Jean Paul
Levana oder Erziehlehre
Jean Paul

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Fünftes Bruchstück

Erstes Kapitel

Bildung eines Fürsten

§ 102

Mehre Leser, zumal richtende, werden zwar vielleicht ohne mich die Bemerkung und den Vorwurf machen, daß in den vorigen Kapiteln das Besondere früher als das Allgemeine, die weibliche Erziehung früher als die männliche, welche sich in die sittliche, intellektuelle, ästhetische Bildung allgemeiner ausbreitet, abgehandelt werde, und daß in diesem Kapitel wieder die bestimmtere fürstliche der männlichen voranstehe; ja im Bruchstück über Mädchen könnte man noch systematische Ordnung vermissen und nur eine für Weiber systematische Unordnung antreffen; sollte indes einer oder der andere diese Bemerkungen und Vorwürfe zu machen vergessen: so stehen sie hier.

Auch bei der Bildung eines Fürsten muß der Verfasser die vorige Erlaubnis des Lesers benutzen, sich in einen Briefsteller zu verkleiden; doch diesmal träumte er keinen Brief im Bette, sondern schickte folgenden wirklich auf die Post.

*

Brief an den Prinzenhofmeister Herrn Hofrat Adelhard aber Fürstenerziehung

Baireuth, den 1sten Oktob. 1805.

Ihre Einladung, lieber Hofrat, Sie und Ihren Prinzen auf Ihrem Landgute zu besuchen, könnte mir ja nicht herrlicher kommen als jetzo, da ich eben zum Glücke einpacken und flüchten will, weil die Kriegs-Lava die Richtung nach unserm Lande zu nehmen scheint. Ja, was noch besser ist, ich arbeite an einer Erziehlehre in Bruchstücken, worunter in jedem Falle auch eins mit einem Wort über Fürstenkinder kommen muß; ich müßte mich aber sehr irren, oder ich treffe bei Ihnen jene Magna Charta und Wahlkapitulation an, welche die vor-erste für einen Fürsten ist, nämlich die, welche der Hofmeister dem kleinen Prinzen vorlegt und vorschreibt. In der Tat, ich erwarte von Ihnen zwei Muster, das eines Erziehers und das eines Zöglings.

Wenn Sie es, lieber Adelhard, nicht für Scherz ansehen: so schreib' ich hier einen dicken Brief an Sie, worin ich alles weis- und wahrsage, was Sie mit Ihrem Zögling anfangen und vollenden, bloß um den Brief unter meinen Bruchstücken als einen Taschenspiegel für Fürstenhofmeister zu reihen. Mich dünkt, sobald ich Sie einigermaßen prophezeite: so sind meine Weissagungen zugleich Regeln.

Denn ich scheue mich halb, selber letzte zu machen. Wenn man sich in die Seele des Zöglings setzen muß, um von da aus ihn zu bilden: so ist diese Aufgabe für einen bloßen Nebenmenschen und also für jeden Prinzenlehrer äußerst schwer, da die äußerlichen Verhältnisse einen Fürsten nicht durch Stufen, sondern durch die Art über alle unsrige erheben. Das fürstliche Herrschen ist von jedem andern unterschieden: wir kennen nur Befehle über Teile, nicht über das Ganze; wir sehen überall Annäherungen zu uns herab und herauf, der Fürst sieht keine; sondern der höchste Staatsdiener und der niedrigste sind ihm gleich thron-fern und zepter-unfähig. Der Fürst fodert, indes die häufigern Pflanzen sich mit einem gemeinsamen Erd- und Himmelstrich begnügen, gleich einem ausländischen Gewächse zum Gedeihen seine besondere Blumenerde, Morgenseite und Treibscherbe.

Desto wichtiger ist die Wahl des Hofgärtners. Zum Glück ist wenigstens das Erzieh-Reich ein Wahlreich. Sogar der Hof, der sonst den Gelehrten, wie die Spanierin abends das Johanniswürmchen, nur zum glänzenden Edelsteine, nicht aber, wie die Indier den Laternenträger, zum Leuchten gebraucht, hält die Wahl eines Prinzen-Lehrers für so wichtig, daß er darüber sich in die größten Sekten zerschneidet. Erinnern Sie sich noch der Schismatiker und Separatisten am Flachsenfinger Hofe über die Gnadenwahl des Prinzenhofmeisters? – Ich zählte sie Ihnen einst aus sehr guten Gründen im Beisein der Oberhofmeisterin auf. Sie, lieber Adelhard, wurden bloß von Vater und Mutter für ein Kind erwählt, damit man nicht wüßte, wer von den vier Menschen der glücklichste sei. Aber in Flachsenfingen bestand die Fürstin-Mutter und ihre Partei auf dem flachen mattgoldnen Hofprediger – der Fürst und die ihm gefällige Partei wünschten durchaus, mich zu erobern – die dritte, des Hofmarschalls und seiner abgelebten Geliebten, der alten Oberhofmeisterin, alle meine erklärten Feinde, stimmten sämtlich für jenen feinen Menschen, den wir alle ziemlich kennen, jenes böse Pulver ohne Knall, das man sonst verbeut. So schön weiß ein Hof ans Landesglück sein eignes Verwandten- und Freundenglück zu knüpfen, um sich für jenes durch dieses anzufeuern. Dies ist oft so die Ursache, daß die Hofleute bei weiten nicht so uneigennützig und offen erscheinen, als sie es sind. Gerade wie der Bankier an großen Spielplätzen die Karte am Hute aufgesteckt umherträgt, auf und wider welche er nie spielen will, es sei z. B. Coeur-Aß: so zeigte ja der Marschall durch einen aufgesteckten goldnen Stern und die alte Oberhofmeisterin durch ein goldenes Herz, daß beide, als Symbole des Lichts und des Liebens, eben das Kartenpaar ausmachten, worauf sie nie setzen oder zahlen würden. Dies nennen manche nun Intrigen bei Hofmeister-Wahlen.

Karl der Große wurde seiner physischen Stärke wegen ein Heer genannt; ein Fürst ist durch politische ein geistiges; und dieses Heer hat anfangs keinen andern Generalissimus als den Hofmeister. Er allein darf den Geist, der künftig kaum leisen Widerspruch verträgt oder erfährt, frei behandeln und belehren – leichter und vielseitiger als irgendein künftiger Günstling hat er an ihm nur Wachs, nicht Marmor zu gestalten. – Er darf keck genug sein, die Leidenschaften des kleinen Fürsten zu bekriegen und zu bestrafen, welche das spätere Gefolge bloß benützt und verkehrt. – Ja er kann es ausführen (was noch kein Minister und kein Günstling vermochte), daß er so viel wie Fenelon ersiegt, der einen übelgearteten Herzog von Bourgogne in einen reinen schönen Menschen verwandelte, dessen vorfrühes Grab vielleicht der Eingang in die große Katakombe des vorigen Jahrhunderts wurde. – Die Kenntnisse, die Gewohnheiten, die Ansichten, die Liebhabereien, die er dem Zögling gegeben oder gelassen, arbeiten allen künftigen Einflüssen entweder vor oder entgegen. – Er darf, wie man sonst den römischen Kaisern am Tage Fackeln voraustrug, mit geistigen es nachtun. – Kurz er kann, wenn er das Seinige ist, jenem Dionysius, der in Sizilien Fürst, darauf in Korinth Schullehrer war, beinahe auf einmal beides in einem Amte nachbilden. Wenigstens such' ers! Denn zur Ausprägung eines politischen Fürsten ist ein geistiger vonnöten; man nennt ihn zwar Prinzenhofmeister; aber er schenkt als ein geistiger Vater – wie der Papst als heiliger Vater dem Jesuiten Johann III. von Portugal – erst die Erlaubnis, die Krone zu behalten.

Freund, gibt es denn für die Menschheit, nicht bloß für gekrönte Eltern, ein höheres Seelen-Amt, das wie das des Heilands aus drei Ämtern besteht, als das eines Fürstenerziehers, der im Fürstenkinde vielleicht die Zukunft eines halben Jahrhunderts vor sich und unter sich hat, vielleicht den Fruchtkeim eines ganzen Eichenhains, oder das Pulverkorn einer Länder-Mine? – Gibt man zu, daß die erste Bildunglage eines Menschen, als die tiefste und reichste, alle andern trägt, welche die Zeit auf ihm absetzt: so finde ich den Wunsch nicht zu kühn, sondern natürlich, daß man, wie Schulmeister-Pflanzschulen, so Fürstenhofmeister-Schulen, wenigstens eine haben möchte.

Jetzo will ich aber einmal – um nur etwas für mein Buch zu haben – der Vergangenheit und Gegenwart die Nativität stellen und voraussagen, was Sie getan und tun.

Sie werden (aus dem Landsitze vermut' ichs so leicht) Ihrem Friedanot (ein wohlklingender und bedeutsamer Name!), sooft Sie nur dürfen, den Hof verbieten und die Eltern bereden, ihn meistens ohne Zuschauer zu sehen. Wenn für einen Fürsten die Weihrauchwolke ein fallender Nebel sein kann, so ist sie für ein Fürstenkind nur ein steigender, welchem böse dunkle Tage folgen. Wie könnten Sie Ihren Friedanot auch anders als durch Entfernung vor den Hofweibern schirmen, welche auf ihn eindringen müssen, von seinen drei Grazien angelockt, daß er nämlich zugleich ein Fürst, ein Kind und ein Knabe ist! Etwas Höheres als diesen Bund gibts für kein Weib. Wie nun (nach Agrell) der Kaiser von Marokko ein Gespann von zwölf Hofwagenziehern zum Spazierenfahren hält, so kann hier der kleine Koronand zwölf Kinder-Wagen-Zieherinnen am Dutzend Damen bekommen, das da ist. Zählt er vollends gar so viele Jahre als Jüngerinnen, nämlich zwölf: so wird er schon voraus angebetet, damit er nachher anbete und nachbete; – Charakter und Kindheit zugleich werden zersetzt durch vorzeitige Galanterien, die zu Galanterien wecken.

Gegen dieses Alter hin heben auch die Weltmänner ihren Einfluß an. Wenn etwas dem großen Ernste eines Fürstenerziehers – ja eines jeden Erziehers – auflösend entgegenstrebt, wie Gift den Nerven: so ists die Weltansicht der Weltleute, sogar der rechtlichen und parteilosen. Wie ihr Ordensstifter Helvetius können diese letzten Helvetier, an welchen kein Cäsar einen Feind bekommt, gutmütig, Künste liebend, verschenkend, Generalpächter und alles Gute sein, nur nicht ihre eignen Blutzeugen und Worthalter. Sonst sind diese Helvetier ganz gut: gleich den geographischen, Freunde der Kälte – und Sennenhirten auf den Höhen, wornach ihr Heimweh seufzet – kein Geld, kein Helvetier – eidgenossisch – aufrichtig in Taten, wenn auch nicht in Worten – ohne vieles Geld – und lebend von Fremden weniger als vom Fremden – wie andere Schweizer laute Türsteher vor leisen Palastzimmern – überhaupt Männer, welche gern am Hofe eines Louis XIV. als Türhüter (Portiers) und als Söldlinge stehen und sich gern von ihm befehlen lassen; – – nur für Erbprinzen taugen sie nicht sonderlich, Adelhard! – Wenn Sie Ihren Zögling zwischen zwei ganz verschiedenen Welten hin- und herzuführen haben, aus der einen in die andere, aus jener echtgroßen, auf welcher nur Seelen-Adel, Charakter, große Zwecke und große Blicke und Verächter der Zeit und Lust und Menschen der Ewigkeit standen und galten, und wo ein Epaminondas, Sokrates, Kato in ihren Katakomben, als aus ewigen delphischen Höhlen, sprachen und rieten, wo der Ernst und der Mensch und Gott alles wog, – aus dieser heraus in jene scheingroße Welt, worin alles Große und Vergangne leicht, alles Leichte und Gegenwärtige bedeutend genommen wird, wo alles Sitte, nichts Pflicht ist, geschweige Fürstenpflicht, wo das Land vielleicht als ein Landgut, alle Ämter als Kronämter und Begeisterung als eine flüchtige Liebschaft oder als ein Künstler-Talent erscheint: müssen nicht da so viele glänzende Einflüsse den hofmeisterlichen wegschwemmen? Wird nicht das gute Kind wenigstens eine Doublette werden, ein Doppelstein, halb Diamant und halb gemeiner Hofkristall, den man später bloß in Hitze zu bringen hat, damit der Schul-Zusatz abfalle vom Hof-Ansatz, so wie man auch andere Doppelsteine durch Erwärmen prüft und – spaltet?

Sie haben daher schon recht, daß Ihnen gegen diese Einbuße unter Weltleuten die leichte Ausbeute einer glänzend zugeschliffenen Außenseite wenig wiegt. Verbringt er nicht ohnehin sein ganzes Leben unter diesen Dekorateurs und Kosmetikern, gleichsam unter Rändelmaschinen fürstlicher Köpfe? Und wird dem, bei der Freiheit der aufrechten Stellung, welcher Bücklinge nur zu erwidern braucht, die Leichtigkeit des Anstands jemals schwer? – Doch sie werd' es sogar; Fürsten steht, das Laster ausgenommen, alles schön; ihnen wird, wie großen Künstlern, manche äußere Eigenheit erlaubt, ja sogar nachgeahmt, und was tiefer unten Mangel an Welt ist, erscheint höher als ein Überfluß daran, oder als eine Mosis-Decke des Kronen-Glanzes. Steife Spießbürgerschaft ist nur in die Mitte gelagert; die Enden laufen hier wieder so nahe sich zu, daß im höchsten Anstand sich leicht die Freiheit des Wilden erneuert.

»Nur aber freilich«, werden Sie in Ihrem nächsten mir antworten und klagen, »kann ich meinen lieben Friedanot nirgends hinführen, ohne daß ein Hof ihm nachsetzte – wo ein Fürst den Fuß hinstellt, stößt er einen Hofzirkel, wie Pompejus ein Heer, empor, und die Rauchaltäre dampfen umher; – denn wahrlich das mittlere und gemeine Volk umschmeichelt seinen Erbfürsten noch schädlicher, nämlich noch gröber und gebückter.« – Daher muß es vielleicht kommen, daß mehre Romanenschreiber uns die feinsten Münzstempel-Formen zu Fürstenköpfen zu schneiden glauben, bloß dadurch, daß sie den kleinen Dauphin, Prinz von Kalabrien, Prinz von Brasilien, Protektor von England in gänzlicher Unwissenheit seines künftigen Standes erhalten und erziehen lassen. Wahrscheinlich soll hier der Dauphin den MamelukenBolingbrokes politische Briefe über Europa. nachfolgen, bei welchen nach ihren Reichsgesetzen gerade nur einer den Thron besteigen darf, der nicht auf ihm geboren worden. Was diese wenigen Romanenschreiber gegen sich haben, sind sämtliche Geschichtschreiber. Denn wenn auch Machiavell bemerkt, daß unter den römischen Kaisern gerade die adoptierten immer die besten gewesen: so steht doch der römischen Geschichte – außer dem August, der sich selber zur Regierung adoptierte, und außer vielen vom Senate und Prätorianern erwählten Kaisern – die übrige entgegen, z. B. die orientalische, welche die im Sklavenschiffe erzognen und dann zu Schiffpatronen und Steuermännern angestellten Wesire, Beys und Sultane nicht als bessere Fürsten malt. Regierten ferner die Päpste besser, weil sie nicht zu Päpsten geboren wurden? Und wenn, wie an der feindlichen Schachbrett-Grenze ein Bauer eine Königin, so einer ein König ward, z. B. Masaniello: unterschied sich darum seine Regierung so sehr von andern, die sie zwanzig Jahre voraus gewußt? Und war in der alten Zeit nicht jeder erste Usurpator und Giftmischer der Freiheit immer ein Mensch, der in der Kindheit keinen Prinzenhofmeister und keinen Hof und fürstlichen Vater besessen? –


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