Jean Paul
Levana oder Erziehlehre
Jean Paul

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Viertes Kapitel

Erziehung der Mädchen

§ 89

Nach dem vorigen Kapitel würde dieses kurz ausfallen; weil jenem zufolge die Mädchen zu nichts als zu Müttern, d. h. zu Erzieherinnen, zu erziehen wären. Alles, was man dabei zu tun hätte, bestände in großen Erziehlehren, die man ihnen mündlich und gedruckt gäbeWarum gab man statt aus andern Schriftstellern, nicht lieber aus Hermes' vielen Romanen eine Fruchtlese, zumal für das weibliche Geschlecht, heraus, da sie so viele feine, scharfe, strenge, wichtige Blicke und Winke enthalten? – und dazu stehen für die Eltern keine empfänglichern Jahre als die der Hoffnung und das Halbjahr der Verlobung, und für den Mann das erste der Ehe offen –; und dann, daß man die ältern Töchter die jüngern Kinder erziehen ließe. Letztes ist vielleicht die geistigste Erwerbschule der Klarheit, Geduld und Umsicht, in welche man seine Tochter nur schicken kann; nur bleibt sie dem jüngsten Kinde verschlossen.

Allein bevor und nachdem man Mutter ist, ist man ein Mensch; die mütterliche Bestimmung aber oder gar die eheliche kann nicht die menschliche überwiegen oder ersetzen, sondern sie muß das Mittel, nicht der Zweck derselben sein. So wie über dem Künstler, über dem Dichter, über dem Helden u. s. w., so steht über der Mutter der Mensch, und so wie z. B. mit dem Kunstwerk der Künstler zugleich noch etwas Höheres bildet, den Schöpfer desselben, sich: so bildet die Mutter mit dem Kinde zugleich ihr heiligeres Ich. Überall wird von der Natur alles Göttlich-Menschliche in der Bedingung des Örtlichen gegeben und das Ideale dem Körperlichen, der Blumenduft einem Kelche einverleibt; an gemeine Bande und Fäden sind die köstlichsten verlierbaren Perlen gereiht, und sie werden durchbohrt, um bewahrt zu werden.

Wenn nun die Natur die Weiblichkeit zur Mütterlichkeit bestimmt: so ordnet sie schon selber die Entwickelungen dazu an, und wir brauchen bloß ihr nicht zuwider und vorzugreifen. Aber da sie überall blind und stark nur auf ihren einseitigen Zweck und auf Enden und Ende hinarbeitet: so muß das Erziehen sie, obwohl nicht bestreiten – denn jede Naturkraft ist heilig –, doch ergänzen, indem es die unterdrückende Kraft durch die waagehaltenden Kräfte mildert, reinigt und einstimmt.

§ 90

Die Frau fühlt sich, aber sieht sich nicht; sie ist ganz Herz, und ihre Ohren sind Herz-Ohren. Sich selber und was dazu gehört, nämlich Gründe anzuschauen, wird ihr zu sauer. Vielleicht ließ deswegen die alte Rechtsgelehrsamkeit den Schwur früher einem Manne als einer Frau abnehmen, hingegen die Folter früher dieser als jenem antun. Gründe verändern und bewegen den festen Mann leichter als die weiche bewegliche Frau, so wie der Blitz leichter durch feste Körper geht als durch die leichte Luft.

Was soll nun geschehen? Gefühle als leichte Truppen fliehen und kommen, dem Siege der Gegenwart folgend; Begriffe aber bleiben als Linientruppen unverrückt und stehen bei. Soll man dem Herzen die schöne innige Lebens-Fülle rauben durch Zergliederung? – Es wäre schlimm, wenn man es könnte; aber Sömmering empfindet nach tausend Ohren, die er zerlegt hat, doch mit seinen noch den Ton-Reiz, und der Philosoph fühlt nach dem Abdruck seiner Sitten- und seiner Geschmacklehre doch noch die Gewalt des Gewissens und der Schönheit.

Aber nicht das Gefühl, sondern den Gegenstand desselben lerne das Mädchen prüfen, auflösen, erhellen; und dann, wenn es selber den Irrtum des Gegenstandes gefunden, so werd' es gezwungen, bei aller Fortdauer der Empfindung nur der Einsicht zu folgen. – Nicht die Gefühle, sondern die Phantasie bestreitet. Diese drängt, z. B. im Bilde des Kriegs, die Schmerzen eines Volks in ein Herz, die eines Tags oder Jahrs in einen Augenblick, die verschiedenen Möglichkeiten in eine Wirklichkeit zusammen; legt man aber nun diesen phantastischen Brennpunkt durch das zerstreuende Hohlglas des Verstandes in die einzelnen Strahlen auseinander, so ist das Gefühl nicht verwüstet, sondern nur verschoben. Doch, liebe Mutter, schone und erwarte jedes zarte und warme Gefühl, das die Jahre von selber bringen und bilden, und wolle nicht an der Empfindsamkeit deiner jüngsten Töchter schwelgen und an Liebetränen dich berauschen, indem du etwa weinerliche Geschichten erzählst oder ähnliche Empfindungen nackt gibst. Denn entweder gehen die Wesen künftig am Gefühle zu Grunde, oder dieses an ihnen. Gefühle, Blumen und Schmetterlinge leben desto länger, je später sie sich entwickeln. Etwas, das einmal, entweder geistig oder körperlich, gewiß in die Wirklichkeit eintritt, kann ohne Schaden wohl zu spät, aber nicht zu früh anlangen, und die Deutschen des Tacitus bewahrten ohne Nachteil das Herz vollkräftig auf, das sie einem, auch nicht jungen jungfräulichen, das lange unter vielen Schlachten für sie geschlagen, auf ewig hingaben.

Versündigt euch nicht an den Töchtern, daß ihr ihnen das, was Wert an sich hat, die Kunst, die Wissenschaft oder gar das Heilige des Herzens, auch nur von weitem als Männer-Köder, als Jagd-Zeug zum Gattenfange geist- und gott-lästernd zeigt und anempfehlt; es so gebrauchen, heißt mit Diamanten nach Wild schießen, oder mit Zeptern nach Früchten werfen. Anstatt den Himmel zum Mittel und Henkel der Erde zu machen, sollte man höchstens diese zur Vermittlung von jenem steigern. Nur der gemeine Haus- und Palast-Verstand, die Ordnung, die Wirtschaft-Kenntnisse und Ähnliches können als künftiges Bindewerk des ehelichen Bandes vorgepriesen werden. Überhaupt sind die sogenannten weiblichen Talente zwar Blumenketten, an welche man den Amor legen kann; aber der Hymen, der diese und sogar Fruchtschnüre ab- und durchnützt, wird am besten von der goldenen Erbs-Kette wirtschaftender Anstelligkeit gehalten und gelenkt.

Verleiht Grundsätzen durch die Beredsamkeit die Klarheit und durch Wiederholung die Gewalt der Anschauung – und lasset es besonders so wenig als möglich zum Genusse jenes Mitleidens mit sich selber kommen, das, um nur den Überschmerz zu behalten, vor allem erfreuenden Lichte flieht. Haß und Strafe jeder Laune, Krieg gegen jede gegenstandlose Stimmung sind Übungen. Auch im kleinsten gehe der Tochter nichts Willkürliches straflos hin. Zu allem diesem gehört wenigstens irgendein Mann, an dessen Holze sich diese flatternden weichen Blumensträuche stengeln. Ein Liebhaber sieht vor der Ehe vielmehr gern ins Regenbogenspiel regnerischer Empfindungen, bunter Launen und weicher Schwächen; dafür will er aber in der Ehe, wo der Regenbogen zu schlechtem Wetter wird – weil er an Launen, als den häufigern Wiederkömmlingen, stärker leidet als an Lastern –, desto mehr Vernunft und Gründlichkeit erleben, und erwacht im Gegenfall aus besondern Träumen, aber ohne daß sie sich erfüllen. Es sind diese: er hatte nämlich als Geliebter in verschiedenen Schäfer- und Schafstunden des Herzens die Liebende auf andere Entschlüsse gebracht, für welche er seine guten Gründe angeführt hatte; deshalb sah er steif einer Ehe voll regierender Gründe entgegen: »Folgt sie jetzo in der Wärme und Jugend schon Gründen,« sagte er, »was wird erst geschehen, wenn sie kälter und älter wird!« Bloß das Gegenteil. Denn sie hatte nur seinen Willen, nicht seine Schlußketten gehört und alles nur aus Liebe getan. Erhaltet euch daher, ihr Ehemänner, die Liebe eurer Frauen, so seid ihr der Vernunft-Predigten überhoben. Sollt' es schwerer oder unergiebiger sein, mit der eignen Frau und Hauskönigin in Gesellschaft zu leben und zu handeln, als mit der heiligen Maria und Himmelkönigin in Compagnie zu treten, wie ein Handelsmann in Messina getan, der an sie den Teil seines Gewinstes redlich abtrug?Neue Sammlung der Reisebeschreibungen. B. 7.

Man bewahre Mädchen vor der Furcht, dem Affekte, der am meisten zur Ausschließung der Vernunft gewöhnt. Schon früh könnt ihr ja manches Phantasie-Übel mit bunten Schleiern bedecken; z. B. dem Kinde den ersten Donner das Rollen des Wagens nennen, worauf der so lange erwartete Frühling ankommt; oder ihr könnt mit Tieren, die durch Schnelle, wie Mäuse, erschrecken, oder durch Größe, wie Pferde, oder durch Un- und Widerform, wie Spinnen und Frösche, zuerst selber unbefangen umgehen, dann das kindliche Auge vom Ganzen auf einzelne gefällige Glieder wenden und Kind und Tiere ohne Zwang und langsam einander nähern; denn Kinder haben beinahe keine andere Furcht – ungleich dem Instinkt-Tiere – als die fremde – ein Angst-Schrei der Mutter kann in ihrer Tochter durch das ganze Leben nachzittern; denn die Rede löscht keinen Schrei der Mutter aus. Macht also vor euern Kindern zwar Punkta, Kolon, Semikolon, Kommata – aber nur keine Ausrufzeichen des Lebens!


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