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Das Märchen vom verlornen Tal.

Es war ein Kreis von muntern Gästen,
Wir saßen vor dem Sennerhaus
Und schlürften von des Weines Resten
Und schauten weit ins Land hinaus.

Da ward geschwatzt von seltnen Dingen,
Von Schätzen, die kein Mensch noch hob,
Ein jeder wollt' sein Scherflein bringen,
Und laut begann der Schönheit Lob.

Ein alter Bursch pries Rheinlands Reben,
Ein Fräulein schwärmte für Paris,
Ein Künstler ließ Italien leben –
So stritt man scharf für das, für dies.

Schon fing das Mondlicht an zu blitzen
Durch dunkle Zweige, mild und klar,
Da sah ich einen Jäger sitzen
Mit silberweißem Bart und Haar.

Ich rief: »Was hört man nicht den Alten,
Den Mann, der hundert Märchen weiß?«
Der schien nur stolz an sich zu halten,
Bis alles still war rings im Kreis.

Dann hob er's Haupt, begann zu sprechen;
Urkräftig klang ein jedes Wort,
Es klang als wie von Bergesbächen,
Wenn sie zur Tiefe rauschen fort.

»Euch mag der Rheinwein köstlich munden,
Schön ist die Welt wohl überall –
Das Schönste doch hab' ich gefunden,
Ich – ich war im verlornen Tal.« –

»Verlornes Tal?« so ging's im Kreise,
»Was ist das? alter Mann, erzählt!«
Der schien mit sich zu murmeln leise
Im Traum von einer andern Welt.

»Habt ihr noch nie von jenem Reigen
Gehört, der so bezaubernd klingt.
Daß alle Erdenstimmen schweigen.
Wenn er zum Menschenherzen dringt?

Ihr fühlt euch fort und fort gezogen,
Beseligt atmet eure Brust,
Ihr seid beglückt und seid betrogen.
Ihr folgt dem Zauber unbewußt.

Und also ward auch ich gefangen;
Den Weg verlor ich, Gott weiß wie!
Den ich schon tausendmal gegangen,
So weltfremd war's weitum noch nie.

So endlos war der Wald, der tiefe.
Und so verlockend süß der Schall,
Und immer war's, als ob's mich riefe:
Komm, Bursche, ins verlorne Tal!

Ich fühlte nichts von Dorn und Zweigen,
Ich hörte nur, es ruft, es ruft.
Aufjauchzend klang's wie Tanz und Geigen,
Da lag's vor mir in tiefster Kluft!

Das schönste Tal, rings eingeschlossen
Von Bergen, ewig überschneit,
Von Alpenpurpurglut umflossen,
Stolz, unberührt von Welt und Zeit.

So tiefblau sah ich nie den Himmel;
Ich stieg hinunter wie im Traum,
Und mischte froh mich ins Gewimmel
Der Burschen unterm Lindenbaum.

So seltsam sah ich nie noch Trachten
Von Mann und Weib wo anderwärts,
Und wenn die schönsten Dirnen lachten,
Es ging mir wie ein Stich durchs Herz.

Es war ein Schauder, der mich packte:
Weiß Gott, was das für Menschen sind!
Auch fiel mir ein, die Muhme sagte:
Gib acht, du bist ein Sonntagskind!

Ein Bub, am Tag des Herrn geboren,
Wird leicht von einem Alp betört.
Geht leicht im dunkeln Wald verloren
Und hört, was nie ein andrer hört.

Mein klopfend Herz ward mir zu enge;
Da sah ich stehn ein schönes Kind,
Ich grüßte sie und ins Gedränge
Zog ich zum Tanze sie geschwind.

Das war ein Glühn, das war ein Beben!
Wir sagten leis uns du und ich! –
Das war ein neugebornes Leben
Bis zu dem letzten Geigenstrich!

Noch hatt' ich nie mein Herz verloren
Mit solcher Lust, mit solcher Qual,
Noch hatt' ich keiner Dirn' geschworen
So Süßes, wie der Dirn' vom Tal!

Und sanft entzog ich sie dem Treiben
Und rief: ›Kind, mir gefällt's bei euch!
Wo wohnst du? Laß mich bei dir bleiben‹ –
Da ward sie plötzlich totenbleich.

›Leb' wohl! Geh fort, es will schon dunkeln,
Kalt durch die Zweige streicht der Wind,
Komm wieder, eh' die Sterne funkeln,
Doch schweig vor jedem Menschenkind!

Wenn du mich liebst, geh heim zur Muhme,
Hier ist nicht gut sein in der Nacht‹
Sie gab mir eine rote Blume
Und hat geweint und hat gelacht.

Ich küßte sie auf Mund und Wangen
Und rief: ›Leb' wohl! Auf Wiedersehn!‹
Ich grüßte sie und bin gegangen –
Sie aber blieb noch lange stehn.

Ich winkte hoch herab vom Berge,
Dann zog ich Schlucht und Wald hinaus
So rasch, als folgte mir ein Scherge,
Schlich heimlich in der Muhme Haus.

Die aber wachte noch voll Kummer
– Das hatt' ich leider nicht bedacht –
Die gönnte sich nicht Ruh' noch Schlummer:
Mein Kind, wo weilst du in der Nacht?

Bald tret' ich an die große Reise
Zum Vater und zur Mutter dein;
Ich pflegte dich, du arme Waise,
Bis heute bliebst du fromm und rein.‹ –

›Auch heute bin ich's, gute Muhme,
Und bleiben werd' ich's überall!‹ –
Und selig zeigt' ich ihr die Blume
Des Mädchens vom verlornen Tal.

Und nun erzählt' ich ohne Ende
Was ich gesehn, gehofft, geglaubt.
Sie legte zitternd ihre Hände
Mir schwer und schweigend auf das Haupt.

Die Muhme starb. Ich schied vom Grabe
Und träumend schritt ich durch den Wald,
Wenn ich auch nichts auf Erden habe.
Mein liebes Liebchen find' ich bald! –

Ich bin gewandert manche Stunde,
Ich bin gewandert manchen Tag,
Kein Hirt, kein Jäger gab mir Kunde,
Wo meines Liebchens Heimat lag.

Der Sonne Licht, der Sterne Flammen,
Sie führten mich wohl kreuz und quer,
Und hoffnungslos brach ich zusammen,
Mein Liebchen sah ich nimmermehr.

Und seht, so bin ich alt geworden,
Auf meinem Scheitel liegt der Schnee,
Doch täglich, wenn die Berge dorten
Im Spätrot glühn, erwacht mein Weh.

Bald kehr' ich heim zur alten Muhme
Beim Alpenglühn der Ewigkeit,
Auf meiner Brust die rote Blume –
Oh, dann ist's Wiedersehenszeit!

Dann wird vom Aug' der Schleier sinken,
Jung werd' ich sein, wie dazumal;
Dann wird sie mir zur Linde winken,
Dann bleib' ich im verlornen Tal!« –


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