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Lessings Geist.

(Zur Einleitung und Verbindung lebender Bilder vorgetragen am 15. Februar 1881 im Landestheater zu Linz a. d. Donau.)

So arm ist kein Geschlecht, daß es bescheiden
Dem Genius ein Lorbeerblatt nicht schenkt,
So stumpf kein Volk für Taten und für Leiden,
Daß es der eignen Größe nicht gedenkt.

O deutsches Volk, du herrlichstes von allen,
Jahrtausend alt – und dennoch ewig jung,
Aus unsrer Seele soll dein Lob erschallen,
Du heil'ge Quelle der Begeisterung!

Und Pflicht sei's uns in diesen schweren Tagen,
Des edlen Bluts der Ahnen wert zu sein
Und Stein auf Stein zum Bau herbeizutragen,
Der mehr bedeutet, als der Dom am Rhein.

Es ist kein Bau aus Quadern und aus Erzen
– (Der Stein verwittert und das Erz erbebt) –
Es ist ein Bau aus Millionen Herzen,
Der – wenn auch ein Jahrtausend stirbt – noch lebt.

Und das bedenkend, feiern wir den Guten,
Der unsern größten Geistern brach die Bahn,
Wir feiern ihn mit der Begeistrung Gluten,
Lessing, den Dichter und den edlen Mann.

Vor hundert Jahren! Faßt euch nicht ein Schauer?
Liegt in dem kleinen Wort nicht eine Welt?
Oh, wieviel Hoffnung, Täuschung, Schuld und Trauer
Durchwandelte der Erde weites Feld!

Des Geistes und des Leibes mächt'ge Waffen
Empörten sich und wurden müd gestreckt,
Deutschland verschwand und wurde neu erschaffen.
Und jetzt erst ist uns Lessing ganz erweckt.

Fern sei von mir, daß ich, ein müß'ger Richter,
Ausschöpfen wollte seinen alten Ruhm,
Auf dieser Bühne lebt ja nur der Dichter,
Der Mensch ist aller Menschheit Eigentum.

So steigt denn auf, ihr lächelnden Gestalten,
Ihr schönen Kinder seiner heitern Kunst!
Oh, laßt euch hold wie Traumesbilder halten,
Verschwindet nicht zu schnell in Nacht und Dunst.

Zeig', Tellheim, dich, vom schnöden Glück verlassen;
Ob deinem Wort die Welt mit Undank lohnt,
Dein braves Herz versucht umsonst zu hassen, –
O glücklich Herz, in dem die Liebe wohnt!

Minna von Barnhelm, der du willst entsagen,
– Denn edle Größe schätzt sich selbst gering –
In Liebesfesseln hat sie dich geschlagen
Und gibt dir lächelnd der Verlobung Ring.

Emilia Galotti, teurer Schatten,
Du klammerst dich an deines Vaters Arm,
Der freche Mord erschlug dir deinen Gatten,
Du bist so schön, so jung, – dein Blut ist warm.

Gewalt hielt dich im Fürstenschloß gefangen,
Und keine Macht befreit' dich aus der Not,
Das Abendrot der Unschuld auf den Wangen
Erflehst vom eignen Vater du den Tod.

O düstres Bild des Jammers und der Schmerzen!
So blickte einst Virginius starr und blind,
Den Dolch begrabend in Virginias Herzen –
Und so heilt Odoardo auch sein Kind.

Nun sollt ihr noch den edlen Greis erblicken,
Nathan den Weisen, jenen Menschenfreund,
Der nimmer müd wird, andre zu beglücken,
Seht ihn, wie er vor Saladin erscheint!

»Unduldsam ist die Welt seit alten Tagen,
Ob Muselmann, ob Jude oder Christ,«
– Spricht Saladin – »kannst du mir, Nathan, sagen.
Wer in der Welt des rechten Glaubens ist?«

Da sinnt der Greis, lang will's ihm nicht gelingen,
Doch endlich spricht er: »Wenn du mir's erlaubst,
Erzähl' ich dir ein Märchen von drei Ringen,
Vielleicht, daß du an dieses Märchen glaubst.

Ein Vater hatte einst von lieben Händen
Empfangen einen Ring von seltner Kraft,
Der konnte mit geheimem Zauber wenden
Von seinen Trägern Schuld und Leidenschaft.

Er konnte den, an dessen Hand er funkelt',
Verwandeln in ein gottgeliebtes Kind,
Dem sünd'ger Haß die Seele nie verdunkelt –
Da rief der Tod den Vater heim geschwind.

Drei Söhne hat der Greis, die sollten erben,
Doch jeden hat der Alte treu geliebt
Und jedem auch verspricht er noch im Sterben,
Daß er nur ihm allein das Kleinod gibt.

Längst hat der Greis, den künft'gen Hader ahnend,
Den Ring ersetzt durch weise Goldschmiedskunst,
Und alle drei zu gleicher Lieb' ermahnend
Stirbt er, und jeder glaubt an seine Gunst.

Doch, wie sich nun der Ringe Kraft soll zeigen
Und jeder stolz von seinem Kleinod spricht,
Da ist wohl jedem Haß und Hochmut eigen,
Doch Gottes und der Menschen Liebe nicht.

Ein strenger Richter, dem sie sich vertrauen,
Der urteilt: ›Euer Kleinod ist gering!
Laßt Gott und Welt euch in die Seele schauen –
Ein guter Mensch hat auch den echten Ring!‹«

Was ihr gesehn, behaltet treu im Herzen
Und hütet fromm, was Lessing euch vertraut,
Nur dann wird ja, und wär's auch unter Schmerzen,
Der Dom des deutschen Geistes auserbaut!

Du großer Meister, den wir liebend feiern,
Der uns befreit hat von des Irrtums Nacht,
Vergönn' uns, daß wir fromm dein Bild entschleiern,
Sei uns lebendig, neu vom Tod erwacht!

Du bist lebendig, – ob auch ein Jahrhundert
Dahinschritt langsam über deine Gruft,
Dein Auge nur blickt traurig und verwundert,
Daß immer noch dein Volk so schmerzlich ruft.

»Wann wird es Licht?« so scheint dein Blick zu fragen,
»Noch dämmert's rings von Nebeln weit und breit.«
O Lessing! Lessing! einmal wird's doch tagen!
Wir denken dran und rüsten uns zum Streit.

In deinem Geiste werden wir erstarken,
Dann wird das Grau der alten Nacht vergehn,
Dann wird das Volk der schönsten deutschen Marken
Im Zauberlicht der Geistesfreiheit stehn.


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