Jean Paul
Levana oder Erziehlehre
Jean Paul

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Fünftes Kapitel

Bildung zu Reflexion, Abstraktion, Selbstbewußtsein
nebst einem Anhang-Paragraphen über Tat- oder Welt-Sinn

§ 139

Über das Wichtigste kann ich am kürzesten sein – denn Zeit und Bibliotheken sind darüber weitläuftig genug. Das reflektierende Selbstanschauen, das dem Menschen die äußere oberirdische Welt verbirgt und vernichtet durch das Einsenken und Einfahren in die innere, findet jetzo in jedem Buchladen seine Grubenleitern. Auch das jetzige, in Genüsse zerstückte Leben, ohne feurige, große Tatzwecke, die das Innere ins Äußere einketten, bringt ohnehin bald zuwege, daß jeder sich, als sein eigner Bandwurm, selber bewohnen möchte; und daß sich ihm das Universum, wenn nicht verluftigt, doch verglaset, bis ein Anstoß der Fühlfäden ihn schmerzlich ans Dasein erinnert. Sind jetzige Menschen dichterischer Natur, so wird ihnen das Leben leicht eine Wüste, in welcher, wie in andern Wüsten, in der wallenden Luft alle Gegenstände zugleich schwankend und riesenhaft erscheinen. Sind sie vollends philosophischer Natur, so halten sie die idealistische Gartenleiter, weil sie auf sich selber lehnt, für den Obstbaum, die toten Sprossen für lebendige Zweige, und Steigen für Pflücken. Daher folgt jetzo leicht Selbstmord auf den philosophischen Weltmord. Daher gibt es jetzo mehr Tolle und weniger Dichter als sonst; der Philosoph und der Tolle zeigen unaufhörlich mit dem linken Zeigefinger auf den rechten und rufen: Ob-Subjekt!

Folglich schiebe man immer bei philosophisch- und bei poetisch-genialen Naturen die reflektierende Einkehr in sich bis in die glühende Zeit der Leidenschaften hinaus, damit das Kind ein frisches, festes, dichtes Leben einernte und aufbewahre.

Bloß Kinder gemeiner und nur tätiger Anlagen, denen die Außenwerke der Welt nicht so leicht zu schleifen sind, diese möget ihr fünf Jahre früher durch Sprache, Logik, Physiologie und Transzendieren in die Festunghöhe ihres Ichs hinauftreiben, damit sie von da herab ihr Leben überschauen lernen. Die Innen-Welt ist das Heilmittel oder Gegengift des Geschäftmannes; wie die Außenwelt das des Philosophen. Die Dichtkunst ist als eine Verschmelzung beider Welten für beide das höhere Heilmittel; so wie durch sie jene gesündere Reflexion und Abstraktion gewonnen wird, welche den Menschen über Not und Zeit auf die höhere Ansicht des Lebens erhebt.

§ 140

Hier wäre ein Neben-Ort, von der Entwickelung des Geschäft- oder Welt-Sinns zu sprechen, welcher gegenüber der Reflexion ein Mittler zwischen außen und innen ist; ob er gleich weniger verschmilzt als nur vermischt. Dieser Sinn für Sinne (Sinnen-Sinn), diese Gegenwart des Geistes für die äußerliche Gegenwart, welche im Helden sich so glänzend vollendet, erschafft oder vernichtet, durch die schnellste Verschmelzung so ungleichartiger Massen, als äußere und innere Anschauung, oder Empfindungen und Ideen sind, durch ein Anschauen, Vorausschauen und Eingreifen zugleich. Gleich dem zweiköpfigen Fabel-Adler mit einem Kopfe umherblickend, und mit dem andern Nahrung auffassend, muß der Welt-Sinnige zugleich hinein- und hinaussehen, ungeblendet von innen, unerschüttert von außen, auf einem Standpunkt, der nicht, indem er sich hin- und herbewegt, immer den Umkreis verändert und verrückt.

Nur ists für die Entwickelung dieser Kraft schwer, eine Palästra schon für den Knaben anzulegen; er würde mit der einzigen Welt, die er vor sich hat, kämpfen, mit der erziehenden. Nicht eine Kriegschule also – da er noch keinen Feind haben soll –, sondern übende Handgriffe gegen Anstände mag er durchlaufen; und Sachen, nicht Menschen bekriegen. Es ist zu wünschen, daß der Erzieher die nötigen Verlegenheiten dazu für ihn erfinde.


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