Egon Erwin Kisch
Der rasende Reporter
Egon Erwin Kisch

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Der Raubmord im Hotel Bristol

Am 22. Mai 1918, um fünf Uhr nachmittags, fand man im Wiener Ringstraßenhotel Bristol die Gesellschafterin des dort wohnenden freiherrlichen Ehepaares Vivante, Miß Julie Earl, ermordet auf. Man stellte fest, daß eine halbe Stunde vorher der Neffe des Barons Vivante, Emo Davit, dort gewesen war; nach seinem Erscheinen hatte Miß Julie den in einem Koffer befindlichen Schmuck ihrer Dienstgeber in ihr Zimmer gebracht. Außerdem war ein junger Mann mit einem Wäschekorb über die Treppe gegangen. Während die Mordkommission Recherchen vornahm, erschien Davit »zufällig« im Bristol. Er wurde verhaftet, acht Tage später sein Freund Kurt Franke.

 

Ganz Wien liegt auf dem Bauch vor dem Raffinement des Raubmordes im Hotel Bristol. Es ist der Polizei gelungen . . . Kaltblütigkeit, geniale Vorbereitung bis ins kleinste Detail . . .

Bitte: ein halbes Jahr lang hielten Emo Davit und Kurt Franke Proben ab. Was konnte geprobt werden? Die Wucht des Keulenschlages und dessen Wirkung auf Schädelknochen, das Einpacken und Wegschaffen einer unzerstückelten Leiche im Wäschekorb? Nein, so etwas läßt sich nicht üben. Es konnten nur Requisitenproben sein. Ich stelle mir vor, daß der kleine Franke beim ersten Training die Keule auf der Erde liegenließ, vielleicht auch die Handschuhe. Darauf bekam Kurt ein paar Ohrfeigen von Emo, und nie mehr hat er diesen Fehler begangen. Schon ganz mechanisch steckte er dann bei späteren Übungen Handschuhe und Keule brav in den Rucksack.

Das wäre noch schöner, wenn diese Dinge am Tatorte bleiben würden! Ein so exzeptionelles Mordinstrument, von Davit im Spezialgeschäft wortreich im Triestiner Dialekt gekauft – im Nu wäre man überwiesen.

In der Nacht schreckt Davit aus dem Schlafe auf: hat er doch vergessen, die Firmenzeichen aus der Keule wegzukratzen. Schnell springt er auf und tut das.

 

Fest steht nur, daß er sich gleich nach dem Mord verhaften lassen muß, solange das Alibi noch warm ist. Nichts in seiner Wohnung, die man durchsuchen wird, darf an seinen Komplizen erinnern. Das Sparkassenbuch Frankes muß er zurückstellen. Wenn man in Davits Schubfach die eingelegten Ersparnisse eines anderen findet, ist dieser andere schon verdächtig. Und wenn Franke einmal verdächtigt wird, ist alles verloren.

Nie mehr zeige ich mich mit Franke. Mit allen Leuten werde ich verkehren, ein halbes Jahr lang Freundschaften schließen und Kollegen nach Hause begleiten, nur mit dem kleinen Franke wird mich kein Mensch sehen!

 

Wenn aber Miß Julie nicht gleich tot ist? Dann schneiden wir ihr mit einem Rasiermesser die Kehle durch und packen sie dann erst in den Wäschekorb. Haha, jeder wird glauben, daß sie mit dem Schmuck durchgebrannt ist!

 

Ein anderes Antlitz, eh sie geschehen . . . Es ergibt sich nämlich die überraschende Belehrung, daß Menschen manchmal bluten, wenn ihnen die Gurgel durchschnitten wird. Wenn man das geahnt hätte – es wäre dann bloß noch ein (tödlicher) Schlag mit der Handgranatenattrappe zu führen oder die Schlinge fester zuzuschnüren gewesen.

Der Mörder hat einen roten Riesenfleck auf der Hose, und sein Helfer, der sich nach einer Stunde »ahnungslos« der Polizei stellen will, borgt ihm unbedenklich den Überzieher, mit dem ihn jeder ins Hotel kommen sah. (Im Nebenzimmer hängt die Garderobe des Barons Vivante.)

Liegen bleibt die Keule, und sie trägt noch alle Firmenzeichen von Pohl. Die Handschuhe Davits? Sie sind auch neben der Leiche vergessen worden. Davit bleibt beim geraubten Koffer in der Kärntner Straße, Franke begibt sich zurück ins Hotel. Vor dem Zimmer ist Mordalarm. So geht er wieder die Treppe hinunter.

Im Notizbuch des festgenommenen Davit ist ein Plan der Mordstätte eingezeichnet. Ein genauer Plan mit Pfeilen. Ob man's glaubt oder nicht – das wirkt verdächtig.

Nach übereinstimmenden Blättermeldungen fand man den Plan erst am vierten Tag. Na ja, wer wird denn das Notizbuch eines Raubmordverdächtigen so schnell durchsuchen! Es könnte doch Privatsachen enthalten.

Vielleicht aber fand man die Situationsskizzen schon am Tage des Mordes und verriet es bloß der Presse nicht. Aber wenn die Polizei die Skizzen schon am ersten Tage eruiert hatte, dann wußte sie doch ganz bestimmt, daß Davit am Morde beteiligt sei, und es war bloß der Komplize zu suchen.

 

Leicht gesagt: »Bloß der Komplize zu suchen.« Gar kein Anhaltspunkt war da. Davit hatte ja nur mit dem Praktikanten Franke verkehrt, war täglich mit ihm aus dem Büro gegangen und fast täglich mit ihm ins Büro gekommen, war (obwohl beinahe doppelt so alt) Tag und Nacht mit ihm beisammen gewesen, bis es auffiel, man ihn frotzelte und von Homosexualität munkelte. Und Frankes Sparkassenbuch war bei Davit. Es hätte einen verletzenden Zweifel an dem Raffinement des Festgenommenen bedeutet, ihm zuzumuten, gerade sein bester Freund sei sein Helfer gewesen!

Und dieser Komplize! Das war ein ganz Schlauer! Er hatte sich (hat man es nicht in riesigen Überschriften gelesen?) als Jockei verkleidet. Einen Jockei stelle ich mir so vor: eine halbkugelförmige Seidenkappe im Nacken, eine Hälfte rot, die andere hellgrün, ein Satinhemd in denselben Tinten, dottergelbe, gestraffte Breeches, gespornte Lackkanonen, Reitpeitsche in der Hand. Also, ganz so sah er ja nicht aus. Nicht einmal Reitstiefel hatte er, nicht einmal eine Gerte, nicht einmal kurze Hosen, nicht einmal einen Dreß, nur seinen ältesten Büroanzug. Aber eine Mütze hatte er, jawohl, eine Mütze, und einen Rucksack auf dem Buckel, so daß die Leute auf der Straße stehenblieben: Ah, ein Jockei!

Nach der Tat: Er bezahlt seinen Eltern eine alte Schuld, borgt einer Familie neunhundert Kronen, schmeißt mit dem Geld, damit er sich nicht durch übertriebene Sparsamkeit verdächtig mache, erzählt, daß er mit Davit an Nahrungsmittelgeschäften viel verdient habe, berät sich mit den ihn interviewenden Journalisten, ob er nicht aus treuer Freundschaft den Mord auf sich nehmen sollte, und versteckt einen Teil des Raubes – in Davits Büro. Den blutigen Anzug, der ihn verraten könnte, wirft er in den Donaukanal, den Koffer mit dem Schmuck verbirgt »der gelehrige Kinobesucher«, indem er ihn mitsamt dem Mordinstrument in seinem Zimmer behält.

Aus irgendeinem Grunde auf die Polizei gerufen, über den die Presse merkwürdig schlecht informiert ist (wahrscheinlich auf Anzeigen seiner Bekannten hin, denen er seit fünf Tagen mehr als verdächtig ist), gibt er dort seelenruhig, ohne daß man es von ihm verlangt, Davits Wohnungsschlüssel ab, von dem man weiß, daß er sich in dem heißgesuchten Überzieher befand. Trotzdem man ihn nun nach dem Mord befragt, gesteht er alles ein; »der Schmuck ist in meiner Wohnung«, gibt er an. Jetzt heißt es schnell handeln! Der untersuchende Polizeirat kommt auf die Idee, Detektive in die Wohnung des Davitbündlers zu schicken, und sie finden die Sachen. Im Triumphzug bringt man sie ins Sicherheitsbüro.

Der Minister für Innere Angelegenheiten Österreichs ist da, seine Anwesenheit ist dringend erforderlich, sonst ist ja alles in Ordnung im Innern Österreichs, er läßt Belobigungen regnen, die fast an die heranreichen, die die Presse der Polizei und den Mördern verleiht.

Nur das Mordinstrument fehlt noch, das Rasiermesser. Wo kann es sein? Es ist in der Wohnung Frankes, mit teuflischer Kaltblütigkeit hatte er es auf seinen Waschtisch gelegt, aber die Sherlock Holmes fanden es doch – das Geheimnis ist gelüftet.

 


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