Egon Erwin Kisch
Der rasende Reporter
Egon Erwin Kisch

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Referat eines Verbrechers über die Polizeiausstellung

Hochverehrte Berufsgenossen! Meine Damen und Herren!

Dem Beschluß unserer Syndikatsleitung vom Zwölften dieses Monats gerne Folge leistend, habe ich mich noch am selben Tage »zur Orientierung puncto polizeilicher Organisations-Taktik« – die Anfangsbuchstaben dieser Phrase bedeuten: Zoppot – dorthin begeben, um unserer Hauptversammlung über die Polizeiausstellung und den Polizeikongreß fachkritischen Bericht zu erstatten. Den auf meinen Arbeitsnamen lautenden Reisepaß mit Steuervermerk und Visen nach allen Nachbarstaaten erhielt ich von unserem Urkundenbüro in der üblichen prompten Weise und in mustergültiger Ausführung sofort zugestellt, wofür ich den Kollegen vom Urkundenbüro auch an dieser Stelle herzlichst danken möchte. Ich fuhr mit dem Flugzeug der Deutschen Aëro-Lloyd AG um ein Uhr nachmittags vom Berliner Flugplatz in Staaken ab, das flugplanmäßig um vier Uhr fünfundvierzig Minuten in Danzig eintrifft und das ich allen Kollegen, die dringend aus Berlin abzureisen wünschen, wärmstens empfehlen kann. Ich selbst langte bereits um ein halb vier Uhr auf dem Danziger Flugbahnhof an, da Rückenwind unseren Apparat vorwärts trieb – ein Glücksfall, der uns bedauerlicherweise nie begegnet, wenn wir solche beschleunigte Veränderung notwendiger brauchen würden. (Rufe: Sehr richtig!)

Ich meldete mich beim vorbereitenden Ausschuß als Polizeichef einer Balkanstadt und war binnen weniger Minuten im Besitze eines Quartiers – eine Fürsorge, die mich von Polizeiorganen nicht überraschen konnte (Heiterkeit), auch wenn es sich diesmal um ein elegantes Hotelzimmer handelte. Unter den Teilnehmern des Kongresses traf ich zahlreiche Bekannte, doch wurde ich in meiner Adjustierung selbstverständlich nicht erkannt, ja, es widerfuhr mir zum Beispiel, daß ich im »Artushof« in Danzig, einem überaus kostbar ausgestatteten Raume (Hört, hört!) – dessen Pracht aber in Fresken, Wandgemälden und Täfelungen besteht, also für uns leider nicht in Betracht kommt –, bei einem Bierabend, den der Senat uns zu Ehren gab, von einigen Herren aufgefordert wurde, auf die Ansprache des Senatspräsidenten zu erwidern; ich lehnte mit dem Hinweis darauf ab, mich nicht befugt zu fühlen, im Namen aller Kriminalbehörden zu sprechen. (Heiterkeit.) Der Ausstellung selbst kann ich nur die Note »vorzüglich« ausstellen. Sie besteht, von unserem Standpunkte aus gesehen, aus zwei Teilen, von denen der erste für uns ehrenvoll und für die Tradition und die Geschichte unseres Berufes (Zuruf: Unserer Kunst!) – oder »unserer Kunst«, wie die jüngeren Kameraden es jetzt gern nennen – von Wichtigkeit ist, während der zweite zu unserer Warnung und Belehrung dienen muß.

Zu jenem ersteren Teil, dem musealen, gehören vor allem die Objekte, die die Polizeibehörden von Berlin, Königsberg, Warschau und Danzig-Zoppot zur Schau gestellt haben. Danzig-Zoppot als die Gastgeber sind in der Geschichte bis ins Mittelalter zurückgegangen, sie zeigten sogar Andenken an den unrühmlichen Danziger Stockturm, in dem unsere Ahnen schmachten mußten, alte Urgichte und Urteln sowie das Schwert des Danziger Scharfrichters, das in unseren Tagen amtlich durch das Schwert des Zoppoter Croupiers ersetzt wurde. (Heiterkeit.) Ein Bakkarattisch veranschaulichte eine Methode, nachträgliche Einsätze zu placieren: Der am Tisch sitzende »Segler« läßt aus einer Klemmvorrichtung seiner Krawatte auf das gewinnende Feld den Jeton oder die Banknote fallen, die dann eine in der vierten Zuschauerreihe stehende Dame als ihren Einsatz bezeichnet; es ist zu hoffen, daß diese Arbeitsweise bald auch für schwarze Selbstbinder ausgestaltet werde, da sich ohne Smoking in den großen Kasinos von Europa heutzutage nicht mehr arbeiten läßt. Die Macquillage der Spielkarten, die gezeigt wird, ist entweder eine gefälschte Fälschung oder Stümperarbeit von Laien, da die Nadelzinken seitlich angebracht und daher durch die Mündung des Schlittens nicht ertastbar sind; ebenso sind die nachgeahmten Tickets das Werk von Außenseitern, wogegen die falschen Jetons – sie wurden von einer Wiener Spielwarenfabrik optima fide hergestellt – eine sehr gute Prägung darstellen.

Unsere liebe Berliner Kriminalpolente ist mit alten Fisimatenten angerückt, die sie meistens von unseren Kollegen Bauernfängern älterer Schule erbeutet hat: Da ist zum Beispiel ein Wäscheballen, den die Straßenhändler »als gestohlene Ware« den Passanten verkaufen, der nur am Rand aus Leinenbatist, innen jedoch aus Hadern besteht; eines der scheinbar verschnürten, in Wirklichkeit aber aufklappbaren Pakete unserer Kolleginnen Warenhausdiebinnen; eine mächtige Ölkanne, aus der man Proben reinsten Petroleums gießen kann, obwohl sie sonst fünfzehn Liter Wasser enthält; ein gefälschtes Autograph Luthers für die neuen Bibliophilen vom Kurfürstendamm und eine »elektrotechnische Dollarkopiermaschine« mit doppeltem Boden, in dem der echte Hundertdollarschein des Geneppten für ewig verschwindet. Königsberg stellt zumeist Paßfälschungen, Ausfuhrscheine, Visa, Diplomatenpässe, Zollpapiere, Grenzvermerke und Amtsausweise unserer Faktur aus – alle vortrefflich ausgeführt und glänzend geeignet, die Reisen unserer Kollegen zu erleichtern, während die behördlich fabrizierten Dokumente die Reisen unserer Verfolger erschweren, weshalb unsere in der Diplomatie tätigen Kameraden mit aller Macht darauf hinwirken mögen, daß die Paßvorschriften auch weiterhin überall in Kraft bleiben. (Beifall.) Die Drohbriefe, Brandbriefe und Erpresserbriefe, die Königsberg in photographischen Vergrößerungen vorführt, stammen von Kindern oder Kindsköpfen, und ich schämte mich geradezu, diese Klamotten neben die ernsten Arbeiten wirklicher Verbrecher gereiht zu sehen.

Empörend aber und aufreizend wirken die Tatbestandsaufnahmen von Morden und Totschlägen, die das Hauptkommando der staatlichen Polizei Polens in großen Tafeln an den Wänden ihres Saales aufgehängt hat. Wenn wir auch gewiß nicht verkennen, daß die Behörden oft erst dort mit ihrem Interesse einsetzen können, wo sich selbst die Kollegen Mörder mit Abscheu und Entsetzen vom Zustande ihres getöteten Gegners abgewendet haben, so müssen wir doch derartige Darstellungen in die gerichtsärztlichen Museen verweisen und es scharf verurteilen, daß sie in öffentlichen Ausstellungen einem Publikum gezeigt werden, das von der Schwere des Entschlusses und den Hindernissen bei der Tatausführung keine Ahnung hat und in dem schauerlichen Ergebnis des Deliktes auf einen bestialischen Charakter des Täters zu schließen geneigt ist. (Rufe: Pfui! Demagogische Hetze!) Es handelt sich übrigens bei den Lichtbild-Tableaus, die das Warschauer Polizeipräsidium mit künstlerischem Ehrgeiz gerahmt und ausgestattet hat, zumeist um Massenmorde ungebildeter wolhynischer Räuberbanden, um den Raubüberfall der Goralskischen Bande auf die Mühle Skolimow am 4. Februar 1922, bei dem fünf Personen zu Tode gemartert und andere getötet wurden, ferner bloß um Taten unorganisierter Kollegen, wie des Stefan Pasnik, der sieben Auswanderinnen umgebracht hat, um sie ihrer armseligen Kleidungsstücke zu berauben. Dankenswert ist auf dem Warschauer Stand die Zurschaustellung von Gipsformen für unbefugte Banknotenherstellung, an der mir besonders die Vorrichtung zur Einziehung von Seidenfäden für Dollarscheine neu gewesen ist.

Im allgemeinen läßt sich über jenen aufklärenden historischen Teil der Zoppoter polizeilichen Fachausstellung aussagen, daß dort ein Überblick über die Gefahren und Hindernisse unserer Tätigkeit und über die Größe unserer Arbeitsleistung gegeben wird, der auch dann für uns ruhmvoll wäre, wenn nicht aus den graphischen Darstellungen, Statistiken und Diagrammen hervorginge, daß die Zahl der zur Anzeige gebrachten Delikte die Zahl der erforschten weit übersteigt. (Lebhafte Bravorufe!)

Wir wollen aber nicht zu früh jubeln! Neue große Schwierigkeiten harren unser! Im zweiten Teil der Ausstellung, auf dessen Erörterung ich ohne Überschreitung meiner Redezeit heute nicht eingehen kann, werden nicht bloß gefährliche Fahndungstaktiken und Erkennungsmethoden von der Münchener Polizeidirektion und vom Polizeipräsidium Stuttgart gezeigt, die uns zu angestrengter Abwehr anspornen müssen, sondern auch die Sicherungsindustrie führt ihre Errungenschaften vor, die eine völlige Umgestaltung unserer Technik mit sich bringen werden. Es gibt jetzt Polizeimeldeanlagen und Notruf-Organisationen, die eine ganze Stadt umfassen, thermitsichere Geldschränke und Panzergewölbe, Alarmapparate mit dem »elektrischen Auge« aus Selen, das durch den leichtesten Schimmer unserer Blendlaterne ausgelöst wird, und unheimlich gellende phonographische Schreivorrichtungen – »Hiiiiiilfe! Poooooolizei! Hier sind Einbreeeecher!« –, Sicherheitsschlösser, die den Eindringenden gefangennehmen, Schaufenstergitter und Jalousiendrähte, die kupferne Schwebekontakte zwischen Alarmanschlägen enthalten, Autosafe-Steuerräder zur Verhinderung von Kraftwagendiebstählen, Spezialsicherungen der Treibriemen, Urkunden-Sicherungsmaschinen gegen Schriftfälschungen und dergleichen. All das stellt uns vor neue Aufgaben. Haben wir jedoch in Ehren das Gewerbe unserer Vorfahren fortzuführen gewußt, als uns nicht mehr bloß greise Nachtwächter und friedliche Hofhunde Hindernisse bereiteten – nun, so wird auch unsere Jugend der Schwachstromtechnik, dem Selen und den wissenschaftlichen Erkenntnissen unserer Gegner mit den gleichen Mitteln zu begegnen wissen! (Stürmischer Beifall und Händeklatschen.)

 


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