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Vierundzwanzigstes Kapitel.
Auf der Jagd nach den Entführten

Von den Jungen gefolgt lief der Detektiv auf die Straße hinaus und kaperte ein Auto, das eben vorbeifuhr. Als sie gerade einstiegen, kam ein Schutzmann mit einem Rad heran.

»Halt,« sagte er. »Ich kann doch nicht den ganzen Tag dastehen und die Kinderfrau für dieses Fahrrad machen. Und wenn es zehnmal gestohlen ist.«

»Wem gehört es denn?« fragte der Detektiv ungeduldig.

»Das weiß der junge Herr dort mit dem Seidenhemd. Er hat gesagt, es ist gestohlen!«

»Wem gehört, weiß ich nicht,« rief Kaschmir, »aber gestohlen ist, hab ich's selber geschnipst!«

Schon sauste das Auto davon.

Fünf Minuten später hielt es vor dem Hause, in das Kaschmir den Marinius und den Laufburschen die Kiste hatte bringen sehen.

Ohne eine Sekunde stehenzubleiben, lief der Detektiv die Stiege in den zweiten Stock hinauf und klingelte an.

Eine alte verhutzelte Frau machte auf.

»Polizei,« sagte der Detektiv, »lassen Sie mich herein!«

Die Frau wollte ihm eben die Tür vor der Nase wieder zuknallen, aber der Polizist steckte resolut den Fuß in die Türspalte.

Da gab die Alte klein bei und keifte nur zornig:

»Na, wenns durchaus herein wollen, so kommens halt herein! Wir haben hier keine geheime Schnapsbrennerei.«

Der Detektiv trat ein.

»Hier ist vor einigen Stunden eine große, mit Rosen bemalte Bauerntruhe hergebracht worden,« sagte er zu der Frau, »wollen Sie sie mir zeigen!«

Die Alte verschluckte sich fast vor Lachen.

»Hihi, eine mit Rosen bemalte Bauerntruhe, hierher, zu mir! Hihi! Da muß ich wirklich lachen! Und was soll denn, hihi, drin gewesen sein in der Truhe?«

»Tja, das wissen wir eben nicht. Aber die Truhe ist gestohlen.«

»Hihi! Dann ist sie halt noch einmal gestohlen worden! Denn hier im Haus ist sie nicht, hihi! Suchen Sie nur, soviel Sie wollen! Mein Gott, etwas muß man ja bei der Hitze tun. Hihi!«

Der Polizist ließ sich das nicht zweimal sagen und machte sich sofort daran, die ganze Wohnung zu untersuchen, Schränke, Kleiderverschlag und Speisekammer. Während er noch im Speisezimmer suchte, fiel sein Auge ganz zufällig auf zwei weiße Milchkrüge, die auf dem Büffet standen. Ohne sich etwas anmerken zu lassen, trat er näher heran und warf noch einen raschen Blick auf die Krüge. Und ganz richtig, er hatte sich nicht geirrt. Auf dem einen stand »Guten Appetit« und auf dem andern »Marinius«! Der Name des buckligen Zwerges, der, wie Kaschmir und Tor behaupteten, die Truhe hier ins Haus gebracht hatte – vermutlich der Sohn der Alten! Das war der erste ordentliche Beweis, den er bisher dafür hatte, daß die phantastische Geschichte der Jungen wohl doch ein Körnchen Wahrheit enthalten mußte. Und stimmte das eine, so konnten wohl auch andere Dinge wahr sein. Es war wohl am besten, sich der Alten zu versichern.

Unter Geschrei und Protesten wurde sie zur Polizeistation gebracht und in Untersuchungshaft genommen.

Unterdessen warteten Tor und Kaschmir im Auto; kaum war der Detektiv wieder hinuntergekommen, als sie mit Kaschmir als Wegweiser denselben Weg hinausfuhren, den er vor anderthalb Stunden geführt worden war.

Die Fahrt hinaus dauerte etwa zwanzig Minuten. Mitten in der dunklen Allee, die von der Landstraße zum Wasser hinunterführt, wurde das Auto jedoch von einem anderen Auto aufgehalten, das quer über der Straße stand.

Der Chauffeur stieg aus und begann heftig zu schimpfen. Aber das hätte er sich ersparen können. Denn der Chauffeur des havarierten Autos saß über das Lenkrad gebeugt, schlief und schnarchte. Er war offenbar betrunken.

Kaschmir beugte sich zum Auto hinaus und sah den Mann scharf an. Dann flüsterte er dem Detektiv zu:

»Das ist diese Strolch, der was uns gefahren hat!«

»Ja, ganz bestimmt ist er es!« sagte Tor.

»Da haben wir ja den besten Anlaß ihn hoppzunehmen,« sagte der Detektiv, »denn er hat einen Kanonenrausch! Chauffeur, Sie und der Junge hier – er wies auf Tor – passen auf diesen betrunkenen Kerl da auf, bis wir zurückkommen.

Mit Kaschmir zusammen eilte nun der Detektiv den Weg hinunter, und bald waren sie bei der Landungsbrücke angelangt. Da hatte der Weg ein Ende, und kein anderer Weg oder Steg war zu sehen. Aber auch kein Boot. Alles war still und ausgestorben.

Der Detektiv runzelte die Brauen und warf einen raschen, prüfenden Blick auf Kaschmir. Sollte es doch möglich sein, daß sich die beiden Buben einen Witz mit ihm machten? Zuerst war das Auto verschwunden, dann die Truhe, und nun das Boot.

Da kam ein alter Mann aus einem Gebüsch hervor. Er schnitzelte im Gehen an einer Rudergabel.

»Ist vorhin ein Boot hier gewesen?« fragte der Detektiv barsch.

»Jau,« antwortete der Mann.

»Ist es schon lange her, daß es von der Brücke weg ist?«

»Na – nit gar lang.«

»Was war es für ein Boot?«

»Na, so a Schnapsschmuggler, glaub' ich, denn bsoffen warens und herumgebrüllt habens alle miteinander, und grad bevors weg sind, habns a neue Ladung kriegt. A ganze Kisten.«

Der Detektiv rieb sich nachdenklich das Kinn und räusperte sich.

»Wie lange kann es her sein, daß sie wieder fort sind?«

»Das war grad, wie ich mit der Gabel angfangt hab!«

»Also vor einer Viertelstunde?«

»Können leicht zwanzig Minuten sein, denn das muß i scho' sagen, wann i amal anfang – mit so einer Gabel –.«

»Gut, gut. Ist hier ein raschgehendes Motorboot in der Nähe?«

»Mmm, das glaub i scho' nit. Aber i hätt a Nachen, i kannt Ihner ganz gut –.«

»Danke, danke, vielleicht ein andermal!«

Damit lief der Detektiv schon wieder den Weg hinauf.

Kaschmir beugte sich rasch zu dem Mann hinab und fragte:

»Kennst diese Krischtian Nelson mit die Narbe?«

»Jau,« antwortete der Mann.

»War das Schifferl, seiniges?«

»Mj–jau, kunnt scho' sein!«

»Hast du gehört abscheuliche Kerl mit quietschende Stimme?«

»Jau, einer is auf derer Kisten gsessen, aber der kann erst so zehn, zwölf Jahr alt gwest sein, der war ja ganz klein!«

»Diese mordsverflixte Teuxel, diese Marinius,« murmelte Kaschmir und setzte in ein paar Sprüngen dem Detektiv nach.

Als er zu dem Auto hinaufkam, waren die anderen gerade dabei, den total besoffenen Chauffeur zu verladen. Und im nächsten Augenblick fuhren sie auch schon davon. Vor einer Polizeistation, die dicht an der Landstraße lag, blieben sie stehen, und der Detektiv sprang heraus, um einen Bescheid zu hinterlassen. Dann fuhren sie mit rasender Geschwindigkeit weiter, und eine Viertelstunde darauf hielten sie vor der Hauptstation. Der Detektiv winkte ein paar Schutzleuten, die den berauschten Chauffeur sofort nahmen und die Treppen hinaufschleppten, um ihn festzusetzen. Er selbst lief in das Büro der Detektivpolizei und kehrte wenige Minuten später mit einem älteren, angegrauten Herrn von barschem entschlossenem Aussehen zum Auto zurück.

Tor kniff Kaschmir in den Arm und flüsterte:

»Nein, jetzt kommt Zug in die Sache! Das ist der Herr Geheimpolizeichef höchsteigenhändig.«


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