Egon Erwin Kisch
Der rasende Reporter
Egon Erwin Kisch

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Fahrt unter Wasser

»Tauchbereit!«

Auf dieses Aviso fliegen brennende Zigarettenreste ins Meer, Matrosen springen, die Maschinenluke hinter sich schließend, in das Innere der Okarina, auf ihre Tauchstationen. Der Kommandant schwingt sich in den Turm und klappt den Deckel über sich zu. Dieselmotoren, die bislang den Propeller drehten, hören zu arbeiten auf; zur Verbrennung ihres Blauöls ist Luft nötig, und die brauchen wir jetzt selbst. Unter Wasser ist der Betrieb elektrisch, eine Akkumulatorenbatterie von sechzig Zellen liefert den Strom, der die beiden Elektromotoren von je hundert Pferdekräften bewegt.

Stimme vom Kommandoturm: »Alles dicht?«

Pater profundus (tiefe Region): »Alles dicht! Boot tauchbereit.«

Stimme vom Kommandoturm: »Fluten!«

Flutventile und Entlüftungsventile der Tauchtanks öffnen sich. Meerwasser ist der Ballast, der jetzt in die Tanks strömt. Luft, die bislang Trockenwohnerin war, verläßt – vor Wut über die Delogierung zischend und pfeifend – das Quartier. Wir sinken. Durch die kleinen Seitenlichter des Turmes, Rundfenster dicksten Glases, kann man es feststellen. Das Wasser reicht bis zur Hälfte der Fensterhöhe. Sonnenstrahlen wirbeln darin. Dann steigt das Wasser noch höher, und draußen wird es ganz blau. Weiter fällt das Boot. Siebeneinhalb Meter sind wir unter dem Meeresspiegel, also in Schwebelage. (Gewicht des Bootes gleich Auftrieb.) Jetzt kann man fahren. Die E-Motoren werden angesetzt, das Tiefensteuer abwärts bewegt. Das Boot nimmt eine Buglast von zehn Grad an. Das Tiefenmanometer beginnt zu spielen, zeigt an, daß wir nach unten gehen. Ausrufe des Tiefensteuermannes: »Neun Meter, zehn Meter, elf Meter!«

Dies ist die Auslugtiefe. Das Periskop ist sechs Meter lang, und das Boot hat eine Höhe von fünf Metern. Man kann es also noch nach dem Sehrohr dirigieren.

Der Tiefensteuermann meldet, daß das Boot zu schwer ist. Der Pater profundus in der tiefen Region, den die Unterseebootsleute »Zweiter Offizier« nennen, gibt das Kommando: »Reglertank lenzen!« Befehl ist Befehl; nicht nur das, er muß sogar befolgt werden. Also, der Reglertank, in der Mitte des Bootes, wird mit der Lenzpumpe von Wasser befreit, »ausgepumpt«, sagt der Laie, »gelenzt«, sagt der Fachmann.

Aha! Das Boot kommt wieder in die richtige Trimm und kann in der anbefohlenen Richtung weiterfahren. Wir wissen nicht, welches diese Richtung ist, wir merken überhaupt nicht, daß wir fahren, wir wissen nicht, wie tief wir sind und ob etwa der Gegner schon in der Nähe ist. Wir sind einfach in einen grausam engen Maschinenraum eingepfercht und sind ölig und schmutzig. Alles andere weiß nur der Herr oben, der unser Schicksal lenkt.

Der Herr oben, der unser Schicksal lenkt, balanciert mit gespreizten Beinen über der (nach innen) offenen Turmluke, beide Arme hat er ausgebreitet, in den Händen hält er die Griffstücke des Sehrohrs, und dieses drehend, dreht er sich mit. Manchmal ganz langsam nach rechts, dann mit einem jähen Sprung nach links und wieder mit einem Sprung nach rechts. Dabei sind seine Augen in die Stange festgebohrt, und er ruft dem Steuermann Kommandos zu, Kurs des Bootes, einzuhaltende Tiefe, Fahrtgeschwindigkeit. Seltsam: in einer hermetisch abgeschlossenen, tief ins Meer versenkten Kammer starrt er in die Löcher einer Stange und sieht! Sieht eigene Schiffe, denen auszuweichen ist, und plötzlich – ein feindliches, das anzugehen ist.

»Apparat eins und zwei klar!«

In dem druckfesten Körper ist alles in Bewegung. Jeder Mann an seiner Gefechtsstation. Man kann den Händen der Torpedisten die kommenden Griffe schon im voraus ansehen.

Gedanken aller: Wenn unser Boot einen Schuß bekommt, der auch nur die Apparatur beschädigt – wir bleiben gleich hier in unserem Sarg.

Ohne verwundet zu sein, ohne krank zu sein, bei klarem Bewußtsein, ohne die Gesellschaft zu verlassen, in der wir sind, werden wir lebendig begraben. Sehen die Welt nicht mehr und werden von der Welt nicht gesehen.

Wenn wir aber schießen, dann sterben drüben junge Menschen.

Das Herz klopft, Flüche verstummen, der Humor ist vergangen. Ein Passagier ist gekommen, noch unhörbar und unsichtbar, aber er frißt von unserer uns zugemessenen Luft: der Tod.

»Druck nach vorn! – Mündungsklappe öffnen! – Torpedo eins fertig! – Torpedo zwei fertig!«

Aviso vom Auslug: »Achtung!« Die Elektromotoren arbeiten mit äußerster Kraft voraus. Auch die Nerven haben Höchstspannung erreicht. Man sieht nichts, weiß nichts. Nur der Kommandant sieht etwas, weiß etwas. Und jetzt – jetzt sieht auch er nichts mehr. Mit dem letzten Blick nach dem Gegner zieht er das Periskop ein, auf daß es uns nicht verrate. Wir sind blind.

Der Kommandant berechnet die Vorhaltewinkel für die Lancierung gegen das fahrende Schiff. Noch einmal wird das Sehrohr ausgeholt und in den Lancierkurs gewendet. Kommandant: »Backbord zehn!« Der Steuermann ruft von zehn zu zehn Grad den Kurs aus. »Hundert! Neunzig! Achtzig!« Befehl: »Entgegen! Sofort!« Steuermann: »Siebzig!«

In diesem Kurs fährt das Boot, seine furchtbare Waffe gelockert, und muß bald in der Peilung sein.

»Torpedo eins: los!« Der Kommandant drückt auf einen Taster. Die Abfeuerung ist ausgelöst. Ein dumpfes Geräusch erfüllt das Boot, es ist die Druckluft, die aus dem Lancierungsapparat hinausgestoßen wird.

»Steuerbord zehn!« (Es wird dem Feinde nachgewendet.) »Torpedo zwei: los!«

Das Boot ist um zwei schwere Torpedos leichter. Es würde infolge dieses Gewichtsverlustes zu stark emporspringen. Deshalb legen wir das Tiefensteuer abwärts. Unser Fahrzeug nimmt eine Buglast von zehn Grad an. Man wendet alle Mittel an, es zu beruhigen. Gleichzeitig ruft der Türmer, schon wieder mit den Augen an das Periskop festgeschraubt: »Torpedo zwei läuft gut, Torpedo eins zu weit rechts!«

Einstweilen werden die Mündungsklappen der beiden Lancierrohre für die Einführung der nächsten beiden Torpedos geschlossen.

»Torpedo zwei: Treffer!« ruft der Herr am Rohre.

Es wird abgewendet. Das lancierte Schiff dampft ab – wie weit es kommen mag? Man wird es schon erfahren.

Nach unten kommt der Befehl zum »Auftauchen! Alles blasen!«. Das Tiefensteuer wird aufwärts gestellt, das Boot nimmt Hecklast an, die Tiefenmanometer spielen rascher und zeigen kleinere Tiefen; da die Skala vier Meter angibt, bleiben sie stehen. Jetzt ist unser Vehikel wieder schön horizontal gelagert, durch die Seitenluken konstatiert man froh, daß die Sonne die dünne Wasserschicht bereits durchdringen kann, und dann sieht man die Oberfläche des Meeres, so gut, wie sie bisher nur der Kommandant auf indirektem Wege sah. Tageslicht! Tageslicht!

Gestoppt werden die Maschinen. »Alles lenzen!« Der letzte Rest Wasser wird aus den Tanks herausgepumpt, die Turmluke wird geöffnet. Blauer Himmel, frische Luft, der Todesgefahr entgangen. Hörbar ist das Aufatmen. Kommandant und Steuermann klettern auf Deck, aus den anderen Luken springt die Mannschaft – alle bereits mit der brennenden Zigarette im Munde. Spucken ins Meer, fluchen sich frei und paffen. Auch das Meer an den Bordwänden qualmt vergnüglich: In milchigen Schwaden quirlt das Wasser aus den Tanks hervor, die noch gelenzt werden.

Die Oberwassermaschine wird klargemacht, aus dem Innenboot werden Meldungen herausgerufen. »Alles lenz!«, das heißt, daß alle Tanks leer gepumpt sind, »Alles dicht!«, das heißt, daß alle Ventile geschlossen sind, und »Beide Maschinen klar!«, das heißt ungefähr, daß beide Maschinen klar sind.

 


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