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Siebentes Kapitel.
Der Teppichklopfer

Es ist kein Vergnügen, mitten in den Sommerferien angenagelt in einem Krankenhaus zu liegen. Alles, was man vom ganzen Sommer sieht, sind ein paar Ahornbäume unten im Garten. Aber all das andere! Die blankgescheuerten Felsen der Ekelundbucht mit ihrem kristallklaren Salzwasser, das glucksend durch die Spalten und Ritzen hineinrieselt, wenn die Luft still ist, aber bei Südwind zischt und tost, so daß der Gischt in gewaltigen Wolken über den Fels sprüht. Das ist eine Dusche, die ausgibt! Und dann die Segelfahrten und das Makrelenfischen, die Heumahd in Sonnberg, die gewaltigen Wälder, ganz gesteckt voll von Blaubeeren, und der Waldweiher mit seinen Multerbeermooren und Wasserlilien. Ob wohl noch die zwei Habichthorste in der steilen Felswand bei Sonnberg waren? Vielleicht voll von schreienden jungen Habichten? Und der Stier von Sonnberg, der Urian, der dort oben weidete, ob der noch so wild war wie voriges Jahr?

Komisch übrigens, daß Klaus nicht einmal auf einen Sprung zu ihm hereinkam. Er wohnte doch schließlich nicht in Amerika. Aber sicher hatte Klaus mehr zu tun als irgend ein Amerikaner. Wenn er nicht gerade badete und segelte und meilenlange Motorboottouren unternahm, fischte er Forellen mit den bloßen Händen unter den Steinen der Ekelundache, baute oben in den alten hohlen Eichen Hütten, ritt die Pferde zur Tränke, machte ein kleines Stiergefecht mit Urian, spielte Tennis mit Hilde, schob Kegel mit Per und ärgerte den Willi halbtot. –

Nein, wahrhaftig, da wurde Kaschmir wieder hereingefahren, ganz springlebendig! Henrik hörte gerade Radio.

»Grüß dich, Buro!« rief Kaschmir und zeigte alle seine kreideweißen Zähne. Er war jetzt offenbar in besserer Laune. – »hast Ohrenschmerzen?«

»Ich? Warum fragst du?«

»Muß ich doch fragen, ob du Ohrenweh hast, wennst dasitzt und dich hin und herbeutelst, mit Klappen über alle zwei Ohren!«

»Ach, die Kopfhörer!«

»Glaubst vielleicht, jetzt bin ich gescheiter?«

Henrik versuchte ihn in die Geheimnisse des Radios einzuweihen. Kaschmir verstand kein Wort.

»Also so ein Gspiel ist das?« fragte er.

»Es ist schon so, wie ich dir sage. Wenn die Schwester kommt, kannst du selber hören!«

»Wann kommt sie denn, deine Schwester?«

»Ich hab doch keine Schwester.«

»Was sagst dann, wenn deine Schwester kommt?«

»Ich hab gesagt, wenn die Schwester kommt!«

»No ja, sag ich doch auch! Also, hast gar keine Schwester, blöder Kerl! Du! wannst mich zum Narrn hältst, dann – –.«

»Ich meine doch die Krankenpflegerin, verstehst du?«

»Was? Die ist deine Schwester?«

»Nein, Kaschmir, aber sie heißt Schwester.«

»Schwester heißt die? – mit dem Vornamen?«

Henrik seufzte schwer.

»Ja – freilich!« antwortete er in tiefer Hoffnungslosigkeit. Mit dem Vornamen und mit dem Zunamen! Das ist doch auch nicht komischer, als daß du Kaschmir heißt.«

»Bitte, nur mit Vornamen. Mit Zunamen nicht!«

»Wie heißt du dann mit dem Zunamen, wenn ich fragen darf?«

»Wegen was fragst du?«

»Wenn du's nicht sagen willst, kannst du's auch bleiben lassen.«

»Kaschmirson heiß ich!«

Jetzt kam die Schwester.

Und nun bekam Kaschmir zum ersten Mal in seinem Leben Kopfhörer an die Ohren.

Er plumpste zufälligerweise gerade in einen langen Vortrag über ägyptische Mumien und Königsgräber hinein. Kaschmir stutzte, legte den Kopf schräg und hörte sehr eifrig zu. Aber plötzlich rief er wütend:

»Jetzt lügst aber, du Halunk!«

»Wer lügt?« fragte Henrik verblüfft.

Kaschmir winkte ihm abwehrend mit der Hand.

»Sch,« flüsterte er nur.

Dann hörte er noch eine gute Weile zu. Henrik betrachtete sein Gesicht. Das hatte einen gespannten Ausdruck. Ab und zu lächelte er. Aber dann schnitt er eine verächtliche Grimasse und riß die Kopfhörer herunter.

»Uije,« sagte er »alles erstunken und erlogen! Nein, was ihr Buros zusammenlügen könnt!«

»Na, was für Lügen hat er denn erzählt?«

»Hat er gesagt, hat man Götzenbild gefunden, ist achttausend Jahre alt!«

»Na ja – warum denn nicht?«

Kaschmir bog sich vor Lachen. Dann stieß er hervor, während seine Augen vor Belustigung funkelten:

»Du bist doch dümmste Buro auf ganze Welt! Weiß nicht einmal, daß sind wir erst bei 1930. Und die wollen haben gefunden Götzenbild, das ist alt achttausend Jahr?«

»Ja, aber das können sie doch ganz gut!«

Kaschmir sah Henrik mitleidig an. Dann schüttelte er verzweifelt den Kopf, schöpfte ganz tief Atem und brüllte:

»Aber kann doch nicht so alt sein, du Krautochs, wenn ist ganze Erde erst 1930 Jahre alt!«

Henrik stöhnte. Aber dann beschloß er doch ein wenig Barmherzigkeit zu zeigen.

»Lieber Kaschmir, du redest, wie du's verstehst. Die Sache ist nämlich die, weißt du, daß in der Zeit vor dem Jahre Null, das das Jahr von Christi Geburt ist, die Jahreszahlen nach rückwärts gegangen sind, verstehst du das nicht?«

»Versteh ich nur eins, dich haben sie in Krankenhaus gebracht, weil du hast großmächtige Tippeln im Hirn!«

Den Rest des Tages war Kaschmir verdrossen und beleidigt.

Am nächsten Morgen wurde Henrik um sechs Uhr von jemandem geweckt, der irgendwo in der Nähe unaufhörlich Teppiche klopfte. Das war ja die richtige Tageszeit, um mit einer so vollständig unnützen Arbeit anzufangen, jetzt mitten im Sommer, wo es doch gar keinen Schmutz oder Schnee gab und außerdem alle anständigen Leute schon längst ihre Teppiche auf den Boden geschafft hatten. Es war einfach unmöglich, wieder einzuschlafen. Und dann begann es auch natürlich im Bein wieder zu kribbeln und zu bohren wie in einem hohlen Zahn.

Am nächsten Morgen genau das gleiche und am Tage darauf ebenfalls. Und so fort, jeden Tag, den Gott werden ließ. Es war um aus der Haut zu fahren! Taktfest und unermüdlich klopfte der Kerl. Eins, zwei, drei – eins, zwei – eins, zwei, drei. Und dann eine lange Pause. Aber kaum war Henrik im Begriff wieder einzunicken, da fing's von neuem wieder an: Eins, zwei, drei – eins, zwei – eins, zwei, drei! Hätte er doch wenigstens gegen acht, neun Uhr angefangen! Aber um sechs! Der mußte ja an einem wahren Reinlichkeitsfimmel leiden! Oder vielleicht hatte er einen ganzen Stoß Teppiche. Denn auf denselben Teppich konnte er doch nicht immerzu losdreschen. Der müßte ja schon längst ganz zerklopft sein, bei der Kraft, die er aufwendete. Oder vielleicht war drüben ein Hotel – mit fünfhundert teppichbelegten Zimmern?

Sollte er wohl dem Doktor ein Wort darüber sagen? Denn das Klopfen gab in seinem kranken Bein ein richtiges Echo.

Ja, ja. Es war doch schrecklich langweilig, hier dazuliegen und auf alle mögliche Weise gequält zu werden. Henrik schäumte manchmal förmlich vor Wut. Denn er wußte ja noch nicht, daß er bald Abenteuer erleben würde, zehnmal spannender, als irgendein anderer Junge in der Sommerferienzeit erleben konnte.


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