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Elftes Kapitel.
Kaschmir im Kreuzverhör

Der Detektiv machte dem Doktor ein Zeichen, worauf dieser sofort verschwand. Im nächsten Augenblick traten zwei Männer in das Zimmer. Tor und Klaus verbeugten sich wiederum. Sie sahen sofort, daß der eine Wolds Kollege aus den Schwarzenwäldern war. Dann mußte wohl auch der andere ein Polizist sein.

Wold deutete mit einer Kopfbewegung auf die Marta aus Kebnekaise.

Die zwei Männer gingen auf sie zu, und der eine von ihnen legte ihr die Hand auf die Schulter und sagte:

»Sie sind die Mutter des Gibelhaus Benjaminson, nicht wahr?«

Die Alte fuhr zusammen. Dann drehte sie sich blitzschnell um und zischte:

»Kreuzteuxel, hast du mich erschreckt! Was willst denn?«

»Es wird das beste sein, wenn Sie gleich mitkommen, gute Frau. Ich hab etwas mit Ihnen zu reden! Unter vier Augen.«

Kaschmir war ganz blaß geworden. Das Haar war ihm in die Stirn gefallen, und er starrte die drei Fremden wild an. Dann murmelte er drohend:

»Nicht anrühren mein Großmutterle, das sag ich euch!«

»Reg dich doch nicht auf, mein Junge,« sagte Wold, »wir tun ihr ja nichts zuleide – so, so, führt sie hinaus!«

Marta sträubte sich, aber sie wurde hinausgetragen wie ein Mehlsack. Kaschmir stand zitternd da und stützte sich auf das Nachtkästchen. Tor und Klaus hielten vor Spannung den Atem an. Henrik hatte furchtbare Angst, daß Kaschmir wieder einen Blutsturz bekommen könnte.

Der Detektiv ging auf Kaschmir zu und klopfte ihm gemütlich auf die Schulter. Aber Kaschmir beugte sich über das Nachtkästchen, legte den Kopf auf die Arme und begann strömende Tränen zu weinen.

»Aber, aber, aber,« sagte der Detektiv, »schau, komm her und leg dich ins Bett!«

Er nahm Kaschmir und hob ihn auf, und der Junge leistete keinen Widerstand, schluchzte nur immer weiter, als ob ihm das Herz brechen wollte.

»Jeu, Großmutterle, Großmutterle,« schluchzte er und begrub den Kopf in den Kissen.

Der Detektiv schüttelte verzweifelt den Kopf. Plötzlich schien ihm etwas einzufallen.

»Hör doch zu, Kaschmir,« sagte er, »sie hat dir eine Salbe geben wollen und das können wir nicht erlauben – verstehst du? – Wenn du nun einmal hier in Behandlung bist, dürfen doch andere nicht an deiner Wunde herumbasteln! Da könnte sie ja leicht verkehrt herum wachsen!«

»Kann der gut schwindeln!« dachte Henrik, denn er wußte ja Bescheid.

Wie durch einen Zauberschlag hörten Kaschmirs Tränen auf zu fließen. Er lag da und besann sich ein paar Sekunden. Dann hob er langsam den Kopf. Henrik beobachtete seinen Gesichtsausdruck. Der war pfiffig. Ein unmerkliches kleines Lächeln spielte um seine Mundwinkel, als er Henrik einen raschen, spitzbübischen Blick zuwarf.

»Na, wenn so ist!« sagte er nur und richtete sich auf. Dann wischte er sich die Augen mit dem Hemdärmel ab und strich sich den Haarbusch aus der Stirn.

Geheimpolizist Wold setzte sich rittlings auf einen Stuhl und fragte gemütlich:

»Das war also deine Großmutter, die alte Frau?«

»Ja – müssen schon verzeihen, daß ich Sie nicht erst hab um Erlaubnis gebeten!«

Wold konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Henrik flüsterte seinen Kameraden zu:

»Habt ihr schon ein solches Mundwerk gesehen? Bei einem vierzehnjährigen Buben?«

»Pst,« flüsterten Klaus und Tor.

»So ist also Herr Gibelhaus Benjaminson dein Onkel, Kaschmir?«

»Woher denn!«

»Nein? Also ein gewisser Benjaminson ist nicht dein Onkel?«

»Kenn ich überhaupt keinen Benjaminson.«

»Aber den Panther kennst du vielleicht?«

»Das schon. Panther, das ist mein Onkel!«

»Aber er heißt doch Benjaminson!«

»Nein, du Viech – heißt er Benjáminson. Und das ist große Unterschied!«

Der Detektiv kraute sich hinter dem Ohr.

»Hm,« sagte er. Dann fragte er wieder:

»Hast du vielleicht eine Ahnung, wo Herr Gibelhaus Benjáminson sich derzeit befindet?«

»Vielleicht liegt drüben in andere Bett!«

»Antworte doch nicht so albern, Junge!«

»Jeu – ist er schon weg? Na, dann sitzt halt im Grand Hotel und trinkt Champagner mit Minister. Ist spendabel, mein Onkel!«

»Hör einmal, jetzt antwortest du mir ordentlich, das sag ich dir!«

»Könnt mir grad einfallen! Wenn Ihr herkommt in Krankenhaus und fragt mich, wo ich schon drei Wochen keine Glied rühren kann, wo mein Onkel herumzieht, der ist gesund und frei, auf so urblöde Fragerei von Trottel antwort ich so, wie ich Trottel antworte!«

Henrik mußte in sein Polster beißen, um nicht laut aufzulachen. Aber Klaus sah ängstlich auf seine Armbanduhr: »Wir haben nur mehr zwölf Minuten,« flüsterte er Tor zu – »und die Zahnbürste müssen wir auch noch kaufen!«

»Können wir nicht ein anderes Schiff nehmen? Das Fünfuhr-Schiff?«

»Bist du verrückt – die Hilde zerspringt vor Wut!«

Klaus nahm seinen Strohhut und verbeugte sich vor dem Detektiv.

»Ja,« sagte er – »bitte uns zu entschuldigen – aber wir müssen jetzt mit dem Schiff fort!«

Tor packte Klaus beim Arm und flüsterte:

»So wart doch, Mensch!«

Dann wendete er sich an den Detektiv:

»Verzeihung, bitte, aber könnte ich nicht einen Augenblick mit dem Herrn Geheimpolizisten unter vier Augen sprechen?«

Henrik machte ein langes Gesicht. Was wollte Tor? Er beabsichtigte doch nicht etwa das Versteck des Panther zu verraten, so ganz auf eigene Faust? Ohne ihn um Erlaubnis zu fragen!

Aber es war schon zu spät, um ihn zu hindern. Der Geheimpolizist war sofort aufgestanden und hatte Tor kameradschaftlich unter den Arm gefaßt. Und eben jetzt verschwanden sie zur Türe hinaus.

Das ist eine Gemeinheit, dachte Henrik und ballte die Fäuste unter der Decke.

»Ja, also Servus, Henrik, jetzt fahren wir ab – laß dir's gut gehen!« Und damit war Klaus zur Tür hinaus.

Ein paar Minuten später kam der Detektiv zurück. Er lächelte befriedigt und nickte Henrik vergnügt zu.

»Dich muß ich doch auch noch begrüßen,« sagte er und nahm Henriks Hand – »jetzt geht's dir doch schon besser?«

Henrik runzelte die Stirn und antwortete mürrisch:

»Das weiß der Doktor und nicht ich! Fragen Sie ihn, wenn Sie es durchaus wissen wollen.«

Der Detektiv sah Henrik erstaunt an und fragte:

»Kennst du mich nicht, Henrik?«

»Leider – habe nicht die Ehre! Bedaure lebhaft.«

»Nein, natürlich, das ist ganz richtig. Du warst ja in dieser Nacht nicht bei Besinnung. Aber wenn du's gerade wissen willst, so haben ich und King, mein Hund, dich im allerletzten Augenblick davor gerettet in den Wasserfall bei der Lystadbrücke zu treiben!«

Henrik wurde blutrot und richtete sich mit einem Ruck auf.

»Das – das – hab ich wirklich nicht geahnt!« stammelte er und schlug die Augen nieder. Dann streckte er die Hand aus und murmelte: »Danke schön, das war furchtbar nett von Ihnen! Das werd ich nie vergessen.«

»Also seien wir wieder gut, mein Junge,« sagte der Detektiv mit einem vergnügten kleinen Lachen.

Dann ging er zu Kaschmir hinüber, um das Kreuzverhör fortzusetzen. Aber Kaschmir hatte sich zur Wand gedreht und schlief und schnarchte.

»Hm!« sagte der Detektiv leise. Dann nahm er seinen Hut, nickte Henrik zum Abschied freundlich zu und schlich auf den Zehen aus dem Zimmer.

Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, als Kaschmir sich im Bett aufsetzte und vor Lachen brüllte:

»Jeu, hilf mir, Henrik,« keuchte er, »sonst lach ich mich noch tot.«


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