Egon Erwin Kisch
Der rasende Reporter
Egon Erwin Kisch

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Schweineschlachten am Roeskildefjord

Lastwaggons fahren mitten durch den Fabrikkomplex, das schienendurchkreuzte Areal breitet sich bis ans Kattegat, das in sumpfigen Randschnörkeln tief in das Land einschneidet; zwischen Windmühlen, Dünengras, geblähten Segeln und roten Kuttern, unter einem Himmel von blaugrauer Unterlasur rekelt sich der Roeskildefjord.

Manche der Eisenbahnwagen sind leer, in manchen quieken zukünftige Schinken und zukünftige Speckseiten fröhlich. Haben Grund zu zufriedenem Grunzen: lebend verlassen sie ja den Sammelkader »Anteilschlachthaus« und können sich noch eine erhebliche Reise lang der Welt erfreuen, bevor sie an die Front kommen. Nicht allen ihrer Landschweine ist solche Galgenfrist gewährt: Die meisten sticht man hier im Hause ab, brennt ihnen das Visum in Gestalt der verschlungenen Kriegstrompeten aus Skandinaviens Bronzezeit aufs Fell, die »Lure-Maerke«.

Am 29. November 1887 ließ Deutschland unter dem Druck seiner Agrarier ein Einfuhrverbot für dänische Schweine ergehen, das als das Ende der Schweinezucht Dänemarks angesehen wurde – und zur vorbildlichen Organisation Anlaß gab. Kaum einen Monat später, am 22. Dezember, wurde das erste Schwein in einer rasch entschlossen gegründeten Anteilschlächterei getötet. Nun gibt es fünfzig solcher Großbetriebe mit zweihunderttausend Anteilscheinbesitzern auf Jütland und den dänischen Inseln, und jeder Schweinebraten von 1887 hat einige Millionen Nachfolger bekommen. Die Gründungen vollzogen sich unter Schwierigkeiten; die privaten Schlächtereien drohten und intrigierten, und in die Presse lancierten sie falsche Berichte vom Krach ausländischer Schlachthäuser, um die Unrentabilität derartiger Unternehmungen darzutun; die Schweinebesitzer fürchteten überdies, es sich mit ihren bisherigen Abnehmern für immer zu verderben. Trotzdem gelang es. Das Prinzip war und ist: Jedes Mitglied hat nur eine Stimme, nur eine, ob es nun bloß drei Schweine im Wohnzimmer hätte oder dreitausend auf seiner Farm; der Jahresüberschuß wird an die Genossen im Verhältnis zu ihrem Umsatz verteilt; durch solidarische Garantiescheine muß das zur Gründung einer Genossenschaft erforderliche Kapital aufgebracht werden, und durch fünf Jahre darf kein Mitglied anderswohin liefern.

Am interessantesten aber ist das System der Planwirtschaft, das diese Werke gemeinsam inaugurierten: Nach dem Geschmack des konservativen englischen Magens wurde die ganze Zucht Dänemarks umgestaltet, männliche Hightories der Schweinewelt, Eber aus Yorkshire, wurden herübergeholt und mit den biederen dänischen Landsäuen verheiratet, bis eine Rasse entstand, die sich bei jedem Breakfast sehen lassen konnte, um so mehr, als auch die Pökelung darauf eingestellt wurde. Zwischenhandel ist ausgeschaltet, nur direkt an Detaillisten wird geliefert, die in Sterling bezahlen. Die meisten Schlächtereien können, vom ersten Jahre ihres Bestehens an, Dividende ausschütten, zwei bis zwanzig dänische Kronen per Schwein an den Genossen, der es geliefert hat. Außerdem hat er selbstverständlich jedes Schwein nach Gewicht und Qualität bezahlt bekommen. Die Organisation ist von allen Staaten studiert und nachzuahmen versucht worden. Kein Land wird es jedoch so leicht haben wie Dänemark, das zu seinen eine Million dreihunderttausend Milchkühen einen konstanten Abnehmerstand von drei Millionen Schweinen braucht: Die müssen die zehn Millionen Pfund Magermilch verzehren, die täglich pasteurisiert aus den Molkereien zu den Bauern zurückkommen.

Außer der Schlächterei und dem Export lebender Schweine wird in den »Andels-Swineslagterien« technisches Schmalz fabriziert, Würste, Konserven und Speck, Seifenfett, Fleisch-, Knochen- und Blutmehl; ein Anteilexporthaus für Eier ist angeschlossen. Siebenundneunzig Prozent aller Lieferungen kommen mit Wagen aus den Dörfern und Meiereien; der Überbringer erhält eine bis vier Kronen per Schwein für Fracht und als Provision. Jedes assentierte Schwein bekommt gleich seine Legitimationskapsel – eine Blechnummer, die ins Ohrläppchen geklemmt wird. Nicht lange erfreut sich die Sau ihres Ohrgehänges; zwar stirbt sie mit diesem Schmuck, aber nach zwei Stunden knöpft man ihn der Leiche ab – dann wird nämlich der Kaufpreis ausbezahlt.

Die übernommenen Schweine werden geschlachtet, gebrüht, abgerieben, in Salzbrühe, deren Fond dreißig Jahre alt ist, gepökelt, untersucht, qualifiziert, gestempelt und verpackt; Anlagen zur Erzeugung von Würsten sind da, zur Gewinnung von Seifenfett aus Kloaken, zur Herstellung von Fleischmehl aus umgestandenem Vieh, von Knochen- und Blutmehl für Futter- und Düngezwecke. Im Eierexporthaus wird jedes Ei elektrisch durchleuchtet, und Kisten mit tausend Eiern stehen versandbereit . . . Wir äußern die Befürchtung, daß sie doch etwas zu gebrechlich verpackt seien: Da steigt der uns begleitende Beamte wortlos auf einen Stuhl und läßt sich mit dem ganzen Körper auf eine offene Kiste fallen. Kreidebleich schauen wir das Argument – aber keines der Eier ist zerbrochen!

Kurzum, alles ist sehr schön. Nur eins hat uns nicht gefallen: Wenn dem Schwein die Schlinge um das Haxel gelegt und es an der Kette emporgezogen wird, den Todesstoß des Schlächtermessers zu empfangen, dann drücken sich dreißig andere Schweine im selben Raum entsetzt aneinander, wissend, daß in der nächsten halben Minute, längstens in einer Viertelstunde die Reihe an sie und keine Rettung für sie kommt, sie hören entsetzt im selben Raum das verzweifelte Quieken des Opfers und den letzten Aufschrei.

 


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