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Achtes Kapitel.
Christian Nelson mit der Narbe

Endlich eines Tages kam Klaus zu Besuch. Fesch und elegant mit einem seidenen Tennishemd und weißen Flanellhosen. Und ganz blau um den Mund von schwarzen Kirschen.

»Servus!« sagte er und stellte ein Paket neben dem Bett ab. »Sieh mal zu, daß dein dummes Bein ein bissel schneller zuwächst, daß du zu uns nach Sonnberg hinauskommen kannst! Morgen haben wir großes Zauberfest mit Feuerwerk und anderem Klimbim. – Kannst du surfen?«

Henrik machte ein dummes Gesicht: »Sörfen?« fragte er.

»Ja, natürlich, geschrieben: surfen. Hawaiian Surf-Board, you know! Also, wir surfen von früh bis abend. Gestern haben wir fünfzehn Liter Benzin aufgebraucht, der Alte geht in die Luft, wenn er's von der Hilde hört, und das wird er bestimmt, denn der Willi war mit im Boot, und die Sache ist noch nicht erfunden, die er ihr nicht gleich wieder klatscht, diese Brillenschlange! Na, also wie geht's dir übrigens?«

»Das kannst du dir doch ungefähr vorstellen! Wenn du draußen in Sonnberg bist! Aber das mit dem Sörfen verstehe ich nicht!«

»Aber geh! Das ist also ein dickes Holzbrett, das lassen wir vom Motorboot ins Schlepptau nehmen und geben dann full speed, ein Bombentempo, sag ich dir. Mein Bruder, der Mediziner, steuert. Und wir andern legen uns auf das Wasser und schwimmen, dann warten wir, bis das Boot vorbeikommt, und dann kommt es drauf an, verstehst du, der erste Mann auf dem Surf zu sein! – Ich hab dir übrigens ein Kistel Rosmarinäpfel mitgebracht, sauer sind sie, aber prima, prima! Allright! Du, gestern war ich dreimal der Erste auf dem Surf! Weißt du, zuerst muß man sich fest anhalten und ein gutes Stück mitschleppen lassen, und ich sag dir, da schluckst du Seewasser, das gibt aus! Na, und dann ziehst du dich auf den Knien hinauf, aber du mußt dich dabei anklammern wie ein Tiger, sonst wirst du wieder ins Wasser geschmissen – also und dann auf die Beine – und wenn du dann stehen bleiben kannst, so gibt es nichts Lustigeres auf der ganzen Welt! – Wir haben draußen einen Mordsbetrieb. Das kann sich einer gar nicht vorstellen – da gehören schon zwei dazu! Gestern haben wir eine Viper totgeschlagen; einen Mordskerl, sag ich dir, zwei, drei Meter lang, mindestens! Dann haben wir sie in einen Ameisenhaufen geschleppt. Und die Hilde, wie wir's beim Mittagessen erzählt haben! Wir haben gerade gekochten Lachs gehabt. ›Wo ist der Ameisenhaufen?‹ hat sie mit dem Mund voller Lachs geschrien. ›Gleich hinter der vom Blitz getroffenen Eiche,‹ haben wir gesagt. Und sie zur Türe hinaus, und dabei haben wir Erdbeercreme zum Dessert gehabt! – Aber von der hat sie keinen Schimmer gesehen, das kannst du dir denken! Na, und wie sie zu dem Haufen hinkommt, haben die Ameisen schon die ganze Schlange aufgefressen gehabt. Es waren rote Riesenameisen. Und weißt du, was sie mit der Schlange gewollt hat? Die Haut für Ballschuhe! Schlangenhaut! So eine blöde Nocken! Und was sie nachher geschimpft hat! Warum schlägt sie sich nicht selber Schlangen tot? Das traut sie sich nicht – und dann ist sie auch viel zu faul dazu! Liegt den ganzen Tag in der Hängematte und liest englische Romane! Auch ein Vergnügen! – Willst die Rosmarinäpfel probieren?«

Ja, dagegen hatte Henrik nichts. Klaus packte das Kistchen aus und öffnete es. Ein herrlicher Sommerduft erfüllte sogleich das Zimmer. Ja, solche Äpfel wie in Sonnberg konnte man im ganzen Lande suchen. Henrik schlug sofort die Zähne in einen hinein und tat sich ordentlich gütlich. »Ah,« sagte er, »das ist beinahe so, als wenn man auf dem Land wäre!«

»War der Tor da?« fragte Klaus plötzlich.

»Nein, der ist doch auch auf dem Land!«

»Heute soll er aber hereinkommen. In wichtigen Angelegenheiten, hat er gesagt. Ich hab gestern Nachmittag ein Ferngespräch mit ihm gehabt – er hat mich nämlich angerufen. Durchs Telephon hat er mir nicht erklären können, um was es sich handelt, aber er hat mir gesagt, ich solle heute in die Stadt kommen. Wir sollen uns um zwölf Uhr im Kontor von meinem Alten treffen.«

»Also deshalb bist du in die Stadt gekommen?« fragte Henrik und konnte eine leise Bitterkeit nicht verbergen.

»Aber geh! Das ist doch klar, ich muß zwei Fliegen auf einen Schlag erwischen, wo ich doch draußen in Sonnberg so massenhaft zu tun habe. Außerdem kennst du ja die Hilde, die glaubt doch, daß hier im Krankenhaus Bazillen und ansteckende Krankheiten nur so herumfliegen – die blöde Urschel!« Dann beugte er sich über das Bett und flüsterte: »Sag mir doch, um Gotteswillen, was ist denn das für ein Nigger, der drüben im andern Bett liegt?«

»Er heißt Kaschmir!«

»Kaschmir! Ist er denn ein Asiat?«

»Nein, ein Zigeuner.«

»Was du nicht sagst! Hast du schon mit ihm geredet?«

»Natürlich! Oft und oft!«

Plötzlich erklang es zornig von dem andern Bett her:

»Redet ihr von mir, Buros?«

»Wir werden wohl noch reden können, was wir wollen, glaub ich,« erwiderte Klaus.

»Das laßt lieber bleiben! Sonst könnt euch vielleicht meine Großmutter schöne Krankheit anwünschen!«

»Von mir aus,« erwiderte Klaus, »die soll nur kommen, dann trifft sie den Richtigen!«

»Pst, nicht zu ihm reden,« sagte Henrik leise, »das ist dir ein furchtbarer Zornnickel! Aber hör einmal, Klaus, du könntest mir einen Gefallen tun, ja? Hier ist so ein entsetzlich lästiger Kerl, der klopft in einem der Nachbarhäuser immerzu Teppiche – geh zu ihm hinüber und frag ihn, natürlich höflich, ob er nicht so besonders liebenswürdig sein will, mit seiner vertrottelten Klopferei zu einer etwas menschlicheren Stunde anzufangen, als ausgerechnet um sechs Uhr in der Früh?«

Henrik erklärte ihm noch mit ein paar Worten, wie unerträglich dieser Teppichklopfer war. Und Klaus sauste sofort los. Nach zehn Minuten war er schon wieder da.

»Du, der ist ja wie ein wilder Stier,« berichtete er, »der Kerl muß ja rein verrückt sein, oder blödsinnig. Weißt du, ich bin auf ihn zugegangen, hab den Hut abgenommen und ihn höflich und bescheiden grad wie in der Tanzstunde gefragt: Entschuldigen Sie, mein Herr, aber sollten nicht vielleicht Sie derjenige sein, der sich damit beschäftigt, jeden Morgen vor Sonnenaufgang Teppiche zu klopfen, während kranke Menschen sich vor Schmerzen auf ihrem Lager winden. Da fährt der Mensch auf, als ob ich ihn mit einer glühenden Feuerzange gezwickt hätte! Er dreht sich um, schneller als ein Kreisel, durchbohrt mich mit seinen feuersprühenden Augen und faucht mich an: ›Für wen fragst du, du blödes Gigerl?‹ Damit hat er meine feinen neuen Tennishosen gemeint. Ich frage für einen kranken Kameraden, der drüben im Krankenhaus liegt und nicht schlafen kann, sage ich.«

»Kranken Kameraden!« unterbrach Henrik ärgerlich, »warum hast du nicht gesagt, daß ich mir das Bein gebrochen habe? Ich hab doch nicht die Masern.«

»Ach Gott, für den ist das gehupft wie gesprungen, ob du die Masern hast oder die Beulenpest, denn weißt du, was er geantwortet hat? Sag dem Affen, wenn er sich noch einmal untersteht, mir Deputatschonen ins Haus zu schicken, dann komm ich selber herüber und dreh ihm die Nase um! Und dann hat er mich hinausgeworfen. Weißt du, er betreibt so ein kleines Geschäftel mit einem Plakat an der Türe: Teppiche werden über den Sommer zur Reinigung und Aufbewahrung übernommen. Christian Nelson.«

Von Kaschmirs Bett kam ein leiser Aufschrei:

»Krischtian Nelson! Der Doppelnelson!«

Der Zigeunerknabe hatte sich in den Kissen aufgerichtet und starrte Klaus an.

»Wie schaut er aus, diese Lump?« fragte er.

»Na, so ein langer knochiger Mensch mit einem gelben Gesicht und einem schwarzen Bart!«

»Und mit Hölkusnarbe an linker Schläfe?«

»Ja, eine Narbe hat er, scheint mir, gehabt. Kennst du ihn?« fragte Klaus erstaunt.

»Woher denn,« erwiderte Kaschmir kurz und legte sich in die Kissen zurück, während er aus halbgeschlossenen Augen Klaus' Seidenhemd gierig anstarrte.

»Warum hast du dann gefragt?«

»Damit Buros sich Kopf zerbrechen können! Gute Nacht.«

Mehr war aus Kaschmir nicht herauszubringen. Er zog sich die Decke über den Kopf und tat, als ob er schliefe und schnarchte.

Aber als Klaus gehen wollte und schon ganz bei der Türe stand, steckte Kaschmir blitzschnell den Kopf heraus und rief:

»Wannstu mir dein glänziges Hemmad gibst, erzähl ich dir, wer der Lump ist!«

Klaus drehte sich um.

»Hemmad?«

»Sag ich dir doch,« erwiderte Kaschmir und deutete auf Klaus' Tennishemd, »geb ich dir mein Hemmad dafür, hängt dort auf Sessel!«

»Nie im Leben!« sagte Klaus verächtlich, »das könnt mir einfallen, dir mein Tennishemd zu geben, um zu erfahren, wer der dreckige Teppichklopfer ist!«

»Jeu, jeu, da gibts viele, die möchten gern tausend blanke Kronen auf Tisch hinlegen, um zu wissen, wer diese Krischtian Nelson mit die Narbe ist!« sagte Kaschmir in geheimnisvollem Ton.

»Wenn du glaubst, daß du mir so was einreden kannst, dann täuschst du dich gewaltig. Ich bin nicht erst gestern auf die Welt gekommen!«

Und damit ging er.


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