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Zehntes Capitel.
Eine Warnung.


Hermann kam in großer Aufregung nach Hause. Der Zwang, den er seinen Empfindungen angethan, war unerwartet in einen wahren Triumph umgeschlagen. Ohne den Rath seiner Freunde aus den Augen zu setzen, hatte er doch seinen eigenen Sinn geltend gemacht. Diesem schmeichelhaften Ausgang hing er mit lebhafter Selbstzufriedenheit nach, indem er mit großen, festen Schritten im Zimmer auf- und niederwandelte. Besonders ergötzte er sich an der Erinnerung, wie Bercagny, im Augenblicke, wo er ihn auf geheimen Verbindungen zu ertappen dachte, sich selbst in seiner verschlagenen Absicht verrathen hatte.

Du hast auch diesmal Recht, guter Sancho Pansa, lachte er: Mancher geht auf Wolle aus, und kommt geschoren zurück.

Aus diesen Nachträumen wurde er zu Tische gerufen. Er aß nämlich jetzt mit seiner Hauswirthin, nach einer Veranstaltung Lina's, die bei ihrem Scheiden befürchtet hatte, die alte gute Mutter möchte für sich allein zu sorgen nicht der Mühe werth halten, und wenn ihr das liebe Kochen und Backen keine Freude mehr machte, nach und nach verdrießlich werden. Und Hermann, von Natur und durch das Vielerlei, was aus der neuen Umgebung auf ihn eindrang, etwas träumerisch gestimmt, ließ sich gern gefallen, eine Treppe unter seiner Wohnung Das mit Bequemlichkeit zu finden, was ihn sonst zur Stadt London zu gehen genöthigt hatte.

Bei Tische mußte er noch mehr von Homberg erzählen. Mutter Wittich fragte nach Allem und Jedem, und so auch nach dem Friedensrichter Martin. Hermann hatte von ihm reden gehört, ihn aber nicht kennen gelernt. Die Alte war einen Augenblick bedenklich still. Doch das einsame Schweigen der letzten verlassenen Tage war ihr so drückend geworden, daß ihre zurückgehaltene Redseligkeit sich nun auch über die kleinen Geheimnisse ergießen mußte, die ihr anvertraut waren.

Dieser Martin, sagte sie leiser, als ob es Jemand hören könnte, ist auch ein guter Kurfürstlicher. Er war Auditeur, als der Herr fliehen mußte, und hat ihm die Regimentskasse heimlich nach Holstein nachgebracht.

Das wird den Herrn sehr gefreut haben, meinte Hermann.

Ja, antwortete sie, er war nur ein wenig ungnädig darüber, daß es blos die Eine war. Aber, um Gotteswillen, das Alles ist ein Geheimniß!

Als ihr Hermann lächelnd versicherte, daß er ihr Vertrauen heilig halten würde, fuhr sie fort.

Ich weiß, Sie sind ein braver, ehrlicher Mensch, und zumal ein Pfarrerssohn. Sie können denken, daß der Kurfürst hier einen geheimen Anhang hat, von welchem eine Verbindung der treuen Althessen mit dem angestammten Landesherrn unterhalten wird. Mein Mann selig, wenn er noch lebte, würde dabei nicht fehlen; denn mehre seiner besten Freunde gehören dazu. Ich weiß auch, daß Alles gethan wird, ihn wieder ins Land zurückzubringen. Aber die Sache ist ein tiefes Geheimniß, und hat ihre heimlichen Schleichwege. Mein Schwiegersohn weiß Alles, und gehört zu den Vertrauten; aber er theilt mir gar wenig davon mit und sagt nur immer: Mamachen, viel Wissen macht Kopfweh. Auch möcht' ich gar nicht Alles wissen; es beschwert Einem oft das Herz, wenn es auch gerade kein Kopfweh macht. Soviel ist mir aber doch bewußt, daß eine geheime Commission besteht, die Alles besorgt. Der Herr Regierungsrath Schmerfeld, den Sie ja auch kennen, gehört dazu, und der frühere Cabinetskassirer Kauz und der Kriegsrath Buders. Ein merkwürdig geschickter Mann, dieser Buders, besonders in Ziffern! Diese Männer führen eine Correspondenz mit dem Kurfürsten.

Aber schwerlich durch die Post? fragte Hermann.

Bei Leibe nicht! antwortete sie. Die Post wollte, noch ehe unser König angekommen war, mit den Briefen aus und nach Itzehoe gar nichts mehr zu schaffen haben. Denken Sie sich, ich komme einmal mit meiner Tochter etwas spät nach Hause, es wird so zu Anfang Decembers vorigen Jahrs gewesen sein, und finde einen versiegelten Brief zwischen die Klinke der Stubenthür gesteckt. Wir erschraken erst und dachten, es wäre auf Schmähung oder Kränkung gemeint; aber es waren Wechselchen auf meine rückständige Pension. Das ließen wir uns schon gefallen! Wie und woher aber – ja, das weiß ich zur Stunde noch nicht. Jetzt geht Alles regelmäßig durch einen gewissen Herrn Kriegsrath und einen ehemaligen Hofagenten Moses. Die versammeln sich auch regelmäßig und halten Berathung, versteht sich selten, und von wegen der vielen heimlichen Polizeispione mit der größten Vorsicht. Begreiflich! wie mein seliger Mann sagte. Aber, bei Kriegsrath fällt mir ein, muß ich Ihnen doch vom alten Lennep, – oder war's der Kriegsrath Engelhard, ein drolliges Geschichtchen erzählen. Der hatte einen immer wiederkehrenden Heißhunger, konnte für drei Mann essen, und blieb doch immer mager dabei. Als Vorsitzender im Kriegscolleg hatte er einmal einen Regimentsauditeur zu beeidigen. Ich muß aber vorausschicken, daß der Herr Gouverneur, General von Wurmb, Mitglied war, und sein zweites Frühstück im Sitzungszimmer einzunehmen pflegte. Justement nun, wie der Vorsitzende dem Verpflichteten vorsagt: »Ich gelobe und schwöre« – wird für den Gouverneur ein großes Stück warmen Speckkuchens hereingebracht; der Herr Engelhard, oder wars Herr Lennep, bekommt den Geruch davon, der Heißhunger ist da, und der offene Mund bringt kein Wort mehr hervor. Erst als der Pedell den Speckkuchen wieder hinausgebracht hat, kommt das Geloben und Schwören wieder in Gang. Ist das nicht spaßhaft?

Hermann lachte ihr beifällig zu. Solche Geschichtchen und Anekdoten, die den frühern Zustand in Cassel charakterisirten, waren ihm schon des Contrastes wegen interessant, den sie zur Gegenwart darboten.

Inzwischen fuhr die plaudernsvergnügte Alte fort:

Mein seliger Mann hätte Ihnen erst Geschichtchen erzählen können, zumal vom Hofe des Landgrafen Friedrich. Damals war schon einmal ein gar lustiger Hof in Cassel. Alles sprach auch französisch in den adeligen Familien; denn der Landgraf liebte die Sprache, und zog französische Gelehrte und Künstler um sich her.

Ja, Friedrich war in diesem Punkt, nach Allem, was ich gehört habe, ein kleiner preußischer Fritz! bemerkte Hermann.

Ja, sie lebten ja auch zu gleicher Zeit und in guter Freundschaft, sprach die Alte weiter. Damals gab's Lustbarkeiten bei Hof und Verdienst in der Stadt. Hatte der Herr Geld, so hatte es die ganze casseler Welt. Und das ist immer erfreulicher, als wenn's der Fürst allein hat, wie es bei seinem Sohn, dem jetzigen Kurfürsten, der Fall war. Der lebte mit seiner Gemahlin in getrennter Hofhaltung still und dunkel, sparte, und haßte alles Französische. Und nun muß doch eben er es erleben, was mein seliger Mann öfters sagte: Was die großen Herren französisch einbrocken, sagte er, wird das Volk einmal französisch aufessen müssen.

 

Der einfache Tisch war bald abgethan, und es drängte den jungen Freund, Luisen nicht länger über den Ausgang seiner Angelegenheit mit Bercagny in Ungewißheit zu lassen. Er konnte sich ihr Befremden denken, daß er, statt die Sache nach ihrem Rath am Morgen nach der Illumination zu erledigen, einem Einfalle des Spätabends gefolgt und auf's Land geeilt war. Sie hatte nämlich die Ansicht gehabt, Hermann müsse nach klar gefaßter Ueberlegung rasch zu Werke gehen, ehe er durch wiederholtes Bedenken zweifelhaft oder ängstlich werden könnte; während im Gegentheile die Freunde auf dem Land seine Schritte zu verzögern suchten, weil sie ihn freilich schon unsicher und uneinig mit sich selbst fanden.

Hermann traf die Familie Reichardt noch bei Tische und zu seiner Verwunderung den Baron Rehfeld als Gast.

Aha! rief der Kapellmeister mit angeglühtem Gesicht, da kommt er doch noch zum Nachtische, der geheime Ausreißer! Wir hörten, daß Sie dem Herrn Baron bekannt sind und wollten Sie drum auch zur Suppe mit ihm haben; aber – fort waren Sie, aufs Land gelaufen!

Geritten, Herr Kapellmeister! erwiderte Hermann aufgeräumt. Ich komme mich zu entschuldigen, daß ich es so verstohlen gethan. Ich konnte die Illuminationsnacht nicht schlafen, und hatte einen großen Sprung vor, zu dem ich einen weiten Anlauf für räthlich hielt, und – es hat gut gethan!

Er begleitete das letzte Wort mit einem bedeutsamen Blick für Luisen, die freilich schon aus seiner vergnügten Stimmung sich das Beste gedeutet hatte.

Hermann betrachtete den Baron und konnte nicht gleich finden, was ihn an demselben so befremdete. Er sah jünger und angenehmer aus und war geschmackvoller gekleidet, sodaß man ihn einen hübschen Mann nennen mußte. Hatte er früher in Haltung und Bewegung sich etwas läppisch gehen lassen, so war jetzt im gewählten Civilkleide der Militär nicht zu verkennen.

Reichardt, der Hermann's Verwunderung bemerkte, rief lachend aus:

Nicht wahr, Sie finden es auch? Der Herr Baron hat einen neuen Menschen angezogen, er hat sich den Tugendbund abrasirt, und bekennt sich zum Orden der Hieronymiten. Heißt das, er wird ein Tugendprüfer werden.

Rehfeld erzählte dem jungen Freunde mit wenigen Worten die Aeußerung Jerôme's und des Legionschefs der Gendarmen über die Bedeutung des Kinnbartes, und sagte dann lachend:

Nun bleibt mir allerdings nichts übrig, als mich zu tragen und zu geberden wie Diejenigen, die in Cassel – zu keinem Tugendbund gehören.

Bravo! rief der Kapellmeister. Nehmen Sie Revanche, Sie ausgetriebener Tugendbündler, und machen Sie es wie der ausgetriebene böse Geist im Evangelium, der um Erlaubniß bat, unter die – Hofdamen zu fahren. Geben Sie Acht, lieber Hermann, der Baron verführt dem guten Jerôme jetzt die Liebste von seinen Tugendlosen!

Er soll jetzt nur nicht mit allzu kühner Zunge trotzen! warnte Luise.

Durch Hermann's Eintritt war ein vertrautes Gespräch unterbrochen worden. Reichardt nahm es nun wieder auf, indem er dem eingerückten Nachgaste zu den ihm von der Hausfrau angebotenen Dessertschüsselchen ein Glas alten Rheinweins einschenkte.

Der kann uns schon mitanhören, Herr von Rehfeld, wenn wir raisonniren, sagte er. Er ist zwar kein Politicus, aber als Philosophus doch ein ehrlicher Bursche und kein Hasenfuß.

Sie sprachen über Spanien und über die Fortschritte der Aufständischen. Denn die Stürme, die zuerst in Madrid gegen den wetterwendischen König Karl ausgebrochen waren, als er erst zu Gunsten seines Sohnes Ferdinand resignirt und dann unter Beistand der Franzosen seine Thronentsagung widerrufen hatte, breiteten sich jetzt, nachdem er die Regierung vollends mit allen Rechten seines Hauses an Napoleon abgetreten, zu einem allgemeinen Aufstande der Nation mit jedem Tage weiter aus.

Und wer hat diesen entsetzlichen Krieg veranlaßt? rief Reichardt. Ein sogenannter Friedensfürst, dieser Günstling Godoy, dieser Hörnerlieferant des Königs. Ein hübsch gewachsener Mensch, der zur Guitarre einnehmend sang, schlüpft durch Ohr und Auge in der Königin Herz, und setzt, zu Macht und Einfluß gelangt, ein ganzes Land in lauter Dissonanzen. Verfluchter Musikant, der Klimperer! Ganz Spanien wird eine Vendée, der Krieg des Volks gegen die Fremden ein Kreuzzug, vencer o morir die Losung, wenn nicht etwa der jüngste lächerliche Erlaß – den Patriotismus niederschlägt. Gebt einmal her!

Luise reichte ihm das jüngste Blatt des westfälischen Moniteurs, in welchem ein Circular des Inquisitionsconseils an die Gerichtshöfe des Reichs abgedruckt war. Der aufgeregte Mann las bald in der linken französischen, bald in der rechten deutschen Spalte dieser in Cassel erscheinenden Zeitung die Erklärung jener hohen spanischen Behörde, daß es der Regierung allein gebühre, auf eine gleichmäßige Weise die Vaterlandsliebe des Volks zu leiten. Aufrührerische Bewegungen, weit entfernt, die Wirkung einer richtig geleiteten Volkstreue hervorzubringen, würden nur dazu dienen, das Vaterland ins Verderben zu stürzen, weil das Band des Gehorsams, auf dem das Glück der Staatsgemeinden beruhe, aufgelöst und das Vertrauen, welches man in die Regierung setzen müsse, zerstört werde.

Ist das nicht köstlich? rief Reichardt; hat man je solch' eine geschminkte Naivetät erlebt? Denkt euch einmal, daß Berlin geleitet werden sollte, die alles Heil des Landes im engsten Anschluß an die Franzosen erblicken, – in einer Hauptstadt, die noch in französischen Händen ist, und von der sich der gute König selbst noch so weit entfernt hält, als Königsberg von der Spree liegt? Denkt euch, daß die Verschwörung zu einem begeisterten Aufstand unsers unterdrückten hessischen Vaterlandes ihre Instruktion bei Männern einholen wollte, wie dieser Schulenburg-Kehnert ist, der hier in Cassel noch einmal als Referent für Kriegssachen im Staatsrathe sitzt, nachdem er vor anderthalb Jahren, als die Franzosen über Jena gegen Berlin heranrückten, als Minister-General das preußische Pulver und Blei zurückgelassen und die bekannte gute Ermahnung publicirt hatte: »Ruhe ist die erste Bürgerpflicht«. Das preußische Volk wird ihnen den Teufel thun, und sich zum Aufstande gegen die Franzosen von Denen leiten lassen, die unter der Gewalt derselben stehen. Wie heißt es hier? Diriger avec uniformité le patriotisme! Oho! Heißt das ein Patriotismus in Uniform? Schöne Uniform! Es würde ein ganz einfaches Halsband sein, aus gleichdickem Hanf gesponnen; le grand cordon gris de l'ordre publique!

Reichardt wurde so laut und überspannt, daß Luise mit der Gewaltthätigkeit, die sie zuweilen im Hause annahm, das Gespräch von so bedenklichen Gegenständen abzulenken suchte. Sie brachte es auf den bevorstehenden Reichstag, dem man in Cassel mit den lebhaftesten Erwartungen entgegensähe.

Der Hof wird schon eine artige Festivität daraus zu machen wissen, meinte Baron Rehfeld; man bespricht ja schon die großen Ceremonien der Reichstagseröffnung. Der König zeigt sich gar gern öffentlich und festlich, so wenig Figur er dazu hat, und sein kaiserlicher Bruder steht ihm dabei immer als Muster vor Augen, wie er ihm freilich auch als Mahner in den Ohren liegt.

Es sind bis jetzt schon manche ausgezeichnete Männer gewählt, bemerkte Hermann; auch wissenschaftliche Namen, wie Professor Wachler, Niemeyer in Halle, Henke zu Helmstädt. Ich bin recht begierig, auch einmal politische Redner in Deutschland zu hören.

Versprechen Sie sich nicht zu viel, lieber Freund, lachte Reichardt. Die Deutschen haben für das öffentliche Sprechen die seltsame Begabung, daß sie entweder nicht zur rechten Zeit anfangen, oder nicht zur rechten Zeit aufhören können.

Und erwarten nicht zu viel von der politischen Komödie! setzte der Baron hinzu. Der Hauptfehler der westfälischen Verfassung scheint mir in Dem zu liegen, was andern Fabrikaten und Productionen einen Vorzug gibt: sie ist musterhaft. Das heißt, sie sollte für die Rheinbundsstaaten ein Muster abgeben. Und glauben Sie, daß Napoleon die deutschen Fürsten, seine souverain genannten Vasallen, durch die Volkskraft einer guten Verfassung stärker und selbständiger machen wolle?

Credat Judaeus Apella! lachte Reichardt.

Und der Baron sprach weiter:

Während der glänzenden Feste, die der Kaiser zur Vermählung seines Bruders Jerôme mit der würtemberger Prinzessin zu Fontainebleau gab, mußten sich die Herren Staatsräthe Cambacères, Regnault, der siebzigjährige straßburger Staatsrechtslehrer und Geschichtskenner Koch zusammensetzen, und die Landesverfassung für das neugeborene Königreich zuschneiden. Diese Geburtsstunde hangt gewiß der Constitution nach, und unter Hochzeitsfesten geboren, wird sie gern mit Prunk und Pracht auftreten. Ohne Zweifel wird auch ein artiges Costüm für die Abgeordneten vorgeschrieben.

Haben Sie nicht gelesen, – die Gage für die Acteurs ist schon bestimmt, fiel Luise ein: 18 Francs Tagegelder während der Sitzungen für den Deputirten, und ebenso viel für die Reisetage, die, hin- und hergerechnet, nach Lage der Departements aus denen sie kommen, von vier bis zehn Tage gutgethan werden.

Zehn Tage! rief Reichardt. Man sollte Wunder glauben, wie groß das Reich sei!

Inzwischen war Frau Reichardt an ein Nebentischchen getreten, den Kaffee zu bereiten. Wie sich der Duft davon verbreitete, rief Hermann:

Ei das riecht einmal wie richtiger, wahrhaftiger Kaffee, ohne Cichorie, ohne gedörrte Rüben oder geröstete Gerste – wie Mokka!

Nichts Mokka! lächelte die freundliche Hausfrau. Café de la Martinique! Haben Sie das kleine Lädchen in der untern Königsstraße noch nicht bemerkt, das sich mit diesem Aushängeschild seit mehren Tagen aufgethan hat?

Café de la Martinique? verwunderte sich Hermann.

O Sie Doctor! fiel Reichardt ein. Wissen Sie nicht, daß die Insel Martinique unter den Kleinen Antillen den Franzosen gehört, und besonders auch Kaffee producirt? Nun, dies französische Gut unterliegt, versteht sich, der Continentalsperre nicht, sondern geht frei ein, und deckt zugleich mit seinem guten Namen den verbotenen Kaffee, der über Helgoland auf englischen Fahrzeugen eingeschmuggelt wird. Sie wissen wol auch nicht, daß außer dem Kaffee auch reizende Creolinnen von Martinique gekommen sind, die den Zucker dazu abgeben, – lebendiges Zuckerrohr, wenn Sie wollen, das hier unter die Presse kommt.

Hermann, der im ersten Augenblick in dem Scherz eine Anzüglichkeit fand, erröthete. Aber Niemand bemerkte es; denn Frau Reichardt war eben zu ihrem Manne getreten und sagte:

Lieber Friedrich, du wirst ja ganz ausgelassen. Komm, gib mir einmal dein Glas her, und nimm hier die Tasse dafür!

Reichardt erfaßte die Forteilende am Kleid und rief:

Halt, mein Schatz! Du bist meine Creolin, und so bitt' ich mir den Zucker aus zu deinem Kaffee!

Er umarmte sie, und sie, mit der Bewegung, als wolle sie ihm einen nachdrücklichen Schlag versetzen, streichelte seine glühende Wange.

Nun, ihr Freunde, rief Reichardt, thut dem kostbaren Trank die Ehre an! Prüft vor allem, wenn ihr feine Zungen habt, wieviel Martinique, wieviel Mokka oder Java, wieviel geschmuggelter und wieviel confiscirter Kaffee darunter ist! Welche Rolle hat nicht schon die Kaffeebohne in der Geschichte gespielt! Uns zunächst liegen verschiedene Verfolgungen dieser paradiesischen Bohne. Der Alte Fritz von Preußen hatte den Kaffee verboten; es war Finanzspeculation; ihm that's der hessische Landgraf Friedrich nach: aus Fürsorge für seine tapfern Hessen, die sich nicht verwöhnen sollten; aber man lief damals das Stündchen Wegs von hier nach dem hannöverschen Spiekershausen, jenseit der Fulda, um ein wohlfeileres Täßchen zu trinken, und jetzt führt der große Napoleon Krieg mit England mittels der Kaffeebohne. Wahrscheinlich nennt man darum auch die Bleikugeln – blaue Bohnen. Wie manches Patrioten letzter Schluck wird noch diese blaue Bohne sein! Doch fort mit diesen knallenden Mühlen der Füsilladen! Liebe Frau, gib uns den idyllischen Ton der Kaffeemühle! Laß die Lisbeth zu den duftigen Tassen die Kaffeemühle vorspielen!

Und als die freundliche Hausfrau erwiderte: Geh' doch, lieber Fritz! Sei doch ruhig! erhob Reichardt seine Obertasse und sang eine Strophe des Goethe'schen Tischliedes parodirend:

Von der Quelle bis ans Meer
Knarrt die Kaffeemühle,
Und das Wohl der ganzen Welt
Ist's, worauf ich ziele!

Unter dieser lauten Munterkeit hatte sich Luise mit Hermann ins offene Fenster gelegt, und ließ sich sein Abkommen mit Bercagny erzählen. Hermann, so kurz er sich in der Eile fassen mußte, konnte doch die Selbstzufriedenheit nicht unterdrücken, daß die Sache mehr zu seiner Genugthuung ausgegangen sei, als er sich von den ihm ertheilten klugen Rathschlägen habe versprechen können.

Luise lächelte dazu, schien aber über die letzte Aeußerung doch ein wenig empfindlich, und der junge Freund fiel wieder etwas tiefer in ihrem Vertrauen und in ihrer leicht reizbaren Hingebung.

Sie haben mehr Glück als Recht gehabt, guter Freund, sagte sie. Sie können, wenn Sie wieder einmal aufs Land oder in die Nähe einer Metzgerei kommen, dem Gott Zufall ein Lämmerschwänzchen opfern, um ihn gnädig zu erhalten, sonst spielt er Ihnen auch wieder einmal einen Possen. Der Zufall leiht nur, Freunde schenken guten Rath. Und halten Sie ja besonnene Klugheit nicht für geringer, weil Sie diesmal auch ohne solche aus der Klemme gekommen sind. Je mehr Sie aber Mann werden, lieber Hermann, und besonders in diesem westfälischen Leben durchkommen wollen, desto mehr müssen Sie sich selbst in die Hand nehmen, nicht aber von Zufälligkeiten führen lassen. Uebrigens dürfen Sie jetzt doppelt vorsichtig sein. Wenn Sie glauben, Bercagny werde Ihnen den schwachen Augenblick seiner leidenschaftlichen Uebereilung so leicht vergessen, so kennen Sie diese Franzosen nicht. Wir sprechen noch darüber. Kommen Sie jetzt, ich höre den Vater einen Spaziergang vorschlagen. Und – helfen Sie ihn auf andere Dinge bringen, sonst spricht er noch über die Straße von Politik!

Mutter Reichardt, die ihnen entgegenkam, fragte ob Hermann schon wisse, daß jetzt auf die Sonntage Napoleonshöhe dem Publikum geöffnet werde.

Ja, sagte er, der König hat es verordnet, um der guten Stadt Cassel, wahrscheinlich für die Illumination, einen Beweis seines Wohlwollens zu geben. Um 3 Uhr sollen dann jedesmal die Wasser springen.

Als der Baron hörte, daß Hermann noch nicht dahin gekommen sei, sagte er:

Dann will ich Sie einführen. Holen Sie mich den Sonntag ab; ich wohne ja an der Straße, und wir gehen behaglich hinauf!



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