Jean Paul
Levana oder Erziehlehre
Jean Paul

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§ 85

Die Natur hat das Weib unmittelbar zur Mutter bestimmt; zur Gattin bloß mittelbar; so ist der Mann umgekehrt mehr zum Gatten als zum Vater gemacht. Es wäre auch etwas sonderbar, wenn sich das stärkere Geschlecht auf das schwächere lehnen und die Blume den Blumenstab und der Efeu den Baum unterstützen müßte; wiewohl solches eben als das stärkere wirklich etwas Ähnliches erzwingt und die Frau zu seiner Waffen- und Geschäftträgerin, Marketenderin und Proviantbäckerin macht und der Ehemann das Eheweib als sein Wirtschaftgebäude und Beiwerk ansieht. Er ist weit mehr für sie als sie für ihn geschaffen; sie ists für die körperliche Nachwelt, wie er für die geistige. Schiffe und Heere beweisen die weibliche Entbehrlichkeit; hingegen Weiberschaften, z. B. Klöster, bestehen nicht ohne einen männlichen Bewindheber als primum mobile. Die Natur, welche liebend-grausam zu ihren Welt-Zwecken hindringt, hat die Weiber – die Pupillenkollegien und Zeughäuser der Nachwelt – dafür geistig und physisch, raubend und gebend, ausgerüstet; von den Reizen und Schwächen ihres Körpers an bis zu den geistigen. Daher deren Sorge und Achtung für ihren Körper – mit welchem ihre Seele mehr ein Stück ausmacht als unsere –, daher ihre Furcht vor Wunden, weil diese ein doppeltes Leben treffen, und ihre Gleichgültigkeit gegen Krankheiten, deren einige die Schwangerschaft sogar unterbricht, so wie der Mann weniger Wunden als Krankheiten scheuet, weil jene mehr den Körper, diese mehr den Geist aufhalten. – Damit steht ihre Nüchternheit, ihre Liebe für Reinlichkeit, sogar die Schamhaftigkeit und ihre Neigung für Häuslichkeit und Ruhe in Bund. Die Mädchen-Seelen sind schneller ausgebildet als die Knabengeister – so wie nach Zach die Monde schneller laufen als die Planeten, oder wie in Tälern die Blumen früher blühen als auf Bergen –, bloß weil die Natur der funfzehnjährigen Reife des Körpers, folglich der Mutter, auch eine geistige geben will. Hat endlich die üppige Blume einen zweiten Frühling stäubend ausgesäet: so bricht ihr die Natur hart alle Farbenreize ab und überläßt sie dem geistigern Reiche und Herbst. Hingegen dem Manne bewahrt sie den Körper, der auf der längern Taten- und Ideen-Bahn mit zu dienen hat, rüstig in tiefe Jahre hinein und weit über die der weiblichen Blüte hinaus. –

Hieher gehört noch die Bemerkung aus dem Tierreich, daß die Männchen den höchsten Mut und Kraftdrang in der Liebezeit, die Weibchen hingegen nach der Geburtzeit beweisen.

Man könnte die bisherige Behauptung in die kleinern Züge ausmalen; z. B. den weiblichen Geiz, der nicht selbstisch, sondern für Kinder sparet – die Liebe für Kleinigkeiten – die Sprechseligkeit – die sanfte Stimme und vieles, was wir tadeln.

§ 86

Wir kehren zur vorigen Anklage der Weiber zurück. Aber warum sprechen die Männer dieses Wort so oft aus über Wesen, denen sie den ersten Dank des Lebens schuldig sind, und die von der Natur selber geopfert werden, damit Leben nach Leben erscheine? Warum werden die Fruchtspeicher der Menschheit, die Nachschöpferinnen Gottes, nicht höher gehalten und bekommen den Ährenkranz nur zu tragen, weil er stachlicht ist? – Gäb' es nur einen Vater auf der Erde, wir beteten ihn an; gäb' es aber nur eine Mutter, wir würden sie verehren und lieben und auch anbeten.

Das Höchste und Schönste, womit die Natur das Weib ausstatten konnte und mußte für die Vorteile einer Nachwelt, war die Liebe, aber die stärkste, eine ohne Erwiderung, eine des Unähnlichen. Das Kind empfängt Liebe und Küsse und Nächte, aber es antwortet anfangs zurückstoßend; und das schwache, das am meisten fodert, bezahlt am wenigsten. Aber die Mutter gibt fort; ja ihre Liebe wird nur größer mit fremder Not und Undankbarkeit, und sie hegt die größere für das gebrechlichste Kind, wie der Vater für das stärkste.

»Aber« – könnte man der vorigen Ansicht der weiblichen Bestimmung entgegensetzen – »das Weib sucht und ehrt überall jede geistige und leibliche Vorkraft – es liebt sein eignes Geschlecht wenig und richtet dessen Schwächen härter als die Roheiten des männlichen. – So zornig auch ein Herr gegen seinen Bedienten werde, so wirds doch eine Herrin gegen ihre Sklavin in den Kolonien oder in Deutschland noch mehr, und die Römerin ließ sich von Kammerjungfern mit entblößtem Busen ankleiden, um in denselben bei dem geringsten Putzverstoß einige Nadeln zu drücken zur Strafe. – Mütter feuern, gleich Höfen, bei der Geburt einer Prinzessin einige Kanonen weniger ab als bei der eines Prinzen. – Eine Frau erwählt, wenn der Kartenkünstler sie eine Karte im Sinne zu behalten bittet, stets den König oder den Wenzel oder den Buben, kurz keine Königin; und Schauspielerinnen spielen auf der Bühne nichts lieber als verkleidete Jünglinge. Man braucht aber nicht lange in Paris oder in der Weit, ja nur auf der Welt gewesen zu sein, um zu erraten, was die Weiber damit wollen« – –

Nichts Böses, sondern einen Schutzherrn ihrer Kinder. Mit Achtung für den Mann hat, wie Herder schön auseinanderlegt, die Natur das weibliche Herz begabt; aber aus dieser Achtung erblüht zwar anfangs die Liebe für den Mann, allein diese geht nachher in Liebe für die Kinder über. Wenn sogar die Männer, weit mehr mit Phantasie und nach Begriffen als mit den Herzen liebend, den Bühnen-Weibern nachjagen, weil sie diese oft hohe romantische Rollen von Königinnen, Göttinnen, Heldinnen, sogar Tugendheldinnen haben spielen sehen: wie sollten sich die Weiber nicht aus Achtung verlieben, da sie uns die größten Rollen nicht etwa wie eine Schauspielerin die Lukrezia und Desdemona und Iphigenia zum kurzen Abendscherze, sondern mit Jahres-Ernste auf dem Welt- und Staattheater machen sehen, den einen den Helden, den andern den Präsidenten, den dritten den Fürsten, den vierten den Weltlehrer, nämlich den Schriftsteller! – Die Kinder fodern der Mutter dann diese Liebe für den Vater als Erbschaft oder geliehene Schuld wieder ab, und ihr bleiben nur die Zinsen, bis erst im höhern Alter, wenn die Kinder selber Eltern geworden, eine Greisin als Silberbraut ordentlich wieder in eine Art Liebschaft für den alten Silberbräutigam hineingerät. In einer kinderlosen Ehe sieht eine Frau ihren Mann für ihren einzigen und erstgebornen Sohn von Gaben an, der ihr wahre Ehre macht und sie zeitlebens ernährt; und sie liebt den jungen Menschen unglaublich.

§ 87

Hegt nun die Jungfrau die in die Knospe der Achtung gepreßte Liebe: so wird sie ja für den Geliebten kaum weniger tun als alles, oder als eine Mutter für ihr Kind. Sie vergißt sich mit ihm, weil sie nur durch ihn sich erinnert; und ihr Genußhimmel gilt ihr nur als Bedingung und Vorhimmel des seinigen, und eine Hölle nähme sie um denselben Preis an. Ihr Herz ist die Festung, alles übrige um dasselbe herum nur Land und Vorstadt; und nur mit jenem wird das andere übergeben.

Wenn man behaupten darf, daß sogar die Verlorne im Gebärhause des Jammers gern für den süßen Rausch des innern innigern Liebens die giftigen Lockspeisen hingäbe, womit sie sich erhalten und betäuben muß: o wie soll da das frische jungfräuliche Herz für den Sonnenaufgang des Lebens, für die erste unüberschwengliche Liebe, und zwar je reiner, folglich je stärker es ist, und je ärmer es war, nicht alles einem Gott-Mann hingeben, der dem auf ein Weltteilchen bisher gehefteten Wesen plötzlich eine ganze neue Welt auftut, die für die Jungfrau eine erste Welt ist, mit der zweiten dazu? Wer soll dann der Liebedankbarkeit Einhalt tun gegen den, der vor einem von der Gegenwart eng umketteten Gemüte auf einmal Glück und Freiheit weit ausbreitet, und der alle Träume verkörpert, die bisher die uneigennützige Seele in Sterne, in Frühlinge, in Freundinnen und kindliche Pflichten eingekleidet hatte? – Ich kenne den wohl, der Einhalt tun soll; es ist der eben, der das Gegenteil fodert, der Geliebte. Wahrlich eine kräftige und rein erzogene Jungfrau ist eine so poetische Blume der matten Welt, daß jedem der Anblick, diese Prunkblüte einige Jahre nach den Flitterwochen mit welkgelben gekrümmten Blättern im unbegoßnen Blumenscherben niederhängen zu sehen, wehe tun müßte, sobald er nur darauf als ein Dichter hinschaute, wenn er folglich im Schmerze über die Dienstbarkeit und Knechtgestalt des menschgewordenen Lebens, über den Unterschied der Frau von Jungfrau lieber das tödlichste wünschte; so daß er die Jungfrau lieber noch mit ihrem Knospenkranze von Rosen, mit ihrer Zärte, ihrer Unkunde der Lebens-Schärfen, ihrem Traum-Abrisse eines heiligen Edens lieber, sag' ich, in die Gottesacker-Erde als in die Lebens-Heide schicken würde. – Tu es doch nicht, Dichter; die Jungfrau wird ja Mutter und gebärt die Jugend und das Eden wieder, das ihr entflogen ist; auch zur Mutter fliegt einstmals eines zurück. aber ein schöneres; und so lasse, was ist! –

§ 88

Woher kommts, daß sogar im sittlich wie architektonischBekanntlich ist Paris aus den Steingruben unter ihm erbauet. unterhöhlten Paris die Weiber eine Heloise, eine Attala, eine Valerie, worin nur Liebe des Herzens spielt und flammt, so begierig wie Liebebriefe lasen? Weiber, sogar alte, und Jünglinge verschlingen solche Werke; indes ältere Männer sich lieber von Werken entgegengesetzter Art verschlingen lassen. Warum verwundern Männer und Weiber sich über eine weibliche Niederlage, aber nicht über eine männliche? Der letzten scheint demnach der Reiz der Überraschung abzugehen? – Ferner: wie im streng gespielten Schach der, welcher den ersten Zug tut, oder im Kriege der, welcher angreift, gewinnt, so müssen wohl die Weiber, als der angefallene Teil, erliegen. Aber wer greift uns an als wir uns selber? Und wer ist schuldiger, die Schlange auf dem Baum, oder Eva unter dem Baum? – Und wie klein und vergänglich ist der Preis, um welchen wir oft das ganze Glück eines weiblichen Lebens verkaufen, so wie etwa Xerxes Griechenland mit Krieg überzog, weil er gern attische Feigen käuen wollte.

Ferner: die weibliche Phantasie, nicht wie die männliche durch Getränke und Anstrengungen abgenutzt, muß an unserer desto leichter zu hohen Flammen aufgehen, die das Glück verzehren.

Hippel bemerkt – und mit Recht –, daß ein Mann, im Unrechte ertappt, mut- und sprachlos ist, eine Frau aber desto kecker bis zur Zorn-Wut. Allein die Ursache ist: der Mann, aber nicht die Frau schauet sich an; sie macht daher andern und sich selber leicht ihre Unschuld weis. Kurz ihre Sünden sind, wenn unsere öfter besonnene sind, meistens unbesonnene, also verzeihlicher.

Und endlich: es gibt überall mehr keusche Jungfrauen als Jünglinge, keusche Weiber als Männer, alte Jungfern als alte Junggesellen. – Doch kann der Mann mit zweierlei sich loben. Erstlich: seine Lebens- und Weltverhältnisse und sein Mut setzen ihn den Versuchungen häufiger aus – und zweitens: der Mann, der mit Grundsätzen seine Keuschheit bewacht, besitzt daran eine prätorianische Kohorte; die Frau aber, welche mit Herz und Sitte sie beschirmt, hat daran einen Schutzheiligen und eine Ehrenwache. Die Kohorte ist aber stärker als der Heilige und die Wache.


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