Egon Erwin Kisch
Der rasende Reporter
Egon Erwin Kisch

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Eines Scharfrichters Lebenslauf

»Früher hab ich ein Kaffeehaus gehabt in der Simmeringer Hauptstraße. Mein Milchlieferant war Herr Karl Seelinger, damals Scharfrichter von Wien und Milchhändler. Am 13. April 1894 kommt er zu mir herein und fragt mich, ob ich mitfahren will nach Galizien zu einer Hinrichtung, ich bin ein starker Kerl, ich könnt ihm helfen. Da bin ich mitgefahren. Gezahlt hab ich nichts genommen, nur die Reise und das Essen. Die Sache hat mich halt interessiert. Am nächsten Tage haben wir dann in Neu Sandec einen Fleischhacker gehängt, Fargacz hat er geheißen, ein Riesenkerl war's, Lustmörder und Notzüchter. Ob ich mich gegraust hab? Warum denn? Gar keine Spur! Der Seelinger hat mir auf die Schulter geklopft. ›I hab schon vül G'hilfen g'habt, aber so an no net wie di, Pepi!‹ Na, und da bin ich mit ihm in Österreich herumgefahren, zu allen Hinrichtungen, nach Brünn, nach Cilli, nach Graz. Dabei bin ich immer Kaffeesieder geblieben und habe vom Seelinger keinen Lohn genommen. Nur so aus Sport, wissen S' . . . Im neunundneunz'ger Jahr, im September, ist er gestorben, der Seelinger. Mir ist gar nicht einmal im Traum eingefallen, mich um die Stelle zu bewerben. Da schreibt mir eines schönen Tages der Polizeirat Rattay – der ist auch manchmal zu mir ins Café gekommen –, ich möcht ihn im Kommissariat besuchen. Der fragt mich so aus, ob es wahr ist, daß ich dem seligen Seelinger geholfen hab bei Justifikationen, wann und wo, und ich hab ihm alles erzählt. Wie ich fertig bin, sagt er mir: ›Warum reichen Sie nicht ein Offert um die Scharfrichterstelle ein, Herr Lang? Das Kaffeehaus ist nichts für Sie.‹ Da hat er ja recht gehabt. Jede Nacht sind Pülcher hineingekommen, um drei Uhr früh hat es immer Ohrfeigen gegeben, ich hab mich zwar nicht gefürchtet, aber diese Aufregungen, die man als Kaffeesieder hat, sind nichts für mich, ich bin ein friedlicher Mensch, streit mich net gern herum, und ich hab mir immer ein ruhiges Leben gewünscht. ›Ja, Herr Polizeirat‹, hab ich ihm gesagt, ›ich tät ja ganz gern Scharfrichter werden, aber ich bin schon zu alt, mit fünfundvierzig Jahren stellt mich das Landesgericht nicht mehr an.‹ Ich soll ihm nur meine Dokumente schicken, sagt er, er wird's schon machen. Im Februar 1900 bin ich angestellt und vereidigt gewesen als ›Scharfrichter des k. k. Landesgerichtes Wien‹, trotzdem eine Menge Offerten eingelaufen waren für die Stelle. Aber es hat sich keiner ausweisen können, daß er es auch wirklich leisten kann!

Hundertvierzig Kronen monatlich war das Gehalt und fünfzig Kronen für jede Hinrichtung – es war ja nicht viel, aber besser als in die Hosen geschissen. Sehr viel hab ich gleich zu tun gekriegt, weil man seit dem Tod vom Seelinger alle Hinrichtungen aufgeschoben hat. Nur wie man die Julianne Hummel, die Kindesmörderin, aufgehängt hat, im Jänner 1900, hat man dazu den Wohlschläger kommen lassen, den Prager Scharfrichter. Die Hummel ist auf ihn geflogen, noch unter dem Galgen hat sie zu ihm gesagt: ›Sie haben so ein liebes G'schau, Herr von Wohlschläger‹, aber er hat dann so lang an ihr herumgewurstelt, daß sie noch fünf Minuten gelebt hat, so ein Patzer war der Wohlschläger – no ja, für die Provinz war er gut genug, aber nach Wien konnte man ihn nicht berufen, nach so einem öffentlichen Skandal. Deshalb hat man mich ja aufgefordert, weil ich mich schon auskennt hab.

Meine erste selbständige Hinrichtung – das war interessant, nämlich der letzte Delinquent, den ich als Gehilfen gehabt hab, war auch mein erster Delinquent, wie ich Meister war. Das war so: Im April 1899 bin ich mit dem Seelinger nach Rudolfswerth in Krain gefahren, um einen Zigeuner aufzuhängen. Simon Held hat er geheißen und hat sechs Raubmorde verübt, alle an alten Frauen, Ausgedingerinnen. In der Nacht vor der Hinrichtung hat er den Untersuchungsrichter rufen lassen: er will seine Komplizen nennen. Er hat auch ein paar Namen angegeben. Aber man hat's ihm nicht geglaubt und hat die Hinrichtung nicht aufgeschoben. Zur Sicherheit hat man nach Wien telegrafiert, und es ist die Antwort gekommen, man soll ihn nur henken. Eine Stunde später hat die Justifikation stattfinden sollen, ich hab ihm gerade die Schlinge um den Hals gelegt – da kommt ein Beamter gerannt mit dem Telegramm, daß er begnadigt ist. Na, da sind wir halt wieder nach Hause gefahren. Der Zigeuner hat sich ein paar Wochen später von seinen Freunderln eine Geige in die Zelle kommen lassen, und darin war eine Schnur, mit der hat er sich aus dem Fenster heruntergelassen, der Posten hat auf ihn geschossen, hat ihn aber nicht erwischt. Erst ein paar Monate darauf, wie er einen neuen Raubmord begangen hat, ist er wieder eingenäht worden und wieder zum Tod durch den Strang verurteilt. So ist der erste Delinquent meiner Scharfrichterzeit einer gewesen, dem ich schon Maß genommen hatte. Ich hab ihn auch tadellos gehenkt, in fünfundvierzig Sekunden war er tot. Das war am 3. März 1900 – warten Sie einen Augenblick, ich muß zur Sicherheit noch im Buch nachschauen.«

Ich bleibe allein in der Wachstube der Freiwilligen Turner-Feuerwehr von Simmering, in der das Gespräch stattfindet. Hinter einer Umfriedung der Geiselbergstraße steht das Spritzenhaus und das Wachzimmergebäude, an das sich das Bretterhäuschen mit der Wohnung des Scharfrichters schließt. Trotzdem er nur ein hölzernes Häusel bewohnt, ist er einer der geachtetsten Bürger von Simmering und Hauptmann des Feuerwehrvereines – na, was denn, wir sind in Wien, und die Hauptsache ist doch, daß einer einen »interessanten« Beruf hat, daß man einer ist, mit dessen Bekanntschaft man protzen kann: »Waaßt, Alte, mit wem i heut beisamm' war? Mit dem Henker von Wien!«

Der k. k. Henker ist Besitzer des Ehrenzeichens vom Roten Kreuze – Patriae ac humanitate! –, schön eingerahmt hängt sein Bild an der Wand der Wachstube, neben den Porträts vom Kaiser Franz Joseph, Georg Schönerer und Oskar von Höffl. Ein besonderer Uniformständer ist für Helm, Degen und Bluse des Hauptmannes reserviert.

Herr Lang schleppt einen Folianten herein und ein Photographiealbum, in dem seine Familienmitglieder, seine Gehilfen, die meisten in Athletendreß, und wichtige Hinrichtungen verewigt sind. In dem großen Buche sind alle Strangulierungen handschriftlich verzeichnet, die die Herren Willenbacher, Seelinger und Lang von Amts wegen vollzogen haben. Die Eintragungen beginnen mit Enrico Francesconi, dem Geldbriefträgermörder vom Trattnerhof, der am 16. Dezember 1876 aufgeknüpft wurde, der nächste ist Ferdinand Hackler, Raubmörder, gehängt am 16. Mai 1877 im Gebäude der Kaserne in der Alserstraße, dann kommen die Dienstbotenmörder Hugo Schenk und Karl Schlossarek am 22. April 1884, und ihnen mußten am 8. August 1884 die Anarchisten Hermann Stellmacher und Kammerer folgen.

Die Wiener Lokaltätigkeit Langs hat am 21. Mai 1901 mit Stefan Waniek eingesetzt, der – bei einem Einbruch in Favoriten überrascht – auf seine Verfolger geschossen und eine Frau Hoffmann getötet hat; am 11. August 1902 zieht Lang den Johann Woboril, Mörder am Trödler Keßler, ins bessere Jenseits, am 25. April des nächsten Jahres henkt Herr Lang den Mörder der Rudolfsheimer Trafikantin Marie Jülich von Jülichenthal, den Messerschmied Anton Senekel, der zwei Tage nach seiner Tat auf dem »Selbstmörderbankel« im Prater gesessen und das geraubte Geld gezählt hatte, was zu seiner Verhaftung führte; Senekels letzte Worte waren an Herrn Lang gerichtet: »Leckmimoasch« lauteten sie, und Herr Lang nimmt ihm das sehr übel. Wenn irgendwo in Österreich eine Volksforderung auf der Straße erhoben wurde, so schickte Wien sofort das Standrecht und den Herrn Lang hin; mit seiner Handtasche erschien er als Ultima ratio. In Ungarn hat er den Oberleutnant Bela von Pap hingerichtet, der im Jahre 1900 durch einen Bauern seinen Bruder erschießen ließ, um in den Besitz des Majorats zu gelangen.

Die Hinrichtung Battistis ist sein »berühmtester« Fall. Herr Lang sucht aus seinem Album die Bilder heraus, die den Tridentiner Landtags- und Reichsratsabgeordneten Caesare Battisti zeigen, wie er in Hauptmannsuniform an seinem Todestage, am 12. Juli 1916, seine Zelle im Kastell von Trient verläßt, um in das Gerichtsgebäude überführt zu werden. Hier erhielt er schäbige Zivilkleider, und auf anderen Photographien sieht man bereits den Richtpflock mit der Leiche und eine Reihe von gefühllos umherstehenden und siegesbewußt lächelnden Feldwebeln – Bilder, die als gutes Propagandamittel gegen die Monarchie von der Entente in Hunderttausenden von Exemplaren vervielfältigt und verbreitet wurden. Herr Lang rühmt die gute Haltung Battistis; ohne mit der Wimper zu zucken, ließ sich der Delinquent die Schlinge um den Hals legen, und bevor sie zugezogen werden konnte, rief er: »Evviva l'Italia!« – Am gleichen Tage wurde auch ein anderer Irredentist, der italienische Oberleutnant Dr. Finzi aus Rovereto, hingerichtet. Im Frieden war Dr. Finzi k. k. Gerichtsbeamter gewesen und hatte als solcher bei einer Justifikation, die Lang an einem jungen, des Raubmordes schuldig befundenen Mühlenbesitzer namens Nathan in Rovereto vornahm, interveniert. Nachher hatte er sich viel von Meister Lang aus dessen Praxis erzählen lassen. Daß er selbst einst unter die Hände Langs kommen werde, hatte er sich wohl nicht gedacht. Aber erkannt hat ihn Dr. Finzi sofort. Als Lang zwei Tage vor der Doppelhinrichtung nach Trient gekommen war, trafen sich Battisti und Finzi, jeder aus seiner Zelle unter starker Eskorte zu den letzten Verhören geführt. »Scharfrichter Lang aus Wien ist schon da«, rief Battisti seinem Freunde zu. – »Ich habe ihn schon gesehen. Ein alter Bekannter von mir!« – Das war das letzte Gespräch, das die beiden Märtyrer miteinander geführt haben . . . Herr Lang berichtet das mit Stolz, zeigt mir die Marschroute des Kriegsministeriums, die Spesenrechnung, die Belege. Insgesamt hat er für die Hinrichtung Battistis fünfhundertsechzig Kronen berechnet.

»Stücke vom Strick Battistis waren dann im Trentino sehr gesuchte Artikel – aber es war alles Schwindel. Ich darf das Seil nicht verkaufen, ich bin ja beeidigter Staatsbediensteter. Na ja, meine Gehilfen, die machen Geschäfte mit allen möglichen Stricken – nur mit dem richtigen nicht. Vom ›Strick Battistis‹ dürften sie mindestens zwanzig Meter verkauft haben. Aber den echten können Sie bei mir sehen, ich habe ihn drüben in meiner Wohnung.«

Herr Lang bringt eine schwarze Reisetasche. In Zeitungsblättern, die er darin aufbewahrt hat, sind die Todesurteile zu lesen, zu deren Vollstreckung sich Meister Lang ausersehen glaubte und in denen er zu gegebener Zeit nachlesen wollte, was sich sein Opfer hatte zuschulden kommen lassen. Ein Blatt trägt die Überschrift: »Dr. Kramer und Dr. Rasin zum Tode durch den Strang verurteilt . . .«, ein anderes: »Verurteilung Friedrich Adlers zum Tode!« Der Scharfrichter hat inzwischen die schwarzen Zwirnhandschuhe aus der Handtasche genommen, die er zugleich mit seinem schwarzen Anzug bei jeder Hinrichtung anlegt, die Riemen, die man dem Malefikanten um die Achsel schlingt, wenn man ihn zur Richtstätte führt, und die schwarze Seidenschnur, mit der man ihm die Hände bindet. Er zeigt mir auch, wie man den Strick einseift, preßt eine Stahlklammer, den »Kloben«, zwischen zwei Schränke, zieht die Doppelschlinge durch – den wirklichen Strick Battistis – und will sie mir um den Kopf legen. Ich empfehle mich!

 


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