Jean Paul
Levana oder Erziehlehre
Jean Paul

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§ 125

Die Eltern haben ein leichtes, reines Mittel, den Kindern zugleich sehr zu predigen, zu erzählen und wohlzutun, nämlich durch Erzählung ihres Kindheit-Lebens unter den eigenen Eltern. Schon an und für sich ist dem Kinde, dem Kleinen, das Kleine das Liebste, und sie baten den Verfasser zuweilen um ein kleines Meer, einen kleinen lieben Gott.Vielleicht ist dies noch außer der Liebe, welche sich gern mit sanften Verkleinerwörtern ausspricht, eine Ursache mehr, daß Kinderfrauen etc. den Kindern alle Namen bis zum Übermaß verkleinern; sogar gegen alle Sprache z. B. schönele statt schön, sogar so'chen statt so. Tritt ihnen nun vollends Vater oder Mutter von den hohen Wuchsstufen auf ihre herab, so können sie es kaum begreifen, daß Eltern sonst Kinder gewesen, und sehen lern-durstig in dem Verkleiner-Spiegel ihre jetzigen Riesen-Eltern sich nur als Kinder bewegen. Groß-Eltern befehlen nun den Klein-Eltern, und Menschen gehorchen, denen das Kind zu gehorchen hat. Hier findet dieses in der Erzählung nur jetzige Fortsetzung des vorigen Rechts; und keine Willkür – – hier findet es, daß der Vater nur jetzo befehle, was er sonst als Kind befolgte; – und daß er seinen Eltern recht viel Liebe zuwandte und abgewann, denen sich wieder der Enkel desto wärmer aus Nachliebe und Freiheit an die Brust wirft. – Wenn für das Kind die elterliche Kindgeschichte ein frohes, noch unberechnetes Interesse haben muß, wie ist nicht durch dieses Interesse jedem Worte, jeder Lehre und allem, was man ins Erzählen legen will, Gewicht und Reiz zu geben! Trifft es sich, daß die selbst-leben-beschreibenden Eltern in andern Verhältnissen, Wohn-Orten etc. als Kinder auferwachsen, so breitet sich das Ernte- oder Säefeld der Lehre noch länger aus. Kurz, in jede eigne Kindheit-Lage können die Eltern, erzählend bloß und wahr bleibend, alles legen, was die wärmere Kinder-Natur begeistert und befruchtet. Sogar kleine Fehler der Eltern und also Strafen der Großeltern erschüttern in der Erzählung das elterliche Ansehen nicht, oder es wäre gar zu locker und luftig gebauet.

Wir sind hier der Frage über die Inhalt-Wahl der Kinder-Erzählungen so nahe, daß eine Antwort verstattet sein mag. Orientalische, romantische scheinen die angemessensten zu sein; viele Märchen aus 1001 Nacht, Geschichten aus Herders Palmblättern und Krummachers Parabeln. Kinder sind kleine Morgenländer. Blendet sie mit einem weiten Morgenlande, mit Taublitzen und Blumen-Farben. Setzt ihnen wenigstens im Erzählen die Schwingen an, die sie über unsere Nord-Klippen und Nord-Kaps wegführen in warme Gärten hinein. Euer erstes Wunder sei bei euch, wie bei Christus das erste, die Verwandlung des Wassers in Wein, der Wirklichkeit in Dichtung. Daher sargt nicht jedes Wesen, das ihr auftreten laßt, in eine Kanzel ein, aus welcher dasselbe die Kinder anpredigt, eine abmattende Sucht nach Moralien, mit welcher die meisten gedruckten Kindergeschichten anstecken und plagen, und wodurch sie gerade auf dem Wege nach dem Höchsten dieses verfehlen, wie etwan Karl XII. von Schweden gewöhnlich sein Schachspiel verlor, weil er immer mit dem – König ausrückte. Jede gute Erzählung, so wie gute Dichtung, umgibt sich von selber mit Lehren. Aber die Hauptsache ist, daß wir ein romantisches Morgenrot in diesen erdnahen Himmel malen, welches einmal um das Alter sich als tiefe Abendröte lagert. Erzählt von schreckenden, aber besiegten wilden Tieren – (aber am häufigsten Kinder stellt auf euerer Bühne an) – von langen Höhlen, welche in himmlische Gärten führten – von Seligwerden und Seligmachen – von großen Gefahren und noch schönern Errettungen – sogar von närrischen Kinder-Käuzen (wiewohl Kinder leichter ins Weinen als ins Lachen hineinzuerzählen sind). Verf. dieses trieb es z. B. mit dem Christkindchen oft weit (denn von einem Ruprecht sprach er nie), er setzte es auf den Mond und dahin unzählige, lauter beste Kinder, und das Abendrot des Dezembers konnt' er für nichts erklären als für den Widerglanz der aufgetürmten Wagen voll Christgeschenke u. s. w. In späten Jahren, wenn die Kinder in Mond- und Abendglanz schauen, wird ein wunderbares Entzücken in ihnen weich aufwallen, und sie werden nicht wissen, welcher fremde Äther sie anwehe und hebe – – es flattert die Morgenluft euerer Kindheit, meine Kinder! –

Diese Dichtung wird bei ihrer Auflösung in die Wirklichkeit doch zu keiner Anklage elterlicher Unwahrhaftigkeit, wie uns die eigenen BeispieleDem Verf. dieses blühen noch immer die Rosen-Bilder nach, die ihm sein Vater, als er aus der Studierstube in der Dezember-Dämmerung herabkam, mit den unbedeutenden Worten in die Seele malte, er habe durch die trüben Abend-Wolken das Christkindchen mit roten goldnen Streifen ziehen sehen. Wer könnte ihm jetzo dieses Rosen- und Freudenfeuer, diesen überirdischen, in den Wolken nachglühenden Schatz ersetzen! und die Beispiele unserer sonst in der Wahrhaftigkeit felsen- und eisenfesten Vorfahren belehren.

Sollte nach allem diesen das Bürgerrecht, das den Kindern in der Gottes-Stadt des Romantischen gebührt, ihnen nicht das Schauspielhaus öffnen dürfen, nämlich aber nicht jenes der Lust- und der Trauerspiele, welche sie nur betäuben, aufreizen oder verfälschen, noch das Schauspielhäuschen, wo sie selber spielen, sondern das Opernhaus? Gibt nicht die Oper ihrem Auge die romantische Feenwelt, und verschonet ihr Ohr durch die Sing-Unverständlichkeit, wodurch wieder eine wohltätige halbe Nacht auf Prose und Intrige fällt, mit sittlicher Verunreinigung? Und wirkt nicht selber das grelle krasse Gemeine in seinem Nebenstehen zwischen dem Edeln (z. B. in der Zauberflöte), gleichsam das Brautpaar eines Affen und einer Nonne, mehr für die Erhabenheit und mehr wider die Versunkenheit? – Mich dünkt, die Oper, dieses handelnde lebendige Märchen, worin die Musik metrisch und die Schau-Glanzwelt romantisch liebt, könne das schwere Kärrner-Fahren und Knarren der Gegenwart in das leisere Fliegen verwandeln, zumal und um so notwendiger, da zwar Prose, aber nicht Poesie zu erlernen, und Flügel leichter Füße finden als Füße Flügel. Gleichwohl wird hier mehr gefragt als behauptet, besonders da leichter alles zu wagen und zu ersetzen als Kindes-Unschuld.

§ 126

Über lange Kinderreisen wünscht' ich ein Wort zu sagen. Kurze von einigen Wochen hält man mit Recht für ein Geist und Leib reifendes Versetzen dieser zarten Bäumchen, weil der Tausch der alten düstern Ecken-Enge gegen die luftige Landschaft von Menschen- und Sitten-Wechsel erheitern und befruchten muß. Etwas anderes aber sind Kinderreisen mit Städte-Hausierern und Länderrennern, wenn kleine Wesen die große Tour (durch die Stadt ist schon eine für sie) durch halb Europa machen, auf welcher das jeden Tag versetzte Bäumchen sich übertreibt und erschöpft. Wenn schon Erwachsene von ihrem Länder-Umsegeln gefüllte Köpfe und geleerte Herzen mitbringen, weil das tägliche Laufen durch Kompagnie-Gassen von Menschen mit Spießruten oder doch ohne Bruderküsse zuletzt so erkälten muß, wie das Hofleben tut, worin, wie in einem englischen Tanze, der Tänzer die Kolonne auf- und niederspringt und seine Hand kalt einer jeden gibt: wie muß erst langes Reisen – dem Erwachsenen nur Herbstreif – als Frühlingreif das Kind verwüsten! Langes Zusammenleben mit verbundnen Menschen entwickelt in diesem die Liebewärme; das Einerlei der Menschen, Häuser, Kindheitplätze, ja der Gerätschaften hängt sich geliebt an das Kind und verstärkt, wie eine magnetisch gehaltene Last, das magnetische Anziehen; und so wird in dieser Frühzeit der reiche Magnetbruch künftigen Liebens aufgetan, weil das Kind beinahe alles liebgewinnt, was es täglich sieht – im Dorfe eine leichte Sache –, den Holzhacker der Eltern, die Botenfrau, den alten Peter, der jeden Sonnabend um einen Sonntag bettelt, ja sogar ferne, stundenweit entlegne Honoratiores von Bekanntschaft. Mit einer Kindheit voll Liebe aber kann man ein halbes Leben hindurch für die kalte Welt haushalten. – Nun soll aber statt dergleichen ein Kind auf Reisen gehen – z. B. etwa durch halb Europa – und soll, da man dessen Wohn-Marktflecken samt Einwohnern nicht hinter dem Wagen aufpacken, noch in den Gastzimmern der großen Städte abpacken kann, jeden Tag auf neue Menschen, Stuben, Kellner, Gäste stoßen, an welchen allen das junge Herz aus Zeitmangel nicht zum reifen Ausbruche der Teilnahme kommen kann: – was kann dann aus dem kleinen Wesen werden? Ein Hofmännchen oder Hofweibchen ohne Hof, kühl, hell, fein, matt, satt, süß und schön.

§ 127

Da man in Anhängen, wie in Vorreden, Dinge sagen kann, die man im Buche schon gesagt, so sag' ich wieder: nur Regel für Kinder, gleichgültig welche, als einen Mittelpunkt für unzählige Radien! Regel ist Einheit, und Einheit ist Gottheit. Nur der Teufel ist veränderlich. Das überzart nachfühlende Mädchen und der roh auflebende Knabe, beide bändigt und besänftigt die Einheit der Regel; eben aus demselben Grunde, warum wir im Winter das Ungemach des Frostes und das Einerlei der Erden-Öde ruhig erdulden, indes uns im Frühling ein paar Schneewolken erzürnen und verfinstern; bloß weil im Winter Schnee-Schmelz, im Frühling Blumen-Schmelz Regel ist. Kein Befehl fällt schwerer als ein neuer; und keine Notwendigkeit schwerer als die neue. Will man sich das unglücklichste, verschobenste und verschiebbarste Kind vorstellen: so denke man sich eines ohne Regel, nur vom Wechsel erzogen, hin und her ohne Grund erbittert und besänftigt – ohne Bestand der Zukunft – jeder Augenblick ihm ein treibender Sturm – nichts wollend als die Begierde der Terzie – ein Ballspiel zwischen Liebe und Haß – mit Schmerzen, die nicht kräftiger, mit Freuden, die nicht liebender machen – – Zum Glücke seh' ich kein solches Wesen neben mir. Wird denn nicht sogar die ungerechte Regel regelnd? – Als auf unwillkürliches Hutverlieren oder gar Stürzen in der Reiterei eines Staates Strafen standen: so fiel beides seltener vor; – und in den Brüder- und Schwesterhäusern, wo man jeden aufweckt, der schnarcht, wird nicht geschnarcht; und wo man für unwillkürliches Zerbrechen des Geschirrs den Kindern Strafe androht, wird weniger zerbrochen. Nur sei, sonst fehlt die Regel, die Drohung ein Jahr älter als Sünde und Strafe.

§ 128

Gebt lieber – zumal früher – euern Foderungen als euern Behauptungen Gründe mit; erstlich das Tun ist leichter als das Verstehen zu begründen – zweitens ist nie der Kinder-Glaube durch Gründe, die bloß zu Zweifeln ausarten, zu schwächen – drittens das Handeln befiehlt äußere Schnelle, Glauben gestattet aber Zeit – und viertens, jenes stößt mehr als dieser gegen alte Wünsche an (denn Kinder sind selten Orthodoxen); mithin mildert, wie die französischen Könige, eure Bescheide durch sanfte Vorgründe; besteht aber, wie diese, aufs Geschehen, sobald die Gründe nicht siegen. Und doch ist in einer zweiten Auflage dieser Regeln sogar bei dem Gründe-Angeben für Befehle einschränkend nachzutragen: die Mütter geben teils aus Milde, teils aus Sitz-Liebe einer gesunden Zungen-Motion einem Befehle so lange Gründe mit, als diese über die Gegengründe des Kindes siegen; können sie endlich nicht mehr widerlegen, so endigen sie mit dem Machtgebot. Aber damit hätten sie besser sogleich angefangen. Höchstens mehr nach der Befolgung desselben finden Gründe ihre Stelle in den unparteiisch-offnern Ohren. Allerdings gilt dies am stärksten für die jüngsten Jahre, und jedes ältere fodert einen Grund mehr. Die verbündete Pflege kindlicher Festigkeit und Freiheit zugleich gehört unter die schweren Aufgaben der Erziehung: der elterliche Atem soll nur die Zweige zum Frucht-Stäuben bewegen, aber nicht den Stamm beugen und krümmen.


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