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Unser Gebet.

(Gesprochen von der Schauspielerin Frl. Bartoscheck in einer Akademie zum Besten der Hinterbliebenen der Opfer des Ringtheater-Brandes.)

Du hast, o Herr, in dieser Zeit
Uns schweres Leid getan.
Wir beten deine Herrlichkeit
Mit bittern Tränen an.
Wir neigen Uns im tiefsten Schmerz
Vor deinem Angesicht,
– Das ganze Volk ein jammernd Herz:
O Herr, verwirf uns nicht!

Unselig ist, was wir gesehn.
Oh, send' uns Trost herab!
Wir sahn das Liebste untergehn
Und stehn vor seinem Grab.
Oh, was ist alles Glück der Welt!
Ein Traum, der trugvoll winkt,
Ein Märchen, das ein Kind erzählt.
Ein Schatten, der versinkt.

Wie falsch ist eitler Hoffnung Schein,
Der rosige Kränze flicht, –
Entsetzlich bricht die Nacht herein
Und löscht das goldne Licht.
Der Ewige greift mit seiner Hand
Ins Feuer, daß es loht,
Der Funke wird zum zornigen Brand,
Das Leben wird zum Tod.

Da gilt kein Herr, da gilt kein Knecht,
Kein Alter und kein Brauch,
Da gilt kein Ruhm und kein Geschlecht –
Was lebt, stirbt hin wie Rauch. –
Oh, wär' doch unser Auge blind.
Den Jammer nicht zu sehn.
Wie Mann und Weib und Greis und Kind
Im Flammengrab vergehn!

Oh, wär' doch taub das bange Ohr,
Daß es den Schrei nicht hört,
Der laut zum Himmel hallt empor
Und Herz und Sinn betört. –
Es kämpft und ringt mit letzter Kraft:
Oh, rettet! helft! springt bei!
Gefesselt, in des Feuers Haft,
Wird Schmerz zur Raserei.

Durch grauenvolle Finsternis
Zuckt roter Flammenschein,
Hier Wut, die sich das Haupt zerstieß.
Dort hoffnungslose Pein.
Und immer dichter qualmt der Dampf,
Und heißer flammt die Glut,
Und immer toller tobt der Kampf, –
Bis er ohnmächtig ruht.

Oh, still! und wenden wir den Blick
Hinweg von soviel Schmerz!
Wen nicht erschüttert solch Geschick,
Der hat kein menschlich Herz.
Sie suchten ja ein Freudenfest
Und fanden bittern Tod,
Nun sind sie stumm, ein Aschenrest,
Vorbei ist Qual und Not.

Was sie erhofft, geliebt, erstrebt.
Still ruht's im Sargesschrein,
Doch was sie jammernd überlebt,
Wie mag's getröstet sein?
Wer gibt der Mutter nun ihr Kind?
Die Braut dem Bräutigam?
Oh, weh uns, daß wir Menschen sind,
Zu schwach für solchen Gram!

Nein! Heil uns, daß wir Menschen sind.
Empfindsam für den Schmerz,
Wir drücken das verwaiste Kind,
Die Mutter an das Herz.
Kein Feuer ist so glühend warm
Wie unsres Mitleids Glut.
Der Aermste ist noch nicht zu arm,

Er gibt von seinem Gut.
Zum schönsten Wettstreit ist erwacht
Der Menschheit guter Geist,
Der uns mit liebevoller Macht
Die Tränen trocknen heißt.
Nur Mut! ihr alle, die ihr weint.
Wir weinen ja mit euch,
Bis wieder Gottes Sonne scheint
In diesem Schmerzensreich.


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