Egon Erwin Kisch
Der rasende Reporter
Egon Erwin Kisch

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Nachforschungen nach Dürers Ahnen

Der Tabakverschleißer grüßt mit »Jó napot« und legt den »Friss Ujság«, in dem er gelesen, aus der Hand. Das kann nicht weiter wundernehmen. Wir sind ja in Südungarn, in Gyula, der Hauptstadt des Komitats Békés. Also verlangen wir unsere Zigaretten im schönsten Magyarisch, das wir vorrätig haben. Leider führt der Trafikant gar keine Zigaretten, nur Pfeifentabak und Zigarren, und das sagt er uns – in gut deutscher Bauernmundart; er kann überhaupt nicht magyarisch sprechen und von seinen Nachbarn auch fast keiner im ganzen Stadtteil. Wir sind eben schon im deutschen Viertel, der ungarische Gruß ist so üblich wie das »Servus« unter Schustergesellen oder das »Adieu« der Berliner Schlächtersfrauen, die kaum wissen, was das Wort zu bedeuten hat, und »Friss Ujság« wird abonniert, weil die Kinder in der Schule nur magyarisch lesen gelernt haben. So daß es ihnen ein Buch mit sieben Siegeln bleibt, warum man »bajm« spricht und »Bäume« schreibt. Die Kirche trägt nichtsdestoweniger einen deutschen Bibelspruch, und die ältesten wie die jüngsten Grabsteine des nahen Josephs-Friedhofs weisen keine nichtdeutsche Silbe auf.

Es sind fränkische Bauern, hier ansässig, seit der Armee-Proviantmeister Johann Georg Harrucker aus Schenkenfelden die Gyulaer Herrschaft von Karl VI. zum Lehen erhielt. 1724 berief der neue Gutsherr die Kolonisten, ihnen für vier Jahre Steuerfreiheit zusagend. Die Bewohner Gyulas haben die Fremdlinge nichts weniger als gern gesehen, weshalb ihnen Harrucker, um jede Reibung zu vermeiden, einen Platz an der Peripherie des Ortes jenseits der Köröß zuwies; sie bildeten eine selbständige Gemeinde Deutsch-Gyula, was bis zum Jahre 1857 so geblieben ist.

Bis nahe an die isolierte Vorstadt Ajtósfalva ziehen sich ihre Weingärten, durch die der Weg zum gräflich Wenckheimschen Schloß Gerla führt.

Links von dem Wege stand einst ein Dorf, das für die Geschichte der Kunst bedeutsam ist, denn es war der Sitz von Albrecht Dürers Ahnen und hat ihm den Namen gegeben. Es hieß Ajtós (sprich: Ajtosch).

Als Dürer im Jahre 1524 nach Weihnachten in Nürnberg sich anschickte, zusammenzutragen »aus meines Vaters Schriften, von wannen er gewesen sei, wie er herkummen und blieben«, vermerkte er mit liebevoller Genauigkeit den Herkunftsort: »Albrecht Dürrer der Älter ist aus seim Geschlecht geboren im Königreich Hungern, nit fern von einem kleinen Städtlein, genannt Jula, acht Meil Wegs weit unter Wardein, aus ein Dörflein zunächst darbei gelegen, mit Namen Ejtas, und sein Geschlecht haben sich genähret der Ochsen und Pferd. Aber meines Vaters Vater ist genannt gewest Anthoni Dürrer, ist knabenweis in das obgedachte Städtlein kummen zu einem Goldschmied und hat das Handwerk bei ihm gelernet . . .«

Die Steuerliste des Komitats Békés vom Jahre 1556 sagt von den Bewohnern des Dorfes Ajtós, daß sie am Ende des Fleckens Gyula wohnten, »habitant in fine oppidi Gyula«, eine Angabe, die sich mit der Dürerschen, »zunächst darbei gelegen«, deckt. Wir haben also den Ort hart an den Grenzen der Stadt zu suchen, in den Weingärten »Vöröskereszt« (rotes Kreuz), wo auch im Jahre 1872 von einem nach Schätzen grabenden Bauern Backsteinschutt und Mörtel zutage gefördert wurde. Unterhalb der heute den Weinbauern Anton Engelhardt und Johanna Kern gehörenden Gärten, Katasterzahl Nr. 7315 und 7316, fand man Grundmauern eines größeren Gebäudes. Dies waren nicht Reste des Bartholomäusklosters, denn auf einem Stich, den Mathias Zündt von Stadt und Feste Gyula 1556 entworfen hat und in Nürnberg erscheinen ließ, ist das zweitürmige, von einer Mauer umschlossene Kloster östlich von der katholischen Pfarrkirche, also in der entgegengesetzten Richtung, eingezeichnet. Bis in das Gebiet von Ajtós reicht die Zündtsche Karte nicht: am Nordwestrande der Stadt ist nur Wald- und Moosgebiet angedeutet, so daß wir uns den Ahnensitz der Familie Dürer als ein schattiges Dörfchen mit alten Weiden am Ufer der fischreichen Köröß und einem kleinen Hügel in der Nähe denken können, das auf fruchtbarem Ackerboden stand. Noch heute gehört jene mit Obstbäumen, Weinstöcken, Reblaub und lebenden Hecken geschmückte Landschaft zu den besten Gegenden des Alfölds.

Wichtig ist für die Dürer-Forschung der Name des Ortes: »ajtó« bedeutet Tür, und »Thürer« – später »Dürer« – kann nur eine Übersetzung dieses Wortes ins Deutsche darstellen. Die Benennung des Ortes symbolisch zu deuten, weil er für die aus Budapest und Westeuropa Kommenden sozusagen die Tür Gyulas war, wäre gewiß ebenso verfehlt, wie ihn davon abzuleiten, daß ein markantes Gebäude eine besonders auffallende Tür besessen habe. Die Hörigen zahlen hier ihre Kopfsteuer nach der Zahl der Türen (1556 bezieht ein Thomas Török-Ajtósi für zweiundzwanzig Türen die Abgabe), aber dies ist auch in anderen Gegenden üblich und hat dem Orte sicherlich nicht den Namen gegeben. Eher wäre es möglich, daß die Ortschaft nach den Ajtósi, ihren ursprünglichen Bewohnern, den Namen hätte, die wieder ihrerseits »ajtonálló«, die Türsteher des ungarischen Königs, gewesen sein konnten.

Die Ableitung von »ajtatós«, das ist andächtig, beziehungsweise »ajtatoskodás« (Andachtsübung) oder »ajtatosság« (Andacht) hat am meisten Wahrscheinlichkeit für sich, wenn man sich die Urgeschichte der Siedlungen in dieser Gegend vor Augen hält. Ein Edelmann aus der Arpadenzeit namens Julius (Gyula) hatte hier ein Kloster gebaut, welches den Namen Julamonastra führte, was in »Gyula« gekürzt wurde.

Schon damals beherbergte das Kloster Gyula einen Schatz, dem das Kloster und der Ort ihren Aufschwung verdanken: das wundertätige Bildnis der Gottesmutter, zu dem aus weiter Ferne Pilger wallfahrteten. Selbst König Karl I. ist vom 19. bis 22. Juni 1313 hier gewesen, um von der heiligen Maria Segen zu erflehen. Es ist nun wahrscheinlich, daß das nahe der Kirche gelegene Ajtós eine Ansiedlung solcher Wallfahrer war und daß diese Niederlassung nach dem Zwecke ihrer Herkunft, der Andacht, benannt wurde.

Im Jahre 1552 eroberten die Türken die Burgen Temesvár und Lippa, und die Bodenbesitzer von Ajtós zerstoben. Die Namen der allein zurückgebliebenen Hörigen meldet keine Steuerliste – sie waren wohl so verarmt, daß bei ihnen nichts zu holen war. August 1556 begannen die Türken die Belagerung von Gyula, die Ajtóser flüchteten von neuem. 1560 wird das Dorf als bevölkerungslos erwähnt, 1563 zählt es wieder zwanzig Familien mit hundert Köpfen, später wird es überhaupt nicht mehr genannt. Die Kohäsion der Stadt macht sich geltend.

Schon lange steht von dem Dorfe, in dem die Vorfahren des Schöpfers deutscher Kunst gelebt haben, kein Stein mehr auf dem anderen, nichts erinnert an Dürer und seine Ahnen, nur Reben deutscher Weinbauern wachsen hier und geben herben Wein.

Es muß nicht das allerschlimmste gewesen sein, in dem fruchtbaren Dörfchen Ajtós sich von Pferdezucht und Viehhandel zu nähren, und wenn wir trotzdem gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts den jungen Antonius Pflug und Stall verlassen sehen, um in die ferne große Stadt zu ziehen – die freilich nur eine Viertelstunde entfernt und auch nicht sehr groß war – und sich der Kunst zu ergeben, so ist darin der Wandertrieb und die Künstlersehnsucht zu erkennen, die dann seinen Sohn in die Niederlande und nach Nürnberg und seinen großen Enkel zum Studium der Künste nach Welschland führte. Mindestens ein halbes Jahrhundert lang haben Dürers Großvater und Dürers Vater als Goldschmiede in Gyula gelebt, aber ohne daß sie sich durch die Ausübung eines Handwerks in den Augen der Verwandten im Nachbardorf hätten schaden können. Die Ajtósi waren armer Kleinadel, das ganze Ausmaß von Ajtós und Kigyos zusammen hat höchstens zweihundert Joch ausgemacht, worin sich gewöhnlich fünf Besitzer teilten; der Kaufpreis der Güter betrug, wie wir aus den Verkaufsurkunden wissen, nicht mehr als zweihundert Gulden, und wie bäuerlich bescheiden dieses Adelsgeschlecht lebte, geht aus dem Mobiliarienverzeichnis im Testamente der Frau Nikolaus Bradácz-Ajtósi hervor, die über ihr ganzes Hab und Gut, bestehend aus dem Hause, sieben Ochsen, neun Kühen, neun großen und drei kleinen Bleinäpfen, neun runden und sieben viereckigen Tellern, fünf Bleikannen, zwei Messingmörsern, drei Eisenlöffeln und der im Schrank befindlichen Wäsche, genaue Verfügungen trifft.

Über die Familienverhältnisse von Dürers Vater und Großvater sind wir durch die Aufzeichnungen des Meisters unterrichtet. Anton, der Großvater, hatte, nachdem er als Knabe von der heimatlichen Scholle in Ajtós nach Gyula gekommen war und hier das Goldschmiedehandwerk erlernt hatte, eine Jungfrau namens Elisabeth geheiratet. »Mit der hat er eine Tochter Catherine und drey Söhne geboren. Der erste Sohn, Albrecht Dürrer, der ist mein lieber Vater gewest, der ist auch ein Goldschmidt worden, ein künstlicher reiner Mann. Den anderen Sohn hat er Laslen genennet, der war ein Zaummacher, von dem ist geboren mein Vetter Niclas Dürrer, der zu Cölln sitzt, den man nennet Niclas Unger, der ist auch ein Goldschmidt und hat das Handwerk hier zu Nürnberg bei meinem Vater gelernet. Den dritten Sohn hat er Johannes genannt, den hat er studieren lassen, derselbe ist darnach zu Wardein Pfarrherr worden, ob dreißig Jahr lang blieben. – Darnach ist Albrecht Dürrer, mein lieber Vater in Teutschland kommen, lang in Niederland gewest bey den großen Künstlern und auf die letzt her gen Nürnberg kommen, als man gezählt hat nach Christi Geburt 1455 Jahr, am St. Loyentag . . .«

Wir verstehen die magnetische Kraft, die Gyula gerade zu jener Zeit, als Anton aus Ajtós hinkam, auf einen Dörfler ausüben mußte: Man merkte schon etwas vom Aufschwung der Städte und Stände, von der Pflege der Wissenschaften und Künste, welche Karl Robert von Anjou und Ludwig der Große in das Land gebracht hatten, und auch von der Prachtliebe und dem Luxus des Adels.

Im Jahre 1403, am 5. November, schenkte König Sigismund, der nachmalige Kaiser, dem Johann Márothy aus dem Geschlechte Gutkeled für kriegerische Verdienste die Herrschaft Gyula, die durch den Tod des Knaben Johann Losonczy erledigt war. Am Sonntag Trinitatis, am 25. Mai 1404, zog der neue Gutsherr feierlich in Gyula ein; bei dieser Inauguration war auch ein Sebastian Ajtósi anwesend. (Bayrisches Landesarchiv München, Faszikel »Ungarische Dokumente«.) Er ist von den Landsleuten Dürers der erste, dessen Namen in den Akten zu finden ist; Anton ist entweder mit ihm angekommen oder war um diese Zeit bereits in Gyula, da er »knabenweis in das obgedachte Städtlein kummen« und ihm 1427 Albrecht der Ältere, der Vater unseres großen Malers, geboren worden war.

Aus dem Wunsch des Banus Márothy, seinen aufblühenden Herrensitz vor Überfällen zu schützen, ist das einzige Baudenkmal geboren, das aus der Zeit von Dürers Vater und Großvater noch erhalten ist: die Gyulaer Burg, die massiv und gewaltig über den Blumenbeeten des Almassyschen Schloßparkes steht. Der Platz war vom Feldherrnblick Márothys im Osten der Stadt an der Biegung der Köröß gut gewählt.

Im Jahre 1476 ist Mathias, der letzte Márothy, gestorben, die Herrschaft Gyula fiel an die königliche Schatzkammer, 1482 schenkte König Mathias den Gutsbesitz seinem Sohn: aber Johann Corvinus starb bald, und seine Witwe Beatrix Frangepán erbte die Herrschaft; ihr zweiter Gatte war Markgraf Georg von Brandenburg.

Bau von Kloster, Kirche, Kapelle und Kastell, Jagdvergnügen, Hofstaat, Wochenmarkt – Grund genug, daß in der Márothy-Zeit neben der Landwirtschaft auf den fruchtbaren Landstrecken des Komitats sich in seiner Hauptstadt auch andere Berufszweige entwickelten. Handel und Gewerbe blühten, und nicht weniger als zwölf Zünfte gab es in diesem südungarischen Nürnberg. Die Namen »Schmied«, »Kürschner«, »Müller«, »Schuster«, »Töpfer« kommen – in magyarischer Sprache – vor und zweimal der Name »Oetvös«, das heißt Juwelier, und es ist anzunehmen, daß die ursprünglichen Träger dieser Namen den betreffenden Beruf ausgeübt haben.

Daß auch der Goldschmied zu jener Zeit sein gutes Auskommen hatte und eines willigen Gehilfen bedurfte, läßt sich denken. Der Stand war ein vornehmer – die Zunftfahnen in der Gyulaer Kirche erzählen uns, daß die Gilde der Goldschmiede einst eine »wohledle« und nicht bloß eine »ehrsame« war wie die anderen – und der erste in den erhaltenen Dokumenten vorkommende Ortsrichter, das ist Ortsvorsteher, von Gyula war ein Goldschmied. Dieser Nikolaus Aurifaber hat (siehe Liber regius II. 134, Bud. L. Archiv) durchgesetzt, daß die vom König Mathias der Stadt Gyula zur Zeit ihrer Reichsunmittelbarkeit gewährte Steuerfreiheit von Ladislaus VII. mit Urkunde vom 2. April 1492 bestätigt wurde. Wir dürfen annehmen, daß dieser bei Hof und Bürgerschaft so einflußreiche Ortsvorsteher und Meister der Juwelierkunst ein Sohn des Lehrmeisters von Anton aus Ajtós, von Dürers Großvater, war, ebenso wie man vermuten kann, daß er auch Pate von Albrecht Dürers Vetter ist, »der zu Cölln sitzet, den man nennet Niclas Unger, der auch ein Goldschmidt«. Dieser Vetter war der Sohn des Gyulaer Zaummachers Laslen, des jüngeren Bruders von Albrecht Dürers Vater, und es ist mehr als wahrscheinlich, daß dieser Sohn eines Goldschmiedes den seinigen nicht früher zur Lehre in das Ausland gesandt hat, bevor er in der Heimat die Anfangsgründe erlernt hatte. Allzu viele Juweliere kann es im fünfzehnten Jahrhundert in Gyula nicht gegeben haben, so daß wir in der Wiederkehr des Namens Nikolaus keinen Zufall, sondern wohl eine Beziehung sehen können.

Sonst steht nichts über die drei wackeren Aurifabri in den alten Schriften der Stadt. Als die Türkengefahr drohte, brachten die flüchtenden Franziskanermönche den reichen Schatz der Gyulaer Kirche, Stolen, Ornate, Kruzifixe, Altäre, Kelche, Schmuckstücke und Devotionalien, im Jahre 1566 nach Schloß Ecsed in Sicherheit, von dort wurde alles nach Kaschau um elfhundert Gulden verkauft. Und unter diesen kostbaren Stücken mögen manche gewesen sein, an denen Dürers Vater, sein Großvater und dessen Lehrherr mit künstlerischem Eifer geschaffen hatten.

Zu der Zeit aber, da in Nürnberg Albrecht Dürer, in der Blüte seines Schaffens stehend, sich begeistert Luther und der Reformation zuwandte, zu dieser Zeit herrschte in der Heimatstadt seines Vaters ein deutscher Fürst über die magyarischen Edelleute, Bauern und Handwerker, einer der tätigsten Vorkämpfer der Reformation: Georg der Bekenner, Markgraf von Brandenburg und Burggraf von Nürnberg. Eine Urkunde, auf kaiserlichen Auftrag vom Capitulum ecclesiae Budensis 1525 ausgestellt, regelt die Grenzen zwischen dem Gut des Burggrafen von Nürnberg und dem der Adelsfamilie Ajtósi von Ajtós, der Vettern des Nürnberger Meisters.

Dürers Ahnen waren Ajtósi, das geht aus der ganzen Geschichte des vom Meister angegebenen Herkunftsortes ebenso deutlich hervor wie aus dem Namen »Thürer«, der nichts anderes sein kann als eine Übersetzung des Namens Ajtósi. Aber »ajtósi« durften sich zu jener Zeit alle Leute nennen, die in dem Dorfe Ajtós Bodenbesitzer waren, und sie nannten sich so. Manchmal war es ein Familienname, manchmal jedoch eine Herkunftsbezeichnung. Wir finden zum Beispiel einerseits einen Peter Ajtósi von Ajtós in den Urkunden, andererseits tritt wieder die Witwe des Békéser Burghauptmanns Ladislaus Szakolyi, die jahrelang in den Dokumenten mit ihrem Mädchennamen Anna Necspali genannt wird, in einem Briefe von 1490 als Anna Ajtósi auf, bloß auf Grund der Tatsache, daß sie in Ajtós ein Grundstück besaß.

Viele fremde Kolonisten wohnten in und um Gyula und ganz besonders in Ajtós, die den Beinamen »Ajtósi« und den Titel »nobili« geführt haben. Die Namen »Török« (Türke) und »Olah« (Rumäne) sagen dies nicht minder deutlich als die slawischen »Bradacs« (der Bärtige) und »Necspali«; einer der Ajtósi hieß sogar »Kristel« – die deutsche Abkürzung von Christian, die wir erkennen würden, selbst wenn in den Akten die lateinische Übersetzung »Christiani« nicht ausdrücklich stünde. Auch »Horvát« (Kroate) und »Bosnyak« (Bosniake), Susalics, Gostovics und Dudics finden wir unter den Ansiedlern, ferner Déak-Ajtósi, Cristiani-Ajtósi, Egey-Ajtósi und Szitas-Ajtósi. Ein »Thürer« oder ein diesem ähnlicher Name kommt selbstverständlich nicht vor.

Dreiundzwanzig Akten sind erhalten, die sich auf Ajtós und die Familien Ajtósi beziehen und die von der deutschen Kunstgeschichtsforschung bisher nicht publiziert und nicht einmal eingesehen wurden. Und doch läßt sich aus ihnen familiengeschichtlich einiges feststellen: 1418 wird ein Ladislaus Ajtósi als Gutsnachbar Márothys erwähnt. Dieser Ladislaus ist ein Sohn jenes Sebastian Ajtósi, der bei der feierlichen Einsetzung Johann Márothys genannt war. In Sebastian Ajtósi könnte man den Urgroßvater Dürers und in Ladislaus den daheim gebliebenen Bruder des Goldschmieds Anton Dürer erkennen; der Sattler Laslen führt dann seinen Namen nach dem Onkel.

Die Archive der alten Bischofsstadt Großwardein sind 1660 von den Türken vernichtet worden, und es gibt bloß im Siebenbürgischen Museum in Klausenburg ein Schriftstück, das sich auf den geistlichen Onkel Dürers beziehen kann, jenen Johannes, der dort Pfarrherr geworden und es über dreißig Jahre geblieben war: eine Urkunde vom Jahre 1461, welche den »honorabilis dominus Johannes plebanus ecclesie sancte crucis in civitate Waradiensi fundate« erwähnt, und zwar als »procurator nobilis Nicolai de Doboka«. Der Taufname, der Titel, die Wirkungsstätte und die Zeit stimmen überein, und so ist es wahrscheinlich, daß der Vormund des Herrn Nikolaus von Doboka mit dem jüngsten Bruder Albrecht Dürers des Älteren identisch ist.

 


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