Egon Erwin Kisch
Der rasende Reporter
Egon Erwin Kisch

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Mißgeburten des Porzellans

Dunkler Dreck und schmutzige formlose Steine bilden Hügel auf dem Fabrikhof, der so ist wie alle Fabrikhöfe. Zugegeben, diese Kothaufen heißen: »schwarzer Ton«, und das minerale Unkraut da: »Kaolin« oder »Quarz« oder »Feldspat«. Aber wennschon! Dieses Zeug will man also verwandeln

in tiefblaue Teller mit Seelandschaften und zierlich durchbrochenem Rande;

in schreiend geblümte Riesenvasen aus weißer Fayence »Aluminia«;

in eine reichdotierte, grotesk-naturalistische Menagerie

sich erstaunlich gelenkig aufrichtender Nashorne,

von graublauen Seehunden schneeigen Bauches,

Pfauen, sich protzig weit entfaltend,

Kopfball spielenden Walfischen,

höchst possierlichen Pavianen,

zärtlichen Elefantenpaaren,

drei raufenden Dackeln,

Wasserhühnern und

Heringen;

oder in Mokkatäßchen?

Was wird mit dem Schutt vor sich gehen, bevor er zu Königlich Kopenhagen wird, zu den porzellanenen Gestalten und Geschirren, unten blau signiert mit drei gekrönten Wellenlinien, die den Öresund und den Großen und den Kleinen Belt bedeuten (die Wasserwege, die die Porzellanfuhre nehmen muß vom dänischen Eiland bis zu den Vitrinen der Sammler)? Voyons! Der Ausländer hatte ohnedies allerhand Schwierigkeiten zu überwinden, bevor er die Besuchserlaubnis bekam. Schließlich wird er selbst so argwöhnisch, daß er aus der freundlichen und eigentlich selbstverständlichen Frage, ob er sich speziell für Porzellan interessiere, den Spionageverdacht heraushört. Und hinter dem herzlichen, persönlichen Interesse an seinem Studiengang wittert er Tendenz.

Sind diese Vorsichtsmaßregeln noch ein Erbe jenes achtzehnten Jahrhunderts, das die Kunst, »China« zu machen, neben die Alchimie stellte und auf den Verrat dieser Töpfereiprozedur den Tod? Der vorgebliche Goldmacher Böttger, der 1709 die chinesische Kunst für Europa erfand, wurde hernach in der Meißner Fabrik unter strengerer Aufsicht gehalten als vorher in seiner Haft auf Königstein. »Geheim bis ins Grab«, stand zwischen zwei Totenköpfen auf den Wällen, die die Meißner Arbeiter mit ihren Familien lebenslänglich einschlossen. Welche Spionageversuche, welche Bestechungen, welche Beschwörungen ließen doch die Kaiserinnen, die Könige, die Kurfürsten und die Herzöge unternehmen, um dahinterzukommen, wie man diese Scherben herstellt! Fürstenhöfe buhlten um der Töpfer Gunst, und der größte König schreckte nicht davor zurück, dem sächsischen Vetter Modelle, Rezepte und Formen zu rauben und nach Berlin zu überführen. »Porcellaine« zu erzeugen war fürstliche Mode, königlicher Sport. Er trug nichts ein, und um Abnehmer zu haben, ordnete zum Beispiel Friedrich II. an, daß in Preußen den Heiratskonsens kein Jude bekommen dürfe, bevor selbiger nicht um hundert Taler Geschirr aus der Berliner Manufaktur gekauft habe. (Und während der Freiheitskriege besagte eine Denunziation, die Juden trieben solchen Aufwand, daß eine Witwe im Jüdenhof nächst der Nicolaikirche eine Porzellanschüssel der Königlichen Manufaktur als Bidet benütze.) Die Könige hüteten die Patente viel ängstlicher als Geschäftsgeheimnisse – es waren Hofgeheimnisse.

Hier in Kopenhagen scheint diese Tradition noch zu spuken, die Ingenieure haben etwas von Hofsekretarii an sich, obwohl »Den kongelige Porcellainsfabrik København« längst nicht mehr königliches Privateigentum ist. Was gibt es denn zu verheimlichen? Tausend Arbeiter sind hier beschäftigt, es ist wohl der ganze Vorgang in jedem Fachbuch beschrieben, und alles ist doch sehr klar: In der Schlemmerei wird das Rohmaterial, das da so plump gehäuft im Hofe lag, zerklopft, zerquetscht, zermahlen, dann kommt der Ton entweder auf die Drehscheibe, wo er zu Tellern, Schüsseln, Schalen und Töpfen gestaltet wird, oder in die Gießerei, wo die einzelnen Teile der Figuren, Kannen oder Vasen in Gipsformen gegossen werden.

Nicht viel poetischer sieht es in den langgestreckten Malsälen aus. Blasse Mädchen und kurzsichtige Frauen sitzen vor Mustern, die sie längst nicht mehr ansehen, und pitzeln mit spitzigem Pinsel und verriebener Farbe (meist Kobaltblau, es kann aber auch Chromgelb sein) Ornamente aus freier Hand, wie sie kein Zirkel und keine Reißfeder genauer zu ziehen vermöchten. Und malen Blüten und Zweige und Stengel der Flora danica auf den Tellergrund, aus dem Gedächtnis und doch so, daß selbst Linné kein Staubgefäß vermißte. Den Kiemen der Fische, dem Gefieder gespreizter Truthähne, den Pratzen von Raubtierjungen geben sie einige Farbe, und alles kriegt Glasur, indem man das Stück in einer Schüssel schwenkt, worin die Schlempe milchig schimmert, Kristall-, Schlangenhaut- oder Katzenaugenglasur.

In kreisrunden Kapseln aus Ziegelmasse wird Kunstporzellan und Gebrauchsgeschirr so aufgeschichtet, daß es von der Flamme nicht direkt angegriffen werden kann, und geht in den Brennofen. Die Glut von siebzehnhundert Grad Celsius, die höchste aller Porzellanfabriken, erhöht zwar die Weiße der Masse und den Glanz, aber die Farben werden eintönig, bekommen etwas von der grüngelben Blässe, die ein Embryo in Spiritus hat, und etwas von dessen grotesker Echtheit.

Das Gebilde, das diese Feuerprobe bestanden hat, darf hinaus in die Welten und Zeiten. Aber nicht jedes besteht sie. Oft platzt die Kapsel, und alle darin angeordneten Stücke gehen zugrunde, häufig erleiden sie solches Malheur, weil Rauch eingedrungen ist, manchmal verliert ein Figürchen das Gleichgewicht und fällt auf den Nachbar, mit dem es nun zusammenschmilzt. Wir sehen diese Mißgeburten des Porzellans, ein ganzes Abnormitätenkabinett der Töpferei: zwei Hunde, die nicht voneinander können, ein Kind mit zwei Köpfen, zwei Affen mit vier Popotscherln, einen Hirtenknaben, der zum Sodomiten geworden ist, einen Walfisch mit Elefantenrüssel.

Eine bekannte Kopenhagener Porzellangruppe veranschaulicht die Märchenprinzessin und den Schweinehirten, wie sie ihn küßt, weil er dies als Kaufpreis für die künstliche Rose und die künstliche Nachtigall verlangt hat. (Aber als sie ihn endlich geküßt hat, wodurch er wieder zum Königssohn wird, verläßt er sie – so erzählt das Andersensche Märchen weiter –, denn ihre allzu heftige Liebkosung hat ihm mißfallen.) Auf einem verstümmelten Exemplar ist nun die Mädchenfigur etwas ausgerutscht, und – die Prinzessin ist in einer Stellung zu sehen, die geradezu als schamlos bezeichnet werden muß! Man begreift, daß der Prinz – wahrscheinlich ein naiver, allen Perversitäten abholder Jüngling über ein solches Verhalten empört ist und ernüchtert, man begreift die Symbolik des Märchens . . . Der Direktor der Manufaktur erklärt uns denn auch, daß diese Gruppe selbstverständlich zertrümmert wird.

Nur wenige der porzellanenen Fehlgeburten können noch zum Leben erweckt werden: durch Abschleifen kann man ihnen eine halbwegs annehmbare Gestalt geben und sie als Ausschuß (euphemistisch: »Ware zweiter Qualität«) verkaufen. Das meiste wird zerschlagen. Dann war alle Arbeit umsonst, die fabrikmäßige und die Manu-Factur, die Mühe der Malerinnen und die Kunst der Modelleure. Die Verlustprozente sind hoch, und der Käufer des geratenen Exemplars muß die Kosten des mißratenen bezahlen.

 


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