Jean Paul
Levana oder Erziehlehre
Jean Paul

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§ 120

Nämlich das Kind lerne alles tierische Leben heilig halten – kurz man gebe ihm das Herz eines Hindus, statt des Herzens eines kartesischen Philosophen.

Es ist hier von etwas Höherem als Mitleiden mit Tieren die Rede; wiewohl auch von diesem. Warum hat man längst bemerkt, daß Kinder-Grausamkeit gegen Tiere eine gegen Menschen weissage, wie die alttestamentlichen Opfer der Tiere das neutestamentliche Opfer eines Menschen bedeuteten? – An und für sich kann der kleine Mensch nur die Schmerzen nachempfinden, die ihn mit den angebornen Tönen der seinigen anreden. Folglich kommt ihm das unförmliche Krieg-Geschrei des gemarterten Tiers nur wie ein seltsames unterhaltendes totes Wind-Getöne vor; aber da er doch Leben, Selbstbewegung sieht, ja beide dem Unbelebten eindichtet: – so versündigt er sich am Leben, indem ers auseinanderhebt wie ein Räderwerk. Leben an sich sei heilig, jedes, auch das unvernünftige; und kennt denn das Kind überhaupt ein anderes? Oder soll das schlagende Herz unter Borsten, Federn, Flügeldecken darum keines sein? –

Man vergönne mir einige Worte über Tierliebe und Lebenachtung!

Einst, als der Mensch noch neuer und frischer lebte in der vollen Welt, worin eine Quelle in die andere quillt, da erkannte er noch ein allgemeines Leben der Gottheit an, gleichsam einen unendlichen Lebenbaum, der niedriges Gewürm wie Wurzeln in Meer und Erde senkt, mit einem Stamm aus ungeheuren kräftigen Tieren feststeht und in die Lüfte mit Zweigen voll flatternder Blätter emporgeht und endlich Menschen als zarte Blüten dem Himmel aufschließt. Da war jener dumme Menschen-Egoismus, der sich von Gott alle Tierreiche und alle bevölkerte Meere und Wüsten mit allen ihren mannigfachen Lebenfreuden bloß als Zins- und Deputat-Tiere, Martins-Gänse und Rauchhennen seines Magens liefern läßt, noch nicht geboren; die Erde, das Keplersche Tier, war noch nicht des kleinen Menschen eisernes Vieh und Bileams Esel. Sondern die alte untergesunkene Welt – wovon noch einige Spitzen in Ostindien vorragen –, findend mehr Leben und Gottheit in der mit Wurzeln angeketteten Blume als wir jetzo in freifliegendem Tiere, betete eben in den tierischen Arabesken, in den lebendig umhergehenden Zerrbildern oder Zerrleibern der Menschengestalt den unendlichen Raffael an, der den Menschen vollendete. Die uns zurückstoßende Widerform des Tiers zeigte ihnen den seltsamen Isisschleier oder die Mosesdecke einer Gottheit. Daher das niedrige, aber wunderbare Tiernach Meiners. viel früher angebetet wurde als der Mensch; so wie Ägypten Menschenleiber mit Tierköpfen krönte. – Je jünger, einfacher und frömmer die Völker, desto mehr Tierliebe. – In Surate ist ein Krankenhaus für Tiere. – Ninive wurde mit der Zerstörung aus einer Ursache verschont, weswegen ein Kriegheld sie eingenommen hätte, der Tiermenge wegen. – Mit langem Leben wurde der Juden Mitleiden gegen die TiereMichaelis' mosaisches Recht. V. III. belohnt. – Selber das Bestrafen derselben, wenn sie ein Verbrechen mit Menschen geteilt hatten, und die Bannstrahlen gegen sie und die Erwägung der tierischen Absicht bei der StrafeEin Ochs, der bei den Juden (nach der Gemara) getötet wurde nach dem Mord eines Juden, und lebendig gelassen nach dem Morde dreier Heiden, kam gleichwohl ungestraft davon, wenn er auf einen Heiden stoßen wollte, aber einen Juden erlegt hatte. Mischna 6. Baba kama K. 4. zeigen die frühere Achtung für diese Achtels- und After-Menschen an. – Und die indische Anbetung sogar des Blumen-Lebens ging nach Griechenland über als Belebung durch Hamadryaden und durch andere Götter, und nach dem Norden als Bestrafung der Baum-Schänder.

Ich entwarf mir oft Einkleidungen, durch welche die Alltäglichkeit des Blicks auf Tiere, welche wie verzogne Menschenleiber aus fremden, anders gebärenden Erdkugeln auf unsere gesunken sind, weggenommen wird. Ich dachte mir z. B. eine leere Insel, auf welcher ein nur von Brotbaum ernährter Mensch nichts Lebendes gesehen als Welle und Wolke und sein Wasserbild, und woraus er plötzlich an ein tier-bevölkertes Eiland angetrieben wird und ausgesetzt.

Welche Zauberinsel voll verkörperter Feen und Geisterchen! Wie ein böser Geist oder eine Mensch-Mißgeburt grinst den Eiländer, der nur seine eigne Spiegelgestalt kennt, ein behaarter Affe mit seinen Zähnen auf einem Baum an – Ein unförmliches Leben, eine aneinandergeschmolzene Familie, aber bloß zweiäugig, schreitet ein Elefant daher, eine wandelnde Fleisch-Insel – Der Löwe kommt wie ein Zorn – Das Roß fliegt wie Siegerstolz – Kleine tolle Geisterchen, rote, grüne, gelbe, mit sechs Füßen durchflattern die Insel – Aus der Wolke fällt ein glänzendes Wundergeschöpf, dem die zwei guten Menschenarme in goldgrüne Haare oder Federn zerblättert sind, und die Lippe in Horn zerzogen – Im Wasser schwimmen graue unförmliche Rümpfe und Glieder-Stücke – Gelbe Furienmasken kriechen aus dem Sumpf – Ein einziges glattes langes Glied schlängelt und ringelt sich dahin und sticht den bösen Geist auf dem Aste, und er sinkt herab. – Und wenn nun diese seltsamen Traumfiguren zu sprechen anfangen, jede die Sprache einer unbekannten Welt, wie etwa auf dem Marktplatz einer Sonne die versammelten Völkerschaften ihrer Planeten, hier summend, dort quäkend, da heulend, da lachend, dort auf dem Zweige ein wie aus dem Himmel schmachtendes Tönen, unten auf der Wurzel ein wie aus der Hölle zorniges – – Und darauf das Kämpfen und Ringen dieser Wesen, ihr Vergehen durch einander, und doch ihr Fortbestehen – Und endlich, wie dies durch einander webende, flatternde, schießende, ermordende, liebkosende, wiedergebärende Leben zu einer unendlichen Lebenluft wird, worin das eigne Leben als atmendes Lüftchen verfliegt.... Das Menschen-Ich vergißt über sich sogar die Menschen-Ich der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und stellt sich als erste Ziffer allen andern voran – wie viel mehr vergißts die After-Ich der Tiere, die mouches volantes vor eines Engels Auge! – –

Der sogenannte Instinkt der Tiere, diese Eselin, die den Engel früher sieht als der Prophet, sollte als das größte Wunder der Schöpfung und wieder als der Schlüssel und Inhalt aller andern Wunder angesehen werden, insofern das Welt-Rätsel gewissen Rätseln gleicht, welche das Rätsel selber beschreiben und meinen. – Das Tier werde auf jede Weise dem Kinde nahe gebracht, z. B. durch Darstellung als eines Anagramms des Menschen; wie etwa der arme Hund ein alter haariger Mann sei, den Mund geschwärzt und lang gereckt, die Ohren hinaufgezerrt, an den zottigen Vorderarmen zugespitzte lange Nägel etc. Das kleine Tier werde vom Vergrößerglase an das Auge und Herz gerückt. Dadurch wird man ein Hausfreund des Blatt-Insassen; das Vorurteil, das nach dem Rekrutenmaße das Leben schätzt – warum wird alsdann aber nicht der Elefant und Walfisch höher gestellt als wir? –, verschwindet durch die Unendlichkeit, welche in jedem Leben dieselbe ist, so daß sie, wie in der Rechnung des Unendlichen, durch einen endlichen Zusatz – z. B. durch den der Überzahl von zwei Millionen Gelenken im Vielfuß oder mehren tausend Muskeln in der Weidenraupe – nicht einmal etwas gewinnt. – »Wie würdest du einen Schmetterling pflegen, der so groß wäre als ein Adler, oder wie ein Heupferd, das so groß als ein Pferd! Und bist du nicht auch klein?« So sprecht! –

Leibniz setzte ein Tierchen, das er lange angesehen, ungetötet auf sein Blatt zurück; dies sei Gebot für das Kind. Die stoische Schule sprach aus: wer einen Hahn ohne allen Anlaß tötet, bringe ebensogut seinen Vater um: und der ägyptische Priester hielt es für unheilig, ein Tier zu töten, ausgenommen zum Opfern. Hierin liegen alle Gebote der Leben-Achtung. Alles Tier-Töten geschehe nur notwendig, wie Opfern – zufällig – eilig – unwillkürlich – verteidigend – – Ist hingegen dem Kinde durch ein längeres Beschauen, z. B. eines Frosches, seines Atmens, seiner Sprünge, seiner Lebenweise und Todesangst, das vorher gleichgültige Tierstück in reines Leben verwandelt: so mordet es mit diesem Leben seine Achtung für Leben. Daher sollte ein lange gepflegtes Haustier, ein Schaf, eine Kuh, nie vor Kinder-Augen geschlachtet werden; wenigstens müßte, wenn nicht gerade die geweckte Achtung für Tierleben bei dem notwendigen Zerfleischen desselben, anstatt milder, nur noch grausamer (wie Affen-Braten manche Völker zur Menschenfresserei) gewöhnen soll, es müßte, mein' ich, die bittere Notwendigkeit, die bessere Pflege vorher, der leichte Tieres-Tod nachher und Ähnliches als Nacht und Schleier über die tötende Hand geworfen werden. – Nicht einmal Hunde sollte ein Jäger mit seiner jagd-gerechten Grausamkeit vor den Kinder-Ohren züchtigen, zumal da jene ihr Weh so hell darein schreien. Wenn Köchinnen verbieten, unter dem Töten eines Tieres Mitleid zu haben, weil es sonst schwerer sterbe: so verrät und verbirgt dieser Aberglaube echt-weiblich gerade das Mitleiden, das er verbietet.

Zieht nur vor dem Kinde jedes Leben ins Menschenreich herein: so entdeckt ihm das Größere das Kleinere. Belebt und beseelt alles; und sogar die Lilie, die es unnütz aus dem organischen Dasein ausreißt, malt ihm als die Tochter einer schlanken Mutter vor, die im Beete steht und das kleine weiße Kind mit Saft und Tau aufzieht.

Denn nicht auf leere lose Mitleid-Übung, auf eine Impf-Schule fremder Schmerzen ists angesehen, sondern auf eine Religionübung der Heilighaltung des Lebens, des allwaltenden Gottes im Baumgipfel und im Menschengehirn. Tier-Liebe hat, wie die Mutter-Liebe, noch den Vorzug, daß sie für keinen Vorteil der Erwiderung, und noch weniger des Eigennutzes, entsteht, und zweitens, daß sie jede Minute einen Gegenstand und eine Übungminute findet.

O! es werden, es müssen schon Zeiten kommen, wo die tierfreundlichen Brahminen auch den Norden warm bewohnen; wo das Herz, nachdem es die raschesten Sünden abgetan, auch leise giftige ausstößt; – wo der Mensch, der jetzo die vielgestaltige Vergangenheit der Menschheit ehret, auch anfängt, in der Gegenwart die belebte, ab- und aufsteigende Tierwelt zu schonen und (später) zu pflegen, um einst dem Ur-Genius den häßlichen Anblick des zwar dickdunkeln, aber weitesten Tier-Schmerzens nicht mehr zu geben. Und warum müssen solche Zeiten kommen? Darum, weil schlechtere gegangen sind: die Nationalschulden der Menschheit (meistens Blutschulden) trägt die Zeit ab, das Strandrecht ist nun ein Strandunrecht, der Negerhandel allmählich verbotene Ware; nur der herbste zäheste Barbarismus der Vorzeit, der Krieg, bleibt noch dem uns angebornen Antibarbarus zuletzt zu überwinden übrig.

§ 121

Der dritte Liebetrank, gleichsam der dritte letzte Vergleichgrad, der keinen mehr zuläßt, ist Liebe um Liebe. Wenn Liebe das Höchste ist, was kann sie weiter suchen als selber das Höchste? Und ein Herz ist nur von einem Herzen zu fassen, dieser schönsten Fassung des schönsten Juwels. Nur das Verwirren und Verstricken ins Gesträuch und Nest des Ich kann uns so verdunkeln, daß wir die hohe reine Liebe für fremdes Ich weniger achten als eine für unseres.

Nur nicht durch Rührungen, diese Hungerquellen der Liebe, wollet in Kindern diese gründen. Jene erkälten und erkalten leicht. Ich sah oft Kinder, zumal jüngere, von der Liebe-Rührung plötzlich auf die ruhigste Bemerkung einer Kleinigkeit abspringen, wie die epischen Dichter der alten Jugend-Völker in ihren Darstellungen. Im Erwachsenen verriete dies ein verwelktes Herz, was in Kindern nur die geschloßne Knospe verrät.

Ihr entdeckt dem Kinde die Gestalt der Liebe weniger durch Taten-Opfer – diese hält es, unverständig und eigensüchtig, noch für keine – als durch die Muttersprache der Liebe, durch liebkosende Worte und Mienen. Liebe werde, damit sie ungetrübt erscheine, in nichts verkörpert als in die zarte, von der Natur selber mitgegebene Mimik; ein Blick, ein Ton spricht sie unmittelbar aus, eine Gabe nur mittelbar durch Übersetzung; so wie in der Ehe sich die Liebe nicht durch Gaben, Freuden-Geschenke, Opfer, deren Spuren nach kurzer Macht verschwinden, sondern durch Liebe-Worte und Liebe-Mienen ernährt. – Übrigens enthüllen den Kindern nicht gebende Eltern, sondern gebende Fremde mehr Liebe; so wie umgekehrt nicht liebkosende Fremde, sondern liebkosende Eltern.

Das Kind sehe ferner zuweilen die Feuersäule der Liebe vor Fremden ziehen. Der Anblick fremder Wechsel-Liebe heiligt den Zuschauer, weil er keine Ich-Foderung dazu mitbringen kann. Nur ist eine Störung dabei, – daß nämlich diese unentfalteten Seelen in das Opferfeuer fremder Liebe entweder gleichgültig, oder oft, wenn die Eltern es anzünden, wie eifersüchtig schauen; allein dies lehret bloß, daß man überhaupt in der Erziehung, wie in der Kunst, jeden heftigen Ausdruck, sogar des Besten, zu fliehen habe – da das Übermaß, die Mißform, wie eisern zurückbleibt, indes der schöne flüchtige Inhalt versiegt –, und daß Ruhe und Milde das liebende Herz am schönsten abspiegeln. Übrigens versichere ich die Bräute, noch gewisser die Bräutigame, daß sie nur von liebenden Eltern liebende Kinder erheiraten können; und daß besonders ein hassender oder liebender Vater kindliches Hassen oder Lieben fortpflanze.

Hätten wir keine angeborne Liebe: so könnten wir nicht einmal hassen. Zwar erscheint der Haß an uns, wie an Tieren, anfangs stärker und früher als die Liebe; aber in der Anziehung oder Ähnlichkeit muß ein Teil des fremden Werts durch die Vermischung mit unserem unsichtbar werden, indes die Abstoßung des Unähnlichen unsern Wert von fremdem Unwert schroff ohne Vermengung absondert; das Ich, voll des idealen Lichts, empfindet den kalten Schatten fremder Unsittlichkeit stärker als das fremde, sich ins eigne Licht verlierende Leuchten. – Ist nun Liebe ursprünglich, und ist das Herz, wie nach Descartes die Erde, eine überrindete Sonne (soleil encrouté): so brecht nur die Rinde weg, dann ist die Glanzwärme da. Mit andern Worten: lasset das Kind durch eignes Tun die Liebe kennen (wie umgekehrt durch Liebe euer Tun); d. h. veranstaltet, daß es etwas für euch tue, damit es etwas liebe; denn in Kindern erweckt die Tat den Trieb, wie im Manne dieser jene.

Ohne irgendeine auserlesene Zeit könnt ihr die höhere als ovidische Kunst zu lieben lehren, wenn ihr vom Kinde Handlungen begehrt, ohne sie zu befehlen, oder sie zu belohnen, oder deren Unterlassung zu bestrafen; malt bloß vorher (ists für andere), oder nachher (ists für euch) die Freude aus, womit der kleine Täter eures Wortes das zweite Herz erquicken wird. Die Mildtätigkeit der Kinder z. B. facht ihr weniger durch Gemälde fremder Not als durch die fremder Freude an. Denn einen so reichen Schatz von Liebe verbirgt auch das kleinere Herz, daß ihm mehr die Anschauung oder Gewißheit, zu erfreuen, als die Willigkeit, dafür zu opfern, fehlt; daher Kinder, im Geben begriffen, mit Geben gar nicht aufhören wollen. Den Lohn der assekurierten Freude teilen ihnen Eltern durch frohe lobende Billigung zu, ein Erziehunghebel, dessen Gewalt-Bogen nicht genug gemessen wird. Denn sie, nur gewöhnt an elterliches Bieten, Gebieten und Verbieten, werden selig erwärmt durch die Freiheit, ein Über-Werk zu tun, durch die Anerkennung, daß sie es getan; dieses liebende Geständnis der Freude macht sie nicht eitel oder leer, sondern voll; nicht stolz, sondern warm.

»Es tut dem armen Menschen, Hunde etc. weh, oder wohl!« Dies ist mit rechter Stimme eine Predigt wert; so wie ein »Pfui!« bei Mädchen einen halben Band von Ehrenbergs Vorlesungen für das weibliche Geschlecht ganz gut vertritt.

Auch will Verf. dieses den Polizeianstalten nicht verhehlen, daß er in Gegenwart seiner Kinder häufig dem Bettler gab, erstlich weil der unvermeidliche Schein der Härte durch keine Gründe der Polizeianstalten, die jene ja nicht fassen, zu umgehen ist, und zweitens weil sie nicht ein vom Mitschmerze bewegtes Kinderherz erkälten sollen.

Noch einige Bruchstückchen ins Bruchstück! Besorgt von Kinder-Gezänke nicht zu große Gefahr der Liebe. Das enge Ich der Kinder, ihre Unfähigkeit zum Versetzen ins fremde und ihr adamitischer Unschuldglaube, daß die ganze Welt mehr ihnen gehöre als sie ihr, alles dies wirft die brausenden Blasen derselben auf, welche bald zerfallen. Sie mögen gegeneinander auf- und anfahren, nur nicht fortfahren! – Es gehören mehre Handlungen dazu, von Kindern gehaßt, als von ihnen geliebt zu werden; gehaßte Eltern mußten lange Zeit hassende sein. – Einer unterdrückten oder nicht aufkeimenden Liebe helfen selten die Jahre nach; die eigne Selbstsucht verdoppelt die fremde, diese wieder jene; und so gefriert Eis an Eis. – Ihr verfälscht die Liebe, wenn ihr deren äußerliche Zeichen gebietet (z. B. Handkuß); diese sind nicht, wie Taten, Ursachen derselben, sondern nur Wirkungen; und gebietet überhaupt nicht Liebe; wie würde denn bei Erwachsenen die anbefohlne, höchsten Orts verordnete Liebe-Erklärung ausfallen? – Man kann es ohne Tadel wiederholen, daß der schnellste Wechsel zwischen Strafe oder Verbot und voriger Liebe die rechte, aber Weibern schwere Kunst der Liebe-Erziehung sei; keine Liebe ist süßer als die nach der Strenge; so wird aus der bittern Olive das milde, weiche Öl gedrückt.

Und endlich, ihr Eltern, lehrt lieben, so braucht ihr keine zehn Gebote – lehrt lieben, so hat euer Kind ein reiches gewinnendes Leben; denn der Mensch gewinnt (ist diese Vergleichung hier erlaubt) wie Österreich seine Länder nur durch Vermählen, und büßet sie ein durch Kriege – lehrt lieben im Jahrhundert, das der Eismonat der Zeit ist, und das leichter alles andere erobert als ein Herz durch ein Herz – lehrt lieben, damit ihr selber einst, wenn eure Augen alt sind und die Blicke halb erloschen, um euern Krankenstuhl und euer Sterbebette statt des gierigen Eis- und Erb-Blickes ängstliche verweinte Augen antrefft, die das erkaltende Leben anwärmen und euch das Dunkel eurer letzten Stunde mit dem Danke für ihre erste erleuchten – Lehrt lieben, sagt' ich, das heißt: liebt! –


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