Auch über Calderon's Stücke kann man verschiedener Meinung sein, indem einige »Die Andacht zum Kreuz«, andere »Die Brücke von Mantible« oder »Der standhafte Prinz« vorziehen; soviel ist aber gewiß, daß in Deutschland »Das Leben ein Traum« das größte Glück machen muß.

Das war aber für Dörnberg's Geduld zuviel. Sonst von ritterlicher Artigkeit gegen die Damen und mit seinen Gedanken schweigsam wie ein Oranien, konnte er mit seinem Spott nicht mehr an sich halten.

Was Sie sagen, gnädige Calenberg! rief er aus. Das Leben ein Traum? Was doch unser alter Adel sich so verdient um die Welt macht durch so zeitgemäßes Uebersetzen! Wir besitzen ein altes deutsches Original- oder Nationalstück – »Träumerei ein Leben« geheißen. Damit ist es aber nun aus, seitdem uns die dickste, derbste Wirklichkeit mit Kürassirregimentern und Vierzigpfündern über den Nacken stürmt, und unsere sentimentale Haut zu ihren Trophäen verarbeitet. Wie gut, wenn Sie uns nun dies harte Leben zu einem Traum übersetzen! Irre ich aber nicht, so zieht dies Stück in Spanien selbst nicht mehr. Sie haben jetzt dort ein ganz neues, das sie aufführen: Das Leben ein Kampf. Nun ja, das wäre nun schon eher nach meinem rohen Geschmack. Was meinen Sie, gnädige Dechantin, wir sind ja doch auch von Adel, und sollten etwas für die unglückliche Zeit thun: wollen wir uns nicht etwa ins Spanische übersetzen?

Die Dechantin hoffte durch einen Scherz den guten Ton wieder herzustellen, und sagte lächelnd:

Sie vergessen, lieber Oberst, daß ja schon mit einem westfälischen Bataillon leichter Infanterie der Anfang gemacht ist. Vielleicht folgen die Chasseurs-Carabiniers nach, und ich wäre selbst verlangend zu vernehmen, ob der Oberst derselben gereimt oder ungereimt ins Spanische käme.

Jedenfalls in Assonanzen! rief Dörnberg, und müßte ich den Beistand unserer darin so glücklichen Stiftsdame Calenberg in Anspruch nehmen. Sind Sie auch für das Spanische, oder für – Leben ein Traum, Herr Heister?

Verzeihung, Herr Oberst! versetzte Ludwig. Ich bin vielmehr der Meinung, daß es an der Zeit wäre, zu erwachen, und wenn wir nicht ganz für verschlafen gelten wollen, – daß wir aufstehen.

Eine augenblickliche Pause der Verlegenheit entstand, bis die Dechantin halb ernsthaft, halb scherzhaft sagte, indem sie sich erhob:

Wie die Herren befehlen; ja, wir wollen aufstehen. Das Dessert ist zwar noch zurück, wir können es aber auch im Garten nehmen, wohin ich ohnehin zum Kaffee bitten wollte. Es ist auch gar schwül hier geworden; das macht etwas ungeduldig!

Sie befahl dem aufwartenden Diener, das Dessert in den Garten zu schaffen, gab dem Obersten den Arm und ging mit einladender Bewegung gegen die Uebrigen voraus.

Unterwegs sagte sie:

Sie sind ein wenig zu rauh mit der guten Calenberg umgegangen, lieber Dörnberg. Ich habe Sie gar nicht wieder erkannt.

War's denn auch zum längern Aushalten? versetzte er. Sagen Sie mir, was ist das für ein Verhältniß zwischen diesen zwei so ungleich aussehenden Menschen, die sich gefunden zu haben scheinen, um ein verkehrtes Paar zu spielen? Muß denn die alte Schwärmerin den jungen, unzeitigen Menschen mit süßen Redensarten verzärteln, wie man unreife Wallnüsse mit Zucker einmacht? Erkräftigen sollte sie ihn mit ihrer Freundschaft. Du Sprößling einer alten Ritterfamilie, sollte sie ihm sagen, laß die Andacht zum Kreuz jetzt, wo soviel hoher Adel vor diesen übermüthigen Franzosen zu Kreuz kriecht; laß die Brücke von Mantible und werd' ein Mann, oder – ich, ich übernehme den Bart!

Herr von Dörnberg! rief mit verweisendem Tone die kleine Dechantin, und der Oberst neigte sich auf ihre Hand, indem er artig sagte:

Verzeihung, meine gnädige Freundin! Aber – ich dachte, eine so ungewöhnliche Naturgabe, wie der Calenberg verliehen ist, dürfte für eine höhere Bestimmung gelten wollen, als für das Zeichen eines Talents zum Uebersetzen!



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