Jean Paul
Levana oder Erziehlehre
Jean Paul

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Fürsten-Wahrhaftigkeit gegen zwei Lande, In- und Ausland, ist nicht nur, wie schon andere gesagt, die höchste Politik, sondern auch (und eben darum) die schwerste. Gerade Seelen scheinen, wie gerade Alleen, dem Auge nur die halbe Größe zu haben in Vergleich mit denen, die sich künstlich winden; aber die ganze findet man durch näheres Eingehen in sie. Nur ein Fürst, der edle und bedachte Wünsche hebt, darf sie entdecken; so wie man nur geschliffne Glanz-Diamanten à jour fassen kann.

Allen Kriegs- und Frieden-Schlüssen liegt durchaus noch ein höheres Bind-Mittel als die Gewalt – weil sie sonst gar nicht zu machen nötig waren – unter, nämlich Vertrauen auf irgendein abgewonnenes Wort, auf eine Charakter-, nicht See- oder Land-Macht. Aber bei der Geschichte, welche sonst von Monat zu Monat die Baukosten neuer Siegbogen für frische Sieger der Nachwelt herzugeben hat, wird nichts Selteners als eine Ehrenpforte für eine über die Gegenwart wahrsprechende, über die Zukunft wahrsagende Fürstenseele bestellt. Fürstliche Wahrhaftigkeit setzt jede Kraft des Charakters, den einsamen Mut und das Recht des Willens voraus. Wo endlich aber dieser Eichenhain um einen Thron steht und wächst: da ist altdeutsches Heiligtum, der Thron darin ist wundertätig, und die Völker beten unter dem Gipfel zu den Göttern um Schutz. Ich und Sie hören ja einen solchen Hain so nahe in unsere Arbeitzimmer rauschen, daß wir die Blätter zählen können.

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Baireuth, im Jänner 1806.

– Ich habe wieder ausgepackt, weil Friede bleibt. Unser Wiedersehen hebe denn, so wie das Rekognoszieren und Ratifizieren meiner Weissagungen, sich einer frohen Jahrzeit auf. Zum Schlusse und zum Scherze setz' ich einige Stammbuch-Lehrsprüche her, welche ich von Zeit zu Zeit für die verschiedenen Prinzen- und Reichsritterschaft-Hofmeister, die etwa durch meine Schreibstube passieren, voraus verfertige, um immer einen brauchbaren Impromptu-Gedanken bei der Hand zu haben, den ich ihnen mitgeben kann, wenn sie mir ein Album überreichen. Folgende Gedanken erwarten ihre Stammbücher:

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Um den Kühnsten zu bilden, bilde kühn! Nur kühne Maler, sagt Lavater, treffen ein kühnes Gesicht.

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Nicht umsonst borgen die seltensten Blumen ihre Namen von Fürsten. Die Macht kann nicht milde genug aussehen. Ein Fürsten-Blick ist schon eine Tat; ein Fürst hat also die Wahl, ob er den ganzen Tag ermorden oder beloben will. – Der Zepter sei kein Hoheitpfahl, sondern er habe, wie die Magnetnadel, die Gestalt einer Lilie. – Es ist leichter, wie der tragische Crebillon den Namen des Schrecklichen zu erwerben als wie Virgil den Namen des jungfräulichen. – Neben Friedrichs II. Kommandostabe im Zelte lag stets eine Quanzische Flöte; ein Fürst halte dies für eine Allegorie.Da diese vier Gedanken nur den nämlichen fünften aussagen: so werden sie in vier verschiedene Stammbücher verlegt.

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Der Ungläubige an die Menschheit wird ebensooft betrogen als der Gläubige an die Menschen. Der schlimme und alleinherrische Günstling rät stets dem Fürsten an, recht selber zu herrschen, nie herrschen zu lassen, selber zu sehen und zu hören (wenigstens den Günstling); nicht etwa eine Repetieruhrglocke zu sein, auf welcher ein äußerer Hammer die Zeit ausspricht, sondern eine Kirchenglocke, die mit eigner Zunge (dem Klöppel) redet, und welche der Günstling – läutet, es sei zu Sturm oder zur Hochzeit.

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Hofmeister! Keine Arbeit deines Zöglings sei dir so angelegen als Arbeitsamkeit selber; nur diese lern' er durch jene ein. Sonst hält er sich später, wie der Kaiser Carinus (nach Vopiscus), einen Unterschreib-Lakai; oder unterschreibt selber, aber wie der Selbst-Knecht seiner Diener, Philipp V. von Spanien.

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Auf dem Thron will man gern alles, sogar die Zeit – wie in Basel – um eine Stunde früher haben; folglich den Gedanken oft lange vor dem Nachdenken. Fürstliche Impromptus sind als Flugsamen von Handlungen stets gefährlich, sie machen lange Land- und Reichstage oft nötig und zahlen statt der Verzug-Zinsen Eilzinsen. Wie mancher Untertan starb an einem Bonmot! Wie mancher Verbrecher empfing ein Urteil für ein Urtel! Wie manche Vorbitte der Un-Heiligen wurde von der Eile erhört! – Wer noch mehr verlangt, befrage nur die Justiz- und die Kammer-Präsidenten in der Geschichte. – Was kann dann aber ein Lehrer, ich bitte Sie, Größeres versuchen, als seinen Zögling zu gewöhnen, daß er nie ein bedeutendes Ja oder Nein, seine Wider- oder seine Lieberede sagt, außer nach einer Respekt- oder Respit-Stunde auf die Frage, Bitte, Sünde? Mit einem solchen Anstand-Billett (Anstand-Brief, moratorium) kann er sich ein Breve der Unfehlbarkeit schreiben. Warum sprech' ich von Fürsten? Jeder ist in diesem Fall; nur daß der hohe Stand der Fürsten die rollenden Lawinen-Folgen jedes Lautes fürchterlich anhäuft. Und gerade in der Höhe oben und darneben bereitet man sich umgekehrt mehr auf Wort-Taten (Bonmots, Impromptus) als auf Tat-Worte (Dekrete, Entschlüsse) vor und nimmt sich zu einem Scherze Zeit, nicht zu einem Ernste. Diese Umkehrung kehre wieder der Lehrer um...... In dieser Minute hab' ich selber improvisiert, lieber Adelhard; so schwer ist das Meiden. Denn den letzten Artikel für das Stammbuch macht' ich für den Brief – für jenes muß er enger zusammengezogen werden. So wirkt die Allmacht des Augenblickes, man vermengt Brief, Stamm- und jedes Buch. Es gehe Ihnen wohl und hierin besser als mir, Freund Adelhard!

Ich wollte oben noch den Gedenkspruch beifügen: »man bringe einem Prinzen vor allen Dingen großen Geschmack am Lesen – nicht sowohl der Inschriften von Ehrenbogen und Feuerwerken als – der Bücher und der Akten bei«; aber wenn ich nicht irre, so steht der Spruch schon in Ihrem Stammbuche. Die Kabinettsgeheimnisse kommen, wie das Licht der Fixsterne, erst nach Jahren des Ausflusses herunter zu uns; aber Studierstuben-Geheimnisse steigen, wie Planetenlicht, gar nicht zu den Fixsonnen hinauf.

Ihr
J. P. F. R.

Nachschrift. Aus Mangel an Fußpost, bester Prinzenhofmeister, blieb leider mein fertiger Brief an Sie die ganze erste Auflage der Levana hindurch liegen und wurde zwar abgedruckt, aber nicht abgeschickt, bis zum Glücke bei der zweiten ein junger, aber abgesetzter Prinzenhofmeister einiger Höfe mich besuchte, der Ihnen das Schreiben bringen will. Übrigens flucht er jeden Tag anderthalb Stunden über die Sache und beschwört frei, er wolle fast noch lieber ein Prinz sein als ein Prinzenhofmeister, denn jener verderbe selber, dieser verderbe andere mit. Meinen langen Brief an Sie lacht er offen aus als eine Dinten-Makulatur und sagt, ich hätte nur etwas, aber die Hauptsache vergessen – den sogenannten Gouverneur des Prinzen und des Prinzenhofmeisters zugleich. Er bat mich, ihn zu belehren, »was denn der beste Prinzenhofmeister helfe, sobald er der erbärmlichste sein müsse, wenn der Prinzen-Gouverneur es haben wolle; welcher als eigentliches Oberhaus des hofmeisterlichen Unterhäuschens, als der Scholarch dieser Sekondärschule allein vorstehe«. Anstatt meine Belehrung abzuwarten, fuhr er grimmig fort: »die Gouverneurs, die ihn niemals nur hätten zum Vicegouverneur des Prinzen werden lassen, wären so alt von Adel als an Körper und tafel- und stiftfähig gewesen, er hingegen nur fähig schlechtweg; und der zeitige Prinz hätte ihn als den nachgesetzten nur für den Schulfuchs gehalten, dessen Meister Reinecke der Gouverneur wäre. Das Wort eines Mannes, der mit dem Prinzen an einer Hoftafel sitze, habe diesem wie dem Hofe mehr gegolten als die Predigten dessen, der nur an der Lehrtafel mit ihm ansässig sei.«

»Hierüber«, sagt' ich, »wollt' ich wohl die Partei der Weltleute verfechten. Der Schulmann verhält sich zum Hofmann wie z. B. der Abt Vogler zu einem Vogel. Wie man nämlich nach Kants feiner Bemerkung darum an Wiederholungen des regelrechten Menschengesanges sich bald müde hört, aber nicht am ewigen Vogelgesang, weil in diesem keine Regel und nur unbestimmter Wechsel herrscht: so muß der Schulgelehrte bei der eintönigen Einheit seiner Gedankenketten und seiner zielsichtigen Reden, die immer zu etwas führen sollen, bald einschläfern, indes der Weltmann, überall abirrend und zuirrend, jeden munter erhält, weil er nichts Bestimmtes sagt, und weil Verschiedenheit des Nichts mehr ergötzt als Einerleiheit des Etwas.«

»Ein solcher Gouverneur«, fuhr er fort, »der nur Fürst, Hof und Adel achte und für diese zu erziehen gebiete, sperre mit seiner Ordenkette jeden Hafen, in welchen ein Hofmeister mit Silberflotten für den Zögling einlaufen wolle – Er entwerfe jenem die eigentliche ›Revision des Erziehwesens› (nur keine so gute wie die gedruckte); denke nun der gehofmeisterte Hofmeister anders, so hab' er nur die Wahl, sich zu fürchten oder sich zu erzürnen.« –

»Nicht übel!« sagt' ich, »denn dies kann den Hofmeister zärter, geschmackvoller bilden, als er selber bildet; auf gleiche Weise machen Köche Geflügel mürbe und schmackhaft, indem sie vor dem Schlachten Hühner in einen Teich oder einen kalekutischen Hahn von einem Turme werfen – welches zur Furcht dient –, oder indem sie diesen durch Pfeifen und rote Kleider recht erbosen – was zum Zorne dient.« –

»Wir erleben denn auch«, schloß der Hofmeister, »was daraus wird, wenn der Gouverneur den Zepter als einen guten Schulbakel an den bürgerlichen Vorlehrer selber legen kann – was nämlich nicht aus diesem wird (denn der zieht fort wie ich), sondern aus dem unschuldigen Fürstensohne, welchem als einem jungen Gebieter zwischen einem streichelnden Ober- und einem knienden Unterknechte kein männliches Markgebein ganz bleiben kann.« – –

»Dann seh' ich aber«, sagt' ich, »das Böse dabei nicht ab. Auch ich kenne mehre Leute von Stand, deren ganzer innerer Mensch keinen ganzen Knochen hatte, die aber gerade den vom Donner Erschlagnen glichen, in welchen der Blitz meist nur die Gebeine rädert, ohne das Geringste an der schönen Außengestalt zu versehren und zu stören: so ists, Freund!«

Da wir beide nicht ganz einig und ich nicht ganz ernsthaft werden konnte: so ist es gewiß verständig, daß ich ihm diese Nachschrift an Sie mitgebe, damit er von Ihnen entweder bekehrt werde oder bestätigt. Sie müssen es wissen, ob unter Gouverneurs kein Unterschied sei, und ob doch nicht zuweilen die Umlaufbahn des kleinen Fürsten eine Ellipse mit zwei Brennpunkten rein beschreibe. Der Himmel geb' es, und mehr dazu.

Ende des zweiten Bändchens


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