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Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Henrik ist gescheiter als der Herr Polizeichef

Das war ein bewegter und ereignisreicher Tag gewesen, soviel steht fest, aber der Abend war auch nicht von Pappe.

Zuerst galt es, Klaus wieder ins Leben zurückzurufen, und das ging verhältnismäßig schnell, denn jetzt hatten ja der Doktor und die Krankenpflegerinnen eine mächtige Hilfe an Hilde, die heute besser als je in Form war. Sie jammerte und schluchzte und schalt und schimpfte, und der Abwechslung halber bekam sie zwischendurch noch schnell einen netten kleinen Weinkrampf.

Da schlug Klaus die Augen auf und konnte sich gar nicht zurechtfinden.

»Nachtschatten!« sagte er nur.

Hilde stürzte sich über ihn.

» Was sagst du?« ächzte sie.

»Todesbruder!« sagte Klaus.

»Er ist toll geworden! Er ist toll geworden! Herr Doktor! Der Bub ist toll geworden!«

»Nur ruhig! Nur ruhig!« sagte der Doktor. »Lassen Sie ihm doch erst Zeit, ordentlich aufzuwachen.«

Wenn ein alter Seebär den tosenden Wellenbergen »Nur ruhig!« zubrüllt, so kann er mehr Glück haben als der Doktor mit Hilde. Aber eigentlich war das ja ganz gut für Klaus. Denn jetzt, so lange Hilde im Hause weilte, konnte er ja wahrhaftig nicht wieder eindösen, trotzdem er so müde war, daß er sich auf einen Stacheldrahtzaun hätte setzen und dort schlafen können.

Und um die Verwirrung noch größer zu machen, kam jetzt die alte stocktaube Frau hereinspaziert, zum Plaudern aufgelegt und ihr Hörrohr in der Luft hin und herschwingend wie der Elefant seinen Rüssel.

»Mir scheint, ich hab hier reden gehört?« brüllte sie.

Dann setzte sie sich behaglich zurecht und schrie:

»Grad jetzt ist ein Junge über die Planke gesprungen, und weg war er! Das wird wohl der Zigeunerbub gewesen sein!«

Jetzt gab es erst einen ordentlichen Aufruhr.

Hilde kreischte:

»Mit Klaus' Kleidern!«

Der Doktor griff sich verzweifelt an die Stirn und stöhnte:

»Aber er ist ja noch nicht gesund entlassen!«

Die Krankenpflegerin stürmte zur Tür hinaus und schrie:

»Kaschmir! Kaschmir!«

Plötzlich tat sich die Türe auf und der Detektiv Wold trat ein, die Kleider ganz weißbestaubt. Er ging sofort auf seinen Chef zu:

»Ich bekam das Telegramm, als ich gerade im Begriffe war, weiter zu reisen. Da hab ich mir ein Motorrad ausgeliehen – und hier bin ich!«

»Ausgezeichnet!« sagte der Polizeichef, »dann können wir alle drei Jungen auf einmal verhören. Hier sind große Dinge vorgegangen, das können Sie mir glauben, Wold!«

Unter wilden Protesten Hildes wankte Klaus, in eine Wolldecke gehüllt, in Henriks Zimmer, wo das Verhör stattfinden sollte. Aber trotz all ihres Jammerns wurde es ihr nicht gestattet, dabei anwesend zu sein.

Henrik führte das Wort. Er war ja noch von heute früh in Übung, und diesmal ging es beinahe noch glatter. Die Herren von der Geheimpolizei in höchsteigener Person saßen ja da und hörten aufmerksam und achtungsvoll zu. Allerdings: ab und zu schmunzelten sie ja ein wenig, namentlich bei dieser Klopfsache. Aber das kam eigentlich mehr daher, daß Henrik nicht recht mit allem herausrücken wollte, was er wußte, so daß seine Erklärung ziemlich schwebend und geheimnisvoll ausfiel. Das hatte seine natürliche Ursache in Henriks wohlbegründetem Mißtrauen gegen die Erwachsenen. Die sind selten fair. Sie mißbrauchen ihre Macht und Gewalt. Wenn er nun zum Beispiel jetzt alle seine Karten auf einmal aufdeckte, konnte es leicht passieren, daß er ganz einfach außer Kampf gesetzt wurde. Die waren imstande, ihm wenn morgen die Gerichtsverhandlung begann, die Türe vor der Nase zuzuschlagen. Die zwei anderen hielten auch ganz schön den Mund. Sie sagten nur: »Bitte fragen Sie Henrik!« Er hatte ja das Patent. Erst morgen, wenn er Moppels Antwort in der Tasche hatte, gedachte Henrik eine feine, elegante und überzeugende Erklärung abzugeben. Klaus' kleine Einwürfe in die Verhandlung waren auch nicht danach angetan, das Geheimnis weniger geheimnisvoll zu machen. Er war ganz wirr im Kopf und konnte sich plötzlich auf die einfachsten Dinge nicht besinnen. Aber das spannendste war doch, die Wirkung des eigentlichen Haupttrumpfs zu beobachten. Es war kein Zweifel, daß Henrik in der ersten Runde gesiegt hatte. Sowohl der Polizeichef wie Wold ließen sich jetzt fast restlos davon überzeugen, daß der Ermordete vom Schwarzensee die Hasenschnauze sein mußte und der Panther unschuldig war.

»Eines ist ganz klar, wir müssen die Gerichtsverhandlung vertagen und Oskar Hampe mit dem Spitznamen Moppel einem neuerlichen Verhör unterziehen!«

»Dann ist das ganze Spiel verloren,« sagte Henrik so ruhig, als ob er zu Tor oder Klaus gesprochen hätte.

»Was meinen Herr Detektiv damit?« fragte der Polizeigewaltige ziemlich spöttisch.

»Ich meine,« erwiderte Henrik, »daß die Verhandlung selbstverständlich vertagt werden muß! Aber zuerst müssen wir dem Moppel Gelegenheit geben zu antworten. Gibt er uns einen Wink, wo das Geld ist, so hat er damit ja ganz einfach gestanden, daß er den Mord begangen hat. Denn ist er unschuldig, wird er sich keine Antwort erpressen lassen! Das ist doch klar!«

Der Polizeichef dachte einen Augenblick nach, dann sagte er:

»Nun, Henrik hat sich in dieser Sache so ausgezeichnet, daß wir ihm die Chance geben wollen. Wir lassen also die Verhandlung vorläufig morgen früh beginnen – und dann werden wir ja sehen!«

*

Klaus mußte die Nacht über im Krankenhaus bleiben, und Hilde fuhr zähneknirschend heim nach Sonnberg, um das Feuerwerk, das Tagesgespräch der ganzen Umgegend, abzusagen.

Henrik und Tor beschlossen, Klaus die ganze Nacht Gesellschaft zu leisten, damit er nicht wieder einschlummerte. Sie hatten ja eine ganze Masse miteinander zu besprechen, vor allem mußte Tor ja erzählen, wie er und die Polizei Christian Nelsons Motorjacht gefunden und die Knaben befreit hatten.

»Es war Kaschmir,« erzählte er, »der den Doppel-Nelson zuerst erblickt hat. Und dann waren wir nicht faul und sind seiner Motorjolle gleich gefolgt. Unser Steuermann war einfach ein Genie im Steuern. Er hat sich zwischen den Booten hindurchgeschlängelt, also glatter wie ein Aal, und der Doppel-Nelson hat nicht einmal eine Nasenspitze von uns gesehen, bis wir dicht bei seiner Motorjacht gelegen haben. Im Nu waren wir über ihm wie die Katze über der Maus. Kling klang, die Handschellen auf seine Knochenpratzen! Und dann an Bord wie die Piraten im Malayischen Meer! Einer der Graubeine ist ins Wasser gesprungen und verschwunden, aber die ganze übrige Bande ist augenblicklich gefaßt worden. Und dann hinunter in den Lastenraum, um euch zu suchen, und da haben wir gleich den Sarg gefunden, in dem der Klaus gelegen ist.«

Klaus richtete sich entsetzt auf:

»In einem Sarg bin ich gelegen?«

»No ja, also in einer Kiste mit gemalten Rosen und ausgeschnittenen Herzen. Und der Jahreszahl l72l.«

»Ich hab also eine Seefahrt gemacht?«

»Ja, zuerst eine Karrenfahrt, und dann eine Autofahrt, und dann eine Seefahrt, und dann wieder eine Autofahrt!«

»Und von all dem hab ich also gar nichts gehabt?«

Klaus machte ein höchst beleidigtes Gesicht.

»Ja, das kann dir wirklich leid tun,« fuhr Tor fort, »denn du hast nicht in einem gewöhnlichen Schiffsraum gelegen, sondern man kann schon sagen in einer Schiffsgroßhandlung! Die ganze Schute war gestopft voll mit Diebsbeute. Kaffeesäcke, Erbsen und Graupen, Teer- und Ölkannen, Butterkrüge, Paraffinfässer, Stoffballen, Stiefel, Damenhüte, elektrische Bügeleisen, ja alles, was du dir nur denken kannst, bis zu einer Kiste mit ganz altmodischen Korsetten und fünf Kilo Haarnadeln. Es müssen mindestens zehn, zwölf Wagenladungen gewesen sein – und alles miteinander hatten diese Graubeine gestohlen. Ja, aber das Allerfeinste ist, daß wir eine Menge Juwelen gefunden haben, Perlenkolliers und solche Sachen, von dem großen Einbruch beim Kammerrat Ahrenberg-Wendel –.«

»Ahrenberg-Wendel!« rief Henrik aus. »Sind das Esel!«

»Wer denn?«

»Na, die Polizei! Erinnert ihr euch denn nicht an den Revolver? A. W. mit Weinranken herum. Der gehört natürlich ihm!«

»Ja, aber der Diebstahl ist doch in Kopenhagen verübt worden!«

»Ist er denn ein Däne?«

»Ja, er hat ein großes Restaurant in Kopenhagen!«

»Hurra, aber dann muß er ja ihm gehören! Weinranken – das ist klar! An diesem Faden können wir vielleicht den Simser und den Doppel-Nelson aufhängen. Tor – lauf hinaus und ruf den Wold an und frag, wann dieser Diebstahl stattgefunden hat!«

In zwei Minuten war Tor wieder da.

»Am 17. Juni!« rief er.

Henrik schlug vor Begeisterung mit den Fäusten auf den Tisch.

»Dann ist der Panther gerettet! Denn der Simser hat doch gesagt, daß er dem Panther den Revolver anfangs Juni verkauft hat! Wieviel Uhr ist es?«

»Zehn Minuten über halb zehn!« erwiderte Tor.

»Dann mußt du dir sofort ein Ferngespräch mit Kopenhagen bestellen! Wir nehmens auf Pump – laß es auf Klaus' Vater schreiben. Also schau, daß du diesen Ahrenberg-Wendel erwischst, und frag ihn nach dem Revolver – dann haben wir morgen vielleicht noch einen feinen Trumpf auszuspielen!«

Nach einer halben Stunde kam Tor, schloß die Türe sorgfältig hinter sich zu, spazierte langsam und würdevoll zum Tisch hin, setzte sich ruhig nieder, stützte das Kinn in die linke Hand, streckte die rechte aus und sagte:

»Ich kann den Herren mitteilen, daß der Revolver dem Kammerrat Ahrenberg-Wendel in der Nacht zum 17. Juni gestohlen wurde!«

*

Am nächsten Morgen gegen sechs Uhr nahm Henrik seine Krücke und hinkte mit Tor zusammen in den Garten. Nachdem sie sich sorgsam umgesehen hatten, schlichen sie sich zur Gartentür hinaus und steuerten Christian Nelsons Behausung zu. Das Tor stand offen, und vorsichtig schlichen sie sich auf den Hof. Da hingen noch immer die zwei Teppiche zum Lüften. Und in einer Ecke lehnte der Teppichklopfer, mit dem Nelson zu klopfen pflegte.

Henrik zog ein Papier aus der Tasche.

»Ready?«

»Ja,« sagte Tor und schwang den Klopfer über seinem Kopf.

»Schön – dann klopfe ytxxsi, ytxxsi, ytxxsi – – –.«

Und dann telegraphierten Henrik und Tor die folgende Botschaft an den Moppel:

»Moppel, Moppel, Moppel! Heute letzte Frist. Wo ist das Geld? Sag es, sag es. Sonst verraten wir, verraten wir, verraten wir – –.«

»Das zu hören, muß doch für den Doppel-Nelson und den Marinius eine wahre Wonne sein!« sagte Henrik.


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