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Sechzehntes Kapitel.
Jetzt kann's losgehen!

Wenn der Blitz vor ihnen eingeschlagen hätte, hätten Klaus und Tor nicht heftiger zusammenfahren können.

»Der Giftmischer?« japsten sie alle beide.

»Ja,« antwortete Henrik gleichgültig, »er ist der Nächstkommandierende der Graubeine und Doppel-Nelsons rechte Hand. Er ist eine Mißgeburt. Und er hat alle möglichen Gifte studiert. Mehr weiß ich vorläufig nicht von ihm. Aber das ist ja eigentlich genug! Wenn ich an das entsetzte Gesicht der Hasenschnauze denke und an die gräßliche Stimme dieses Zwergs, dann ist es mir ganz klar, daß die Burschen in dieser Nacht vor ihm eine solche Heidenangst hatten. Und es sollte mich auch nicht wundern, wenn wir da den Mörder hätten.«

»Aber Henrik, der Mörder ist ja schon festgenommen. Das ist doch der Panther!«

»Wart ein bißchen, nicht so sicher. Vor allem einmal müssen wir versuchen herauszubringen, wer der Ermordete ist, bevor wir den Mörder bezeichnen können. Die Polizei weiß noch nichts – aber morgen in aller Frühe wird sie es erfahren! Wie ihr wißt, ist das Gesicht des Ermordeten nach seinem Tode bis zur Unkenntlichkeit zugerichtet worden. Worauf läßt das schließen? Auf nichts anderes, als daß der Mörder ein Interesse daran hatte, daß der Getötete nicht erkannt wird. Wenn die Polizei erfuhr, wer es war, dann hätte sie vielleicht auch ganz gut dem Mörder auf die Spur kommen können. Der Mann hatte vielleicht ein böses Kennzeichen im Gesicht. Eine Hasenscharte zum Beispiel!«

»Die Hasenschnauze!« flüsterte Klaus.

»Das wird immer ungemütlicher,« stammelte Tor. Er dachte an seinen Kinnhaken.

»Leider glaube ich, daß die Sache sich so verhält,« fuhr Henrik fort und genoß insgeheim seinen Sieg, »denn warum sollte wohl sonst der Mörder das Gesicht des Toten zerfetzen und zerfleischen, als um die Hasenscharte wegzubringen? Ein Mann mit einem solchen Merkmal ist unter Tausenden zu erkennen, und es ist ganz leicht, seine Spur zu verfolgen und beispielsweise herauszubringen, daß er ein Graubein war. Und dann wäre der Weg zum Doppel-Nelson und zu Marinius vielleicht nicht gar so weit! Aber nun will ich euch sagen, warum ich glaube, daß einer dieser beiden der Mörder sein muß und der Panther ganz unschuldig ist! – Erinnert ihr euch denn nicht an den Revolverschuß?«

»Doch, gewiß!« Klaus sprang eifrig auf, »gerade während die Zigeuner bei uns waren!«

»Vom andern Ufer des Schwarzensees ist er gekommen!« rief Tor.

»Nun eben, und dort haben die Polizisten auch den Ermordeten gefunden! Wir müssen uns alle vier bei der Polizei melden, Per also auch, und von diesem Schuß erzählen – und selbstverständlich auch von der Hasenschnauze. Dann retten wir bestimmt den Panther.«

»Aber der Revolver! Der Trödler auf dem Schwedensteig behauptet doch, daß der Panther ihn bei ihm gekauft hat!« sagte Klaus und machte ein bedenkliches Gesicht.

»Kaschmir schwört darauf, daß der Panther nie einen Revolver gehabt hat! Aber das ist eben einer der Punkte, die wir zu allererst untersuchen müssen. Nehmt nun an, daß der Doppel-Nelson oder der Marinius der Mörder ist – oder die Mörder – läßt es sich da nicht ganz gut denken, daß diese elenden Schufte versucht haben, die Schuld an dem Mord auf ihren Todfeind, den Panther, abzuwälzen?«

»Ja, aber der Trödler!« unterbrach Klaus.

»Er ist Altwarenhändler. Alle Diebsbanden stehen in geheimer Verbindung mit Trödlern und Altwarenhändlern, denn irgendwo müssen sie doch ihre Diebsbeute absetzen. Vielleicht ist der Trödler auch ein Graubein! Das müssen wir eben in Erfahrung bringen. Und wissen wir das, dann gebe ich keinen roten Heller für seine Aussage! Einer von uns muß ihn ausholen!«

»M. w.!« sagte Klaus, »ich geh sofort!«

Tor sagte nichts, schlug nur die Augen nieder.

»Nein, wir müssen die Sache zuerst gründlich durchdenken. Und dann müssen wir uns Doppel-Nelsons Telegramm an den Moppel noch ein bißchen näher ansehen, denn alles haben wir noch nicht verstanden!«

Wieder nahmen die Drei das Papier mit der geheimnisvollen Klopfbotschaft vor und begannen es zu studieren, daß ihnen förmlich die Schädel krachten.

»›Wo ist das Geld‹, also das haben wir schon heraus,« sagte Klaus, »das muß so sein, wie Henrik meint. Der Moppel und die Hasenschnauze sind mit der Beute eines Raubes geflüchtet, und da man das Geld weder beim Moppel noch bei dem Ermordeten gefunden hat, ist es sonnenklar, daß sie es versteckt haben. Aber wo? Das will also der Christian Nelson wissen.«

»›Sag es‹ ist auch klar,« sagte Tor.

»Nein,« widersprach Henrik, »das ist eben im höchsten Grade unklar, denn wo soll der Moppel es sagen, und wem, und wie, und wann! Da liegt eben der Hund begraben! Das ist das Geheimnis, das wir herausschnüffeln müssen, wir ganz allein, ohne die Hilfe der Polizei! Aber gehen wir weiter! ›Morgen letzte Frist‹. Also muß der Moppel es morgen sagen! Aber wo?«

»Vielleicht, daß der Doppel-Nelson ihn in der Zelle besuchen will?« schlug Tor vor.

»Das traut er sich gerade! Der! OH nein, mein Lieber, so dumm ist er nicht! Außerdem darf so ein gefährlicher Kasseneinbrecher wahrscheinlich überhaupt keine Besuche empfangen – bevor er nicht verurteilt ist. Nein, da müssen wir uns schon etwas mehr den Kopf zerbrechen, Kinder! Hier heißt es scharfsinnig sein! – Aber Menschenskinder, jetzt geht mir ein Licht auf. – natürlich bei Gericht – der Moppel soll es bei der Verhandlung sagen!«

Klaus und Tor hätten Henrik nicht verständnisloser anglotzen können, wenn er das seltenste Tier in einer Menagerie gewesen wäre.

»Bei Gericht! Höh!«

»Ja, natürlich – bei Gericht! Das ist doch der einzige Ort, wo jeder Gelegenheit hat, Verbrecher zu sehen!«

»Aber nicht mit ihnen zu reden!«

»Spielt keine Rolle! Irgendein Graubein sitzt unter den Zuhörern und schnappt sein Signal auf. Er kann zum Beispiel mit den Augen zwinkern. Oder irgendetwas Rätselhaftes sagen – nur so irre daherreden – wie es verwirrte Verbrecher sicher tun, wenn sie schon sehen, daß sie verurteilt werden, vielleicht zu vielen Jahren Gefängnis – aber was eben nur für die Eingeweihten verständlich ist. –«

»Ja, ja, Henrik, das hört sich ja nicht so dumm an. Aber er müßte doch saublöd sein, dieser Moppel, wenn er das Versteck verrät, nachdem er das Geld schon glücklich in Sicherheit gebracht hat!«

»Vielleicht hat er aber einen Grund, den Doppel-Nelson zu fürchten!«

»Ach, da, wo der jetzt sitzen wird, sitzt er schön sicher.«

»Aber wenn er wieder herauskommt?«

»Kein Mensch weiß, wann so ein Kasseneinbrecher heutzutage wieder herauskommt – die werden ja jetzt immer auf unbestimmte Zeit eingesperrt!«

»Aber was dann?« fragte Tor und nagte an seinem Bleistift.

»Vielleicht liegt die Lösung in den letzten drei Worten,« sagte Henrik und blickte wieder auf das Papier – »sonst – erraten wir!« › Sonst‹, das hört sich doch wie der Anfang einer Drohung an! Aber was, um alles in der Welt, sollen der Doppel-Nelson und seine Kameraden erraten!«

»Na eben das Versteck,« meinte Klaus.

»Aber Unsinn! Wenn sie das könnten, brauchten sie doch den Moppel nicht mit Botschaften zu bombardieren! – Aber halt! Halt! Jetzt hab ich's! Wir sind ja ganz vernagelt! Ein V muß es sein! Ein V!«

»Was redest du da zusammen!«

»Mir scheint, du hast wieder einen Rückfall!«

»Herrgott noch einmal, versteht ihr denn nicht, kapiert ihr denn nicht, daß das ein Klopffehler sein muß. Verraten muß es heißen – verraten – darin liegt die furchtbare Drohung!«

Klaus und Tor sprangen gleichzeitig mit einem Ruck von ihren Stühlen auf und starrten Henrik ganz entgeistert an.

»Donnerwetter, du hast recht,« flüsterten sie.

»Ja, gewiß habe ich recht, gewiß habe ich recht!« – Henrik war so aufgeregt, daß sich ihm die Worte förmlich überkollerten – »aber was können der Doppel-Nelson und der Marinius verraten, das einen Mann erschrecken kann, der vielleicht mehrere Jahre Gefängnis wegen Kasseneinbruch bekommt – was, wenn nicht ein Verbrechen, auf dem eine noch viel größere Strafe steht?«

»Mord!« flüsterte Klaus, ganz leichenblaß.

»Ja, nicht mehr und nicht weniger! Der Moppel ist's, der Kasseneinbrecher Oskar Hampe, der seinen Kameraden, die Hasenschnauze, umgebracht hat! Sie waren ja zusammen oben und hatten vielleicht die Beute schon versteckt. Und entweder, um die Beute und das Geheimnis für sich allein zu haben, oder aus Angst, daß die Hasenschnauze den zwei Verfolgern das Versteck verraten könnte, hat er also – nein, das ist zu greulich, Kinder! Auf das hin müssen wir eine Tasse Kaffee haben!«

Henrik hatte sich im Bett aufgesetzt, der Schweiß stand ihm auf der Stirn und seine Augen leuchteten wie im Fieber. Er klingelte, und die Schwester kam herein.

»Glauben Sie, Schwester, daß wir ein wenig Kaffee haben könnten,« fragte er und wischte sich die Stirn, »ich bin ein bißchen müde – und außerdem hat mein Freund hier Geburtstag.«

Die Krankenpflegerin nickte sanft und ging, um den Kaffee zu holen.

»Die Schokoladegesellschaft!« keuchte Klaus.

»Ach, mit diesem Mädelkränzchen wird Hilde ganz schön allein fertig werden!«

»Ja, aber denk dir nur, was für eine Wut sie haben wird.«

»Wir haben es heute mit gefährlicheren Leuten zu tun, Klaus. Zuerst müssen wir das Mordgeheimnis lösen, bevor wir an die Schokolade denken.«

Die Krankenpflegerin brachte ein Tablett mit einer mächtigen Kaffeekanne, und die Jungen waren nicht faul, sich zu bedienen. Aber gerade als Henrik Nase und Mund in seiner Tasse begraben hatte, riß er sie plötzlich vom Gesicht, so daß der Kaffee über das ganze Bett spritzte, und rief:

»Jetzt hab ich das Rätsel gelöst!«

»Laß hören!«

»Aber geschwind!«

»Paßt auf, wir wissen also, daß die beiden Polizisten mit ihren Hunden den Ermordeten am Sonntagvormittag in einer Moorpfütze neben dem Schwarzensee gefunden haben. Die Hunde sind der Spur des Mörders ein Stück weit gefolgt, haben sie dann verloren, aber auf dem Pfad, der der Schwarzenseeache entlang hinunterführt, wieder gefunden. Kommt ihr mit? Aber bei der Lystadbrücke war die Spur unwiderruflich verloren.«

»Weil also der Mörder dort in den Fluß gesprungen ist,« sagte Klaus.

»Nein! Nein! Ein paar Stunden vorher hatte der Gendarmeriepostenführer und seine Leute den Moppel am Nordende des Schwarzensees hoppgenommen. Dann haben sie ihn also den Pfad hinuntergeführt – geknebelt und gebunden – ganz bis dorthin, wo der Pfad auf die Landstraße mündet, also gerade bis zur Lystadbrücke! Aber denkt jetzt ein bißchen nach, Kinder! Was habt ihr auf der Lystadbrücke gesehen? Das Gendarmerieauto! Der Mörder ist also nicht in den Fluß gesprungen – sondern von keinem Geringeren als dem Handhaber des Gesetzes, mit Handschellen versehen, in das Gendarmerieauto gesteckt und vor den Bluthunden in Sicherheit gebracht worden – in das Kreisgefängnis!«

Klaus und Tor rissen den Mund auf und starrten Henrik sprachlos vor Bewunderung an.

»Und jetzt muß gehandelt werden!« rief Henrik mit Augen, die vor Siegesfreude strahlten. »Zuerst müssen wir uns diesen Trödler am Schwedensteig ein bißchen näher ansehen! Das besorgst also du, Klaus? Gut. Und dann müssen wir herausbekommen, was für Fälle morgen bei Gericht verhandelt werden. Das kannst wohl du besorgen, Tor?«

»Das machen wir auf dem Weg zum Schwedensteig,« sagte Klaus, »Tor und ich gehen selbstverständlich zusammen!«

Tor schien dieser Vorschlag nicht besonders zu behagen, aber er sagte nichts, und die beiden andern merkten nicht einmal, daß er mißvergnügt dreinsah.

Henrik musterte Klaus mit kritischen Blicken. Heute sah er wirklich mehr denn je wie ein Zuckerprinz aus: Weiße Tennishosen, Lackgürtel, weiße Schuhe, farbige Seidenstrümpfe, seidenes Hemd und flatternder Seidenschlips.

»Nein, so geht das nicht!« sagte er nur, und dann rief er: » Kaschmir

Kaschmir kam herein, mürrisch und verdrossen. Obwohl erst vierzehn Jahre, war er beinahe kräftiger gebaut als Tor und Klaus. Das hatte Henrik nicht bemerkt, so lange Kaschmir zu Bett lag. Aber das fügte sich ausgezeichnet. Es deckte sich ganz mit Henriks Plänen.

»Du, Kaschmir, willst du für ein paar Stunden die Kleider mit Klaus tauschen – dem Gigerl da?«

Klaus wäre vor Entsetzen fast umgefallen.

Henrik flüsterte: »Der Bub und die Kleider sind natürlich desinfiziert. Es muß sein!«

Kaschmirs Gesicht strahlte, und er war schon vollauf damit beschäftigt, seine alten Lumpen herunterzureißen. Wohl oder übel mußte Klaus seinem Beispiel folgen.


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