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Neuntes Kapitel.
Panthervolk und Graubeine

Henrik blieb lange liegen und grübelte nach. Wenn er doch so ein Hemd aus glänzender Seide hätte, das man gar nicht brauchte, also so ganz überschüssig – dann hätte er es sich sofort holen lassen. Denn es mußte wohl etwas ganz Besonderes um diesen bösartigen Teppichklopfer sein, da Kaschmir ihn kannte. So ganz alltägliche Leute kennen die Zigeuner sicher nicht. Aber daß es wirklich jemanden geben sollte, der im Ernst tausend Kronen dafür bezahlen wollte. –

Plötzlich fiel ihm das Salbenkrüglein der Marta aus Kebnekaise ein. Das hatte er ganz vergessen gehabt. Er zog die Nachtkästchenlade heraus. Ja, da lag es!

»Du Kaschmir!« sagte er und steckte das Krüglein zu sich.

»Was willst schon wieder?«

»Sag mir einmal, was würdest du für einen großen Tiegel mit echtem Mönchbalsam geben?«

»Jeu, jeu! Für den möcht ich geben, was es ist! Das ist dir aller-, allerfeinste Balsam auf ganzer Welt! Wenn meine Großmutter in der Nacht, wo's mich gstochen haben, nicht weg gewesen wär, müßt ich nicht daliegen in diese Krankenhaus und mich vor lauter Langweil und Spitalgestank hin- und herwinden wie so Schlange!«

»Na – aber wenn ich dir jetzt auf der Stelle einen solchen Tiegel gebe, erzählst du mir dann, wer dieser Christian Nelson ist.«

Kaschmir hatte sich im Bett aufgesetzt:

»Hast du Fieber, Buro, oder redest aus dem Schlaf? Dero willst mir Tiegel mit echte Mönchbalsam geben?«

»Natürlich, ich habs dir doch gesagt, und ich bleib dabei. Schau her, da ist er!«

Henrik hielt das Salbenkrüglein triumphierend in die Höhe.

Kaschmir guckte es mißtrauisch an.

»Wie schaut denn Kork aus?« fragte er.

»Es sind drei Kreuze darauf eingeritzt!«

»Blaue?« fragte Kaschmir gespannt.

»Nein, blutrote!«

Kaschmir strahlte über das ganze Gesicht und jubelte:

»Jeu, jeu! Blutrote! Dann ist er echt. Gib gleich her den Tiegel – morgen bin ich gesund!«

»Nein, den Tiegel geb ich nicht aus der Hand, bis du mir nicht haarklein alles von diesem Teppichklopfer erzählt hast.«

»Alles! Mir scheint, du tust rappeln! Wenn ich soll dir alles erzählen von diese Krischtian Nelson mit die Narbe, werd ich in hundert Jahre nicht fertig. Das ist gefährlichste Buro auf ganze Welt. Vor dem kannst dich schön in achtnehmen!«

»Ist er vielleicht ein Mörder?«

»Kann auch sein, aber kommt ihm niemand drauf! Der ist dir schlaueste Fuchs auf ganzem Erdboden, der ist gehauter als Papst! Aber weißt du, ist er auch geschicktester Buro auf ganzer Welt. Jeu, jeu, jeu! Ist er Anführer von die Graubeine!«

»Wer sind denn die Graubeine?« fragte Henrik gespannt.

»Hab ich doch in meine ganze Leben kein so dumme Buro gesehen. Weiß nicht einmal, wer Graubeine sind! Aber ich weiß, ich, diese Hölkusstich durch Lunge, den hab ich auch von eine Graubein!«

»Wann hast du denn den Stich bekommen?«

»Na, Tag bevor man mich hat hergebracht, natürlich. Mitten in Nacht bin ich herkommen. Wie sie mich haben gefunden, ich bin schon viele Stunden im Wald gelegen, ganz weg war ich schon. Aber hab ich mir doch Wunde fest zugedruckt, denn geblutet hab ich wie abgestochenes Ferkel.«

»Wer hat dich denn schließlich gefunden?«

»Kalypso und Panther, natürlich, du Esel!«

Henrik zuckte zusammen. Jetzt erinnerte er sich der nächtlichen Botschaft des geheimnisvollen Besuchers: »Der Panther ist verschwunden. Aber wenn er herkommt, so sag ihm nur, wir sind auf dem Hohlweg bei der Teufelsscharte gleich über dem Seerosenweiher!«

Henrik fragte, so gleichgültig er konnte:

»Kalypso? Wer ist denn das?«

»Na, meine Hundel. Das ist dir gescheitestes Hundel auf ganze Welt. Wie der auf Hühner geht, besser als Fuchs! Schleicht sich bei die Nacht in die Hühnersteigen ganz leise, ganz leise – und hat sie schon! – Aber das sag ich dir, Buro, wann du das verrätst, hast du schon mein Hölkus in Brust, bevor du nur Mund aufmachen kannst!«

»Ich klatsch doch nicht. Erzähl mir nur, ich werds schon bei mir behalten. Kalypso, das ist also dein Hund? Aber der Panther, ist das auch ein Hund?«

»Jekus, bist du dumm! Panther, das ist doch Häuptling von uns und meine Mutter ihr Bruder, Onkel von mir also! Jeu, jeu, jeu, du, das ist gerissene Kerl! Der ist so schlau und listig und durchtrieben, daß gibt es nur einen, der vielleicht grad so schlau ist, und das ist diese Krischtian Nelson mit die Narbe. Wir und Graubeine führen schon seit zwanzig Jahre Krieg, und Hölkusnarbe, was diese Nelson an Schläfe hat, die hat ihm Panther vor vierzehn Jahre in Johannisnacht beigebracht, nämliche Nacht, wo bin ich geboren und ist gestorben meine Mutter. Auf Fileberg ist das gewesen. Und nächste Woche haben sie mein Vater gefunden, war er erstochen. Und ist so klar wie Mond am Himmel, daß muß entweder der Krischtian mit sein Hölkus gewesen sein, oder Hasenschnauze. Die zwei sind damals mitsammen als Hausierer herumzogen.«

Henrik hatte ganz entsetzt diesen Bericht angehört.

»Ja, aber um Gotteswillen, warum habt ihr diesen Nelson nicht wegen Mord angezeigt?«

»War ich damals sieben Tag alt,« erwiderte Kaschmir trocken, »hab ich Weg zum Moskro nicht gekannt!«

»Moskro?«

»Na, Flurschütz, du Esel!«

»Aber warum haben die andern den Mord nicht angezeigt?«

»Wir fahrende Volk zeigen nie nix an. Machen wir so was schon unter sich ab. Ganz allein. Und können wir warten. Hab ich jetzt vierzehn Jahr gewartet, aber wart ich jetzt nicht länger. Denn brauch ich mich nur mit diese Balsam einschmieren, dann wachst Wunde in eine Nacht zu, und morgen bin ich gesund – gib schon her den Tiegel, sag ich, jetzt hab ich genug erzählt!«

Kaschmir starrte gierig auf das Salbenkrüglein, das Henrik auf das Nachtkästchen gestellt hatte.

»Noch nicht genug,« sagte Henrik, »der Tiegel ist doch mehr wert, als das kleine bissel, was du da erzählt hast! – Sind die Graubeine auch – hm – Zigeuner?«

»Ob diese Kerle sind fahrende Volk? Aber hörst du Henrik. Mußt du doch furchtbar dumm sein und abergläubisch, daß du so blöd fragen kannst! Graubeine! Die sind doch ganz gemeine Diebe! Miserable Stadtvolk! Geben sich nur ab mit Taschendiebereien und Kassensprengereien und Meuchelmorden und lauter so Schurkereien, wo wir andere nicht einmal möchten anrühren, auch wenn Papst uns hundertmal erlaubt! Aber sind sie geschickt, jeu, jeu! Moskro oder Spitzel ist noch nicht erfunden, der was Krischtian Nelson mit die Narbe erwischen kann! Wenn ich an den nur denk, krümmt sich mir Herz in Brust zusammen, vor lauter Haß

»Aber wenn er so geschickt im Stehlen ist und überhaupt so schlau, versteh ich nicht, daß er sich mit etwas so Urlangweiligem wie Teppichklopfen abgibt!«

»Na grade, weil ist er gescheiter als Papst! Verstehst nicht? Graubeine nennen ihn unter sich Doppel-Nelson, weil führt er Doppelleben! Ordentliche Mann bei Tag und Teufel bei die Nacht. Immer, immer schaut er, der schlaue Hund, daß hat er ordentliche Arbeit, bald führt er Lastauto, bald ist er Maurer, dann wieder Hausierer – das war er damals, wie hat er meinen Vater auf Fileberg umgebracht – dann tut er wieder Schnaps schmuggeln, oder stellt er sich in Hauseinfahrt und verkauft er Würstel und Äpfel, und nie ist er selbst bei Dieberei dabei, befiehlt nur immer und grapscht dann feinste Beute! Also jetzt tut er Teppiche klopfen, der schlaue Hund! Kannst dir doch denken, daß das nur allergemeinste Gaunerkniff ist! Der ist doch so reich, so reich, so steinreich, diese mordsverflixte Lump, der ist ja reicher als König! – Sagen die Leute, sogar hat er seine eigene Schiff! Aber ist ja klar, Buro-Strabanzer, was nichts arbeitet, kann ja mit seine Geld nix anfangen, kommen doch gleich Spitzeln und fragen: wo hast das Geld her? Darum klopft diese Hund von früh bis auf die Nacht Teppiche! Der gemeine Lump!«

»Nein, nur früh,« warf Henrik ein, »das ist ja eben das Unerträgliche!«

»Dann macht halt übrige Zeit was anderes! Ja du, was mir einfallt – sag mir doch einmal, um Gotteswillen, wie hast du denn diese Tiegel mit Mönchsbalsam überhaupt erwischt?«

Sollte er es sagen? Nein, wenigstens nicht gleich. Es war besser, dachte Henrik, Kaschmir von der fixen Idee zu kurieren, daß er selbst so klug war und Henrik so dumm. Darum antwortete er gleichgültig:

»Nach dem Mönchsbalsam fragst du? Ach Gott, den! Den trag ich doch immer bei mir, man kann doch nicht wissen, wann man eine so wunderbar feine Salbe brauchen kann! Nebenbei kann ich dir erzählen, Kaschmir, daß ich viel mehr weiß, als du ahnst! Weißt du zum Beispiel, daß der Panther verschwunden ist? wie in den Erdboden versunken!«

Kaschmir schnellte sich im Bett vor und starrte Henrik an.

»Was hast gesagt! Das lügst du, du graue Gespenst, wie du da hockst! – Aber,« fügte er nachdenklich, halb für sich selbst hinzu – »aber komisch ist wirklich, daß mich gar nicht hier im Krankenhaus besucht hat, hat er mir doch versprochen, er wird kommen!«

»Der Panther ist am selben Tag verschwunden, an dem man dich hergebracht hat! Wo hast du ihn denn zuletzt gesehen?«

»Na, am Schwarzensee! Aber was weißt denn du dumme Buro, wo das ist?«

Am Schwarzensee! Plötzlich ging Henrik ein Licht auf. Daß ihm das nicht schon früher eingefallen war! Kaschmir gehörte also zu der Zigeunerbande, die ihr Lager gerade unter dem Schwarzensee hatte! Und die zwei Strolche, die sich in die Hütte eingedrängt hatten und so frech gewesen waren, waren vielleicht zwei Graubeine! Und vor dem Panther und den Zigeunern hatten sie damals eine solche Heidenangst gehabt! Ja, natürlich, so mußte es sein, denn Kaschmir hatte ja erzählt, daß ein Graubein ihm diesen bösen Messerstich in die Brust versetzt hatte! Vielleicht hatten gerade in dieser Nacht das Panthervolk und die Graubeine dort oben in den Schwarzenwäldern einen Krieg auf Leben und Tod geführt. Gott, wie dumm es von ihnen gewesen war, daß sie nicht droben geblieben, sondern wieder hinuntergetrabt waren! Daran war Per schuld, der Angstmeier! Wieviel Spannendes ihnen da entgangen war, und wenn sie nicht um all das gekommen wären, hätte er sich auch wahrscheinlich nicht das Bein gebrochen. –

Henrik mußte lachen.

»Na hörst du, wenn ich nicht weiß, wo der Schwarzensee ist! Jetzt bist aber du dumm, Kaschmir, nicht ich. Ich kenn doch die Schwarzenwälder besser als meine Hosentasche – den Teufelsgrat übrigens auch! Und unter den Graubeinen dieser Nacht war auch einer, der Moppel geheißen hat. Und dann der mit der Hasenscharte.«

Kaschmir war aus dem Bett gesprungen. Jetzt stand er da, zitternd, mit krummgebogenem Rücken, sprungbereit. Es war leicht zu sehen, daß er mit einem, den man den Panther nannte, verwandt war. Seine Augen funkelten, das Haar fiel ihm wild in die Stirn und Henrik konnte hören, wie seine weißen schimmernden Zähne knirschten, als er hervorzischte:

»Du – du – bist du vielleicht eine Graubein!«

Er hatte den Wasserkrug auf dem Nachtkästchen ergriffen und schwang ihn drohend über seinem Kopf. Aber plötzlich sank der Arm kraftlos herab, der Wasserkrug fiel in das Bett, und mit einem Stöhnen sank Kaschmir zusammen.

»Wart nur, du,« murmelte er mit fast unhörbarer Stimme, »werd ich mit dir schon fertig! Miroderomoskropuskanoho

Henrik bekam Angst, daß dem Zigeunerknaben vielleicht wieder schlecht wurde.

»Aber Kaschmir,« rief er, und warf ihm das Salbenkrüglein hinüber – »du bist doch ein rechter Narr! Wie kann denn ich ein Graubein sein? Ich – wo ich doch erst jetzt die Mittelschulprüfung gemacht habe! Ich war doch nur mit meinen Schulkameraden oben, so zum Spaß! Da hab ich mir ja das Bein gebrochen.«

Kaschmir kam langsam wieder zur Besinnung. Er sah Henrik von der Seite an und maß ihn mit den Blicken. Dann fragte er plötzlich:

»Wenn du gar soviel weißt, dann weißt vielleicht auch, wie ist mit dem Moppel gegangen und mit die Hasenschnauze?«

»Nein – haben sie Wichs bekommen?«

»Na, vielleicht was ärgeres. Großmutter meinige hat mir erzählt, daß sie haben den Moppel in der Früh hopp genommen!«

»Und der mit der Hasenscharte?«

»Ah, Hasenschnauze? Weiß man nicht, wo ist hingekommen! Aber dann hast auch diese Krischtian Nelson gesehen, was?«

»Wie, der war auch oben?«

»Wär schon möglich!«

Kaschmir blieb eine gute Weile liegen, dann sagte er schließlich:

»Also wenn ich soll sagen, was ich mein, so glaub ich, bist viel zu blöd, kannst gar nicht lügen! Und so einer wie du, kann ja gar nicht Graubein sein, woher denn? Bist ja viel zu bleich und weich und zart und dünn! Aber jetzt paß gut auf, Henrik, ein nächstesmal bleib schön weg von Elchkalbshütte! Ist das keine Spielhäusel für Kinder! Kannst mir glauben!«

»Kinder – das sagst du! Schau nur, daß ich dich nicht ordentlich durchprügle, wenn du wieder gesund bist!«

»Hahaha, da wird mir aber schlecht vor lauter Lachen! Du! Au weh! Nimm dich nur in acht vor die Kaschmir, du kleine Stöpsel! Aber jetzt wir wollen uns nicht zerstreiten, erst bis dann später, bis wir sind wieder ganz gesund! Alsdann diese Krischtian Nelson mit die Narbe hast du nicht gesehen – dafür aber ich! Denn wenn du also willst durchaus wissen, wie war, so hab ich diese mordsverflixte Hölkusstich in Brust von ihm und keine andere! Aber werd ich das diese Schuft schon heimzahlen! Wenn ich nur einmal bin draußen aus diese Spital! Jeu, jeu, jeu, wie ich mich schon freu darauf!«

»Der Christian Nelson war also mit dem Moppel und der Hasenscharte beisammen?«

»Aber gor keine Red'! Glaub ich, die sind bös miteinander worden. Zuerst sind die Moppel und Hasenschnauze dort oben im Wald herumschlurft, diese Diebsgesindel, und immerwährend haben sie miteinander gestritten, haben wir Spektakel bis hinunter in unsere Lager gehört. Aber dann am Abend ist sich diese Krischtian Nelson dahergekommen mit diese bucklige Affen, diese Marinius. Das ist dir listigste Zwerg auf ganze weite Welt. Sagen die Leute, kann man den nur treffen mit silberne Kugel! Und dann sagen auch, daß soll er eine studierte Mann sein! Gibt nichts, was der nicht hat studiert – Giftzähne und Giftstacheln von Schlangen und Wespen und Tausendfüßler, und Spucke von Kröten, und Galle von die Fledermäuse, Saft von Bilsenkraut und Tollkirschen und Stechapfel, der kann dir Trankeln machen, daß kommt dich Zittern und Niesen und Glucksen und Weinen an. Jeu, jeu, diese Marinius ist beinah grad so gescheit wie Großmutterle meiniges, Marta aus Kebnekaise.«

Es klopfte heftig an die Türe. Und herein trat Tor. Er ging direkt auf Henriks Bett zu, sagte: »Morgen, geht's?« sah sich vorsichtig um und flüsterte dann:

»Ich bin gleich mit dem ersten Zug in die Stadt, denn ich hab dir gräßliche Neuigkeiten zu erzählen.«


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